Der Schuss war laut genug … !

Zum Jungfernflug der Falcon Heavy ein Kommentar von Andreas Weise

Ein Beitrag von Andreas Weise. Quelle: RN.

SpaceX
Falcon-Heavy-Start am 6. Februar 2018
(Bild: SpaceX)

Um es vorweg zu sagen: Nein, ich bin kein SpaceX-Freak. Ich bin auch kein Falcon-Nerd, der jedes Detail einer „Nine“ oder „Heavy“ im Schlaf aufsagen kann. Ich habe mich nicht detailliert mit der Geschichte einer gewissen space-x-igen Raumfahrtfirma beschäftigt. Auch glaube ich nicht, dass Elon Musk die Reinkarnation von Iron Man ist. Und schon gar nicht ist er der Techno-Messias, der uns alle retten wird, weil Prof. Stephen Hawking meinen soll: Wir müssten schnell in den nächsten 100 Jahren auf den Mars auswandern. Allerdings habe ich Musks Biographie im Schrank – und auch gelesen.

Ich verfolge mit Interesse die Diskussionen in den einschlägigen Threads über SpaceX in Raumcon. Dabei sehe ich mich als Amateur im Bereich der Raketentechnologie. Den Marsprojekten stehe ich kritisch gegenüber, obwohl sie mich faszinieren.

Und natürlich staune ich darüber, was ich so bei manchem Berliner Raumcon-Stammtisch über die SpaceX-Raketenentwicklung und über die neusten Akkus für Tesla-Autos erzählt bekomme. Dabei ist mir der Hype um die neue „Superrakete“ Falcon Heavy nicht entgangen.

Am 6. Februar 2018 war nun der lang angekündigte und von vielen Fans herbeigefieberte Höhepunkt: Der Demo-Flight der Heavy. Ich war rechtzeitig durch den Berliner Berufsverkehr zu Hause angekommen und hatte zuerst auf einen Start um 19:30 Uhr gewartet. Dann ein Blick in Raumcon. Ah, der Start ist verschoben auf 21:45 Uhr. Im Computer lief der SpaceX-Stream. Zum Start wurde dann der Fernsehsender WELT (ehemals N24) zugeschaltet. Diese Übertragung hinkte dem Live-Stream via Internet knappe 10 Sekunden hinterher. Dafür erklärte bei WELT Prof. Ulrich Walter dem nicht so raumfahrtkundigen Zuschauer das Geschehen. Ulrich Walter hatte einmal folgende Entwicklung vorausgesagt: In seinem Buch „Höllenritt durch Raum und Zeit“ im Kapitel 28 (ab Seite 169) „Die Mär vom cleveren Raketen-Recycling“ vermutete Walter, dass Musk mit seinem Raketenrückführungskonzept finanziell scheitern wird. Und an die Mitbewerber gewandt schrieb er: „…Allen anderen Raketenbauern kann ich daher nur raten: Lasst die Finger von dieser Art Raketen-Recycling.“

Zurück zur TV-Übertragung. Es wurde sehr viel mit Superlativen herum geworfen: „Raumfahrtgeschichte“ werde geschrieben. Mancher Youtuber ging dann später noch weiter: „Ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte…“.

Dagegen war die Mondlandung geradezu ein Klacks, möge man meinen. Nun sei dem großen Teil dieser Jubler verziehen, denn sie haben die Mondlandung nicht selber miterlebt. Es ist halt schon zu lange her. Die WELT verabschiedete sich dann von den Zuschauer mit „… dem Stück Geschichte was wir (Wer ist wir?) gerade geschrieben haben.“ Wenige Sekunden, bevor die Landung der beiden Außenstufen zu sehen gewesen wäre. Dämlicher konnte die Übertragung nicht beendet werden. Inzwischen kannte die ehrliche Begeisterung bei Raumcon keine Grenze mehr.

Ich hatte eigentlich auch eine Übertragung durch PHÖNIX erwartet. Fehlanzeige. Dafür brachte das ZDF in den 19-Uhr-heute-Nachrichten am nächsten Tag (!) einen kurzen Beitrag mit der Kernaussage, dass der Roadster (die Nutzlast) nur noch Weltraumschrott sei. Eine sehr kontraproduktive Berichterstattung also.

