Zum Jahrestag des 1. bemannten deutschen Raumflugs

Zum 40. Jahrestag des Beginns der bemannten Weltraumfahrt in Deutschland 1978-2018: Ein Rückblick auf die Aktivitäten zum Jubiläum und einige Quergedanken dazu…

Ein Beitrag von Andreas Weise. Quelle: Veranstaltungsbesuch.

Wenn ich an Sigmund Jähn denke, bekenne ich offen: Ich verehre diesen Mann. Ganz früher hätte ich gesagt: Ich bin ein Fan von ihm. Aber das trifft heute nicht mehr den Kern. Dieser Mann ist ein Stück meiner Jugend. Er ist personifizierte Geschichte, mindestens für mich. Er ist ein Vorbild, damals und heute.

Sigmund Jähn 2018
(Bild: A. Weise)
Sigmund Jähn 2018
(Bild: A. Weise)

Nun sitze ich an meinem Schreibtisch und grübele, was ich als Nachlese zu seinem 40. Flugjubiläum schreiben soll. Viele Zeitungen haben sich im Vorfeld zu diesem Ereignis mit Jähn befasst. Soll ich meinen Beitrag bei Raumfahrer Net zu seinem 80. Geburtstag hervor holen und einfach noch mal „neu aufwärmen“? Da ist aus meiner Sicht fast alles gesagt. Wird das Sigmund Jähn gerecht? Geht es eigentlich nur um ihn? Oder ist das vielleicht am Thema vorbei? Wie heißt das Thema überhaupt? Sollte man das Ganze nicht einmal aus einer anderen Perspektive betrachten?

Nein, ich werde keine erneute Abhandlung über seinen Weltraumflug und sein Leben schreiben. Das haben andere schon zur Genüge getan und bestimmt auch besser als ich es je könnte. Ich werde versuchen, einige Randgedanken zu Papier zu bringen, die sonst nicht so viel Beachtung finden. Auf geht’s!

Die Presse
Berichterstattung ist heute im Informations-Zeitalter sehr kurzlebig. Kaum jemand hat noch die Zeit, ein Thema detailliert zu recherchieren und auszuarbeiten. Meistens wird nur an der Oberfläche gekratzt. Und trotzdem: Die Berichterstattung war zum Jubiläum von Jähns Flug diesmal sehr ausgiebig. Fast alle wichtigen überregionalen Zeitungen (sofern ich das abschätzen kann) brachten etwas. Das war nicht immer so.

Publikationen zum Raumflug Sigmund Jähns und der deutschen bemannten Raumfahrt
(Bild: A. Weise)
Publikationen zum Raumflug Sigmund Jähns und der deutschen bemannten Raumfahrt
(Bild: A. Weise)

Die Bandbreite reichte von der Verklärung als „Ost-Held“ und Identifikationsfigur für die ehemaligen DDR-Bürger bis hin zur intellektuellen Auseinandersetzung in unserer heutigen Zeit. Das Boulevardblatt Super-Illu brachte sogar eine Sonderausgabe heraus, nachdem schon im Mai eine Titelstory erschienen war. Dabei versuchte man entgegen manchen Befürchtungen tatsächlich, Inhalt zu bringen, und Jähn nicht nur als Ostidentifikationsfigur zwischen Sandmann, Achim Menzel und Spreewaldgurken anzusiedeln. Nein, hier war ich positiv überrascht. Andere Blätter brachten die in Raumfahrtfreundeskreisen längst bekannten Anekdoten. Hoch interessant fand ich den Beitrag im Wochenmagazin DIE ZEIT „Warum ist dieser Mann kein Held?“. Ja, warum eigentlich nicht? Leider konnte man den Beitrag nur online, bzw. in der Ost-Ausgabe lesen.

Vermisst habe ich bei allen Beiträgen die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Ereignis. 40 Jahre bemannte Raumfahrt in Deutschland. Was waren die wissenschaftlichen Ziele? Was wurde erforscht? Welche Ergebnisse konnten später genutzt werden? Wie ging es mit der bemannten Raumfahrt in Deutschland weiter? Welche Projekte gab es in den letzten 40 Jahren? Was ist mit den deutschen Frauen im Weltraum? Wie geht es aktuell weiter? All das wurde nicht angesprochen. Man konzentrierte sich ausschließlich auf die Person Jähn. Man hätte das Thema eben auch weiter fassen können. Das hätte aber auch mehr Mühe gemacht, sich mit dem Gesamt-Thema auseinander zu setzten.

