Ariane-Oberstufen-Tests in Deutschland oder in USA?

Im Auftrag der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) wird an der Entwicklung der Trägerrakete Ariane 5ME gearbeitet. Für Tests der zukünftigen Oberstufe dieser Rakete ist eine große Vakuumkammer erforderlich, die die Oberstufe mit laufenden Triebwerken aufnehmen kann. Entsprechende Teststände müssen erst ertüchtigt oder gebaut werden.

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: ESA, Space News, Raumfahrer.net.

NASA
Teststand B-2 der Plum Brook Station
(Bild: NASA)

Informationen aus den Vereinigten Staaten von Amerika legen nahe, dass die ESA in Betracht zieht, eine millionenschwere Reparatur des Teststands B-2 der von der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtagentur (NASA) betriebenen Spacecraft Propulsion Research Facility in der Nähe von Sandusky im Bundesstaat Ohio zu finanzieren, damit dort künftig in Europa konstruierte Raketenoberstufen getestet werden können.

Der Teststand ist Teil der sogenannten Station Plum Brook (PBS) und liegt rund 80 Kilometer westlich vom Hauptquartier des NASA-Forschungszentrums Glenn in Cleveland. Dort könnten Tests der Oberstufe für eine weiterentwickelte Ariane-5-Rakete namens Ariane 5ME stattfinden – ME steht für Midlife Evolution und soll zum Ausdruck bringen, dass die Ariane-5-Rakete nach einer gewissen Einsatzzeit nun weitere Verbesserungen erfährt.

Zentral für die Ariane 5ME alias Ariane 5 ECB ist die Verwendung einer neuen Oberstufe mit der Bezeichnung ESC-B (bzw. H24,1), für die jetzt Testmöglichkeiten gesucht werden. Um sie im Teststand B-2 von Plum Brook tatsächlich mit gezündeten Triebwerken bei simulierter Flughöhe betreiben zu können, ist eine leistungsfähige Abgasanlage erforderlich, in der dampfbetriebene Ejektorstufen die Absaugung der Abgase und damit die Aufrechterhaltung des annähernden Vakuums besorgen (eingespritzter Dampf reißt dabei die Triebwerksabgase mit sich). Eine solche Abgasanlage ist zwar vorhanden, aber seit geraumer Zeit nicht benutzbar, da die nötigen umfassenden Reparaturarbeiten bisher nicht vorgenommen wurden.

NASA
Raketenoberstufen im B-2 – links Centaur, rechts Delta III
(Bilder: NASA)

Laut Jim Free, stellvertretender Direktor des Forschungszentrum Glenn, müssen die Dampfeinspeiser überarbeitet werden. Dort falle der hauptsächliche Reparaturaufwand an, und es sei an der ESA, zusätzlich zu den reinen Testkosten auch die Wartungskosten zu tragen.

Auf einen exakten Betrag für die nötigen Arbeiten wollte sich Free nicht festlegen, meinte aber, es werden wohl einige Millionen Dollar aufzuwenden sein. Der NASA-Sprecher Michael Braukus teilte mit, für 2012 stünden der Station Plum Brook 11,2 Millionen US-Dollar aus dem NASA-Budget zur Verfügung, die laufenden Wartungskosten der Einrichtung betrügen rund 5 Millionen US-Dollar pro Jahr. Weil es nach den von der ESA benötigten Testläufen keinen anderen Kunden gebe, sei die Finanzierung der Ertüchtigung der Anlage keine Angelegenheit der NASA, sondern müsse durch die ESA erfolgen, zeigte sich Braukus überzeugt.

DLR
Teststand P4 in Lampoldshausen
(Bild: DLR)

Dem Branchendienst Space News berichtete Braukus am 3. April 2012, man habe der ESA einen Vorschlag über eine Vereinbarung übermittelt, in dem eine Anzahl von Bedingungen aufgeführt seien. Über endgültige Vertragsbedingungen verhandle man weiter, erwarte eine endgültige Entscheidung der ESA aber spätestens im Herbst 2012. Die Kostenschätzungen hinsichtlich einer Überarbeitung des Teststands B-2 habe die NASA laut Braukus bereits abgeschlossen. Eine offizielle Begutachtung sei für den 11. April 2012 geplant. Ergebnisse werde man der ESA anschließend übermitteln.

