Alexander Gerst wieder im EAC in Köln

Was folgt(e) sind Liegestütze unterm Weihnachtsbaum – und eine menge Arbeit. Ein kommentierender Rückblick auf eine Pressekonferenz nach einer langen Dienstreise.

Quelle: Pressekonferenz.

Zwischen Weihnachten und Neujahr ist bei vielen Menschen in Deutschland Stress pur angesagt. Mir blieb aber noch Zeit, zwischen Weihnachtsgans und Silvesterkarpfen den medialen Raumfahrtjahresabschluss Revue passieren zu lassen. Die Rede ist von der Pressekonferenz am 22. Dezember 2018 mit Alexander Gerst beim Europäische Astronautenzentrum (European Astronaut Centre, EAC) in Köln. Dazu also einige Gedanken.

Die Ereignisse im Dauerlauf
War das ein Marathon nach der Landung?! Etwas mehr als 13 Stunden nach dem Aufsetzen in der gut durchgekühlten kasachischen Steppe erreichte Gerst das dagegen angenehm regnerisch temperierte Köln.

Bei der Rückreise ins EAC ließ man nichts anbrennen. In Erinnerung ist noch Gests Rückkehr von seiner ersten Mission mit einem ADAC-Ambulanz-Jet. Der jetzige ESA-Chef Wörner hatte auf einer Veranstaltung in Morgenröthe-Rautenkranz einmal sehr zur allgemeinen Belustigung des Publikums erzählt, wie es zu diesem etwas ungewöhnlichen Transport gekommen war, inkl. der Klärung der Frage, ob Gerst überhaupt ADAC-Mitglied ist. Eine solche Blöße wollte man sich diesmal nicht geben.

Die ESA hatte bei Jetcall extra einen Jet gechartert. Sogar das ESA-Logo war aufgeklebt worden. Die Bombadier Challenger CL604 war für den Krankentransport ausgerüstet, wie man auf der Webseite von Jetcall lesen konnte. Aber Gerst wird, so wie auf dem früheren Heimkehrflug, vermutlich keine Trage gebraucht haben. Gut gelaunt stieg er in Köln aus, gerade so, als ob er gerade von einer Eintages-Dienstreise kam. Und Raumfahrer.net war dabei. Danke an Mario für Bilder und Eindrucksschilderungen im Forum Raumcon.

29 Stunden nach der Rückkehr zur Erde gab Gerst sein erstes Interview im EAC in Köln. Und weitere 24 Stunden später folgte der mediale Abschluss seines Fluges: Die Pressekonferenz, zwei Tage nach der Landung, im EAC in Köln.

Alle waren gekommen: ARD und ZDF, WDR, RTL, Die Sendung mit der Maus und viele weitere Journalisten. Vom Fernsehjournalisten bis zum Perry-Rhodan-Magazin. Die mediale Aufmerksamkeit war also groß. Und Raumfahrer.net war auch vor Ort. Das Gedränge um die besten Bilder lief Dank der Organisation des Hausherren geordnet ab. RTL hatte sogar einen Übertragungswagen vor dem Haus stehen. Den Livestream konnte man im Internet verfolgen, eine Aufzeichnung gibt es bei YouTube.

Nur wenige Minuten nach Ende der Pressekonferenz konnte man erste kurze Nachrichten im WDR-Hörfunk hören. Wenn man es oberflächlich betrachtet, wurde nichts aufregend Neues berichtet. Das war auch gut zwei Tage nach der Landung nicht zu erwarten gewesen. Damit könnte der Beitrag an dieser Stelle schon beendet werden. Aber ganz so einfach machen wir es uns nicht.

Ein Auftritt wie nach einem Fünf-Tage-Flug
Locker und entspannt: So kam Gerst zur Pressekonferenz. Lächelnd, charmant, dann aber auch ernst. Dabei erweckte er den Eindruck, topp fit zu sein. Nur ganz selten glaubte man doch ein wenig Erschöpfung in den Augen zu sehen.

