Die Marsatmosphäre: Vom Sonnenwind verweht

Wissenschaftler haben neue Hinweise darauf entdeckt, dass der Mars seine einstmals vorhandene dichte Atmosphäre durch eine Interaktion mit dem Sonnenwind verloren hat. Ein entscheidender Faktor dabei ist das Fehlen eines planetenumspannenden Magnetfeldes.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESA, JGR, Science.

ASPERA-Kooperation
Da der Mars im Gegensatz zur Erde über kein nennenswertes Magnetfeld verfügt kann die von der Sonne ausgehende Strahlung – der Sonnenwind – tief in die Marsatmosphäre vordringen. Die Sonnenwindionen können dabei die in der Atmosphäre enthaltenen Moleküle in ihre atomaren Bestandteile aufspalten. Diese Aufspaltung beschleunigt das Entweichen in den Weltraum.
(Bild: ASPERA-Kooperation)

Die Erde und der Mars – ursprünglich zur gleichen Zeit vor etwas über 4,5 Milliarden Jahren entstanden – haben sich in der Folgezeit sehr unterschiedlich entwickelt. Während die Erde eine dichte Atmosphäre gebildet hat und auch in der Gegenwart noch über ein starkes Magnetfeld verfügt, ist das Magnetfeld des Mars bereits vor etwa vier Milliarden Jahren erloschen. Vermutlich geschah dies, als der natürliche Zerfall der im Inneren des Mars konzentrierten radioaktiven Elemente nicht mehr genügend Wärmeenergie erzeugte, um im flüssigen Marskern Konvektionsströmungen anzutreiben. Dies hatte zur Folge, dass der für die Entstehung eines Magnetfeldes notwendige Dynamo-Effekt zum Erliegen kam.

In der Gegenwart präsentiert sich unser äußerer Nachbarplanet als eine lebensfeindliche Welt, welche über eine viel zu kalte und vor allem viel zu dünne Atmosphäre verfügt, um das Vorhandensein von flüssigen Wasser auf dessen Oberfläche zu ermöglichen. Diese lebensfeindlichen Bedingungen bestanden jedoch nicht immer. Aufgrund der von den verschiedenen Orbiter-, Lander- und Rovermissionen gesammelten Daten gilt es heute als gesichert, dass der Mars in seiner Frühzeit über eine dichtere Atmosphäre verfügt haben muss, welche in Kombination mit höheren Temperaturen das Vorhandensein von flüssigen Wasser ermöglicht hat.

Eine der Hauptfragen der aktuellen Marsforschung ist deshalb, warum unser Nachbarplanet vor etwa vier Milliarden Jahren und somit ungefähr zeitgleich mit dem Verschwinden des globalen Magnetfeldes den größten Teil seiner Atmosphäre verloren hat.

Ein Mechanismus, welcher hierbei eine entscheidende Rolle spielen dürfte, ist eine stetig erfolgende Erosion der Marsatmosphäre durch eine Interaktion mit den Partikeln des Sonnenwindes. Frühere Messungen mit dem Instrument “ASPERA-3”, einem der insgesamt sieben Instrumente an Bord des von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebenen Marsorbiters Mars Express, zeigten bereits im Jahr 2004, dass Sonnenwind-Partikel bis tief in die Ionosphäre des Mars vordringen, die dort enthaltenen Luftmoleküle in ihre atomaren Bestandteile aufspalten und so ein Entweichen planetarer Sauerstoffionen ins Weltall begünstigen.
Aufbauend auf diesem Resultat hat ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Stas Barabash vom schwedischen Institut für Weltraumphysik in Kiruna zwischen dem 1. Mai 2004 und dem 30. Mai 2006 im Rahmen weiterer Forschungen ermittelt, wie hoch die aktuellen Verlustraten von Kohlendioxid und Wasserdampf aus der Marsatmosphäre in den Weltraum ausfallen. Die gemessenen Verlustraten summierten sich auf einen für die Wissenschaftler verblüffend niedrigen Wert von lediglich etwa 20 Gramm pro Sekunde. Dieser Wert stand allerdings im Widerspruch zu den früheren Messungen der russischen Raumsonde Phobos-2, welche zu Beginn des Jahres 1989 einen hundertfach höheren Wert ermittelt hatte.
Extrapoliert man die von Stas Barabash und seinen Kollegen ermittelte Verlustrate über die gesamte Zeit seit der Entstehung des Mars, so kann der Sonnenwind unserem Nachbarplaneten gerade einmal ein Tausendstel seiner Atmosphäre und ein Zehntausendstel des Wassers entrissen haben. Als alternative Ursachen für den Atmosphärenverlust wurden deshalb in der Vergangenheit unter anderem der Einschlag eines großen Asteroiden oder Kometen oder bisher nicht entdeckte unterirdische Reservoirs von Wassereis und Kohlendioxid angeführt.

ESA
Im Januar 2008 erreichte eine ko-rotierende Wechselwirkungsregion von Sonnenwindströmen nacheinander die Erde und den Mars. Dabei konnten verschiedene Raumsonden die Verlustraten von Sauerstoffionen bei den beiden Planeten bestimmen.
(Bild: ESA)

Doch ist eine solche Extrapolation überhaupt sinnvoll? Auf eine mögliche Fehlerquelle wies David Brain von der University of California in Berkeley/USA hin: “Wir vermuten, dass Sonnenstürme in der Frühzeit unseres Sonnensystems erheblich häufiger auftraten und dabei stärker ausfielen als in der Gegenwart.” In diesem Fall könnten die Messwerte von Mars Express in die Irre führen und die Sonne wäre vielleicht doch hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich der Mars in der Gegenwart als eine staubtrockene Einöde mit einer extrem dünnen Atmosphäre präsentiert.

