Europa will den Navigations-Massenmarkt erobern

Wenn der versierte Raumfahrtinteressierte den Namen Galileo hört, denkt er zunächst an die sehr erfolgreiche Raumsonden-Mission, die jahrelang wertvolle Informationen vom Jupiter-System zur Erde übermittelt hat.

Autor: Florian Stremmel.

Die breite Öffentlichkeit könnte jedoch, nach dem Willen der ESA, bald eine ganz andere technische Hochleistung mit dem berühmten italienischen Astronomen Galileo Galilei (1564-1642) verbinden: das gleichnamige, sich im Aufbau befindliche, europäische Satelliten-Navigationssystem.

Die Idee der klassischen Satelliten-Navigation ist schnell erklärt: mit Hilfe von Daten aus dem Orbit ist der Einzelne in der Lage, seinen genauen Standort zu ermitteln und danach zu navigieren. Dies ermöglichen bereits seit längerem das US-amerikanische Global Positioning System (GPS) und das russische Glonass. Doch diese beiden Systeme sind aus der Zeit des Kalten Krieges, und so will sich Europa nun auf dem Gebiet der Satelliten-Navigation emanzipieren.

Eine künsterlische Darstellung eines Galileo Satelliten im Erdorbit
(Bild: ESA)

Galileo soll die vorhandene Technologielücke nicht nur schließen, sondern die Europäische Kommission und die ESA haben kein geringeres Ziel vor Augen, als Galileo zum weltweiten Standard für Satelliten-Navigation zu machen. Dazu haben sie die Galileo Joint Undertaking in Form einer Public-Private-Partnership, gegründet. Dies ermöglicht die Finanzierung der veranschlagten 3,4 Mrd. Euro mit sowohl öffentlichen als auch privaten Mitteln. Als erstes, für den zivilen Gebrauch entwickeltes Satelliten-Navigationssystem soll Galileo fortschrittlicher, effizienter und zuverlässiger arbeiten als GPS. Die Palette der möglichen Anwendungen reicht vom klassischen Anwendungsbereich Transport (Luft, Schiene und Straße), über Verhinderung von Verkehrsunfällen, und Flottenmanagement von Taxi- und Speditionsunternehmen, sowie Zollsysteme, bis hin zur Vermessung bei öffentlichen Bauvorhaben, ja sogar Blindenführung und Verfolgung von Alzheimerpatienten mit Gedächtnisverlust soll die neue Technik gewährleisten.

Die Ziele sind also hoch gesteckt. Mit welcher Technik sollen sie realisiert werden? Wenn das Galileo-System im Jahre 2010 vollständig installiert sein wird, verfügt es über 30 Satelliten, die gleichmäßig in drei verschiedene, jeweils um 56° zum Erdäquator geneigte Orbits aufgeteilt sind. In einer Höhe von ca. 23.222 km operierend, benötigen sie 14 Stunden für eine Erdumrundung. Dies ermöglicht die Abdeckung der kompletten Erdoberfläche mit neun Satelliten pro Umlaufbahn, jede Bahn hat also einen ruhenden Ersatzsatelliten, der bei Versagen eines Satelliten sofort dessen Aufgaben wahrnehmen kann. Zusätzlich soll das System kompatibel zu seinem etablierten Pendant sein, was bedeutet, dass bei Bedarf GPS-Daten hinzugezogen werden können. Dies wurde zusammen mit den USA beschlossen.

Das Prinzip der Positionsbestimmung funktioniert wie folgt: ein handlicher Empfänger erhält Daten von drei Satelliten, die ihre jeweiligen Positionen mitteilen und zusätzlich ein Zeitsignal übermitteln. Die Dauer der Datenübertragung gibt nun Aufschluss über die genaue Entfernung vom eigenen Standort zum Satelliten. Kennt man die Entfernungen von drei künstlichen Erdtrabanten, so hat man ein sehr eingegrenztes Gebiet bestimmt, die eigene Position befindet sich darin. Da bei diesem System die genaue Zeit eine übergeordnete Rolle spielt, verfügen alle Satelliten über eine Atomuhr an Bord, die alle zwei Stunden über Bodenstationen auf ihre Genauigkeit hin überprüft und gegebenenfalls justiert wird. Um auf eine Atomuhr im Empfänger zu verzichten, übernimmt ein vierter Satellit den Zeitabgleich.

