Bis zur Unendlichkeit – und doch nicht weiter…

… (frei nach Buzz Lightyear – Toy Story) Eine etwas andere Betrachtung von Christopher Nolans INTERSTELLAR durch Andreas Weise

Quelle: Andreas Weise.

privat
DVD-Hülle INTERSTELLAR
(Bild: privat)

Am 12. April 2015 wurde im großen altehrwürdigen Filmtheater DELPHI am Bahnhof ZOO in Berlin zu Ehren des Tages der Raumfahrt der Film INTERSTELLAR in einer 70mm-Version aufgeführt. Ein großer und vor allem langer Film – zweifellos. Trotzdem wirft er für mich auch fünf Monate nach seiner Uraufführung viele Fragen auf. Grund genug, einmal einige Gedanken aufzuschreiben.

Ehrlich! Ich hatte mich auf den Film sehr gefreut. Endlich einmal ein neuer Science-Fiction-Film, der ohne die üblichen Weltuntergangsschlachten und Aliengemetzel auskommt. Ein Film der einen wissenschaftlichen und auch philosophischen Hintergrund verspricht.

Dem Start in den deutschen Kinos im November 2014 folgten Lobeshymnen, Vergleiche mit Kubricks Meisterwerk „2001“ und endlose Diskussionen über den Physik des Filmes.

Da ich kein Astrophysiker bin und auch nicht in die Hobbygilde solcher aufsteigen will, habe ich schlicht zur Kenntnis genommen, dass sich Nolan bei den physikalischen Hintergründen sehr viel Mühe gegeben und dabei auch wissenschaftlichen Rat eingeholt und berücksichtigt hat. Ein Umstand, der in der Filmbranche nicht unbedingt normal ist.

Die positive Folge: Populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema in den Fachmedien. Und der einfache Kinogänger staunt.So muss es in den Menschen zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit Albert Einstein ergangen sein. Einsteins Relativitätstheorie begeistert die Menschen und ließ ihn zu einem Superstar aufsteigen. Aber nicht, weil die Menschen seine Erkenntnisse verstanden, sondern gerade weil sie ihn nicht verstanden!

Und INTERSTELLAR ? Ich hatte mir den Film dreimal angesehen. Fast erschlagen von den grandiosen Bildern bin ich jedes Mal aus dem Kino gekommen und habe mich gefragt: Was war das jetzt gerade?!

Ein bekanntes Gefühl von Ratlosigkeit machte sich breit. Erinnerungen an den zweieinhalb Stunden Film SOLARIS aus dem Jahre 1972 kamen hoch. Spannung halten bis zum Schluss und passiert ist dann doch nichts! Ebenso der Film „2001“, der sich mir erst erschlossen hatte, nachdem ich Arthur C. Clarkes Romanvorlage gelesen hatte. Ja ich bekenne offen: Ich habe „2001“ erst als filmisches Meisterwerk begriffen, nachdem ich ihn mehrmals angesehen und überdacht hatte.

Bei INTERSTELLAR ist das anders. Je weiter ich in das Werk eindringe, umso verworrener, oberflächlicher, klischeehafter und naiver wird es.Und die Angst steigt auf, gegen den Mainstream zu schwimmen und zum Schluss als der kleine Junge aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ dazustehen. Der rief bekanntlich „Er hat ja nichts an!“ Ich würde rufen „Nein! Der Film ist nicht das geniale Meisterwerk!“

Um den Film irgendwie zu fassen, muss man sich kurz mit seinem Schöpfer, Christopher Nolan, befassen. Nolan, der Regie geführt und auch das Drehbuch geschrieben hat, ist vom Geiste her Amerikaner. Und das durch und durch. Das ist jetzt nicht negativ gemeint, ist aber so.

Insofern ist das vermittelte Weltbild sehr einfach gestrickt. Aber was in den Batman-Verfilmungen hervorragend funktioniert hat, eine einfache Schwarz-Weiß-Sichtweise, das funktioniert bei einem Film wie INTERSTELLAR nicht.Bei Kubricks 2001 oder bei Tarkowskis SOLARIS war der Zuschauer gerade zu gezwungen, in philosophischen Kategorien zu denken. Das war anstrengend für den Zuschauer, machte die Filme aber gerade deshalb attraktiv. Die Suche nach dem höheren Sinn eben. Mit einer höheren Moral.