Man erinnere sich an die Bilder der Landung. Seine beiden Raumfahrtkollegen sahen im Gegensatz zu ihm, sagen wir es diplomatisch, nicht gerade taufrisch aus. Während sein russischer Kommandant mit Sonnenbrille erst einmal seine Ruhe haben wollte und im Sessel versank, musste seine amerikanische Kollegin aus der Kapsel geholt werden. Gerst kletterte fast selbst heraus, um gleich freudig und gut gelaunt sein erstes Interview (der ARD) zu geben.

Die Mediziner am EAC in Köln, wo Raumfahrtmedizin erforscht wird, haben einiges zu klären. Was hat Gerst anders gemacht? Hat er anders trainiert? Oder ist er einfach „für die Raumfahrt geboren“?

Nun ja, wir wissen, dass die Raumfahrtmedizin noch so manche offene Fragen aufweist. Sigmund Jähn zum Beispiel konnte wie kein zweiter den gefürchteten „Teufelsstuhl“ (Drehstuhl) überstehen. Valeri Bykowski galt auch als medizinisches Phänomen in Bezug auf Stabilität des Körpers unter Weltraumbedingungen. Frank Borman, einer der Top-Astronauten, litt während seines Apollo-8-Fluges genau so an der Raumkrankheit wie Hans Schlegel bei seinem letzten Flug zur ISS. Gerst hatte offenbar keine derartigen Probleme.

Warum ist das bei einigen Raumfahrern so und bei anderen nicht? Was ist das Geheimnis, fragte Phönix. Gerst konnte hier nur antworten: Weis ich nicht. Das sind Fragen, die man beim EAC versucht zu beantworten. Wir können auf mögliche Ergebnisse gespannt sein. Gerst hatte die letzten zwei Nächte direkt nebenan in einer extra für ihn eingerichteten Unterkunft verbracht.

v. links: Wörner, Gerst, De Winne
(Bild: A. Weise)

Kleines Gefolge
Gerst war flankiert vom ESA-Astronauten Frank De Winne, seit Mitte 2012 Leiter des EAC, und dem ESA-Chef Wörner. Mehr war auch nicht nötig. Es ging schließlich ausschließlich um Gerst. De Winne sprach als Leiter des Europäischen Astronautenzentrums einige einleitende, begrüßende Worte in Englisch.

ESA-Chef Wörner ließ es sich nicht nehmen, Gerst ebenfalls für den erfolgreichen Abschuss des Fluges zu beglückwünschen. Dann aber erinnerte er die Anwesenden daran, warum und wofür dass alles stattfindet. „Raumfahrt ist heute Infrastruktur für jeden und für jeden Tag.“ sagte er und betonte die Grundlagenforschung auf der ISS.

Dann kam Wörner zu einem weiteren Thema: Die ISS ist ein geopolitisches Vorbild für das, was auf der Erde passieren könnte: Eine globale friedliche Kooperation. Dabei formulierte er seine schon mehrfach geäußerte Formel: Russische Raumstation MIR (Frieden) plus US-Raumstation Freedom (Freiheit) gleich Internationale Raumstation (ISS). Dabei war das doppeldeutige Wortspiel bewusst gewählt.

„Nur“ der Frontmann
Gerst erinnerte bei seinen einleitenden Worten, dass die Presse meist nur die Raumfahrer betrachtet. Nicht zu vergessen sei aber, dass es eine Unzahl Mitarbeitern gibt, die durch ihre Tätigkeit im Hintergrund erst die Flüge möglich machen. Beteiligt sind viele Menschen in den Instituten, in Ausbildungs- und Kontrollzentren.

v. links: Wörner, Gerst, De Winne
(Bild: A. Weise)
v. links: Wörner, Gerst, De Winne
(Bild: A. Weise)

Wie es Gerst hinbekommen hat, seine überwachenden Ärzte dazu zu bringen, dass er zwei Tage kurz nach seiner Rückkehr Weihnachten zu Hause verbringen darf und welche Auflagen gestellt wurden, das freilich wurde im Detail nicht erläutert. Es ist aber davon auszugehen, dass Gerst bei seinem Heim-Urlaub nicht die S-Bahn genommen hat. Mal abwarten, ob er gelegentlich noch etwas zur medizinischen Seite der Angelegenheit berichten wird.