Die Politik
Jähns Flug vor 40 Jahren war ein politisches Ereignis. Zweifellos haben sich die politischen Verhältnisse seit damals grundlegend geändert. Man könnte also versuchen, die Politik heraus zu lassen. Das ist aber leider so nicht ganz möglich.

Der politische Wille dokumentiert sich meistens durch die entsprechend agierenden Personen. So war es für den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau kein Problem und fast selbstverständlich, zum 25. Flugjubiläum nach Morgenröthe-Rautenkranz zu reisen, um dort seine Glückwünsche zu überbringen. Geschickt verband Rau das mit genau so herzlichen Wünschen an Ulf Merbold, der im selben Jahr sein 20. Flugjubiläum hatte.

Auch in Berlin, genauer im Land Berlin, weiß man Jähn zu schätzen. Jähn und Bykowski sind seit 1978 Ehrenbürger der Stadt. Auf der Webseite des Abgeordnetenhauses heißt es dazu:
Bei der Vereinigung der Ost- und Westberliner Ehrenbürgerlisten wurden sie wegen der „großen nationalen und internationalen Anerkennung“ ihrer wissenschaftlichen Leistungen übernommen. Zudem wurden damit „zwei noch lebende Persönlichkeiten als Ehrenbürger Berlins“ berücksichtigt, „die insbesondere den Berlinern der östlichen Stadtbezirke und darüber hinaus den neuen Bundesländern nachhaltig im Bewusstsein sind.“

Berlin ist für Deutschland manchmal wie ein Spiegel. Ich habe einen großen Teil meines Lebens im Nord-Osten von Berlin gelebt. Jeder Ost-Berliner hatte damals den Rummel und das laute Tam-Tam um den Flug direkt miterlebt. Im Westteil war das ganz anders. Fast Grabesruhe zu dem Thema. Eine gleichaltrige Kollegin von mir wohnte damals im Nord-Westen, circa 1.000 Meter Luftlinie von meiner Wohnung entfernt. Und trotzdem waren da Welten dazwischen. Sie wusste von nichts.

Heute lässt Berlins regierender Bürgermeister es sich nicht nehmen, seinem Ehrenbürger zum 80. Geburtstag zu gratulieren und ein Essen auszurichten.

Die Deutsche Raumfahrtausstellung
(Bild: A. Weise)
Die Deutsche Raumfahrtausstellung
(Bild: A. Weise)

In Sachsen weiß Ministerpräsident Kretschmer ebenfalls um die Bedeutung des gebürtigen (sächsischen) Vogtländers. Im Magazin Raumfahrt Concret schrieb er ein Grußwort. Hoch anzurechnen ist, dass Kretschmer an den Feierlichkeiten in Morgenröthe-Rautenkranz teilnahm.

Erwähnen möchte ich, dass im Sächsischen Amt für Statistik in Kamenz eine Büste von Jähn öffentlich aufgestellt ist. Wie mir die Pressestelle mitteilte, handelt es sich dabei um eine Leihgabe des Militärhistorischen Museums Berlin-Gatow. Eine weitere Büste befindet sich in Kamenz auf einem öffentlichen Platz und gehört der Stadt Kamenz.

Die „ersten“ Büsten von Jähn und Bykowski, aufgestellt 1978 im damals extra errichtetet Hain der Kosmonauten an der Archenholdsternwarte in Berlin, wurden nach der Wende demontiert, um sie vor Vandalismus zu schützen. Sie sind zusammen mit anderen Kunstwerken in Brandenburg fachmännisch archiviert. Ich glaube nicht, dass die beiden Herren jemals über eine Wiederaufstellung dieser Werke erfreut wären. Der Schöpfer, der Bildhauer Rommel, hatte mir einmal am Telefon erzählt, unter welchem zeitlichem Druck die Plastiken entstanden sind, und dass man ihnen das auch ansieht. Anmerkung: Der „Gagarin“ aus dem Hain der Kosmonauten steht heute perfekt restauriert im Raumflugplanetarium Cottbus.