Und nun möchte ich versuchen nüchtern zu rekapitulieren, was ich am 6. Februar 2018, kurz vor 10 Uhr abends wirklich gesehen habe: Es startete die zurzeit stärkste Trägerrakete der Welt zu ihrem Jungfernflug. Warum war es die stärkste Rakete? Weil die Russen es nicht mehr können, die NASA es zurzeit nicht mehr kann, die Chinesen es noch nicht können und die Europäer es nicht wollen.

Insgesamt 27 Triebwerke arbeiteten beim Start zusammen. Eine großartige Leistung von SpaceX! Die Sowjetische Raumfahrt hatte bekanntlich bei der Synchronisation von so vielen Triebwerken einige negative Erfahrungen gesammelt.

Der Jungfernflug, dem Musk selber eine 50/50-Chance fürs Gelingen gegeben hatte, wurde live übertragen. Dabei wurde auch die Übertragung eines möglichen Scheiterns einkalkuliert. Absolute Öffentlichkeit eben. Dabei sind Fehlschläge bei Erststarts nichts Ungewöhnliches. Arianesapce kann sich bestimmt noch an den Flug der ersten „5“ erinnern. Da fällt mir doch gleich die Übertragung des letzten Ariane-5-Fluges ein. Die war so spannend gehalten wie die Meldungen der Wasserstände und Tauchtiefen für die Oderschifffahrt bei Hohenwutzen. Obwohl es eigentlich etwas zu berichten gab… Aber das ist eine andere Geschichte, zeigt aber eine komplett andere Herangehensweise an die Berichterstattung. Bei SpaceX ging dafür die Post ab. Dafür ein ganz großes Lob! So macht Raumfahrt Spaß.

SpaceX
ein Start vom KSC, zwei Landungen dort
(Bild: SpaceX)

Die beiden Außenstufen sind bilderbuchmäßig gelandet. Es sah aus, wie in einer Computersimulation. Aber es war keine Fake-News. Es war Realität. Eigentlich wurde relativ wenig auf den eigentlichen Grund der Rückführung der Stufen eingegangen. Es geht um die Wiederverwendung und damit um Kostensenkung. Kein anderer Raketenhersteller kann derzeit bei dieser Disziplin in einer Liga mitspielen. Jedenfalls nicht in dieser Größenordnung.

SpaceX wird hier anderen Anbieter sehr viel Kopfschmerzen bereiten. Hat die hochgezüchtete Wegwerfrakete langfristig eine Zukunft? Irgendwie sehe ich hier Parallelen mit den Autobauern. Neue E-Autos gegen hochgezüchtete Diesel-Technologie. Wer ist da in welcher Sackgasse? Es geht um Steuergelder, Arbeitsplätze, Staatsaufträge und so weiter.

SpaceX zeigt hier, dass sie eine neue Technologie, die vorher niemand für möglich gehalten hat, beherrschen. Und das in einer Präzision wie ein Uhrwerk. Ein Außenstehender hält das alles schon für normal. Ein Scheitern von SpaceX wird fast schon ausgeschlossen obwohl ein Fehlstart nichts Ehrenrühriges wäre. Das Alles ist mit eisernem Willen und dem Engagement der Mitarbeiter – das waren die jungen Leute, die beim Start im Hintergrund zu Recht so laut gejubelt haben – erreicht. Qualitätsmanagement, Entwicklungsstrategie, Planung … Man fragt sich, wie die das machen. Die sind so richtig super innovativ und das ist sehr zu bewundern! Dass die Rückführung der Zentralstufe nicht funktioniert hat, ist nur eine Randnotiz. SpaceX wird auch das in den Griff bekommen.

SpaceX
Tesla-Roadster im All
(Bild: SpaceX)

„Aber die Nutzlast hat nicht richtig funktioniert!“ Diese Meldung, dass das Space-Auto angeblich nicht die richtige Bahn einschlägt, ist das typische Suchen nach dem Haar in der Suppe durch unsere Medien. Dabei wird bewusst unterschlagen, dass es um den erfolgreichen Start eines neuen Raketentyps ging und nicht um ein Auto im Weltall.