Ehrliche Sorge um unsere Erde
Kurz vor seiner Rückkehr von der ISS hatte Gerst eine Videobotschaft aufgezeichnet. Mit der „Botschaft an meine Enkel“ traf er damit voll den Punkt, wo es um die Erhaltung unserer Welt geht.

Einige Tage später wurde er durch die Moderatorin Marietta Slomka im ZDF als Social-Media-Star bezeichnet. Das mag in den Augen mancher stimmen. Allerdings finde ich, dass diese Titulierung der Sache nicht dient. Einem Medien-Star würde ich weniger Vertrauen schenken, als einem ehrlichen Statement eines Astronauten, der einfach nur Schlussfolgerungen aus seinen Eindrücken durch seinen Raumflug zieht.

Auch die Frage von n-tv in Anspielung auf die „Enkelkinder-Botschaft“, ob Gerst Vaterfreuden entgegen sieht, war an dem Punkt einfach unpassend. Sie spiegelt aber wieder, dass einige das, was Gerst mit dieser Botschaft bezwecken wollte, nicht ernst nehmen wollen oder können. Schade. Es wäre sehr wichtig.

Die Frage nach dem Loch
Gleich eine der ersten Fragen drehte sich um das mysteriöse Loch in der Orbitalsektion von Sojus-MS 09. Gerst war offensichtlich darauf vorbereitet. Er erklärte, dass der Außenbordeinsatz der beiden russischen Kosmonauten nur der Sicherung von Beweismaterial diente und die eigentliche Untersuchung erst jetzt auf der Erde erfolgen würde.

Auffallend war, dass Gerst ausschließlich davon ausging, dass das Loch auf der Erde entstanden ist und in seiner Stimme hieran keinen Zweifel ließ. Eine Möglichkeit, das Loch könne auch im Weltraum entstanden sein, erwähnte er mit keiner Silbe.

Anzumerken ist zu dieser Geschichte: So lange nicht ein ermittelnder Beamter offizielle Untersuchungsergebnisse vorliegt, sollte sich jeder, egal in welcher Position er sich befindet, mit Meinungsäußerungen, Vermutungen oder der Verkündigung von Halbwahrheiten sehr zurück halten. Die russischen Ermittler haben möglicherweise viele Indizien. Man wird sich die Bilder der Außenbordarbeiten ganz genau ansehen, vergleichen, was genau auf der innen liegenden Seite ist und dann auch berücksichtigen, das die Orbitalsektion ein Druckbehälter ist. (Im Forum Raumcon wurde über die Konstruktion der Orbitalkugel bereits 2013 sehr detailliert diskutiert.)

Eins ist klar. Es ist in dieser Angelegenheit schon jetzt eine Menge Porzellan zerschlagen worden. Vor allem spielt das denjenigen in die Hände, die die friedliche und konstruktive Zusammenarbeit auf der ISS, von der Wörner sprach, mit Misstrauen beäugen.
Warten wir die offiziellen Untersuchungsergebnisse ab.

Von Maus, Elefant und Brokkoli
„Die Sendung mit der Maus“ war auch anwesend. Gerst konnte den Verbleib der beliebten Figuren „Maus“ und „Elefant“ zur Freude aller erklären. Auch die Frage eines ganz kleinen Raumfahrers im Publikum, ob er denn auch gerne Brokkoli ist, wurde von Gerst mit Charme und Bravour beantwortet. Hierbei zeigte es sich wieder, welcher mediale Glücksfall Gerst für die Verbreitung des Raumfahrtgedankens und der Begeisterung der jungen Generation ist. Hier dürfen wir uns bestimmt auf viele neue Lach- und Sachgeschichten freuen.

