Rosetta: Wir sind sehr ambitioniert

Rosetta flog auf dem Weg zu seinem Zielkometen am 5. September 2008 am Asteroiden Šteins vorbei. Raumfahrer.net sprach mit Gerhard Schwehm, Projektwissenschaftler für die Mission Rosetta und Head of Planetary Science der ESA über den ersten großen Tag der wissenschaftlichen Arbeit der Sonde und die Ambitionen der ESA.

Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: ESA, Raumfahrer Net.

Gerhard Schwehm
(Bild: ESA)

Raumfahrer.net: Herr Schwehm, Rosetta steht kurz vor dem Vorbeiflug an Šteins. Sind Sie aufgeregt?

Gerhard Schwehm: Wir sind vor allem gespannt. Dies ist das erste wirklich wissenschaftliche Ereignis, das wir auf dieser Mission haben und es sollte alles funktionieren. Alles was wir bisher gemacht haben, war das Testen der Instrumente. Der Asteroidenvorbeiflug ist nun das erste wirklich wissenschaftliche Ziel der Mission und wir sind äußerst zuversichtlich, denn bisher ist alles im grünen Bereich.

RN: Warum möchte die ESA überhaupt zu toten Gesteinsbrocken fliegen?

GS: Tote Brocken können uns sagen, was vor langer Zeit im Sonnensystem passiert ist. Wir können mehr erfahren über eine Zeit, in der die Bildung der Planeten mehr oder weniger zum Abschluss gekommen ist. Das Hauptziel von Rosetta ist ein Komet, das in meinen Augen eines der primitivsten Objekte ist. Heute besuchen wir mit dem Asteroiden Šteins eine andere Objektklasse, die ursprünglich schon einmal zu einem größeren Brocken akkretiert war. Sie können uns mit ihrer chemischen Zusammensetzung Auskunft geben über die herrschenden Bedingungen während der Entstehung der Planeten. Beim Vorbeiflug an Šteins hoffen wir vor allen Dingen, Informationen über das Material sammeln zu können. Denn darüber können wir auch mehr über die Bildungstemperaturen lernen. Šteins gehört zur seltsamen Gruppe der E-Typ-Asteroiden, die aus sehr eisenarmem Silikatgestein bestehen. Dies weist auf eine Entstehung unter sehr hohen Temperaturen hin. Die Zusammensetzung des Materials weist zudem darauf hin, dass der Asteroid früher Teil des Mantels eines größeren Brockens …

RN: … vergleichbar mit der Erde …

GS: … gewesen ist, wenn vielleicht auch nicht ganz so groß.

Als wir Šteins ausgewählt haben, dachten wir, es handele sich um einen ganz normalen Asteroid. Durch die bessere Beobachtungen, die natürlich immer eine Folge sind, wenn man ein solches Objekt als Ziel vorgibt, kam die Klassifizierung eines eher seltenen E-Typ-Asteroids heraus. Nun haben wir ein sehr gutes Infrarot-Spektrometer an Bord. Wenn wir uns also die Spektrallinien genauer ansehen, können wir herausfinden, welche Mineralien sich an der Oberfläche befinden.

Was ebenfalls immer sehr spannend ist, ist die Größe des Objekts. Wenn wir ihn von der Erde aus beobachten, haben wir immer eine gewisse Vorstellung von der Albedo [der Rückstrahlfähigkeit, d. Red.], die gekoppelt ist mit dem Radius. Wenn wir nun den Asteroiden direkt sehen, werden wir wissen, ob die geschätzte Größe wirklich stimmt oder völlig falsch war. Dies ist auch für die erdgebundener Beobachtung anderer Asteroiden wichtig.

RN: Wie ist der genaue Ablauf der Annäherung an Šteins?

Rosetta wird die Bahn von Šteins kreuzen und im kleinsten Abstand von 800 Kilometern auf dessen Sonnenseite an ihm vorbeifliegen. Unser Manöver ist vergleichbar mit einer Autofahrt, auf der man eine Burg sieht. Zuerst sieht man sie von vorn, wenn man aber direkt daran vorbeifährt, muss man den Kopf drehen, um sie weiter sehen zu können. Da alle Instrumente fest auf Rosetta montiert sind, müssen wir die Sonde drehen, wie wir unseren Kopf drehen. So können wir den Asteroiden aus allen Richtungen sehen und erhalten ein Bild vom gesamten Körper.

Physikalisch interessiert uns die Phasenfunktion, wie also die Reflexion abhängig ist vom Winkel des einfallenden Lichts. Auch das können wir mit dem Manöver erreichen. Dabei kommen wir auch am Punkt mit dem Phasenwinkel null vorbei, an dem Rosetta die Sonne direkt im Rücken hat. Der minimale Abstand von 800 Kilometern ist für die Instrumente das absolute Minimum beim Vorbeiflug. Wenn wir noch dichter heran gehen würden, könnte sich die Sonde nicht mehr schnell genug drehen.

Einer meiner Kollegen, der schon bei der Giotto-Mission [zum Kometen Halley im Jahr 1986, d. Red.] mit dabei war, sagte damals, wir müssten mit allen damaligen Ungenauigkeiten der Bahnparameter einfach auf den Kometen zielen, um möglichst dicht an ihm vorbeizufliegen. Wenn wir das heute machen würden, würden wir mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Asteroiden kollidieren. Damals war die Wahrscheinlichkeit dafür nur sehr gering, heute können wir tatsächlich so genau navigieren. Das ist vor allem auf die optische Navigation zurückzuführen.

RN: Wie würden Sie Rosetta mit anderen internationalen Missionen wie DAWN oder Hayabusa vergleichen?

GS: Gemessen an den Ambitionen ist Rosetta natürlich ein viel komplexeres Projekt. Zum einen haben wir mehr Instrumente an Bord und wollen sogar einen Lander auf dem Kometen absetzen, um seine Zusammensetzung genaustens zu untersuchen. Um die Sublimation an der Oberfläche abhängig vom Abstand zur Sonne zu verfolgen, müssen wir den Kometen dazu auch auf seiner Bahn verfolgen. Damit begeben wir uns in jedem Fall ins Neuland.

DAWN hat zwar ähnliche Instrumente an Bord wie wir, insgesamt aber nur vier. Die Mission untersucht zwei Asteroiden. Was Rosetta heute mit einem Vorbeiflug macht, wird DAWN über längere Zeiträume aus einer Umlaufbahn um die Körper tun.

Hayabusa war eher eine Technologiemission, die zu einem Asteroiden fliegen sollte, um hier eine Probe zu nehmen. Was sie mit zur Erde zurückbringt wird, interessiert mich auch. Die Sonde hat uns wunderbare Bilder aus nächster Nähe eines Asteroiden gebracht, die sich völlig von denen unterschieden, die uns die NEAR-Mission von Eros übermittelte.

Letztlich wollen aber alle Missionen unser Gesamtwissen vergrößern. Mit jedem Objekt, das wir besuchen, können wir viel lernen. Die eine Mission kostet mehr als die andere und setzt andere Schwerpunkte, aber alle zusammen bringen ein großes Bild. Deshalb kann man nicht sagen, dass wir besser sind.

RN: Wir sind gespannt auf die Ergebnisse, die uns Rosetta noch bringen wird und danken für das Gespräch.

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