Das alles soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Jähn offensichtlich nicht überall uneingeschränkte Freunde hat. Der Raumfahrtjournalist Kowalski stocherte offensichtlich in einem Wespennest, als er bei Bundeskanzlerin Merkel zu Jähn anfragte: Er wollte von Merkel eine Einschätzung der Person Jähn im geeinten Deutschland bekommen. Auch fragte er, warum der 80. Geburtstag vergessen wurde und ob das mit seiner ostdeutschen Herkunft zu tun hätte, bzw. wie man mit dem Flugjubiläum umzugehen gedenke.

Die Kanzlerin ließ Kowalski durch eine Mitarbeiterin mitteilen, dass die ostdeutsche Herkunft Jähns bei der Entscheidung keine Rolle gespielt habe, ihm nicht zu gratulieren. Auf Kowalskis Rückfrage, woran es denn sonst gelegen habe, bekam er keine Antwort.

Es ist zu hinterfragen, ob das alles mit dem neuen Traditionserlass der Bundeswehr in Zusammenhang steht. Man könnte auch vermuten, dass man hier in vorauseilendem Gehorsam einer mutmaßlichen „Verherrlichung der DDR“ nicht das Wort reden wollte. Und dann wäre ja noch das Verhältnis zu Russland, bzw. zur Sowjetunion.

Natürlich wäre der Flug nicht durch die Unterstützung der Sowjetunion möglich gewesen, die die gesamte technische Basis inklusive der Ausbildung und der Kosmonauten-Kollegen bereitstellte, und natürlich davon auch profitierte. Wer Jähn ehrt, muss auch Bykowski ehren.

Und natürlich hatte die Sowjetunion ein explizites Interesse, den ersten Deutschen ins All zu befördern. Es herrschte eine Propagandaschlacht im Kalten Krieg. Dass die DDR sich diesen Flug aber auch teuer erkauen musste durch die Bereitstellung von wissenschaftlich-technischen Ressourcen und Höchstleistungen, wird meist unterschlagen.

MKF-6 in Morgenröthe-Rautenkranz 2015
(Bild: T. Weyrauch)
MKF-6 in Morgenröthe-Rautenkranz 2015
(Bild: T. Weyrauch)

Die MKF-6-Kamera beispielsweise muss ein großes Minus-Geschäft für die DDR gewesen sein, da sie nicht international vermarktet werden durfte. Aber das interessiert heute keinen. Es ist längst vergangene Geschichte. Übrigens enthüllte Jähn auf einer Veranstaltung der Leipnitz-Sozietät unlängst, dass die DDR sich einen zweiten Weltraumflug von der Sowjetunion hätte kaufen können. Dieses Vorhaben scheiterte am Geld. Rund 7 Millionen US-Dollar hätten gezahlt werden müssen, was die DDR damals nicht konnte. Frage: Wie Teuer ist heute ein Sitz in der Sojus eigentlich…?

Doch zurück zur Politik. Es sind die feinen, subtilen Signale, bei denen man nicht genau weiß, wie man sie deuten soll… oder ob man da etwas heraus liest, was vielleicht gar nicht vorhanden ist. Es sind die nicht gesagten Worte, das Schweigen und das wie zufällig Übergehen, das nicht machen, was nur vermuten lässt, wohin die politische Sichtweise gesteuert werden soll, ohne das es jemand ausspricht.

So könnte es auch ein einfaches Versehen gewesen sein, das Kanzlerin Merkel beim Start von Alexander Gerst bei der Aufzählung und Dank an die ISS-Partner ausgerechnet Russland „vergaß“. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Ohne Russland gäbe es heute zwar keine ISS, aber Russland ist zur Zeit „nicht gerade in“. Und die ehemalige DDR reduziert sich in der geschichtlichen Betrachtung mancher auf die Verbrechen der Stasi und brutalste Unterdrückung. Folgerichtig passt eine Würdigung Jähns Raumflug da nicht hinein. Insbesondere für die, die Jähn persönlich kennen und die mit ihm gearbeitet haben, ist das alles unverständlich.

