Der rätselhafte Geruch von Mondstaub

„Ich wünschte, ich könnte euch etwas davon schicken. […] Das Zeugs ist verblüffend.“ So lautete ein Funkspruch des Apollo 17-Astronauten Gene Cernan, der sichtlich begeistert vom Staub unseres Mondes war. Doch was fand er so besonders daran?

Ein Beitrag von Julian Schlund. Quelle: NASA Science. Veertont von Julian Schlund.

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Am Ende eines langen Tages auf dem Mond: Apollo 17 -Astronaut Gene Cernan in der Mondfähre Challenger . Man beachte die Staubflecken auf seiner Kleidung.
(Bild: NASA)

Fühle ihn – er ist weich wie Schnee, und doch ruppig.
Schmecke ihn – laut Apollo 16-Astronaut John Young „gar nicht so übel“.
Schnüffle ihn – er riecht wie verbrauchtes Schießpulver.

Wie schnüffelt man Mondstaub?
Alle Apollo-Astronauten taten es. Natürlich nicht, indem sie ihre Nasen an die Mondoberfläche hielten. Aber nach jedem Mondspaziergang haben sie, zurück in der Landekapsel, immer ein wenig Mondstaub mit hinein geschleppt. Mondstaub ist unglaublich klebrig und haftet an Stiefeln, Handschuhen und an allen anderen Stoffen, die mit ihm in Berührung kommen. Egal, wie sehr die Astronauten versuchten, ihre Anzüge vom lästigen Staub zu säubern, bevor sie wieder in die Kabine eintraten… ein wenig (und nicht selten ein wenig viel) Staub schaffte immer den Weg ins Innere.

Sobald die Astronauten ihre Helme und Handschuhe ausgezogen hatten, konnte die Crew den Mond spüren, riechen und sogar schmecken.

Die Erfahrung brachte dem Apollo 17-Astronauten Jack Schmitt auch gleich den ersten außerirdischen Heuschnupfen in der Geschichte der Menschheit ein. „Er [der Heuschnupfen] kam ziemlich schnell“, meldete er Houston mit einer verstopften Stimme. Jahre später erinnert er sich: „Als ich meinen Helm nach dem ersten Weltraumspaziergang abnahm, hatte ich gleich eine heftige Reaktion auf den Staub. Meine Schleimhäute schwollen an.“
Stunden später, nach dem dritten Weltraumspaziergang, lies das Gefühl nach: „Es trat auch nach dem zweiten und dritten EVA [= Außenbordeinsatz] auf, aber viel weniger stark. Ich denke, ich habe eine Art Immunität entwickelt.“

Andere Astronauten bekamen keinen Heuschnupfen. „Oder gaben es nicht zu“, scherzt Schmitt. „Die Piloten meinen, wenn sie ihre Symptome kundtun, dürfen sie nicht mehr starten.“ (Im Gegensatz zu den anderen Astronauten besaß Schmitt keine Testpilot-Vergangenheit.)

Schmitt gesteht, er habe empfindliche Schleimhäute: „Die Petrochemikalien in Houston machten mich schon verrückt und zwangen mich des öfteren zu einer Zigarette.“ Er hält es deswegen für plausibel, dass die anderen Astronauten weniger stark als er auf den Mondstaub reagiert haben.

Aber auch sie reagierten, und zwar auf den Geruch:

„Es ist wahrlich ein strenger Geruch“, funkte Apollo 16-Pilot Charlie Duke. „Es hat für mich diesen Geschmack – Schießpulver, und auch den Geruch von Schießpulver.“ In der nächsten Mission, Apollo 17, merkte Gene Cernan unabhängig von der Aussage Dukes an, es würde riechen, als hätte jemand gerade eben eine Kugel mit einem Karabiner [franz. Militär-Gewehr] abgefeuert.“
Schmitt erläutert, dass „alle Apollo-Astronauten im Umgang mit Handfeuerwaffen geschult waren“. Wenn sie also sagten, Mondstaub würde nach Schießpulver riechen, dann wussten sie auch, wovon sie sprachen.

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Dieses Exemplar, getragen von Apollo 17 -Astronaut Jack Schmitt, ist schon ganz grau vor Mondstaub.
(Bild: NASA)

Um klar zu werden: Mondstaub und Schießpulver haben eigentlich nichts gemein. Modernes, rauchfreies Schießpulver besteht aus einer Mischung von Nitrozellulose (C6H8(NO2)2O5) und Nitroglycerin (C3H5N3O9). Dies sind entzündbare organische Moleküle, die „nicht im Mondboden gefunden wurden“, wie Gary Lofgren vom Lunar Sample Laboratory am Johnson Space Center der NASA erläutert. Hält man ein Streichholz an Mondstaub, geschieht absolut nichts, zumindest nichts Explosives.

Woraus aber besteht Mondstaub? Nahezu die Hälfte davon ist Siliziumdioxid-Glas, was nur von den enormen Kräften eines Meteoriteneinschlags auf den Mond herrühren kann. Solche Einschläge schmelzen den Oberboden zu Glas und zersplittern selbiges in winzige Teilchen. Mondstaub ist auch reich an Eisen, Calcium und in Mineralien gebundenem Magnesium wie zum Beispiel Olivin oder Pyroxen.
Und wieso der Geruch? Eins vorweg: niemand weiß es genau…

ISS-Astronaut Don Pettit war zwar selbst noch nie auf dem Mond, interessiert sich aber für Gerüche im Weltraum und bietet eine mögliche Erklärung:

„Man stelle sich vor, man befände sich in einer Wüste auf der Erde“, sagt er, „was riechst du? Nichts. Bis es anfängt, zu regnen. Die Luft ist auf einmal voller süßer, torfiger Gerüche.“ Wasser, das am Boden verdunstet, befördert Moleküle in deine Nase, die davor monatelang in dem trockenen Boden eingeschlossen waren.