Alexander Gerst am 22. Dezember 2018
(Bild: A. Weise)
Alexander Gerst am 22. Dezember 2018
(Bild: A. Weise)

Profi-Kommunikation
Auf entsprechende Nachfrage erzählte Gerst offen und ausführlich von einer kleinen Panne beim Landeanflug. Sonst hätte er das bestimmt nicht erwähnt. Sein Sojus-Kommandant hatte Probleme mit dem Headset-Kabel im Raumanzug. Vermutlich ein Kabelbruch. Damit konnte er nicht mehr wie vorgesehen mit der Bodenstation kommunizieren. Gerst übernahm daher die Aufgabe, beim Landeanflug den Kontakt zur Bodenstation zu halten. Keine große Sache anscheinend. Man war ein eingespieltes Team.

Krebs, Alzheimer und andere Krankheiten
Wenn man über den Nutzen der Forschung auf der ISS spricht, fallen manchen zuerst eine handfeste Material-Herstellung für die Technik ein. Erst durch Gerst ist für mich die irdische Medizin in den Fokus gerückt. Gerst berichtete über die Züchtung von Zellkulturen, die so auf der Erde unter irdischer Schwerkraft nicht möglich wäre. Sie würden entscheidend bei der Bekämpfung von Krebs, Alzheimer und anderen Krankheiten helfen. Das ist ein abendfüllendes Thema, mit dem man sich bestimmt zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle etwas ausführlicher befassen wird.

Raumfahrer.net fragte
Raumfahrer.net wollte wissen, ob es eine Zeitlinie in der zukünftigen Entwicklung der Raumfahrt, speziell der bemannten Raumfahrt gibt. Kurz zusammengefasst hätte man keck fragen können: „Habt ihr einen Plan?“ Gerst parierte dieses mit einem Lachen, es sei ein hervorragende Frage für Herrn Wörner.

Wörner ließ sich etwas Zeit um dann neben den bekannten Bemerkungen zur Material- und Medizinforschung zu ergänzen, dass er über 2024 hinaus noch kein Ende der ISS sehe. Gleichzeitig werde es in die Nähe des Mondes gehen. Das Lunar-Gateway sei eine internationale Anstrengung, getrieben von den Amerikanern. Aber die anderen mischten auch mit. Von dort gehe es auf die Mondoberfläche. Dann bekam er die Kurve zurück und meinte, man bräuchte natürlich weiterhin den niedrigen Erdorbit zur Forschung. Auch nach der ISS werde es dort Forschung geben. Dabei sei der internationale Aspekt ganz wichtig.

Die zweite Frage bezog sich auf den Roboter CIMON (Crew Interactive MObile CompanioN). Gerst meinte, dass die Demonstration voll funktioniert habe. Das Navigationsverhalten wurde erfolgreich getestet. Er selber habe insgesamt nur zwei Stunden Zeit gehabt, mit CIMON zu arbeiten. Diese Aussage hatte mich dann doch etwas verwundert.

Zusammenfassend
Den absoluten medialen Kracher, das Geheimnis aller Geheimnisse, die Top-Enthüllungsstory gab es nicht. Das war auch nicht zu erwarten. Man erlebte einen sehr sachlich, aufgeräumt wirkenden Alexander Gerst, dem, wenn man genau hinsah, noch die Strapazen des Fluges anzumerken waren. Nach dem Weihnachts-Kurzurlaub wird für ihn ein dicht gedrängtes medizinisches und flugtechnisches Auswertungsprogramm laufen. Man darf getrost egoistisch sein und sich auf die Zeit danach, die Zeit der öffentlichen Auftritte und Events, freuen. Aber zuvor geben wir ihm erst einmal etwas Ruhe. Er hat es sich verdient.

Für Raumfahrer.net vor Ort waren Thomas Brucksch und Andreas Weise.

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