Matthias Maurer: Wünsche und Perspektiven

Am Rande einer Veranstaltung am 27. Juni 2019 im Groß-Planetarium Berlin, Prenzlauer Berg, hatte Raumfahrer.net die Gelegenheit, mit dem zweiten deutschen Astronauten im Astronautenkorps der ESA, Herrn Doktor Matthias Maurer, ein Interview zu führen.

Matthias Maurer vor Mondprojektion
(Bild: Lea Albrecht)
Matthias Maurer vor Mondprojektion
(Bild: Lea Albrecht)

Mir steht ein jung aussehender Mann im „Blaumann“ eines Astronauten gegenüber. Meistens lächelt er. Scherzhaft könnte man meinen: Er verkörpert optisch das Idealbild und den Schwarm aller Schwiegermütter. Doch der Eindruck täuscht. Ich erlebe einen sehr ernsten, seine Worte wohl abwägenden Spezialisten.

Kennen gelernt hatte ich Maurer auf der YurisNight 2019 in Wien zwei Monate zuvor. Dort reifte die Idee, etwas über diese interessante Persönlichkeit zu Papier zu bringen. Vor wenigen Augenblicken stand er noch unter der Kuppel des Planetariums Rede und Antwort zu Fragen zukünftiger Mondexploration. Beschäftigt man sich im Vorfeld ein wenig mit der Person Maurer, so erkennt man schnell: Es handelt sich um einen der wichtigsten Protagonisten in der europäischen bemannten Raumfahrt. Maurer ist auf derart vielen verschiedenen Gebieten tätig, dass jedes Einzelne genügend Stoff für eine spannende Geschichte bietet. Neustes Betätigungsfeld ist das in Entstehung befindliche „Mondtestgelände“ in Köln. Das ist heute aber nicht das Thema.

Raumfahrer.net (RN): Herr Maurer, sie haben das damalige Astronauten-Auswahlverfahren zusammen mit Alexander Gerst erfolgreich überstanden, wurden dann doch nicht ausgewählt und sind trotzdem dabei geblieben. Warum?

M. Maurer: Ich kann es noch einmal ganz kurz erzählen. 2008/2009 war die Auswahl. Nach anderthalb Jahren waren aus 8,5 Tausend Kandidaten 10 ausgewählt, die alle Versuche, alle Tests bestanden hatten. Und der damalige Generaldirektor der ESA sagte: Ihr könntet alle Astronaut werden, aber ich habe nur 6 Tickets zur ISS. (Die ISS Finanzierung stand damals nur bis 2015.) Und er meinte zu mir und drei weiteren: Ich habe eine schlechte Nachricht für Euch. Ihr werdet nicht Astronaut, aber ihr könnt immer noch Generaldirektor der ESA werden. Er selber, Jean-Jacques Dordain, war auch ein ausgebildeter Astronaut, ist aber nie geflogen. Ich selber war damals aber so begeistert von dem Thema, dass ich gesagt habe, ich will auf jeden Fall im Bereich Raumfahrt weiter arbeiten.
Ich habe mich dann beworben als Crew-Support und Eurocom, also als Verbindungssprecher zwischen dem Kontrollzentrum und der ISS. In der Funktion habe ich dann genau das Gleiche gelernt wie die Astronauten. Nicht den aktiven Teil wie Tauch- und Überlebenstraining, sondern den technischen Teil. Somit war ich hautnah dran und konnte auch einiges mit bewegen und anschieben. Nach zwei Jahren hat man dann im EAC, im Astronautenzentrum, gesehen, dass ich mich nicht ganz dumm anstellte und ich wurde zuständig für die allgemeine Infrastruktur und Weiterentwicklung des Zentrums (und wurde in dieser Funktion dann auch dessen stellvertretender Leiter). Damals war ich u.a. für die Vorbereitung der Zusammenarbeit mit China verantwortlich und die Vorbereitung für spätere Aktivitäten nach der ISS, also Mond. Und beides war natürlich für mich sehr gut.
Als 2014 klar war, die ESA verlängert das ISS-Programm, gab es plötzlich neue Flugmöglichkeiten. Alte Astronauten schieden aus. Es wurde also ein Astronaut „nachgeschoben“. Ich war in so viele Dingen eingearbeitet, war sozusagen für die ESA ein „überschaubares“ Risiko. Also wurden noch einmal ein paar Tests, Gesundheitschecks usw., gemacht. Und darauf gab es die Möglichkeit, mich nach zu nominieren. Ich dachte nur: Super! Super! Ich hatte nicht damit gerechnet. Es zeigt eigentlich, dass man manchmal Steherqualitäten braucht für den Traumjob.

Matthias Maurer im Foyer des Planetariums
(Bild: Andreas Weise)
Matthias Maurer im Foyer des Planetariums
(Bild: Andreas Weise)

RN: Sie sprechen mehrere Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Katalanisch … .

M. Maurer: Nein! Katalanisch nicht. Das ist ein Fehler bei Wikipedia. Ich habe ein halbes Jahr noch Italienisch gelernt. In Barcelona habe ich zwar studiert und ein paar Wörter kann ich auch auf Katalanisch sagen. Aber ich lenke lieber die Energie darauf, mein Spanisch zu verbessern.

