Der britischen Raumfahrtindustrie soll innerhalb der European Space Agency ESA eine größere Rolle zukommen. Erste Schritte auf dem Weg dahin wurden bereits 2009 eingeleitet. Nun wurde die bestehende ESA-Einrichtung in Harwell-Oxford zum Europäischen Zentrum für Weltraumanwendungen und Telekommunikation, kurz ECSAT, aufgewertet, um dem Anliegen zusätzliche Schubkraft zu verleihen.
Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: ESA, Harwell News, Goodman Property.
Die Briten mögen zwar keine überzeugten Europäer sein, aber die Eröffnung eines siebten ESA-Zentrums erfüllt sie doch mit Stolz. Jedenfalls waren keine Europa-skeptischen Töne zu vernehmen, als am 14. Mai 2013 der britische Minister für Hochschulen und Wissenschaft, David Willetts, zusammen mit Jean-Jacques Dordain, Generaldirektor der ESA, im Hochtechnologiepark Harwell-Oxford südlich von Oxford das ECSAT, das Kürzel steht für European Centre for Space Applications and Telecommunications, eröffnete. Bereits seit 2009 gab es dort das erheblich kleinere ESA Harwell Centre als Vorläufer.
Vielleicht half es dem britischen Ego, dass die ESA per se keine Veranstaltung der Europäischen Union ist, auch wenn von den 20 ESA-Mitgliedern alle bis auf die Schweiz und Norwegen der EU angehören. Geholfen hat den Briten sicherlich auch die eigene Erkenntnis, dass es um die industrielle Basis des Landes nicht zum Besten bestellt ist. Da ist europäisches Engagement in einem Hochtechnologiesektor immer willkommen. Der britsche Wissenschaftsminister betonte denn auch in seiner Ansprache die Rolle der heimischen Raumfahrtsindustrie für das Vereinigte Königreich. Sie sei für das Wachstum im Lande von steigender Bedeutung und trage jährlich umgerechnet über 8,3 Mrd. Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei. Rund 70 Prozent der Produktion des britischen Raumfahrtsektors gehe in den Export. Was er nicht sagte – das britische Bruttoinlandsprodukt wird sich 2013 auf etwa 2.000 Mrd. Euro belaufen. Da hat die dortige Raumfahrtindustrie noch einiges zu tun, bevor sie mit einer wenigsten einstelligen Prozentzahl ins Gewicht fällt.
Auf dem Weg dorthin soll das ECSAT künftig eine Schlüsselrolle übernehmen. Das Zentrum fokussiert sich auf Telekommunikation, Klimawandel, Technologie- und Wissenschaftstransfer sowie „integrierte“ Anwendungen. Konkret soll ECSAT die kombinierte Nutzung von sowohl im All als auch auf der Erde zur Anwendung kommenden Technologien voranbringen und Daten sowie Infrastrukturen zur Schaffung neuer Anwendungen für den Alltag bereitstellen. Dafür sei, so Wissenschaftsminister Willets, der Harwell-Oxford Campus ideal, erlaube der Standort doch die enge Zusammenarbeit mit anderen Weltraumwissenschaftlern und –unternehmen.
Eines der konkreten Projekte aus den oben genannten Arbeitsgebieten ist die Entwicklung von Radionuklid-Batterien für künftige Weltraummissionen, die eine Sonnenenergienutzung nicht zulassen. Die Briten sollen die Federführung bei der Entwicklung übernehmen, da sie mit ihrem Nuklearzentrum Sellafield die notwendige Infrastruktur zur Gewinnung und zum Umgang mit der ins Auge gefassten Energiequelle haben: aus Plutonium gewonnenes Americium 241. Die Franzosen sind nicht minder interessiert an nuklear-basierten Weltraumtechniken. Die Arbeitsteilung läuft darauf hinaus, dass sie sich auf die Sicherheitsaspekte beim Start derartiger Missionen konzentrieren, da der Startplatz Kourou französisches Staatsgebiet ist. Der hohe Sicherheitsstandard für eine Weltraummission soll dann auch wieder für die irdische Nukleartechnik Fortschritte bringen.
Unabhängig von der ECSAT-Eröffnung, aber in Verbindung damit, wurde am gleichen Tag in Harwell-Oxford das Satellite Application Catapult („Satellitenanwendungskatapult“) offiziell eröffnet. In das Wort „Katapult“ darf man nicht zu viel hineininterpretieren. Es handelt sich um ein Technologie- und Innovationszentrum für Satellitenanwendungen, in welches 2013 über das britische Technology Strategy Board umgerechnet rund 12 Mio. Euro öffentliche Gelder investiert werden. Für den Standort in Harwell-Oxford sprach nach Ansicht des Boards, dass dort neben der ESA unter anderem das International Space Innovation Centre (ISIC), das Science and Technology Facilities Council (STFC) und die Rutherford Appleton Laboratories (RAL) bereits angesiedelt sind. Insgesamt befinden sich auf dem Harwell-Oxford-Campus 150 Firmen und Organisationen, angefangen bei Neugründungen bis hin zu multinationalen Konzernen. Die Bandbreite der Tätigkeitsgebiete reicht von Raumfahrt über Gesundheit, digitale Kommunikation, Kryotechnik bis hin zu erneuerbarer Energie.
Das ECSAT wird die bestehenden Spitzenkapazitäten der ESA im Europäischen Weltraumforschungs- und -technologiezentrum (ESTEC) in den Niederlanden, im Europäischen Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Deutschland, im Europäischen Institut für Weltraumforschung (ESRIN) in Italien, im Europäischen Weltraumastronomiezentrum (ESAC) in Spanien, im Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Deutschland und im Zentrum von Redu in Belgien, die gemeinsam mit der Hauptverwaltung in Frankreich die Hauptinfrastruktur der ESA bilden, ergänzen.
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- ESA (ab Mai 2013)