Ausgestattet sind die Galileo-Satelliten mit drei Nutzlast-Komponenten: der Zeitmessungs-Einheit (Timing Section), der Signalerzeugungs-Einheit (Signal Generation Section) und der Übermittlungs-Einheit (Transmit Section). Das Herz der Timing Section ist eine Atomuhr, die eine präzise Zeitreferenz ermöglicht. Deren Abweichung soll im Bereich von 1 bis 10 Nanosekunden (1 Nanosekunde sind 0,000000001 sec) pro Tag liegen, je nach Modell (Passive Hydrogen Maser oder Rubidium Atomic Frequency Standard). Das zu erzeugende Navigationssignal enthält Entfernungscodes und relevante Informationen über den Satellitenorbit und die Uhrreferenzen. Nach einer Umwandlung werden die Daten über Trägerwellen, die auf bis zu 50W verstärkt werden, von der Übertragungsantenne ausgestrahlt.

Die Galileo Armada in der Umlaufbahn der Erde
(Bild: ESA)

Ein weltweites Netzwerk von Bodenstationen stellt Kontakt zu den Satelliten her. In zwei Galileo Kontrollzentren in Europa werden die Daten weiter verarbeitet, um die exakten Erdumlaufbahnen zu ermitteln und Zeitsynchronisations-Fehler zwischen der „Bodenzeit“ und der Zeitmessung der künstlichen Erdtrabanten zu beseitigen. Hochentwickelte Software wird die Abgleichung von Orbit- und Uhrdaten und damit den hohen Grad an Genauigkeit der Positionsbestimmung ermöglichen.

Im wesentlichen gibt es zwei Angebote von Galileo. Zum einen die kostenlose Nutzung, ähnlich zu GPS, aber qualitativ besser und zuverlässiger, zum anderen gebührenpflichtige Dienstangebote für Unternehmen und kommerzielle Zwecke, die ein weitergehendes Maß an Leistung bieten und damit einen wertsteigernden Beitrag leisten. Diese setzen eine hohe Zuverlässigkeit voraus, und so soll, im Falle einer Fehlfunktion der Signalübermittlung, der Nutzer in sechs bis zehn Sekunden über mögliche Ungenauigkeiten informiert werden.

Fünf Kategorien an verschiedenen Diensten sollen zur Verfügung stehen: der Open Service als kostenlose Basisdienstleistung, der Safety of Life Service für Transportanwendungen, bei denen ohne die Genauigkeit der Positionsbestimmung Menschenleben gefährdet werden könnten (wie z.B. bei der Flugzeug-Navigation), der Commercial Service (gebührenpflichtig, ermöglicht verschlüsselte Übermittlung weiterer Signale, z.B. für globale Datenübertragungen), der Public Regulated Service als zugangsgesicherte und verschlüsselte Signalübermittlung für Polizei, Küstenwache und Zoll, sowie der Search and Rescue Service, der den Beinahe-Echtzeitempfang von Notmeldungen gewährleisten und die präzise Lokalisierung von Alarmen ermöglichen soll.

Kürzlich wurden die ersten beiden Galileo-Experimentalsatelliten, GSTB-V2/A bzw. -/B, auf GIOVE A und GIOVE B getauft (Galileo In-Orbit Validation Element). Sie sollen die Anforderungen der International Telecommunications Union (ITU) bezüglich der Benutzung von für Galileo reservierten Frequenzen erfüllen. Des weiteren sollen kritische Satellitentechnologien überprüft und wichtiges Feedback für die späteren Operationssatelliten gewonnen werden. Der Start ist noch für Dezember 2005 vorgesehen.

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