„Wenn Staaten sterben, sterben zuerst ihre Helden“, schrieb die DIE ZEIT. Recht hat sie.

Das DLR
Beim genauen hinsehen muss man sagen: Das DLR hatte und hat aus meiner Sicht immer versucht, den Flug Jähns und seine Person in der geschichtlichen Reflexion korrekt einzuordnen. Beispielhaft dafür war die Gestaltung des Ausstellungsstandes des DLR auf der Luft-und Raumfahrtausstellung MAKS 2017 bei Moskau. Dort wurden auf einem großen Zeitstrahl die bemannten Raumfahrtaktivitäten Deutschlands dargestellt. Und dieser begann wie selbstverständlich im August 1978.

Der ehemalige DLR- und jetzige ESA-Chef Wörner wusste immer ganz genau, was er an Jähn hatte und hat, wie Jähn durch sein Wirken als Verbindungsmann im Sternenstädtchen so manchen Stein vor angehenden westeuropäischen Kosmonauten aus dem Weg räumte. Dieses Wirken Jähns für Deutschland und Europa beim russischen Raumfahrtpartner wird heute noch hoch geschätzt von all denen, die dabei waren und es selber erlebten. 2014 zum ersten Start von Alexander Gerst wird Jähn, längst Pensionär, nach Baikonur mitgenommen. Man kann nur vermuten, dass dies auch als Zeichen für den russischen Partner gedacht war, sich die Zusammenarbeit im Weltraum trotz tagespolitischer und weltpolitischer Streitereien nicht ganz kaputt machen zu lassen. Man erinnere sich: Russland hatte sich gerade die Krim einverleibt und eine Sanktionswelle jagte die andere.

Zu seinem 80. Geburtstag wurde Jähn im Februar 2017 von der DLR-Chefin Pascale Ehrenfreud beim DLR in Köln beglückwünscht und seine Verdienste gewürdigt.

2018 geht es nicht (nur) um Jähn, sondern um die Erstleistung, den ersten Deutschen in den Weltraum gebracht zu haben. Folgerichtig titelte das DLR-Magazin in einem Beitrag: „Unser Gagarin heißt Jähn“. Eine plakative, aber richtige Aussage! Hut ab vor dem Mut des DLR, so etwas zu bekennen!

Eine Betrachtung dessen, was am 25. und 26. August 2018 in Morgenröthe-Rautenkranz ablief, ist vor diesem Hintergrund zu bewerten. In Morgenröthe-Rautenkranz fand die zentrale Festveranstaltung zum 40. Jahrestag des Ersten Deutschen im All statt.

Morgenröthe-Rautenkranz 25./26. August 2018
Es sind die Momente, die Ereignisse, die Veranstaltungen, bei denen man erst nach Tagen so richtig realisiert, was abgelaufen ist, was man erlebt hat, erleben durfte.

In der Reflexion ist für mich zu sagen: Die Veranstaltung „Deutsche im All – Es begann 1978“ war das Beste, was die Mitarbeiter, Freunde, Unterstützer und alle anderen helfenden Hände auf die Beine gestellt haben. Allein die Wahl des Veranstaltungstitels zeugte von Weitsicht. Der Bogen sollte von Anfang an über Jähn hinaus gespannt sein. Dazu wurde auch Danke der ESA, dem DLR, dem Land Sachsen und vielen anderen gesagt. Die Organisation war perfekt und wurde konsequent durchgezogen. Der Eintritt war nur für geladene und angemeldete Gäste. Das war zwingend notwendig, um den Sicherheitsauflagen genüge zu tun. Denn auf einen ungebremsten Ansturm wären die Räumlichkeiten nicht ausgelegt gewesen. Für die, die keinen Stuhl im Innenraum hatten, wurde die Veranstaltung nach draußen auf eine zweite riesigen Multimedia-Leinwand übertragen. Die Video- und Tontechnik funktionierte. Die Satellitenübertragung stand. Die Zuwegungen waren durch die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr gesichert. Und sogar die Abfahrt vom Parkplatz war perfekt ausgeschildert. Man hatte sich selbst übertroffen. Auch das Wetter spielte mit. Es war nicht zu heiß und nicht zu kalt. Sogar die fast traditionelle „Schlacht“ zur Autogrammstunde lief geordnet ab. Aber das hier Beschriebene bildete ja nur die Rahmenhandlung um das eigentliche Ereignis. Laut Angaben des Veranstalters waren ungefähr 200 Gäste im Saal und circa 4.000 im Außenbereich, um das Ereignis zu verfolgen. Wie kam es dazu?

