Komet ISON: Auflösung oder Jahrhundertkomet?

Bereits seit mehreren Monaten beschäftigt der Komet ISON sowohl Amateur- als auch Berufsastronomen. Während der letzten Woche verzeichnete der Komet einen deutlichen Helligkeitsanstieg und ist gegenwärtig bereits mit dem bloßem Auge am Morgenhimmel erkennbar. Eventuell wird ISON in wenigen Wochen einen spektakulären Anblick bieten – oder aber die anstehende Sonnenpassage nicht überstehen und sich stattdessen in diverse kleinere Fragmente auflösen.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, NASA.

Adam Block, Mount Lemmon SkyCenter, University of Arizona
Der Komet ISON, aufgenommen am 8. Oktober 2013 mit dem 80-Zentimeter-Teleskop des Mount Lemmon Observatoriums in Arizona/USA.
(Bild: Adam Block, Mount Lemmon SkyCenter, University of Arizona)

Bei den Kometen handelt es sich um unregelmäßig geformte, maximal lediglich wenige Kilometer durchmessende Objekte aus gefrorenen Wasser, Trockeneis, Kohlenmonoxid, Ammoniak und Methan mit Beimengungen aus silikathaltigen, meteoritenähnlichen Staub- und Gesteinspartikeln, bei denen es sich um Überbleibsel aus der Entstehungszeit unseres Planetensystems handelt. Sie umkreisen das Zentralgestirn unseres Sonnensystems normalerweise in sehr großen Entfernungen jenseits der Umlaufbahn des Planeten Neptun und sind dabei nicht beobachtbar. Durch gravitative Einflüsse werden jedoch von Zeit zu Zeit einige dieser Kometen auf Umlaufbahnen abgelenkt, welche sie auf einen Weg in das innere Sonnensystem befördern. Bei der dadurch erfolgenden Annäherung an die Sonne wird die Oberfläche der Kometen langsam aufgeheizt, was zu einer Freisetzung der zuvor gefrorenen Bestandteile von deren Oberflächen führt.

Die jetzt freigesetzten Gase entweichen von dem Kern des Kometen, wobei Teile der Staub- und Gesteinspartikel mitgerissen werden, und bilden zunächst eine den Kometenkern umgebende sogenannte „Koma“ aus, welche abhängig von der „Aktivität“ des Kometen einen Durchmesser von über 100.000 Kilometern erreichen kann. Von der Sonne ausgehende Sonnenwinde führen dazu, dass Teile dieser Koma aus der Umgebung des Kometen „weggeweht“ werden und einen bis zu mehrere Millionen Kilometer langen „Kometenschweif“ bilden.

Diese Kometenschweife sind es letztendlich, die den Kometen den Beinahmen „Schweifsterne“ eingebracht haben. Durch das teilweise beachtliche Schauspiel, welches sie am nächtlichen Himmel bieten, haben Kometen die Menschen seit langen Zeiten in ihren Bann gezogen. In historischen Zeiten wurden die Kometen dabei oftmals als Unglücksboten angesehen, welche von zukünftigen kriegerischen Konflikten, Seuchen oder Hungersnöten kündeten. Gegenwärtige Forschungen haben jedoch gezeigt, dass Kometen – neben Asteroiden – in der Frühphase unseres Sonnensystems für die Lieferung von Wasser und von chemischen Verbindungen, welche als die „Bausteine des Lebens“ angesehen werden, verantwortlich sind und dadurch wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass sich vor über drei Milliarden Jahren auf unserem Heimatplaneten Leben entwickeln konnte.

Thüringer Landessternwarte Tautenburg, Dr. Bringfried Stecklum
Der Komet ISON am Morgen des 29. September 2013, aufgenommen von Dr. Bringfried Stecklum am Alfred-Jensch-Teleskop der Landessternwarte Thüringen in Tautenburg bei Jena. Das Bild zeigt die aus Staub bestehende Koma, welche den Kometenkern umgibt, und den Staubschweif. Der Kometenkern selbst ist nicht sichtbar, da er von dem freigesetzten Staub überstrahlt wird. Das Bild ist eine Überlagerung aus zehn Einzelaufnahmen. Da sich der Komet während der Aufnahmen weiterbewegt hat, erscheinen die Hintergrundsterne als langgezogene Striche (hier in blauer Farbe).
(Bild: Thüringer Landessternwarte Tautenburg, Dr. Bringfried Stecklum)