Der ESA-Sprecher Pal Hvistendahl bestätigte in Paris das Interesse der Nutzung des Teststands B-2 für Tests einer vollständig integrierten Oberstufe für die Ariane 5ME, sofern sich bei der ESA ein Konsens zur Wahl dieses Weges einstellt. Allerdings habe man primär das Interesse, in Lampoldshausen in Deutschland einen geeigneten Teststand einzurichten. Die Nutzung eines Teststands der Station Plum Brook stelle eine mögliche Alternative oder Ergänzung dar, so Hvistendahl weiter.

DLR
P4.1-Layout für Vinci-Triebwerkstests
(Grafik: DLR)

Zur Zeit werden bei der ESA zwei Entwicklungsrichtungen für neue, leistungsfähige Trägerraketen verfolgt: Eine dieser Linien stellt die stufenweise Leistungssteigerung der Ariane 5 dar, wobei die Ariane 5ME mit einem kryogenen wiederzündbaren Vinci-Triebwerk in der Oberstufe mit einem Schub von rund 180 Kilonewton rund 20% mehr Nutzlast als bisherige Ariane-5-Raketen schultern können soll (bis zu 12 Tonnen für den Geostationären Orbit).

Die andere Linie sieht eine völlig neue Rakete namens Ariane 6 vor, der von einigen Seiten größerer kommerzieller Nutzen unterstellt wird, da sie als die kleinere, in ihrer Konfiguration jedoch mutmaßlich anpassbarere Rakete im Gegensatz zur Ariane 5 jeweils immer (nur) einen großen Satelliten transportieren können wird. Möglicherweise im November 2012 könnten sich die Vertreter der 19 Mitgliedsstaaten der ESA anlässlich der nächsten Ministerratssitzung auf eine der oder beide neuen Raketen festlegen.

Die NASA bewirbt den Teststand B-2 als den größten seiner Art. Die ESA hat ihn bereits benutzt. Der Abwurf der Nutzlastverkleidung der Ariane 5 wurde dort 1996 untersucht. Für die Untersuchung von Raketenantrieben benutzte die NASA den Teststand zuletzt 1998, als man dort mit einer Delta-III-Oberstufe arbeitete. Laut NASA sind im Teststand Versuchsläufe von bis zu 14 Minuten bei einem Schub von bis zu 1,8 Meganewton möglich, nicht jedoch ohne funktionierende Abgasanlage.

Als Vakuumkammer, in der zu einem gewissen Teil Weltraumbedingungen simuliert werden, taugt der Teststand auch ohne die Abgasanlage. Die NASA, die sich angesichts knapper Kassen einem gewissen Druck, Dritten die Nutzung eigener Einrichtung zu ermöglichen, ausgesetzt sieht, hat dort nach eigenen Angaben beispielsweise Nutzlasten für Höhenballons getestet.

DLR
Vinici mit dreiteiliger eingefahrener Düse im Teststand P4.1
(Bild: DLR)

In Lampoldshausen sind Tests mit laufenden Triebwerken unter annähernden Vakuumbedingungen bisher nur für einzelne Triebwerke, nicht jedoch für vollständige Raketenstufen möglich. Wirklich aussagekräftige Tests einer Raketenstufe, die für den Einsatz in großen Flughöhen oder im Weltraum gedacht ist, sind nur zu erhalten, wenn man die vollständig integrierte Stufe unter simulierten Weltraumbedingungen und Verwendung der stufeneigenen Treibstoffe und Energieversorgungssysteme betreibt.

Ein Neubau ist also von Nöten, will man in der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen Einrichtung in Lampoldshausen künftig komplette Oberstufen in Betrieb untersuchen. Das Vinci-Triebwerk für die Ariane 5ME als solches absolvierte bereits eine Anzahl erfolgreicher Brennversuche in Lampoldshausen auf dem Teststand P4.1.

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