Das DLR muss irgendwann vor der Frage gestanden haben: Wie gehen wir mit dem 40. Flugjubiläum von Sigmund Jähn um? Es handelt sich ja schließlich um den Beginn der bemannten Raumfahrt in Deutschland. Und dann gab es vermutlich noch die Frage, wie geht die Bundespolitik in Berlin damit um? Die Bundespolitik hatte ja entsprechende Signale gesetzt, die eher auf ein Stillschweigen und Aussitzen zum Ereignis hinaus liefen. Was also tun?

Eigentlich wäre zu diesem Anlass eine Festveranstaltung im Herzen der Deutschen Raumfahrt beim DLR in Köln angebracht gewesen. Ich sehe es richtig vor mir: Ein Geigenquartett hätte ernste Musik gespielt. Jemand aus der Politik hätte eine mehr oder weniger bedeutsame Rede gehalten. Alle wären total steif und offiziell gewesen. Anschließend hätte es Smalltalk am kalten Büffet gegeben. Wer weiß, wer alles gekommen wäre, bzw. wer nicht. Und die Hauptperson, um die es eigentlich ging, hätte sich vielleicht nicht wohl gefühlt. In dieser Zwickmühle muss man auf die Idee gekommen sein, das Ganze vom „Großen Festsaal“ ins „Wohnzimmer“ zu verlagern.

Die Bezeichnung „Wohnzimmer“ stammt übrigens von Astronaut Reinhold Ewald, der die Deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz liebevoll als „Wohnzimmer der deutschen Astronauten“ bezeichnet hatte. Damit wurden mehrere Fliegen mit einer einzigen Klappe erschlagen. Zunächst war man aus dem Sichtkreis der Bundespolitik hinter die Vogtländischen Berge abgetaucht. Das DLR musste keine steife, offizielle Festveranstaltung ausrichten. Die Deutsche Raumfahrtausstellung trat nun als Ausrichter auf. Die Morgenröther ihrerseits fühlten sich geehrt und in der Wahrnehmung als der zentrale Punkt, wo Deutsche Raumfahrtgeschichte nicht nur ausgestellt, sondern manchmal auch ein wenig fortgeschrieben wird, bestätigt. Und das in ihrer Bedeutung unabhängig von der etwas verkehrstechnisch nicht optimalen Anbindung! Das DLR revanchierte sich mit einer tatkräftigen Unterstützung. Wer was im Einzelnen „gesponsert“ hat, ob DLR, ESA etc. ist dabei egal.

Wichtig war, es war alles da und funktionierte. Während der Veranstaltung konnte man in den Augen von DLR-Pressesprecher Andreas Schütz nur Freude sehen. So zumindest mein Eindruck. Die Wahl des Ortes hatte auch den Effekt, dass nur die kamen, die auch wirklich kommen wollten. Ohne Ausnahme war es für alle Gäste keine „Pflicht“ sondern eine „Kür“, anwesend zu sein. Am Rande der Veranstaltung konnte ich mich zum Beispiel mit Volker Schmid vom DLR aus Bonn (ISS-Horizons-Mission) unterhalten. Der gestand, dass er unbedingt mal nach Morgenröthe-Rautenkranz kommen wollte, um das alles selbst zu sehen. Andere hochrangige Gäste, wie ESA-Chef Wörner, waren schon fast von selbst gesetzt. Wörner hatte schon als DLR-Chef die Raumfahrtausstellung und die dort stattfindenden Aktivitäten seit Jahren tatkräftig unterstützt. Die derzeitige DLR-Chefin befand sich auf einer Auslandsreise, wie mir Andreas Schütz verriet, und konnte somit der Veranstaltung nur mittels Grußbotschaft indirekt beiwohnen.

