SMART-1: Auf leisen Pfoten zum Mond

Mitte April legte die ESA sich fest: es geht zum Mond.

Ein Beitrag von Lutz Growalt. Vertont von Dominik Mayer.

Künstlerische Ansicht vom Weg der Sonde Smart-1 zum Mond. (Bild: ESA)

Nun gut, so originell ist die Idee zugegebenermaßen nicht, spätestens seit Chinese und Inder, mehr lautstark als technologisch fundiert, gleiches ankündigten. Nein, was die Zielsetzung anbelangt, geht es bei der ESA bescheidener, leiser zu. Smart-1 heißt das unbemannte Vehikel, das sich – so die Planungen – im Herbst 2003 als Beipack auf einer Ariane 5 auf den Weg zum Mond machen soll.
 
Smart-1 (für “Small Missions for Advanced Research in Technology”; etwa: “Kleine Missionen für fortgeschrittene Technologiestudien”), etwa so groß wie eine Waschmaschine und 350 Kilogramm leicht, hat es in sich: HighTech made in Europe. Nicht nur, dass Smart-1 die erste Mission der ESA zum Mond überhaupt ist, wo andere mit Feuer und Flamme als Antrieb fliegen, kommt Smart-1 mit Ionenantrieb daher. Das Prinzip: statt Unmengen chemischen Gebräus mitzuschleppen, das bei Kontakt oder Entzündung explodiert, reicht eine bescheidene Menge Edelgas (bei Smart-1 Xenon), das, ionisiert, in einem dünnen, stetigen Strom aus dem Triebwerk strömt. Dass das hervorragend funktioniert, stellte die JPL-Sonde Deep Space 1 1999 unter Beweis.

Smart-1 ist nicht größer als ein Kubikmeter. (Bild: ESA)

Der Schub, der bei chemischen Antrieben mit Urgewalt einsetzt, wenn das Triebwerk gezündet wird, entspricht bei Smart-1 dem Druck, den ein Blatt Papier auf einen Handteller ausübt. Dafür – und dass ist der große Vorteil des Ionenantriebs – tuckert das Edelgastriebwerk monatelang vor sich hin, wo bei einem chemischen Triebwerk der Feuerzauber nach höchstens zwei Minuten beendet ist.
 
Es ist natürlich kein rauschender Ritt zum Mond, den Smart-1 vor sich hat. Im Gegenteil: für den Flug zu unserem Nachbarn setzten die Missionsväter eine Dauer von 15 bis 17 Monaten an – Lunar Prospector brauchte auf den Flügeln des chemischen Antriebs im Januar 1998 für die gleiche Strecke drei Tage. Was macht Smart-1 während dieser Zeit? Er schaukelt sich gewissermaßen zum Mond. Aus dem Parkorbit um die Erde hangelt er sich, mit stetig laufendem Triebwerk, bei jedem Umlauf ein wenig höher – so lange, bis die richtige Konstellation zum Mond erreicht ist. Nach den Berechnungen der ESA ist dies sechs Monate nach dem Start zu erwarten. Ist das Gravitationsfeld des Mondes erreicht, läuft die Geschichte umgekehrt: mit stetig laufendem Triebwerk wird die Flugbahn langsam abgesenkt und einer Kreisbahn angenähert.
 
Am Mond angekommen, beginnt das wissenschaftliche Programm für Smart-1: die Suche nach Wasser in den tiefen Kratern der polaren Mondregionen. Im nahen Infrarot- und im Röntgenbereich soll nach Wassersignaturen in den ständig im Schatten liegenden Kraterböden am Nord- und (vor allem) Südpol des Mondes gesucht werden. Das Röntgeninstrument auf Smart-1 eignet sich aber noch für eine weitere Aufgabe: die hochauflösende Kartografierung der Zusammensetzung der Mondoberfläche.

