24 Jahre nach dem enttäuschenden Vorbeiflug von Voyager 1 wird Cassini am 26. Oktober sehr nahe an Titan vorbeifliegen. Wissenschaftler spekulieren über die Landung von Huygens.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: UC Berkeley.
Am 14. Januar 2005 wird die Raumsonde Huygens in die orangefarbene Atmosphäre von Titan eintauchen und damit das erste Raumfahrzeug seit der Landung der sowjetischen Luna 24 auf dem Erdmond werden, das auf einem Mond unseres Sonnensystems landet.
Die Wissenschaftler rechnen mit einem Blindflug durch Kohlenwasserstoffnebel und Methanwolken hinunter zu einer Oberfläche, die aus Sieben-Kilometer-Bergen aus Eis und flüssigen Seen aus Methan bestehen könnte.
Das ist das Bild, das sich aus einer Serie von neun Artikeln abzeichnet – die Hälfte davon von Forschern der Universität von Kalifornien in Berkeley -, die letzten Monat in dem Journal „Geophysical Research Letters“ erschienen und detailliert zusammenfassen, was die Wissenschaft bisher über Oberfläche, Atmosphäre und Magnetfeld von Titan weiß. Dieser Überblick bereitet die Bühne für die Analyse neuer Daten, die bald von Cassini und Huygens erwartet werden.
Die Artikel gingen letztlich aus einem Treffen hervor, das von Professorin Imke de Pater von der Universität von Kalifornien im November 2003 veranstaltet wurde. Auf dem Treffen wurde diskutiert, was bisher über Titan anhand von Beobachtungen mit optischen, infraroten und Radarteleskopen bekannt ist, eingeschlossen das Hubble-Teleskop und das Keck-Zwillingsteleskop auf Hawaii.
Titan hüllt sich in eine mächtige, völlig undurchsichtige Schicht aus Wolken und Dunst, die diesen Mond zu einem der rätselhaftesten Himmelskörper im Sonnensystem macht. Von allen hat sich bisher Titan am hartnäckigsten und erfolgreichsten gegen jegliche Versuche gesträubt, ihm seine Geheimnisse zu entlocken.
Schon die Wissenschaftler der 1977 gestarteten Voyager 1-Mission starrten im November 1980 enttäuscht auf ihre Bildschirme, als die lange erwarteten Bilder vom Vorbeiflug nur einen trüben, orangefarbenen Ball ohne jegliche Oberflächendetails zeigten. Dabei hatten sie ihre wertvolle Raumsonde, um noch mehr Bilder und Messungen zu gewinnen, so um Titan herum gelenkt, dass sie auch dessen Polarregion überflog. Allerdings verließ Voyager 1 dadurch zwangsläufig die Planetenebene und war somit für weitere Planetenbeobachtungen verloren. Obwohl sie auch heute noch funktioniert und immer noch Daten übermittelt, wurde Voyager 1 in gewisser Weise also Titans wegen geopfert.
Auch die baugleiche Schwestersonde Voyager 2, die neun Monate später ebenfalls durch das Saturnsystem flog, konnte keine besseren Bilder erzielen, blieb allerdings in der Planetenebene und konnte so noch bis 1989 einzigartige Bilder von Planeten und Monden liefern.
Auch Beobachtungen von Titan mit Teleskopen brachten eher dürftige Resultate. Die Wissenschaftler erwarten nun, dass sich das bisherige, nur skizzenhaft bekannte Bild von Titans Oberfläche erheblich verbessern wird, wenn Cassini diesen Monat eine intensive Beobachtung von Titan beginnt: Am 26. Oktober wird die Raumsonde in nur 1.000 Kilometer Entfernung an Titan vorbei fliegen, näher als je eine Raumsonde zuvor und mit weit geöffneten elektronischen „Augen“, die nun besser als die der Voyager-Sonden auf die Gegebenheiten von Titan eingestellt sind. Denn die Erdlinge haben aus dem Fehlschlag von damals gelernt.
Obwohl die Infrarot-Kameras an Bord in der Lage sind, die Wolkenschicht zu durchdringen, lassen sie allerdings nur helle und dunkle Flecken auf der Oberfläche erkennen, die schwierig zu interpretieren sind. Um so mehr Bedeutung kommt der europäischen Raumsonde Huygens zu, die versuchen wird, auf Titan zu landen. Was Huygens auf der Titanoberfläche erwartet, wird man aber erst dann sicher wissen, wenn die Sonde an ihrem Fallschirm in einen Ozean plumpst oder auf festem Grund aufschlägt. Die Spekulationen der Wissenschaftler zeigen ihre Unsicherheit.
„Ausgehend von ihren Spektralmerkmalen könnten die hellen Gebiete, die mit den verschiedenen Erdteleskopen und Hubble beobachtet wurden, eine Mischung aus Felsgestein und Wassereis sein“, sagte Professorin de Pater. Solch eine Mischung erscheint relativ hell in Vergleich mit Substanzen wie Teer und Kohlenwasserstoffen, die nahezu alles Sonnenlicht in diesen Wellenlängen absorbieren und daher sehr dunkel erscheinen.