Durch die regelmäßige Beobachtung des Nachthimmels durch Amateur- und Berufsastronomen, aber auch in zunehmenden Maße durch systematische Himmelsdurchmusterungsprojekte, werden mittlerweile jedes Jahr eine Vielzahl neuer Kometen entdeckt. Nur wenige dieser „Besucher des inneren Sonnensystems“ entwickeln jedoch in der Folgezeit einen ausgeprägten Schweif oder sind sogar mit dem bloßen Auge sichtbar. Dieser Fall könnte jedoch in den kommenden Wochen eintreten…

Der Komet ISON
Bereits am 21. September 2012 entdeckten die beiden Amateurastronomen Witali Njewski und Artjom Nowitschonok auf den Aufnahmen von einem der zehn Teleskope des International Scientific Optical Network (ISON) einen Kometen, welcher sich auf dem Weg in das innere Sonnensystem befand. Zum Zeitpunkt der Entdeckung war der Komet mehr als 950 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, erreichte trotz dieser großen Entfernung aber bereits eine Helligkeit von rund 18,8 mag. Berechnungen über die vermutlich zu erwartende Helligkeitsentwicklung schürten die Erwartung, dass der neu entdeckte Komet Ende November/Anfang Dezember 2013 einen spektakulären Anblick am nächtlichen Himmel bieten würde. Eventuell, so die Prognosen könnte der Komet dabei sogar die Helligkeit des Vollmondes erreichen und somit auch während des Tages als sogenannter „Tageskomet“ als heller Fleck unmittelbar neben der Sonne zu beobachten sein.

Dieser mit dem Namen C/2012 S1 (ISON) versehene Komet gehört zu den langperiodischen Kometen, welche sich auf extrem langgestreckten Umlaufbahnen um die Sonne bewegen. Er stammt somit sehr wahrscheinlich aus der Oortschen Wolke – einem Bereich des äußersten Sonnensystems, welcher vermutlich die Heimat von mehreren 100 Milliarden Kometen darstellt. Durch gravitative Störungen werden die Umlaufbahnen der dort befindlichen Kometen gelegentlich verändert, wodurch einige von ihnen in das innere Sonnensystem abgelenkt werden können. Die dabei erreichten Umlaufperioden dieser Kometen können dann von einigen zehntausend Jahren bis hin zu mehreren Millionen Jahren betragen.

Die bisherigen Berechnungen der Umlaufbahn von C/2012 S1 (ISON) haben ergeben, dass der Komet, dessen Kerndurchmesser etwa vier Kilometer betragen dürfte, sich jetzt – mehr als 4,5 Milliarden Jahre nach seiner Entstehung – möglicherweise zum ersten Mal dem inneren Bereich unseres Sonnensystems nähert. Aus diesem Grund gehen die Kometenforscher davon aus, dass der Kern von C/2012 S1 (ISON) noch über seine ursprüngliche Oberflächenzusammensetzung verfügt. Die Untersuchung dieser Zusammensetzung, so die Erwartung der Wissenschaftler, dürfte tiefere Einblicke in die Frühzeit unseres Sonnensystems ermöglichen und dabei helfen, verschiedene bisher ungeklärte Fragen – vom Ursprung des Lebens auf der Erde bis zur frühen Entwicklung unseres Sonnensystems – zu beantworten. Aus diesem Grund stellt dieser Komet nicht nur für Amateurastronomen, sondern auch für professionelle Wissenschaftler ein interessantes Beobachtungsziel dar und befindet sich dementsprechend seit seiner Entdeckung unter einer dauerhaften Beobachtung.

AstroFloyd (Wikipedia)
Der Bahnverlauf des Kometen C/2012 S1 (ISON) am Nachthimmel.
(Bild: AstroFloyd (Wikipedia))

Während seiner Anflugphase auf das innere Planetensystem zeigte der Komet eine starke Helligkeits- und Gasentwicklung, welche in erster Linie durch die Freisetzung von zuvor gefrorenem Kohlendioxid und wahrscheinlich auch Kohlenmonoxid verursacht wurde. Seit dem Sommer 2013 verdampfte zunehmend auch gefrorenes Wasser. Trotzdem blieb der Komet lange Zeit hinter den ursprünglich erstellten Prognosen über seine Helligkeitsentwicklung zurück.

