"Sanfte" Atmosphärenbremsung

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"Sanfte" Atmosphärenbremsung
« am: 09. Oktober 2015, 01:32:27 »
Spätestend seit der Columbia Katastrophe habe ich mich immer wieder gefragt:
- Warum müssen rückkehrende Raumfahrzeuge bzw. Kapseln immer so eine heftige Atmosphärenbremsung hinlegen und dadurch das Hitzeschutzschild dermaßen strapazieren. Warum wird nicht erst einmal möglichst lange "flach" im oberen Teil der Atmosphäre manövriert, wo die Gasdichte und dadurch auch die Reibung noch recht gering ist. Dann dauert der Abstieg halt länger, vielleicht ein paar Stunden, aber die Umwandlung von Bewegungs- in Wärmeenergie findet gemächlicher und material-schonender statt.

Falls diese Frage hier schon beantwortet wurde, bitte ich um Entschuldigung, aber ich konnte auf die Schnelle nichst finden.

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Offline Schillrich

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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #1 am: 09. Oktober 2015, 06:26:43 »
Hallo Prodatrom,

gerade das Space-Shuttle ist ja schon viel sanfter eingetreten, als die Kapseln. Es hatte einen flacheren und deutlich längeren "Bremsweg" in der Hochatmosphäre.

Bei einem flachen Re-Entry treten geringere Beschleunigungen auf, so dass die Trägheitskräfte der Massen geringer sein. das ist angenehmer für die Besatzung und ggf. Nutzlast auf dem Weg nach unten. Aber (großes Aber) dafür wird die Wärmebelastung höher, also belastet Material und Konstruktion mehr. Beim steilen Re-Entry sind die kurzzeitige Wärme-Spitzenlasten für das Material zwar am höchsten (gekoppelt mit den hohen Beschleunigungen), beim flachen Re-Entry hingegen ist die gesamte Wärmemenge, die in die Konstruktion fließt, am größten. Das muss man dann auch konstruktiv erst mal lösen ... als mit Material und Strukturen, die das aufnehmen, verteilen und aushalten können ... und die Besatzung die ganze lange Zeit lang vor dieser Wärme schützen (das wäre ja auch eine "Strapaze" ;)).

Also, "flach" ist nicht einfacher, sondern hat eigene, große konstruktive Herausforderungen. Deswegen hat man sich ja auch erst "später" daran gewagt.

Wirklich "sanfter" geht ja quasi nicht, da man nur Problem A gegen Problem B tauscht ... Energieerhaltung halt.

Wenn du mehr erfahren willst, hier eine sehr gute Abhandlung anhand der Geschichte der amerikanischen "Rückkehr-Vehikel":
http://www.nasa.gov/connect/ebooks/coming_home_detail.html

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Offline Schillrich

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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #2 am: 09. Oktober 2015, 08:05:29 »
Noch ein Aspekt/Hintergrund: Das Problem ist "die Wärme abzuführen".

Bei einem steilen ("heftigen") Re-Entry hat man das zuerst mit "Heat-Sinks" gemacht, die Wärme also für die kurze Zeit einfach im Inneren "gespeichert". Für Gefechtsköpfe reicht das. Sogar die ersten Mercury-Kapseln haben noch so gearbeitet (wahrscheinlich musste der Astronaut dann zügig raus, nach der Wasserung).
Ablative Kühlung, quasi "Verbrennen", schafft die Wärme aus dem System, indem man Material verbraucht udn die Wärme so im abgebrannten Material und der Atmosphäre deponiert.
Beim flachen "Re-Entry" ist das Problem: wie halte ich Wärme draußen, und wie bekomme ich sie wieder raus? An die dünne Hochatmosphäre kann man wenig/kaum Wärme abführen. Bei ganz flachen Re-Entry-Designs gibt es die Idee des "Skip-Reentry" (Sänger). Man taucht etwas in der Atmosphäre ab -->  bremst dabei und erwärmt sich --> steigt dann wieder auf, strahlt die Wärme über der Atmosphäre ab -->  taucht wieder ein --> steigt wieder auf ... Das scheint sich in der Summe aber schwierig darzustellen und ist die "schlechtesten Lösung" aus Sicht der Wärme. Man bekommt die Wärme in den kurzen Phasen nicht ausreichend aus dem System. Hier scheint es am Ende quasi "am wärmsten" im Raumfahrzeug zu werden.
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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #3 am: 09. Oktober 2015, 11:16:23 »
Hallo,

was man dabei auch nicht vergessen darf: Um möglichst lange - Prodatron spricht sogar von Stunden - in der oberen Atmosphäre zu bleiben und die Energie "sanft" abzubauen muss man Auftrieb erzeugen. Jedenfalls spätestens dann, wenn die Bewegungsenergie nicht mehr ausreicht, um die Schwerkraft zu kompensieren.

Zwar ist das in sehr begrenztem Maße auch mit einem Kapseldesign möglich, aber generell wird eine Konstruktion, die genug Auftrieb erzeugen kann, um ggfs. über Stunden dort oben zu bleiben kompliziert... vor allem, wenn sie gleichzeitig auch die hohe Bewegungsenergie aus einem Orbit abbauen und sanft in Wärmeenergie umwandeln und abführen soll.