RN: Russisch und Chinesisch kommt noch hinzu. Sie sind ja ein richtiges Sprachtalent. Welche Sprache würden Sie noch lernen wollen? Etwas indisches?

M. Maurer: Mit den Indern kann man auch sehr gut Englisch reden. Ich denke, mit der Packung habe ich jetzt schon genug zu tun. Ich habe manche Wochen, wo ich drei mal Russisch und zwei mal Chinesisch habe und das ist harte Arbeit.

RN: Jetzt noch?

M. Maurer: Ja, ja. Es ist wichtig, nicht alles zu vergessen. Und deshalb muss man immer weiter lernen. Es ist auch eine Verpflichtung.

RN: Sie sind Spezialist für Materialwissenschaften. Ingenieur, Doktor, halten mehrere Patente. Sie haben in Vulkangebieten die Mondlandung trainiert. Sie bereiten sich in Köln und Houston für die ISS vor. Sie haben zusammen mit Reid Wiseman an den NASA Extreme Environment Mission Operations (NEEMO) teilgenommen. Sie sind bei den chinesischen Kollegen gewesen zum Training…. Das ist eine ganz schöne Bandbreite. Wo wird denn nun die Reise hin gehen? Haben Sie eine Wunschvorstellung?

M. Maurer: Natürlich habe ich eine Wunschvorstellung! Ich sehe meine bisherige Ausbildung ein wenig als Luxus an, denn ich durfte in wirklich viele Sachen reinfühlen. Dadurch, dass ich die Mondgeschichte mit angestoßen habe, durfte ich dieses neue Geologie-Training in Lanzarote und Italien mit machen. Am Sonntag fliege ich nach Norwegen. Da ist dann der vierte Block des Geologie-Trainings.
China: Ich habe die Zusammenarbeit mit China aufgebaut. Ich war damals Arbeitsgruppenleiter. Deswegen durfte ich auch Chinesisch lernen. Also die Investitionen zahlen sich aus. Ich würde natürlich super gern zur chinesischen Raumstation, zum Mond und zur ISS fliegen. Aber das Versprechen unseres jetzigen Generaldirektors für die 2008/2009 Astronautenklasse lautet zwei Flüge. Also habe ich noch zwei gut.Ich bin aber nicht mehr der Jüngste. Die ISS ist das Wahrscheinlichste. Und wenn sich die Geschichte mit dem Mond weiter so entwickelt und vielleicht Mitte/Ende der 20er Jahre ein Europäer mit beim Mond dabei ist… Mit ganz, ganz viel Glück bin ich es. Und wenn ich es nicht bin, ist es auch nicht dramatisch. Ich denke, ich habe zumindest einen großen Teil dazu beigetragen, dass es möglich war, Europa in Richtung Mond zu bringen. Und das ist mir eigentlich das Allerwichtigste.

RN: Es gibt verschiedene Raumfahrtsysteme. Sojus, Dragon, CST-100, Shenzhou…. Riechen Sie da überall mal rein?

M. Maurer: Nein, noch gar nicht. Sobald ich eine Mission zugewiesen bekomme, mache ich das Training genau auf dem Gerät, womit ich fliegen werde. Daher macht es keinen Sinn, mich jetzt auf Sojus auszubilden, wenn ich später mit einem anderen System fliegen sollte.

RN: Für die ISS werden Sie für Außenbordeinsätze in US-amerikanischen Raumanzügen ausgebildet.

M. Maurer: Ja, das gehört gewisser Maßen zum Grundwissen, was jeder Astronaut beherrschen muss.

RN: Gehört der russische Orlan-Raumanzug auch zu diesem Grundwissen?

M. Maurer: Gehörte zu einer gewissen Zeit dazu. Im Moment nicht. Das ist natürlich auch immer die Frage, wie die Perspektive aussieht. Gibt es für dieses Training auch einen realistischen Einsatz? Damals war das Szenario folgendes: Wir haben den europäischen Roboterarm ERA. Der soll mit einem russischen Modul gestartet werden. Und um den aufzubauen, hatten wir einen europäischen Kosmonauten im Orlan vorgesehen, der zusammen mit einem russischen Kosmonauten den Arm installiert. Andre Kuipers, Luca Parmitano, Alexander Gerst, Andi Mogensen haben zum Beispiel diese Ausbildung im Orlan. Das Thema ERA rutscht aber immer weiter nach hinten. Das liegt daran, dass die Russen ihr Modul nicht startklar bekommen. Von daher haben wir auch das Thema Orlan erst einmal nach hinten geschoben.

RN: Bleiben wir bei der ISS. Die US-Amerikaner haben angekündigt, zahlende Touristen mit nach oben auf die ISS zu nehmen. Was halten Sie von dieser Idee?