Gut vorstellbar, dass es sich auf dem Mond ähnlich verhält.

„Der Mond ist wie eine vier Milliarden Jahre alte Wüste“, führt er vor Augen. „Es ist unglaublich trocken. Wenn Mondstaub dann in Kontakt mit der feuchten Luft des Landemoduls gelangt, kommt es zum ‚trockene Wüste’-Effekt – und einigen wundervollen Düften.“ (Nur um das einmal festzuhalten: Don Pettit hält den Geruch von Schießpulver für einen großartigen Duft.)

Gary Lofgren hat eine ähnliche Idee: „Die freiwerdenden Gase des Mondstaubs stammen vielleicht vom Sonnenwind.“ „Im Gegensatz zur Erde“ (mit deren schützendem Magnetfeld), erklärt er weiter, „ist der Mond dem heißen Wind von Wasserstoff-, Helium- und anderen Ionen ausgesetzt, die von der Sonne ausgestoßen werden. Diese Ionen treffen auf die Mondoberfläche und werden dort im Staub eingeschlossen.

Es ist eine labile Situation. „Die Ionen werden leicht durch Fußstapfen mitaufgewirbelt und würden beim Kontakt mit der warmen Luft in der Mondfähre verdunsten. Sonnenwind-Ionen, die sich mit der Atmosphäre in der Kabine vermischen … wer weiß, welche Gerüche das produziert.

Will man also Sonnenwind schnuppern, dann auf zum Mond!

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Der Mond – eine vier Milliarden Jahre alte Wüste.
(Bild: NASA)

Schmitt hat dazu noch eine Idee: Der Geruch, gar erst die Reaktion zu diesem, könnte ein Zeichen dafür sein, dass Mondstaub chemisch aktiv ist.

„Man beachte, wie Mondstaub aufgebaut ist“, meint er. „Meteoriten treffen den Mond, reduzieren dabei Steine zu schroffem Staub. Es ist ein Prozess des Hämmerns und Zertrümmerns.“ Gebrochene Moleküle mit losen Bindungsstellen (um es auch für alle Nicht-Chemiker verständlich zu machen), also freien Bindungselektronen, befinden sich dann im Staub. Ihnen fehlt ein atomarer Partner.

Was passiert nun, wenn man Mondstaub einatmet? Die Ionen suchen sich die passenden Bindungspartner in den Membranen unserer Nase. Man bekommt eine verschnupfte Nase und nimmt fremdartige Gerüche wahr. Später, wenn alle Ionen in Bindungen übergetreten sind, lassen die Empfindungen langsam nach.

Ein weitere mögliche Erklärung ist, dass Mondstaub in der Sauerstoffatmosphäre der Mondfähre oxidiert, also quasi verbrennt. „Sauerstoff ist sehr reaktionsfreudig,“ erläutert Lofgren, „und würde sich gerne mit den losen Bindungsstellen des Mondstaubs kombinieren“. Obwohl die Reaktion zu langsam verläuft, um Rauch oder Flammen auszulösen, könnte die Oxidation des Mondstaubs durchaus Aromen wie das verbrauchten Schießpulvers produzieren. (Anmerkung: Unentzündetes und verbrauchtes Schießpulver riecht nicht gleich. Apollo-Astronauten waren allerdings spezifisch: Mondstaub riecht nach verbrauchtem Schießpulver.)

Auf der Erde kein Geruch?
Kurioserweise besaß der Mondstaub auf der Erde keinen Geruch mehr. Es liegen hunderte Gramm von Mondstaub am Lunar Sample Lab in Houston. Dort hielt Lofgren erst vor kurzem staubiges Mondgestein in seinen Händen. Er roch daran, an seinen Händen, aber „es roch nicht nach Schießpulver“, sagt er.

Haben sich die Apollo-Crews Dinge eingebildet? Nein. Lofgren und andere haben für das Phänomen eine bessere Erklärung:

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Apollo 12 -Astronaut Alan Bean mit einer Probe Mondstaub in der Hand. Dieser ‚Container‘ hielt dem schroffen Staub nicht aus.
(Bild: NASA)

Der Mondstaub hat sich auf der Erde ‚beruhigt’. Jede der Proben, die von den Apollo-Astronauten zurückgebracht wurden, war bereits in Kontakt mit feuchter, Sauerstoff-reicher Luft. Jene Aroma-produzierenden chemischen Reaktionen (oder Verdunstungen) endeten schon lange davor. Die Begründung? Die Container, in denen die Proben vakuumdicht gelagert werden sollten, haben aufgrund der Schroffheit des Mondstaubs nicht dicht gehalten. Die Dichtung wurde quasi durchschnitten. Daduch gelangten Sauerstoff und Wasserdampf zum Mondstaub und es kam zur Reaktion. Der entstehende Geruch verflüchtigte sich auf der dreitägigen Reise zurück zur Erde.

Schmitts abschließende Meinung zum Mysterium um den Mondstaub lautet wie folgt: „Wir müssen den Staub an Ort und Stelle untersuchen – auf dem Mond.“ Nur dort kann man dessen Eigenschaften vollständig und isoliert studieren.

Die NASA wird im Jahre 2018 voraussichtlich wieder Menschen zum Mond schicken. Schon jetzt steht fest, dass die Astronauten im Vergleich zu den Apollo-Missionen wesentlich länger auf dem Mond bleiben und bessere Geräte zur Verfügung haben werden. Beste Vorraussetzungen, um neben vielen anderen offenen Fragen auch das Rätsel um den eigenartigen Geruch des Mondstaubs zu lösen. Bis dahin dürfen wir gespannt sein, welche Überraschungen uns wohl erwarten werden.

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