Eine neue Studie, welche am 9. März 2012 in der Fachzeitschrift “Journal of Geophysical Research” publiziert wurde, untermauert jetzt diese Vermutung. Ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Dr. Yong Wei vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Katlenburg-Lindau konnte dabei nachweisen, dass die Anzahl der Sauerstoffionen, welche die oberen Atmosphärenschichten des Mars verlassen, höher als normal ausfällt, sobald eine von der Sonne ausgehende ko-rotierende Wechselwirkungsregion von Sonnenwindströmen über den Planeten hinwegzieht.

Die Studie von Dr. Yong Wei und seinem Team basiert auf neuen Messdaten der Raumsonden Mars Express und der CLUSTER-Mission – einem aus vier Einzelsatelliten bestehenden Satellitenprojekt der ESA und der NASA zur Untersuchung der irdischen Magnetosphäre. Hierbei war sogar ein direkter Vergleich der Sauerstoff-Verlustraten bei der Erde und dem Mars möglich, da beide Planeten im Januar 2008 nacheinander von dem gleichen Strom geladener Sonnenwindpartikel getroffen wurden. Die Messungen der Raumsonden ergaben, dass die Verlustrate von Sauerstoffionen bei dem gleichen auslösenden Ereignis beim Mars um eine Größenordnung höher ausfiel als bei der Erde.
“Die Verlustraten von Sauerstoffionen variierten während der vorbeiziehenden Wechselwirkungsregion um bis zu einen Faktor 100, abhängig von verschiedenen Faktoren wie der Dichte der Sonnenwinde und der Stärke der ultravioletten Strahlung der Sonne”, so Dr. Yong Wei.

ESA
Diese künstlerische Darstellung zeigt die unterschiedlichen Auswirkungen der Sonnenwinde auf die Planeten Venus (oben), Erde (Mitte) und Mars (unten). Im Gegensatz zu unseren beiden Nachbarplaneten ist die Erde durch ein kompaktes Magnetfeld geschützt, welches die Sonnenwinde noch vor dem Erreichen der Erdatmosphäre ablenken.
(Bild: ESA)

“Hätte die Erde kein globales Magnetfeld, dann wäre der Verlust deutlich stärker und verheerender für das Leben auf der Erde. Über die Jahrmillionen würde die Erde ohne schützendes Magnetfeld sehr wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal wie den Mars ereilen”, ergänzt Dr. Markus Fränz vom MPS, der maßgeblich an der Studie beteiligt war.

Das starke Magnetfeld der Erde wirkt somit wie ein gigantischer Schutzschild gegenüber Sonnenstürmen, während der Mars nur noch über ein schwach ausgeprägtes Krustenmagnetfeld verfügt. Energiereiche, geladene Teilchen aus den Sonnenstürmen werden von dem irdischen Magnetfeld bereits in großer Entfernung abgelenkt und können so nur in geringer Zahl die Erdatmosphäre erreichen und mit dieser interagieren.

Die Marsatmosphäre verfügt dagegen nicht über einen solchen globalen Schutzmechanismus und wird direkt von den Teilchen getroffen. Dabei setzt dort ein Erosionsprozess ein, welcher zu einem messbaren Verlust von Sauerstoff- und Wasserstoffionen führt. Das Entweichen wird dadurch begünstigt, dass die Sauerstoff- und Wasserstoffionen durch die ultraviolette Strahlung der Sonne höhere Energien aufnehmen als andere Ionen.

Ende 2013 will die NASA im Rahmen der MAVEN-Mission die nächste Raumsonde zum Mars entsenden. Das Hauptziel der Mission besteht darin, ab dem Herbst 2014 die oberste Atmosphärenschicht des Mars und deren Interaktion mit dem Sonnenwind zu untersuchen. Hiervon versprechen sich die Wissenschaftler weitere Erkenntnisse darüber, welche Prozesse in der Vergangenheit zu dem Verlust der Marsatmosphäre geführt haben.
Eine eingehende Untersuchung des Marsinneren könnte dagegen neue Erkenntnisse über die Verlustursache von dessen Magnetfeld liefern. Eine dafür in Frage kommende Mission könnte zum Beispiel die derzeit von der NASA angedachte Mission InSight – früher als GEMS-Mission bezeichnet – sein. InSight könnte den Mars ab dem Jahr 2017 untersuchen.

So lange will das Team um Dr. Yong Wei allerdings nicht warten. Die Wissenschaftler beabsichtigen, jetzt auch unseren inneren Nachbarplaneten, die Venus, mit in ihre Studien einzubeziehen. Hierfür sollen Daten genutzt werden, welche durch die ebenfalls von der ESA betriebene Raumsonde Venus Express gesammelt werden. Obwohl die Venus – wie auch der Mars – anscheinend über kein globales Magnetfeld verfügt ist sie doch von einer Atmosphäre umgeben, welche sogar noch dichter ausfällt als die Atmosphäre unseres Heimatplaneten.

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