Nolan aber fordert hier dem Zuschauer nichts ab. Er setzt ihm seine (Welt-)Bilder vor und damit genug. Und diese Welt ist der mittlere Westen der USA, der durch häufige Sandstürme veranlasst langsam untergeht. Die Ursachen dafür bleibt Nolan schuldig.

Ist es die maßlose Lebensweise der Menschen, wie kurz angedeutet? Auf alle Fälle ist das Schicksal unwiderruflich und gegeben. Man möge fast denken, es ist Gott gegeben. Kein Aufbäumen der breiten Wissenschaft gegen das Unheil. Im Gegenteil. Die Strafe für das „sündige“ Leben muss ertragen werden.

Ungebildete Farmer (wie Nolan seinen Helden sagen lässt), statt Ingenieure. Mit dieser Denkweise eckt man natürlich nicht an.

Man stelle sich nur vor, Nolan hätte etwas vom Klimawandel und deren Auswirkung erwähnt. Sofort hätte es Schälte von den Fundamentalisten gehagelt. Nicht gut für die Publicity.

Auch der Rest der Welt wird komplett ausgeblendet. Die Welt geht unter und jeder stirbt für sich allein. Der Gedanke einer weitreichenden Zusammenarbeit gegen das drohende Unheil – Fehlanzeige! Nicht einmal im kleinsten Ansatz. Ganz nach der Denkweise: Jeder ist seines Glückes Schmied – und zwar allein. The American Way Of Life.

Die Rettung der Menschheit, von der hier ausschließlich die US-Szenerie im besagten mittleren Westen gezeigt wird, besteht in einer Organisation im Verborgenen. Diese sucht nach einem Ausweg in Gestalt einer „Wundergleichung“, die dann „das“ Problem der Rettung der Menschheit lösen soll. Es geht um die Manipulation von Gravitation. Das ist ein toller Gedanke, kommt hier aber völlig naiv und platt herüber. Alle greifbaren Klischees werden gezogen.

Der Held erreicht einen Ort in der Nacht. Wir sehen kurz am Berg ein verwittertes Schild „NORAD“. (NORAD zu deutsch: Nordamerikanisches Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando). Die Szenerie des Tunneleingang in den Berg musste schon in unzähligen Filmen herhalten.

Im Inneren erfährt der staunende Held, wer hinter allem steckt. Eine naive Szene, die nicht nur bei mir fast einen Lachkrampf ausgelöst hätte. Sogar der Held Cooper (Metthew McConaughye) selber schaut mehr als ungläubig:

Wer sind Sie? Wir sind die NASA. NASA? NASA!Und zum Beweis öffnet sich eine Wand und in circa 50 Schritten Entfernung vom Konferenztisch steht man in einem Startschacht. Der Zuschauer sieht drei riesige Triebwerke.

Die Szene erinnert an die Startsequenz aus dem Film APOLLO 13. Das wäre so, als habe man ein Büro direkt neben dem Starttisch der Rampe LC-39a für die Saturn-5-Raketen auf Cape Kennedy. In einer viel späteren Szene erfolgt der Start des triebwerkbewehrten Gerätes aus dem Schacht. Dabei werden ebenfalls sehr ähnliche Einstellungen wie bei APOLLO 13 verwendet.

Die Stufentrennung des Raumfahrzeuges sieht auch genauso aus wie die in Ron Howards Film APOLLO 13. Die Raumfahrtgeschichte kennt solche Einstellungen vom Start der Apollo 4 (erster Sarturn-5-Start überhaupt) und waren real gedreht mit Onbordkameras. Für das Jahr 1967 eine grandiose Leistung.

Zurück zum Konferenztisch: An dieser Stelle keimte kurz Hoffnung auf. Am Tisch saß ein älterer, weißhaariger Herr mit Brille. Der dunkelblaue Anzug saß perfekt und er war offensichtlich so was wie der Boss vom Ganzen.

Das Gesicht gehörte dem Schauspieler William Devane. Für mich die Verkörperung eines der klassischen starken US-Gesichter, zu vergleichen z.B. mit John Wayne. Schade aber, sein Auftritt dauerte nur Sekunden.

Den absoluten verbalen Höhepunkt leistet sich die Figur des Prof. Brand (Michael Caine): An den Haupthelden Cooper gerichtet fordert er „Dann gehen Sie da raus, und retten Sie sie…. .“ Das könnte aus einem Western entsprungen sein.

