Saturnmond Titan: Seltsame Struktur im Ligeia Mare

Die Raumsonde Cassini hat unlängst eine ungewöhnliche Struktur beobachtet, welche sich in einem der Seen auf dem Saturnmond Titan befindet. Auf zwei Radaraufnahmen, welche im Abstand von 13 Monaten angefertigt wurden, zeigt diese Struktur deutlich erkennbare Veränderungen.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, ESA.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Speziell auf der nördlichen Hemisphäre des Titan konnten in den letzten Jahren mehrere mit flüssigen Kohlenwasserstoffverbindungen gefüllte Seen beobachtet werden.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Bereits seit dem 1. Juli 2004 befindet sich die Raumsonde Cassini in einer Umlaufbahn um den Saturn – den zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems. Dank der 12 wissenschaftlichen Instrumente mit denen die Raumsonde ausgestattet ist hat sich das Wissen der Menschheit über den Saturn, dessen faszinierendes Ringsystem und seine 62 bisher bekannten Monde seitdem ungemein erweitert.

In den letzten Jahren durchgeführte Studien haben zum Beispiel zu dem Resultat geführt, dass auf dem 5.150 Kilometer durchmessenden Mond Titan, dem größten der Saturnmonde, ein regelrechter Flüssigkeitskreislauf stattfindet, welcher im Gegensatz zu dem vergleichbaren Kreislauf auf der Erde allerdings nicht auf Wasser basiert. Bei Oberflächentemperaturen von rund minus 180 Grad Celsius regnen Methan und Ethan aus der Titanatmosphäre ab, welche sich anschließend auf der Oberfläche in ausgedehnten Abflusssystemen sammeln, von wo aus diese flüssigen Kohlenwasserstoffverbindungen zu verschiedenen Seen transportiert werden.

Somit hat sich der Titan neben der Erde als der einzige bekannte Ort innerhalb unseres Sonnensystems herauskristallisiert, auf dem auch in der Gegenwart ein Flüssigkeitskreislauf stattfindet. Aus den daran beteiligten Kohlenwasserstoffen könnten sich unter bestimmten Bedingungen auch komplexere organische Verbindungen bilden, welche als die “Grundbausteine des Lebens” angesehen werden. Unter den Exobiologen gilt der Titan daher als einer der derzeit aussichtsreichsten Kandidaten für den Nachweis von extraterrestrischen Lebensformen.

Die Raumsonde Cassini hat den Titan mittlerweile 106 mal im Rahmen von dichten Vorbeiflügen passiert und bei diesen Gelegenheiten mit verschiedenen Instrumenten eingehend untersucht hat. Dank der dabei gesammelten Daten sind den Planetenforschern derzeit etwa 400 Seen auf der Titanoberfläche bekannt. Ein größerer See, der Ontario Lacus, und mehrere kleinere Seen befinden sich in der Nähe des Südpols des Titan. Der Großteil dieser Seen konzentriert sich jedoch in den hohen nördlichen Breiten des Titan, wo sich eine regelrechte Seenlandschaft befindet.

NASA, JPL-Caltech, University of Arizona, University of Idaho
Diese globale Ansicht der nördlichen Hemisphäre des Saturnmondes Titan wurde aus mehreren Infrarot-Aufnahmen der Raumsonde Cassini zusammengesetzt und zeigt die Oberfläche in Falschfarben. Oberhalb der Bildmitte zeigen sich mehrere unregelmäßig geformte, mit flüssigem Methan und Ethan gefüllte Seen. Der größte dieser Seen, das Kraken Mare, verfügt über die Fläche des Kaspischen Meeres.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, University of Arizona, University of Idaho)

Das Ligeia Mare
Bei einem dieser Seen handelt es sich um das Ligeia Mare, welches sich bei 79 Grad nördlicher Breite und 248 Grad westlicher Länge befindet. Mit einer Ausdehnung von etwa 420 x 350 Kilometern und einer rund 3.000 Kilometer langen Küstenlinie handelt es sich hierbei nach dem Kraken Mare um den zweitgrößten Methansee auf dem Titan. Erst kürzlich gaben die an der Cassini-Mission beteiligten Wissenschaftler bekannt, dass sie über dieser Region aus Methan bestehende Wolkenformationen beobachtet haben (Raumfahrer.net berichtete).

Das Ligeia Mare befindet sich bereits seit geraumer Zeit im Fokus der Wissenschaftler. Im Rahmen des Titan-Vorbeifluges “T-92”, welcher bereits am 10. Juli 2013 erfolgte, wurde zum Beispiel das RADAR-Instrument von Cassini genutzt, um diese Region im SAR-Modus abzutasten.

Der Titan ist von einer dichten, überwiegend aus Stickstoff bestehenden Atmosphäre umgeben, welche im Bereich des sichtbaren Lichts keinen direkten Blick auf dessen Oberfläche zulässt. Deshalb kommt dem Synthetic Aperture Radar (SAR) bei der Abbildung und Erkundung der Oberfläche dieses Mondes eine besondere Bedeutung zu.

Dieses Bildgebungsverfahren arbeitet durch das Sammeln der Echos von Radarimpulse, welche von dem Radarinstrument der Raumsonde zu der Oberfläche des Titan ausgestrahlt werden. Die Gesamtintensität des Echos ist abhängig von der Rauhigkeit, der Struktur und der Zusammensetzung der Oberfläche. Unter anderem können mit dem SAR-Verfahren dreidimensionale Geländeprofile erzeugt werden, welche über eine hohe Auflösung und Genauigkeit verfügen. Die dabei gewonnenen Abbildungsdaten sind zudem aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit fotografischen Aufnahmen verhältnismäßig leicht zu interpretieren.

NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University
Eine in Falschfarben dargestellte Mosaikaufnahme des Ligeia Mare. Die für das Mosaik verwendeten Radarbilder wurden zwischen dem Februar 2006 und dem April 2007 angefertigt.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University)

Die mit flüssigen Kohlenwasserstoffverbindungen gefüllten Seen des Titan verfügen über relativ glatte Oberflächen, welche die von der Raumsonde Cassini ausgesandten Radarstrahlen in einem nur geringen Umfang direkt zu dem Empfänger des Radarinstrumentes zurückstreuen. Aus diesem Grund erscheinen diese Seen auf den SAR-Aufnahmen als dunkle Regionen. Unebenere Oberflächenbereiche, welche die Radarsstrahlen mit deutlich mehr Energie zurückstreuen, erscheinen dagegen als mehr oder weniger helle Strukturen.

Eine ungewöhnliche Struktur
Auf den am 10. Juli 2013 gewonnenen Radarbildern entdeckten die Wissenschaftler eine ungewöhnliche ‘helle Struktur’, welche sich über eine Fläche von etwa 75 Quadratkilometern erstreckte und die auf früheren, in den Jahren 2007 bis 2009 angefertigten Aufnahmen nicht zu erkennen war. Auch bei den folgenden Titan-Vorbeiflügen konnte diese Struktur weder auf weiteren, allerdings mit geringerer Auflösung angefertigten Radarbildern noch auf im infraroten Wellenlängenbereich angefertigten Aufnahmen erkannt werden. Dies führte zunächst zu der Annahme, dass man mehr oder weniger zufällig ein nur sehr kurzlebiges Phänomen beobachtet hatte.

Bei der Auswertung von Radaraufnahmen, welche am 21. August 2014 während des Titan-Vorbeifluges “T-104” angefertigt wurden, entdeckten die Mitarbeiter des Radar-Teams diese Struktur jedoch erneut. Allerdings zeigte sich dabei auch, dass sich deren Form und Gestalt seit der letzten Beobachtung offensichtlich deutlich verändert hat. So verfügte die auffällige Region jetzt über eine mehr als doppelt so große Fläche von etwa 160 Quadratkilometern. Trotz dieser Veränderungen sind sich die beteiligten Wissenschaftler sicher, dass es sich bei der Struktur nicht um ein Bildartefakt oder einen Abbildungsfehler des Instrumentes handelt.

NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University
Diese Radaraufnahmen der Raumsonde Cassini zeigen die Entwicklung einer auffälligen Struktur, welche erstmals im Juli 2013 beobachtet und im August 2014 ‘wiederentdeckt’ wurde. Auf weiteren Radarbildern ist diese Struktur nicht erkennbar.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University)

Was könnte die Ursache für das Auftreten dieser Struktur sein?
Der Frühlingsanfang auf der nördlichen Titanhemisphäre erfolgte bereits im August 2009, der Sommer wird im Jahr 2017 beginnen. Die Kohlenwasserstoffverbindungen, welche die auf der nördlichen Hemisphäre gelegenen Seen füllen, sollten laut den Berechnungen der Wissenschaftler durch den mit dem Jahreszeitenwechsel auf dem Titan einhergehenden minimalen Temperaturanstieg von wenigen Grad im Laufe der Zeit ‘verdunsten’. Somit wäre eine Erklärung, dass die Radarbilder den Grund des langsam trocken fallenden Sees zeigen. Dies wird jedoch ausgeschlossen, da sich die Küstenlinie des Ligeia Mare auf den zu unterschiedlichen Zeitpunkten angefertigten Aufnahmen nahezu unverändert präsentiert.

Als wahrscheinlichere Ursachen gelten vielmehr ein durch Luftströmungen ausgelöster Wellengang auf der Oberfläche des Ligeia Mare, zu der Oberfläche des Sees aufsteigende Blasen oder auf beziehungsweise knapp unterhalb der Oberfläche treibende Eisschollen aus gefrorenen Kohlenwasserstoffverbindungen. Auch diese Phänomene könnten durch die jahreszeitlich bedingten Temperaturänderungen auf der Titanoberfläche hervorgerufen werden. Speziell die ‘Eisschollen-Theorie’ als Erklärungsansatz würde sehr gut zu den Vorhersagen von Jonathan I. Lunine und Jason D. Hofgartner passen, welche sich bereits im Jahr 2013 mit dem Thema “Eisschollen auf den Titanseen” beschäftigt haben.

“Die Wissenschaft liebt Mysterien und mit dieser rätselhaften Struktur haben wir ein faszinierendes Beispiel für die gerade auf dem Titan ablaufende Veränderungen vor uns”, so Stephen Wall vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena/Kalifornien, der stellvertretende Leiter des Cassini-Radarteams. “Wir hoffen, dass wir auch weiterhin in der Lage sein werden, die Veränderungen zu verfolgen und so herausfinden, was in diesem außerirdischen See vor sich geht.”

NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University
Eine unbeschriftete Version der drei bereits weiter oben gezeigten Radarbilder aus den Jahren 2007, 2013 und 2014.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI, Cornell University)

Die nächste Möglichkeit für eine eingehende Untersuchung des Titan bietet sich bereits am 24. Oktober 2014. An diesem Tag wird die Raumsonde Cassini den Titan um 04:41 MESZ im Rahmen eines gesteuerten Vorbeifluges erneut passieren und aus einer Überflughöhe von 1.013 Kilometern mit verschiedenen Instrumenten untersuchen.

Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll Cassini den Saturn und seine Monde noch bis zum Jahr 2017 erkunden und am 15. September 2017 aufgrund des dann nahezu komplett aufgebrauchten Treibstoffvorrates kontrolliert in der Atmosphäre des Ringplaneten zum Absturz gebracht werden.

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