Outburst
Im Verlauf der vergangenen Woche hat der Komet C/2012 S1 (ISON) jedoch deutlich an Helligkeit gewonnen. Vom 13. auf den 14. November 2013 erhöhte sich die Helligkeit des Kometen innerhalb von 24 Stunden um etwa zwei Größenklassen auf einen Wert von 5,3 mag. Diese Entwicklung hat sich anschließend in einer etwas abgeschwächten Form fortgesetzt, denn am 15. November berichteten zwei Amateurastronomen von zwei unterschiedlichen Beobachtungsstandorten aus Virginia und New Mexiko/USA übereinstimmend von einer scheinbaren Helligkeit von damals aktuellen 4,8 mag. Unmittelbar nach dieser Steigerung der Helligkeit erschien zudem der Schweif des Kometen deutlich länger und ausgeprägter. Mehrere zu beobachtende Plasmaschweif-Ströme lassen dabei auf verschiedene Aktivitätsgebiete auf der Oberfläche des Kometenkerns schließen.

Unter optimalen Beobachtungsbedingungen, sprich einem klaren und zugleich noch möglichst dunklem Himmel, ist der Komet unmittelbar vor Sonnenaufgang sogar ohne technische Hilfsmittel mit dem freien Auge im Bereich der Sternbilder Jungfrau und Waage am Morgenhimmel erkennbar. Speziell bei der Beobachtung mit einem Fernglas ist der Schweif, welcher sich mittlerweile visuell über eine Länge von drei Grad erstreckt, zu sehen. Mit einem Teleskop ist zudem die deutlich ausgeprägte Koma des Kometen erkennbar.

Wie lässt sich dieser „Outburst“ erklären?
Bedingt durch die zunehmende Erhitzung seiner Oberfläche, so die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Katlenburg-Lindau, könnten sich in den vergangenen Tagen ein einzelnes oder vielleicht sogar mehrere Bruchstücke vom Kern des Kometen ISON abgespalten haben. Darauf deuten zwei flügelartige Strukturen in der Koma des Kometen hin, welche Mitarbeiter des MPS und des Wendelstein-Observatoriums der Ludwig-Maximilians-Universität München in Aufnahmen, die am 14. und am 16. November 2013 erstellt wurden, sichtbar gemacht haben. Ein solches Ablösen einzelner Trümmerteile könnte möglicherweise den jüngsten Helligkeitsausbruch des Kometen erklären.

Observatorium Wendelstein der LMU, MPS
ISON hat in den letzten Tagen nicht nur an Helligkeit zugelegt, sondern auch „Flügel“ entwickelt.
(Bild: Observatorium Wendelstein der LMU, MPS)

Die Auswertung der angefertigten Aufnahmen zeigen zwei auffällige Strukturen in der Koma des Kometen, welche „flügelartig“ vom Kern ausgehen. In den am 14. November angefertigten Aufnahmen waren diese beiden Strukturen noch relativ schwach ausgeprägt. Zwei Tage später dominierten diese „Flügel“ die Aufnahmen dagegen bereits deutlich. „Solche Strukturen treten typischerweise auf, nachdem sich einzelne Bruchstücke vom Kern eines Kometen abgelöst haben“, so Dr. Hermann Böhnhardt vom MPS.

Ebenso wie der Hauptkern des Kometen geben auch dessen eventuell freigesetzten Bruchstücke Gas und Staub in das umgebende Weltall ab. In den Bereichen des Raumes, wo sich die Emissionen des Kometen und der kleineren Brocken treffen, entsteht eine Art Trennschicht, welche oftmals eine flügelartige Gestalt annimmt. Ob das eventuelle Abspalten von Bruchstücken auch für den zuletzt registrierten Helligkeitsanstieg von ISON während der vergangenen Tage verantwortlich ist, lasse sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, so Dr. Böhnhardt. Bei anderen Kometen sei ein solcher Zusammenhang jedoch nachgewiesen worden.

Allerdings, so andere Wissenschaftler, können die auch als Indiz für den beginnenden Zerfall des Kometenkerns gewerteten „Flügel“ innerhalb der Koma auch von Jets ausgelöst werden, welche ihren Ursprung auf der Oberfläche des Kometen haben. Sollten sich die „Flügel“ durch Jets gebildet haben, so wäre dies ein Hinweis darauf, dass der Komet gegenwärtig sehr aktiv ist. Sollten sich dagegen tatsächlich Teile vom Kern abgelöst haben, so ist für die weitere Entwicklung entscheidend, wie groß die abgebrochenen Teile sind. Werden sie sich als kleinere Kometen „selbstständig machen“ oder werden sie aufgrund ihrer geringen Ausgangsmasse relativ schnell verlöschen?