„Die dunklen Gebiete könnten flüssige Kohlenwasserstoffe sein“, sagte sie. „Aber sie alle sind noch ein Geheimnis.“
Einige Wissenschaftler haben vermutet, dass ein bestimmtes großes und helles Gebiet, genannt „Xanadu“, ein gebirgiges Gelände aus Fels und Eis sein könnte, das sich deswegen hell hervorhebt, weil Kohlenwasserstoff-Regen die dunklen, festen Kohlenwasserstoff-Substanzen ausgewaschen hat.
Der Berkeley-Student J. Taylor Perron und de Pater folgerten in einem der Artikel, dass solch ein Eiskontinent, der vorwiegend aus Wassereis besteht, allenfalls drei bis sieben Kilometer hoch sein könnte. Für einen Globus von weniger als dem halbem Erddurchmesser ist das dennoch eine beeindruckende Höhe.
Die Huygens-Sonde soll in einem dunklen Gebiet in der Nähe des Äquators landen. Es könnte also durchaus geschehen, dass sie in einer benzinähnlichen Brühe aus Kohlenwasserstoffen wie Methan, Propan oder Butan landet.
Da die Sonde schwimmfähig ist, erwarten ihre Konstrukteure, dass sie auch in diesem Falle nach der Landung noch Daten sendet. Es wird aber höchstens mit 45 Minuten gerechnet. Selbst eine Zeitspanne von nur ein paar Minuten wäre schon Grund zum Feiern.
Ausgestattet mit einer dicken, methanreichen Stickstoff-Atmosphäre fasziniert Titan die Wissenschaftler wegen seiner Ähnlichkeit mit der jungen Erde. Die Atmosphären von beiden, Titan und der frühen Erde, werden dominiert von nahezu derselben Menge von Stickstoff, und von der Chemie auf Titan erhofft man sich Hinweise auf die Ursprünge des Lebens auf unserem eigenen Planeten.
De Pater und der Chemiestudent Mate Adamkovics haben die adaptive Optik des Keck-Teleskops auf Hawaii benutzt, um den Kohlenwasserstoffdunst zu untersuchen, der den Mond einhüllt. Sie nahmen Bilder aus verschiedenen Höhen auf, angefangen bei 150 bis 200 Kilometern über der Oberfläche. In dem Film, den sie aus den einzelnen Bildern zusammensetzten, sieht man besonders viel Dunst in etwa 30 bis 50 Kilometer Höhe über dem Südpol.
Stratosphärischer Dunst in etwa 150 Kilometer Höhe ist über weiten Bereichen in der nördlichen Hemisphäre sichtbar, allerdings nicht in der südlichen, eine schon zuvor beobachtete Asymmetrie. Und in der Tropopause der südlichen Hemisphäre – der Grenze zwischen der tieferen Atmosphäre und der Stratosphäre in etwa 42 Kilometern Höhe – ist Zirrus-Dunst sichtbar, analog zu Zirruswolken auf der Erde.
Diese Beobachtungen bestätigen eine Theorie der Dunstentstehung, wonach das Sonnenlicht Dunstpartikel in großen Höhen von etwa 400 bis 600 Kilometer erzeugt, von wo sie zum südlichen „Winterpol“ geblasen werden, wo der Dunst sich als polare „Kappe“ sammelt. Die Dunstpartikel verteilen sich von da über den ganzen Mond, indem sie in niedrigen Höhen in die Sommer-Hemisphäre getragen werden.
Der Artikel über Laborversuche von Melissa Trainer von der Universtität von Colorado in Boulder schlägt vor, dass die Dunstpartikel dort polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sein könnten, wo die Methankonzentration hoch ist – um die zehn Prozent – während sie bei niedriger Methankonzentration vorwiegend langkettige Kohlenwasserstoffe sein könnten.
Huygens wird die Gaszusammensetzung bei ihrem Abstieg durch die Atmosphäre messen und dabei hoffentlich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Methankonzentration und Dunstzusammensetzung beantworten können.
Cassinis Beobachtungen von Titan während der nächsten vier Jahre dürften noch viel mehr Informationen über den Atmosphärendunst und die Oberflächengestalt enthüllen, aber auch neue Fragen aufwerfen. De Pater drängt die Astronomen auf der Erde, den Saturnmond weiterhin zu beobachten, „so dass die Cassini/Huygens-Daten mit den langfristigen Daten von Titans Jahreszeiten abgeglichen werden können“, schrieb sie.
De Pater selbst wird Titan am 15. Januar durch das Keck-Teleskop beobachten, wenn Huygens in der Atmosphäre verschwindet.
„Ich bin skeptisch, ob wir einen Meteoritenschweif sehen werden, wie einige vorhergesagt haben, aber unsere Beobachtungen werden uns ein gutes Bild von Titan zum Zeitpunkt des Sondeneintritts geben, was sehr wichtig sein könnte zur Kalibrierung der Messwerte“, sagte de Pater.