Für Gaia beginnt nun der Routinebetrieb

Ende Juli 2014 wurde die Kommissionierungsphase des am 19. Dezember 2013 gestarteten Satelliten Gaia abgeschlossen. Damit nimmt die ESA-Sonde, deren Hauptaufgabe die Kartographie der Milchstraße in nie dagewesenem Umfang ist, den wissenschaftlichen Betrieb auf. Die Inbetriebnahme verlief nicht ohne negative Überraschungen und dauerte daher etwas länger als geplant. Die Missionsziele sollen aber im Wesentlichen erreicht werden können.

Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: ESA, Raumcon.

Man mag es kaum glauben, aber das gängige Bild einer Draufsicht auf unsere Heimatgalaxis ist wissenschaftlich nicht so gesichert, wie man meint. Es wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten einfach zu wenige Sternpositionen und –bewegungen exakt genug bestimmt, um durch Hochrechnung einigermaßen sichere Aussagen über die (Fein-)Struktur der Spiralarme machen zu können. Damit soll Gaia in den kommenden fünf Jahren nun Schluss machen. Wenn von geschätzten 100 (bis 300) Milliarden Milchstraßensternen etwa eine Milliarde hinsichtlich Position, Bewegungsrichtung, Temperatur und Lichtspektrum bis zu 70 mal analysiert werden, sollte man eine ausreichende Stichprobe für Hochrechnungen aller Art haben. Neben belastbaren Aussagen zur Form der Milchstraße ist dabei die Bewegung der Milchstraßenarme von Interesse, die sich dann über Jahrhunderttausende zurück und nach vorne berechnen lässt. Das erlaubt dann zum Teil Berechnungen für Sektoren, die von der Erde aus gesehen durch das Milchstraßenzentrum verdeckt werden. Natürlich muss man die Lichtlaufzeiten von oft mehreren 10.000 Jahren berücksichtigen, möchte man die aktuelle Form der Milchstraße ermitteln.

ESA/ATG medialab (Gaia) mit ESO/S. Brunier (Hintergrund)
Gaia vor der Milchstraße – künstlerischer Impression
(Bild: ESA/ATG medialab (Gaia); ESO/S. Brunier (Hintergrund))

Der wissenschaftliche Erfolg von Gaia hängt maßgeblich von der Messgenauigkeit in der Stichprobe ab. Ein Großteil der Kommissionierungsphase war folgerichtig für die Feinjustierung des Teleskop- und Kamerasystems reserviert. Negativ überrascht war man bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA jedoch gleich zu Beginn der Mission, als Spuren von Wasser im Vakuum den Weg auf einige Teile der Optik fanden und dort festfroren. Das schränkte die Leistungsfähigkeit der beiden Teleskope zwangsläufig ein. Das Problem konnte durch Aufwärmen der betroffenen Teile zunächst weitgehend behoben werden. Bei der ESA befürchtet man jedoch, dass noch ein bis zwei Wiederholungen der Prozedur notwendig sind, um die Gefahr dauerhaft zu beseitigen.

Als nächstes Problem kam ein höher als theoretisch berechneter Streulichteinfall hinzu. Die Wissenschaftler und Techniker vermuten, dass sowohl Sonnenlicht am zehn Meter durchmessenden Schutzschirm vorbei auf die Teleskopoptik fällt, als auch das Licht astronomischer Objekte intensiver wirkt als gedacht. Für Sterne bis zu einer Leuchtkraft der Magnitude 15 (15 mag) ist der Streulichteinfluss vernachlässigbar. Zum Vergleich, das menschliche Auge kann unter optimalen Bedingungen Sterne mit 6 mag, üblicherweise eher nur mit 4 mag wahrnehmen. Der Zwergplanet Pluto hat 14 mag. Die Magnituden-Skala ist logarithmisch angelegt, dass heißt, je mit höherem Magnituden-Wert nimmt die Lichtstärke eines Objektes überproportional ab. Für Gaia bedeutet dies, dass bei Objekten ab 15 mag der Fehler bei der Positionsberechnung zunächst zwar langsam ansteigt, bei 20 mag aber bereits 50 Prozent beträgt. Das dürfte für die weiteren Auswertungen mehr oder weniger unbrauchbar sein. Allerdings stellen 20 mag auch die theoretische Wahrnehmungsgrenze der Gaia-Kamera dar.