M. Maurer: Nun ich denke, wir müssen die ISS für kommerzielle Anwendungen öffnen. Je mehr Nutzer wir haben, umso geringer werden die Kosten für die einzelnen Teilnehmer. Wir haben eben sehr hohe Grundkosten. Natürlich müssen wir Regeln aufstellen, was kommerzielle Touristen dort machen können und dürfen. Sie sollen uns nicht zur Last werden. Sie sollen uns unterstützen. Sie sollen idealerweise auch, wenn sie das Columbus-Modul nutzen wollen, eine Einweisung und ein Training bekommen. Was sie natürlich auch bezahlen. Und natürlich sollen sie auch europäische Experimente im Columbus-Modul ausführen. Unter diesen Gesichtspunkten können wir uns das durchaus vorstellen, Zugang zu Columbus zu ermöglichen. Zum Beispiel für die Vereinigten Arabischen Emirate.

RN: Das hätte ich jetzt so nicht erwartet, Ich dachte, das bezieht sich nur auf die US-Amerikaner.

M. Maurer: Nein, bei einer Raumstation kann man nicht einfach die Tür zu machen und den Touristen sagen, ihr dürft euch nur in dem einen Raum aufhalten. Das funktioniert so nicht. Das war schon früher bei den Russen so, als die Touristen durch die ganze Station schwebten. Und die waren nur eine Woche dort. Wir haben nun Konzepte, wo Touristen unter Umständen auch länger oben bleiben sollen.
Also einen Monat einen Besucher zu haben, der nur Unterstützung braucht, der einem zur Last fällt und keine Last abnimmt, so etwas können wir uns, glaube ich, nicht leisten. Da müssen wir zu Lösungsansätzen kommen und sagen: OK. Die fliegen wir hoch. Aber nur, wenn sie kein Risiko sind. Sie sind geschult für Extremsituationen. Sie haben ein Mindestmaß an Ausbildung und sie tragen etwas zur Wissenschaft bei. Und natürlich müssen die Kosten, die dadurch entstehen, durch jene getragen werden.

RN: Zurück zum Mond. Wir hatten ja gerade eine Veranstaltung hier zur Rückkehr zum Mond. Ich vermisse in neueren Darstellungen zum Lunar-Gateway die Russen.

M. Maurer: Das ist jetzt eine sehr politische Frage. Ich will das mal so beantworten, wie ich das sehe.
Die ISS-Partnerschaft wird ausgeweitet auf das Gateway. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Russen dort auch eine entsprechende Rolle bekommen und ob sie diese politisch intern auch rechtfertigen können und den Rückhalt ihrer Regierung bekommen. Für mich wäre das die Ideallösung, wenn sie mit dabei wären.
Wir haben eine langjährige Partnerschaft, die weiter anhalten wird auf der ISS. Wir sollten diese Partnerschaft nicht enger gestalten sondern eher neue Akteure hinzu bringen. Je breiter wir aufgestellt sind, desto sicherer ist das ganze Projekt. Und wir können davon profitieren. Mein Wunsch wäre, Russland macht da mit.

RN: Die US-Amerikaner haben angekündigt, bis 2024 wieder bemannt auf dem Mond zu landen. Die US-Amerikaner sind ja bei Ankündigungen immer für eine Überraschung gut. Wie realistisch halten Sie dieses Ziel?

M. Maurer: Ich denke, wir haben eine große Chance, dass es 2024 passt. Im Moment wird richtig Druck aufgebaut. Es wird ja eine reine amerikanische Mission. Vielleicht wird es auch 2025. Aber ich glaube nicht, dass sie auf 2028 rutscht. Der ursprüngliche Plan war 2028. Jetzt ist da eine ganz starke Beschleunigung und ich hoffe, dass Europa in der zweiten Phase ab 2024 dabei sein wird und dass wir dann Europa auf dem Mond sehen.

RN: Letzte Frage: Wie sehen sie die Chancen, dass Sie in Ihrer aktiven Dienstzeit noch die bemannte Marslandung erleben?

M. Maurer: In meiner aktiven Dienstzeit? Also ich möchte jetzt nicht pessimistisch klingen, bin mir da aber relativ sicher, dass wir in der Zeit keine bemannte Marslandung sehen werden. Aber ich wünsche mir das eigentlich auch nicht. Ich habe Bedenken, wenn wir jetzt zum Mars aufbrechen, dann wird da eine Flagge eingerammt und wir haben genau das, was wir mit Apollo erlebt haben. Irgendein Politiker sagt dann, wir haben das Ziel erreicht, wir waren die Ersten dort und für die nächsten einhundert Jahre fliegen wir nicht mehr hin.
Wenn wir den Mond jetzt nachhaltig erkunden, dann können wir das ausbauen, so viel lernen, so viel Technologie entwickeln. Der Mond ist eigentlich komplizierter als der Mars, wenn es darum geht eine dauerhaft bemannte Station aufzubauen. Denn er bietet weniger Ressourcen. Wenn wir es auf dem Mond schaffen, dann können wir mit dieser Technologie auch auf den Mars fliegen. Dann sind wir vielleicht zehn Jahre später dran. Aber es wird eine ganz andere Mission, mit ganz anderen Möglichkeiten. Das bedeutet: Langfristig sind wir wesentlich schneller, wenn wir jetzt langsamer zum Mars fliegen.

RN: Das war das Schlusswort. Ich bedanke mich.

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