Gruß
Excalibur
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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #4 am: 09. Oktober 2015, 11:45:21 »
Hallo Daniel,

vielen Dank für die ausführliche und interessante Antwort! Das Nasa-Dokument muß ich mir mal genauer ansehen.
Ich bin davon ausgegangen, daß bei einem Re-Entry immer die selbe Summe an Wärme erzeugt wird (entspricht halt der rückumgewandelten Bewegungsenergie).

Daher verstehe ich das nicht ganz:
Beim steilen Re-Entry sind die kurzzeitige Wärme-Spitzenlasten für das Material zwar am höchsten (gekoppelt mit den hohen Beschleunigungen), beim flachen Re-Entry hingegen ist die gesamte Wärmemenge, die in die Konstruktion fließt, am größten.
Warum ist die Summe der Wärmeenergie bei einem flachen Re-Entry insgesamt größer? Bzw. wo verschwindet die Bewegungsenergie dann sonst zusätzlich bei einem steilen Re-Entry? (Energieerhaltung)

Da das Shuttle im Gegensatz zu den Kapseln die Wärme ja offensichtlich nicht ablativ abgeleitet hat, hatte ich angenommen, daß die (wiederverwendbaren) Hitzeschutzkacheln die nach außen abgestrahlt haben. Bei einem noch flachereren Re-Entry hätte das dann gemächlicher gemacht werden können. Aber dem scheint ja nicht so zu sein. Liegt es daran, daß man bei einer dichteren Athmosphäre die Wärme besser nach außen abgeben kann als in einer dünneren bzw. einem Vakuum, und man einen Mittelweg finden muß zwischen hoher Belastung/schneller Wärmeabgabe, niedriger Belasting/kaum Wärmeabgabe möglich?

@Excalibur: Ok, das mit den Kapseln leuchtet mir ein, da ist ein Gleitflug tatsächlich kaum möglich.

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Offline Schillrich

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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #5 am: 09. Oktober 2015, 12:24:32 »
Hallo Prodatron,

guter Punkt. Das habe ich etwas zu locker (falsch) ausgedrückt, bzw. wir müssen da genauer hinschauen. Energieerhaltung gilt natürlich.
  • Die Wärmemenge, die in der Konstruktion "steckt", also die Differenz von Eingang und Ausgang, ist am höchsten. Ein Aspekt des Problems ist: Wärme abführen. Das ergibt sich v.a. da solche "Flieger" gerade nicht ablativ gekühlt werden. Beim flachen Re-Entry und mehrfachen Skip sammelt sich einfach viel an und es wird richtig heiß in der Konstruktion.
  • Wie die Wärme in der Strömung entsteht, sich verteilt und ins Raumfahrzeug übertritt (oder auch nicht), ist bei den unterschiedlichen Konstruktionen und Re-Entry-Typen auch unterschiedlich. Am Ende wird zwar immer dieselbe Energie "abgebaut", aber wieviel davon, wann, wie und wo als Wärme wirksam wird, ist nicht direkt vergleichbar. Da bin kein Experte. Offenbar scheinen die flachen Re-Entries aber in der Summe da mehr Probleme zu haben.

Das Interessante bei der Lektüre des NASA-Buchs ist/war: intuitiv geht man schnell davon aus, dass der flache Re-Entry thermisch doch einfacher sein müsste ... und in konkreten Erforschung des Phänomens zeigt sich dann, dass es doch anders ist.
\\   //    Grüße
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Hermes

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Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #6 am: 09. Oktober 2015, 14:03:59 »
Hi,
die zu vernichtende kinetische Energie beim Transfer von einem Orbit bestimmter Höhe zum Erdboden ist immer gleich. Die Frage ist nur, wie sie vernichtet wird:
- ein Teil durch das De-Orbit Bremsmanöver;
- der größte Teil beim Flug durch die Atmosphäre, d.h.  durch Überführen in Wärme, d.h. direkte Erhitzung der Umgebungsluft, Erhitzung der Außenhaut und sekundär Abgabe an die Umgebung durch Strahlung und Strömungskühlung;
- ggf. ein Teil durch Ablation einer Schicht;
- ein Teil als Restwärme;
- ein Teil als  Restenergie, der beim "Aufschlag" vernichtet wird.
Im Prinzip läßt sich mit der Dauer des Flugs die momentan erzeugte Wärmeleistung verringern. Andererseits begrenzen die aerodynamischen Eigenschaften des Flugkörpers eben diese Flugdauer. Eine Kapsel ohne Gleiteigenschaften geht irgendwann in den ballistischen Flug über. Der Shuttle macht einen Segelflug. Diese Randbedingungen begrenzen die Variationsmöglichkeiten für den De-Orbit.
Dazu kommt noch, daß die in den Flugkörper eingetragene und die von ihm abgegeben Wärme wiederum von der Temperaturdifferenz zur Umgebung abhängen.  Je größer diese ist, desto mehr Wärme wird abgegeben. Die Logik ist also hier, die Oberfläche beim Bremsen optimal schnell aufzuheizen, und dann in kühlerer Luft wieder abzukühlen.
hg
Hermes

Re: "Sanfte" Atmosphärenbremsung
« Antwort #7 am: 09. Oktober 2015, 14:22:14 »
Danke euch für die Aufklärung bzw. das bessere Verständlichmachen des Problems!