Triebwerkstest für Smart-1: Die Sonde wird als eine der ersten der ESA einen Ionenantrieb nutzen. (Bild: ESA)

Dies dient der Suche nach neuen Beweisen für eine nicht mehr ganz so neue Theorie: dass der Mond seine Entstehung einer gewaltigen Kollision der Erde mit einem marsgroßen Planeten in der wilden Kinderstube des Sonnensystems verdankt. Wenn dies zutrifft (was die Mehrheit annimmt), dann müsste die Mondoberfläche im Durchschnitt gegenüber der Erde über einen Überhang an leichten Elementen (wie Magnesium) verfügen, während schwerere Elemente (wie Eisen) unterrepräsentiert sind. Dies wäre darauf zurückzuführen, dass bei dem erwähnten Einschlag vor allem leichteres Material des Erdmantels aus der jungen Erde herausgeschleudert wurde, während das schwerere Kernmaterial weniger stark vertreten war. Zwar weisen die Ergebnisse früherer Mondmissionen – und auch die Apollo-Mondproben – genau darauf hin, aber ein weiterer Blick lohnt immer. Vor allem, wenn man ein so scharfes Auge wie Smart-1 hat.
 
Zwar steht der Starttermin noch nicht genau fest, nach Auskunft der ESA soll der Termin im Juli oder August 2003 liegen, aber eines ist sicher: wenn Smart-1 startet und die Schleichfahrt zum Mond gelingt, hat die ESA gegenüber der Übermacht der NASA auf dem Gebiet der planetaren Erforschung einen wichtigen Schritt getan. Wichtigster Nutznießer einer gelungen Smart-Mission könnte die Großmission BepiColombo, der für 2009 geplante ESA-Orbiter zum Planeten Merkur, sein. Für dieses ambitionierte Projekt sind viele der auf Smart-1 fliegenden Systeme, darunter der Antrieb, vorgesehen. Und dies könnte der größte Erfolg von Smart-1 werden: nicht mit dem Megaphon, sondern auf leisen Pfoten.

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Smart-1 Steckbrief
Erste europäische Mondmission
Typ:Technologieträger, lunare Forschungs-
Sonde; 3-achsenstabilisiert
Start:Juli/August 2003
Fluggewicht:350 kg (ca.)
Antrieb:Ionenantrieb (Stationary Plasma Hall-effect
Thruster, PPS-1350)
Treibstoff:Xenon (70 kg; gut für DV von 3.500 m/s)
Stromversorgung:2 Solarpanel, effektiv 1.975 Watt; 5 Li-
Ionenbatterien (je 44 Ah)
Schub:70 mN
Hersteller:SNECMA, Frankreich.
Lageregelung:8 Hydrazin-Thruster (Schub je 1N); 4
Trägheits-Schwungräder.
Hersteller:SNECMA, Frankreich.
Lebensdauer (erwartet):S2 Jahre, mindestens 500 Orbits; Bordvorräte
für 6 Monate erweiterte Mission
Gesamtkosten:€100 Mio. (ca.)
Stab
Projekt Manager:Guiseppe Racca
Projektwissenschaftler:Bernard Foing
Generalunternehmer:SSE (Swedish Space Corporation), Solna,
Schweden dazu 15 Subontraktoren aus 6
europäischen Ländern für Smart-1 und
Teams aus 9 Ländern für wissenschaftliche
Instrumentierung
Mission Control:ESOC, Darmstadt
Wissenschaftliche Instrumentierung (15 kg)
SPEDE (ingenieurstechnisches Instrument zur Überwachung des
Antriebs)
EPDP (ingenieurstechnisches Instrument zur Überwachung des
Antriebs)
AMIE (hochauflösende Kamera, lunare Kalibrationsbeobachtungen)
SIR (Spektrometer, Nah-Infrarot; PI: U. Keller, MPI für Aeronomie)
D-CIXS (Röntgenspektrometer, Fluoreszenzspektroskopie)
XSM (automatische Kalibrierungseinrichtung für D-CIXS)
KaTE (radiowissenschaftliches Experiment im X- und Ka-Band; PI:
D. Heuer, Astrium GmbH)
RSIS (radiowissenschaftliches Experiment zur Überwachung des
Antriebs durch Bahnverfolgung mit Hilfe von KaTE)

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