Negative Effekte des Streulichtes sind zudem bei der Genauigkeit der Helligkeitsmessungen zur erwarten. Auch dies wird seitens der ESA nicht weiter dramatisiert. Gravierender sind aus ihrer Sicht die Auswirkungen auf Messungen mit dem Radial Velocity Spectrometer (RVS). Damit soll die Radialgeschwindigkeit, dass heißt, die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne auf Gaia (oder unsere Sonne) zu oder weg bewegen, ermittelt werden. Bei schwach leuchtenden Sternen wird dies nun schwieriger. Abhilfe soll die Optimierung der Bordsoftware bringen. Störende Streulichteinflüsse werden damit künftig zum Teil herausgerechnet. Guiseppe Sarri, Gaia Projektmanager bei der ESA, ist optimistisch, dass durch diese Maßnahme die als konservatives Ziel in den Raum gestellte RVS-Messung bei 150 Millionen Sternen mehr oder weniger erreicht wird. Gaia wird laut Sarri trotz der Handicaps weiterhin rund eine Milliarde Sterne photo- und astrometrisch untersuchen, und dies 100 mal präziser als der Gaia-Vorgänger Hipparcos. Die Hipparcos-Mission fand von 1989 bis 1993 statt. Dabei wurden 118.000 Sterne mit höchster und eine Million Sterne mit geringerer Genauigkeit vermessen.

Weitere Tests während der Kommissionierungsphase zeigten Wege auf, wie eventuell auch Sterne schwächer als 20 mag ausreichend gut vermessen werden können. Umgekehrt sollen Softwareverbesserungen auch die Beobachtung sehr heller Sterne erlauben, die bislang vorsorglich zum Schutz des empfindlichen Bilderfassungssystems ausgeschlossen sind. Beide Erweiterungen bedürfen aber noch genauerer Analyse, bevor sie umgesetzt werden.

ESA
Einfallswinkel des Sternenlichts auf die beiden Telekope, bevor es über mehrere Spiegel auf den Bilddetektor mit einer Milliarde Pixel geht (Animation hier) .
(Bild: ESA)

Weitere Probleme bereiten die thermisch bedingten Veränderungen des Ausrichtungswinkels zwischen den beiden Gaia-Telekopen. Die Bewegung der beiden Chassis-Arme war wegen der langsamen Rotation von Gaia und daher ungleicher Wärmeverteilung im Innern erwartet worden und wird Laser-gestützt überwacht. Die gemessene Winkelvariation ist jedoch größer als angenommen. Die erfordert nun zusätzlichen Aufwand bei der Messung der Winkelvariation. Mit diesen Messwerten sollen spätestens im Zuge der allgemeinen Auswertung der Gaia-Daten die durch die Winkel-Variation bedingten Fehler weitgehend korrigiert werden können.

Neben der Satelliteninbetriebnahme wurde im Rahmen der Kommissionierung auch die Datenübermittlung zu den Bodenstationen und die anschließende Verteilung, Sicherung und Verarbeitung der zu erwartenden großen Datenmengen geprobt. Nachdem dies zufriedenstellend verlief, ist Gaia nun bereit für den Routinebetrieb. Wissenschaftliche Daten werden voraussichtlich erstmals im Sommer 2016 in größerem Umfang Forschern und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Besondere Ereignisse kurzlebiger Natur, wie zum Beispiel eine Supernova, sollen voraussichtlich ab Ende 2014 so schnell wie möglich veröffentlicht werden.

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