In diesem Interview beschreibt der Mars Express-Ingenieur John Reddy die Arbeit seines Teams im Kontrollraum und die Risiken, die noch auf die Raumsonde und den Mars-Lander Beagle 2 warten.
Autor: Michael Stein.
Raumfahrer.net veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der European Space Agency (ESA) hier die deutsche Übersetzung des am 26. Juni 2003 auf der ESA Science-Homepage veröffentlichten Interviews.
Ein Raumfahrzeug zum Mars zu bringen ist keine einfache Aufgabe. Viel Arbeit und Engagement eines kleinen Teams von Experten ist nötig um zu gewährleisten, dass Mars Express sein Ziel sicher erreichen wird. John Reddy ist einer von ihnen. Er ist nicht nur für das elektrische System verantwortlich, sondern auch für die Avionik (d.h. die Instrumente und die Kontrolle der Raumsonde) und die Software an Bord von Mars Express.
ESA: Der Moment des Starts muss für Sie sehr aufregend gewesen sein, als Sie im Kontrollraum saßen?
John Reddy: Während des Starts selbst fühlt man eine Aufregung, die etwas abstrakt ist, da die Ereignisse außerhalb der eigenen Kontrolle stattfinden. Nach der erfolgreichen Operation der Rakete mussten wir eine Zeitlang darauf warten, dass die Raumsonde ihr erstes Signal sendet. Das war wie eine Übergangsphase. Wir gingen in die ESOC-Kantine (= European Space Operations Centre in Darmstadt), wo bereits gefeiert wurde. Das größte Ereignis war für uns der Moment, als Mars Express uns mitteilte das er „lebt“, aber selbst dann waren wir so beschäftigt sicherzugehen das alles in Ordnung ist, dass wir nicht die Zeit hatten um uns zurückzulehnen und über unseren Erfolg nachzudenken. Der erste Moment, als ich wirklich Zeit hatte zu reflektieren, was wir erreicht hatten, war auf dem Weg zurück zum Parkplatz morgens um 07:30 Uhr!
ESA: In den Wochen vor dem Mars Express-Start mussten Sie alle Aktionen trainieren, die Sie im Fall einer kritischen Situation benötigt hätten. Welche dieser kritischen Situationen haben Sie dabei am meisten gefürchtet?
John Reddy: Unsere größte Befürchtung war, dass sich die Solarpaneele nicht korrekt entfalten würden, oder das der Transponder nicht auf unsere Signale antworten würde. Aber wir haben auch „erdliche“ Probleme in Betracht gezogen, wie zum Beispiel den Zusammenbruch unseres Computersystems in einem kritischen Moment oder die Erkrankung von Mitgliedern unseres Teams. Wir haben sogar einen Feueralarm in unserem Kontrollraum simuliert um zu lernen, wie man reagiert. Die Leute wissen nicht worum es bei den einzelnen Simulationen geht und müssen auf die Probleme reagieren, als ob sie real wären. Es ist erstaunlich, wie echt sich das anfühlt.
ESA: Haben Sie auf Holz geklopft, um Glück zu haben?
John Reddy: Genau das Gegenteil: Wir waren darauf vorbereitet, dem Unerwarteten zu begegnen. Tatsächlich haben sich die Solarpaneele am Ende dann ja wunderbar geöffnet.
ESA: Was sind die nächsten großen Herausforderungen der Mission?
John Reddy: Wir haben bereits ein paar kritische Meilensteine passiert. Die schrecklichsten sind die mit strikten Zeitvorgaben. Die Solarpaneele waren kritisch, weil wir [ohne sie] nicht genug Energie für die Manöver gehabt hätten. Bis Ende Juli sind wir in der so genannten „Commissioning Phase“, einer viel entspannteren Zeit in der wir einen „Gesundheitscheck“ aller Instrumente an Bord durchführen. Unser nächster großer Meilenstein ist die Zündung des Haupttriebwerks Ende November, wenn wir die Ausrichtung der Raumsonde sehr genau überprüfen müssen um sicherzugehen, dass wir uns auf den richtigen Orbit zu bewegen. Wenn wir genau wissen wo wir uns befinden werden wir alle Anweisungen an Mars Express für sein Manöver hochladen.
ESA: Und was ist mit der Abtrennung von Beagle 2?
John Reddy: Das ist natürlich eine andere große Herausforderung. Der Lander wird fünf Tage vor dem Eintreten der Raumsonde in ihren finalen Orbit abgetrennt. Das ist ein heikler Moment: Mars Express wird auf einem Kollisionskurs mit dem Planeten sein. Nach der Trennung muss sich die Raumsonde wegbewegen und den richtigen Orbit um den Mars einschlagen, verbunden mit einer weiteren heiklen Triebwerkszündung. Einige Tage später müssen wir den endgültigen Orbit der Raumsonde präzise justieren. Insgesamt haben wir genug Treibstoff für das Haupttriebwerk, um etwa 30 Minuten lang Flugmanöver durchzuführen. Der Rest wird benötigt, um die Ausrichtung der Raumsonde während der wissenschaftlichen Beobachtungsphase der Mission zu kontrollieren. Aber das wird natürlich auch ein weiterer großartiger Moment sein, dem wir alle entgegensehen.
ESA: Wie bereiten Sie sich auf diese kritischen Phasen vor?
John Reddy: Wir haben während des Septembers mehrere Simulationen, wenn hoffentlich alle von uns genug Erholung gehabt haben, um weitere stressige Zeiten zu bewältigen. Simulationen sind auch wichtig, um eine Mannschaft zu bilden. Wir sind wie eine Nationalmannschaft: Eine Ansammlung sehr guter Spieler aus verschiedenen Vereinen die lernen müssen, miteinander zu spielen. Wir kommen alle aus verschiedenen Umgebungen mit verschiedenen Schwerpunkten, und wir müssen sehr eng miteinander arbeiten und interagieren. Der ESA-Wissenschaftler muss mit dem Menschen aus der Industrie zusammenarbeiten, der die Raumsonde entworfen hat. Sie haben Mars Express physisch zusammengebaut, sie kennen alle „Kabel“, und darum sind sie so wichtig.
ESA: Sie haben bereits viele Jahre an Kommunikationssystemen für Satelliten gearbeitet. Was macht es immer noch interessant für Sie?
John Reddy: Nun, das sind verschiedene Dinge. Zum einen das man Sachen macht, die die Vorstellungskraft der Menschen fesselt. Ich habe zuerst mit Wettersatelliten gearbeitet, die den Menschen die Visualisierung von Wolkenformationen ermöglichten. Erdbeobachtung geht einen Schritt weiter, und wissenschaftliche Missionen lassen uns unseren Platz im Universum besser verstehen. Ich bin immer ein begeisterter Leser von Science Fiction gewesen, und manchmal scheint es, dass meine Arbeit einige dieser Fiktionen näher an die Realität heranbringt. Und schließlich arbeite ich hier, weil ich es anregend finde. An jedem Tag hier gibt es etwas Neues zu lernen und etwas anderes zu machen.
ESA: Wie werden Sie sich nach der ganzen Aufregung mit Mars Express in Ihrem Urlaub erholen?
John Reddy: Ich werde zurück nach England gehen und mit meiner Frau Golf spielen. Ich bin ein Fanatiker. Unglücklicherweise hat Fanatismus in diesem Sport nichts mit Können zu tun. Es ist für mich viel einfacher eine Raumsonde zum Mars zu schicken als einen Ball in ein Loch zu versenken!