Wie schon erwähnt, das ganze Problem der Menschheitsrettung erscheint unter US-Sichtweise. Andere Teile der Menschheit werden mit keiner Silbe erwähnt. Auf den fernen Planeten steht das Sternenbanner. Es ist vom Winde zerschlissen, aber es weht. So wie bei den großen Pionieren der Eroberung des Westens. Das ist das Reinverständnis, wie man sich als Amerikaner möglicherweise selber sieht. Als Garant für die Freiheit und die Zukunft.

Und nur Amerika ist überhaupt in der Lage, etwas zu tun. Aus US-amerikanischer Sicht geht das vielleicht in Ordnung. Als Mitteleuropäer habe ich da so meine Probleme mit dieser absoluten Sichtweise.

Was bleibt nun von der Story übrig? Nolan zeigt eine Welt, die nicht mehr zu retten ist. Wo der Mensch nur noch die Erde verlassen kann. Das ist eine Bankrotterklärung unserer heutigen Lebensweise und die Verneinung jedweder Hoffnung auf Änderung. Die globalen Probleme bleiben ungelöst und man macht sich vom Acker.

Ein nicht gerade sehr optimistischer Gedankengang. Die Zukunft der Menschheit über ein Auswandern der Bevölkerung von der Erde innerhalb von 80 Jahren erscheint als ausgesprochen traumhafte Lösung. Insofern bietet der Film keine Visionen sondern spielt mit unseren Ängsten. Es geht ja sowieso alles den Bach herunter, also nur noch Flucht. Und genau das macht den Unterschied zwischen INTERSTALLAR und 2001 oder auch 2010.

Nolans Werk aber nur auf den Fakt einer zerrissenen Geschichte zu reduzieren wäre nicht fair. Die Szenen außerhalb der Erde, die Bilder der Raumschiffe, des Weltalls, der Planeten, alles ist hervorragend in Szene gesetzt.

Man findet auch innerhalb des Bühnenbildes keine Makel. Vergebens eine Suche nach „Fehlern“ wie zum Beispiel einem Bügeleisen (wie in RAUMPATROLIE) oder einer nicht offensichtlich befestigten Schreibtischlampe im schwerelosen Raum oder andere Ungereimtheiten. Jedenfalls, wenn man nicht zielgerichtet danach sucht.

Nolan beglückt uns mit weltraumexotischen Landschaften, eingebettet in eine passende Musik und eine sehe gute Regiearbeit mit den Schauspielern. Hierbei gibt es keine Abstriche. Und ich habe auch an mancher Stelle eine kleine Träne unterdrücken müssen. Gefallen hat mir hierbei besonders die kleine aber feine Rolle von John Lithgow als Großvater Donald. Aber auch die bewusst etwas zurückgehaltene Rolle von Matt Damon als Doktor Man kommt sehr gut herüber.

Es fehlt auch nicht an kreativen Ideen, das unvorstellbare von Raum und Zeit zu visualisieren. Das zu lösende Problem ließe sich vielleicht so beschreiben: Ein Strichmännchen auf einem Blatt Papier kennt nur zwei Dimensionen: Ein Strich im Wege wäre ein schier unüberwindliches Hindernis. Also muss man dem Strichmännchen eine dritte Dimension zuordnen, damit es den Strich überspringen kann.

Nolans Idee im Film mit der Rückseite einer Bücherwand eine Verbindung von Raum und Zeit darzustellen, das ist äußerst originell. An dieser Stelle sollte man nicht nach wissenschaftlicher Genauigkeit fragen. Das ist eben halt großes künstlerisches Kino. Da bleibt man dann doch gerne die zweidreiviertel Stunden im Kinosessel sitzen. Auch wenn es schwer fällt.

Und damit wären wir beim Dilemma des Betrachters. Einerseits eine sehr fragwürdige Ausgangsgeschichte, anderseits tolle Bilder. Den Film als gut oder schlecht zu kategorisieren ist mir nicht möglich. Damit stellt sich das gewisse Gefühl der Ratlosigkeit ein, wie am Anfang erwähnt.

INTERSTELLAR wird als großer bunter Film in der Kinogeschichte seinen Platz finden. Aber nicht als vollkommenes Meisterwerk wie das eines Kubrick.

Geh nicht gelassen in die gute Nacht, brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;

Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.

Erste Strophe eines Gedichtes von Dylan Thomas. In INTERSTELLR mehrfach zitiert …Es empfiehlt sich, das Gedicht etwas genauer zu betrachten. Das ist aber schon wieder eine andere Geschichte.

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