Der Werbegag mit dieser schon etwas verrückten Nutzlast war etwas für die Fans. Motto: Alles ist möglich. Es ging um die Simulation einer Nutzlast, die ebenso ein Zementblock hätte sein können.

Ob Raumfahrtgeschichte geschrieben wurde? Sie wurde auf alle Fälle fortgeschrieben. Nicht mehr und nicht weniger. Und in der Geschichte der Menschheit als Gesamtheit ist dieses Ereignis wohl eher zu vernachlässigen.

Aber eigentlich hat mich nur eine Sache wirklich beeindruckt und zum tiefgreifenden Nachdenken angeregt. SpaceX hat in einer geradezu rasanten Geschwindigkeit die technologische Entwicklung der Raumfahrt vorangetrieben. SpaceX hat eine Strategie und setzt diese konsequent und in einer Präzision um, die einfach nur verblüfft. Das ist freilich nur durch die Finanzkraft des Unternehmens möglich. Aber Unternehmen kommt eben von unternehmen.

Hinzu kommt ein charismatischer, visionärer und unkonventioneller Vordenker in Gestalt von Elon Musk. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ lautet ein bekanntes Zitat. Aber das stimmt nicht. Und das nicht nur in Bezug auf die Raumfahrt. Wie machen es denn die Mitbewerber? In Russland „bastelt“ man seit einer gefühlten Ewigkeit an der Angara herum. Bei der NASA erfindet man gerade die Saturn V in Gestalt des SLS wieder neu. Das entsprechende Ingenieurwissen muss sich dabei nach dem Abbruch von Apollo- und Shuttle-Programm zum Teil wieder erarbeitet werden. Aber es sind ja nur Steuergelder die hier zum wiederholten Male ausgegeben werden. Und in Europa schaut man jedes Jahr wie das Kaninchen auf die Schlange, wenn die Finanztöpfe in der ESA-Ministerratskonferenz neu verteilt werden. Die Entwicklungsgeschichte der Ariane 6 ist hier das Beispiel. Man könnte glauben, es ginge nur um Geldverteilung, um den einzelnen nationalen Firmen etwas vom Kuchen abzugeben, und nicht darum, ein Produkt mit einer konkreten Zielsetzung zu schaffen.

Der Markt wird es schon richten. Nein! Wird er nicht! Steuerfinanzierung zwingt nicht unbedingt zum Erfolg. Beispiele aus anderen Bereichen stehen hier Pate. Die Liste ist sehr lang. A400M, NH90, Eurofighter – alles tolle Technologieprojekte, die nicht so funktionieren, wie sie sollen.

Versagen von Ingenieur-, Projektierungs- und Planungsleistung findet man eben nicht nur am BER oder am Stuttgarter Bahnhof. Beispiele gibt es im Kleinen wie im Großen. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Regierungsviertel ist ebenso beschämend, wie das 90-Meter-Loch auf der A20 nördlich von Neubrandenburg. Der Ausfall von unseren supermodernen ICE-Sprintern gleich bei der Premiere der neuen Bahnstrecke Berlin-München wird bei uns fast schon als normal angesehen. Es wäre auch ein Wunder, wenn es sofort funktioniert hätte. Würde morgen jemand sagen, in der Elbphilharmonie wäre die Haustechnik nicht in Ordnung, ich würde es ohne darüber nachzudenken sofort glauben…

Was macht SpaceX da anders?

SpaceX ist zum Erfolg verdammt. Das scheint ganz andere Energien freizusetzen. Die Mitarbeiter sind hoch motiviert. Und Effektivität bestimmt das Handeln. Es scheint, dass eine Strategie wie ein Masterplan abgearbeitet wird.

Und das macht mir Angst. Nicht Angst vor SpaceX sondern Angst davor, dass WIR den Schuss nicht gehört haben.

Ich wünsche SpaceX noch viele bahnbrechende Erfolge. Erfolge, die uns den Spiegel vorhalten. Warum nicht wir?

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