Mit dem bloßem Auge sind die flügelartigen Strukturen in den Aufnahmen nicht erkennbar. Erst durch numerische Verfahren können sie in nachträglich bearbeiteten Bildern sichtbar gemacht werden. Dafür durchsuchten die beteiligten Wissenschaftler des MPS die Koma des Kometen an ihren Computern auf Helligkeitsveränderungen des Kometen. Der gleichmäßig helle Hintergrund der Kometenkoma wird bei diesem Verfahren herausgerechnet und kann so die lichtschwachen Strukturen nicht mehr überstrahlen. „Unsere Rechnungen deuten darauf hin, dass sich nur ein Brocken abgelöst hat oder höchstens sehr wenige Trümmer freigesetzt wurden“, so Dr. Böhnhardt weiter.

In wenigen Tagen, nämlich am 28. November 2013, wird der Komet C/2012 S1 (ISON) seine dichteste Annäherung an die Sonne durchlaufen und diese ein einer Entfernung von lediglich etwa 1,2 Millionen Kilometern passieren. Dabei wird sich die Oberfläche von ISO auf Temperaturen von deutlich über 2.000 Grad Celsius erhitzen. Eventuell jetzt entstandene kleinere Sub-Kometen werden diese Sonnenannäherung sehr wahrscheinlich nicht überleben. Es bleibt von daher zu hoffen, dass noch ein relativ großer Kern intakt ist, welcher die Sonnenpassage übersteht und uns Anfang Dezember eine imposante Himmelserscheinung beschert!

Karl Battams, NASA-CIOC
Am 21. November 2013 geriet der Komet ISON in den Aufnahmebereich des Sonnenbeobachtungssatelliten STEREO-A. Neben ISON sind in dieser Aufnahme der Komet Encke, der Merkur und die Erde erkennbar.
(Bild: Karl Battams, NASA-CIOC)

Sollte der Komet die dichteste Phase der Sonnenannäherung tatsächlich unbeschadet überstehen und dabei nicht in eine Vielzahl kleinerer Objekte zerbrechen, so könnte uns C/2012 S1 (ISON) im Dezember 2013 einen wirklich spektakulären Anblick am Abendhimmel bescheren. Als Vergleich wird hierfür gerne der Komet C/2011 W3 (Lovejoy) herangezogen, welcher im Dezember 2011 für eine leider nur auf der südlichen Hemisphäre der Erde zu beobachtende beeindruckende „Show“ am Nachthimmel sorgte.

Jahrhundertkomet?
In einer vergleichbaren Distanz zu der Sonne, in der sich derzeit der Komet ISON befindet, erreichte der Komet C/2011 W3 (Lovejoy) lediglich eine Helligkeit von etwa 10 mag und war damit ein Objekt, welches ausschließlich mit Teleskopen zu beobachten war. Der Komet C/2012 S1 (ISON) erreicht dagegen gegenwärtig rund 4 mag ist damit etwa 100 mal heller! Diese Entwicklung nährt natürlich die Hoffnungen auf das Erscheinen eines wirklichen Jahrhundertkometen, welcher dann ab Anfang Dezember 2013 von der gesamten Nordhemisphäre der Erde aus am Nachthimmel zu beobachten wäre.

Allerding sind Kometen von Natur aus relativ unberechenbare Objekte, über deren zukünftige Entwicklung nur sehr schwer belastbare Prognosen erstellt werden können. Wie sich der Komet in den nächsten Tagen bei seiner Annäherung an die Sonne verhalten wird, ist dementsprechend noch unklar. „Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen jedoch, dass Kometen, die einmal Bruchstücke verloren haben, dazu tendieren, dies wieder zu tun“, so Dr. Böhnhardt.

In den nächsten Tagen wird die internationale Gemeinde der Kometenbeobachter bei der Beobachtung des Kometen ISON allerdings in erster Linie auf Daten angewiesen sein, welche von Raumsonden aufgezeichnet werden, welche eigentlich primär zur Beobachtung der Sonne eingesetzt werden. Sollte ISON diese Passage jedoch einigermaßen unbeschadet überstehen, so könnte dieser Komet am 27. Dezember 2013, dem Zeitpunkt seiner dichtesten Annäherung an die Erde, währen der gesamten Nacht zu beobachten sein und als regelrechter „Weihnachtsstern“ den Himmel dominieren.

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