Hinzu kam, dass neun Raumfahrer anwesend waren, sechs deutsche, zwei russische und ein tschechischer. Die Landespolitik Sachsens wurde von keinem geringeren, als Ministerpräsident Kretschmer vertreten, was als Anerkennung und große Ehre empfunden wurde. Die Russische Botschaft hatte einen Vertreter gesandt, der die Glückwünsche von Roskosmos überbrachte. Alles in allem ein großes Aufgebot. Es gab Grüße aus dem Sternenstädtchen. Ein Schulfreund Jähns erzählte etwas aus dem gemeinsamen Lebensabschnitt. Alle anwesenden deutschen Raumfahrer überbrachten Jähn in sehr persönlichen Worten ihre Glückwünsche.

Die Luftrettung Bad Saarow taufte ihren Hubschrauber auf den Namen Sigmund Jähn und der Preis Deutscher Raumfahrtvereine „Silberner Meridian“ wurde verliehen. Prof. Marek vom Entwicklerteam der MKF-6 war im Publikum zu sehen. Bei Ihm hatte Jähn auf dem Gebiet der Fernerkundung promoviert.

Gefreut habe ich mich über die Teilnahme von Eberhard Köllner. Für Ihn muss das nicht immer einfach gewesen sein. An den Ersten erinnert man sich immer. An das Double eher weniger.

Für die Anwesenden im Saal war die Veranstaltung fast wie ein Klassentreffen. Viele kannten sich und waren erfreut, einander wieder einmal zu treffen. Das alles gab der Veranstaltung von Anfang an eine gewisse Wärme. Man war unter (Raumfahrt-)Freunden.

Höhepunkt war zweifellos die Live-Schaltung zur ISS zu Alexander Gerst. Ein großer logistischer Aufwand, der hier betrieben wurde. Es ist müßig, alle Beiträge während der Veranstaltung nun noch einmal zu rekapitulieren. Inzwischen kann man, mit etwas Suchen, das auch im Netz als Video finden.

Raumfahrer aus Deutschland
(Bild: A. Weise)
Raumfahrer aus Deutschland
(Bild: A. Weise)

Für mich bleiben drei Bilder haften:
Zum einen das Bild, als alle anwesenden deutschen Raumfahrer mit Jähn zum Gruppenfoto auf der Bühne stehen. Ewald hatte es knapp formuliert bei der Live-Schaltung zu Gerst: Jähn ist der Vater und Großvater aller deutschen Raumfahrer. Eine größere Anerkennung konnte es von dieser Seite nicht geben.

Jan Wörner weist auf Verbleib des Sojus-29-Landeapparats hin
(Bild: A. Weise)
Jan Wörner weist auf Verbleib des Sojus-29-Landeapparats hin
(Bild: A. Weise)

Das zweite für mich wichtige Bild stammt aus Wörners Vortrag. Fast wie nebenbei zeigte Wörner einen Zeitungsausschnitt aus dem Berliner Kurier mit der Überschrift: „Sigmund Jähn – Das Militär hält seine Raumkapsel gefangen“, um gleich danach zu sagen, dass diese Kapsel eigentlich nach Rautenkranz gehöre. Der Applaus brandete auf. Natürlich wird Wörner nicht in der Lage sein, die Kapsel mal so nebenbei nach Morgenröthe-Rautenkranz zu holen, was wieder von einigen Optimisten gehofft wurde. Allerdings hat er sich öffentlich geäußert. Der „Konflikt“, oder besser, die Diskussion über den Umgang mit Jähns Rückkehrkapsel ist ja fast so alt wie das Militärhistorische Museum Dresden in seiner jetzigen Form selber. Aber es ging noch weiter.

Alexander Gerst zeigt Sojus-29-Modell in der ISS
(Bild: A. Weise)
Alexander Gerst zeigt Sojus-29-Modell in der ISS
(Bild: A. Weise)

Denn das dritte Bild zeigt Alexander Gerst in der ISS mit einem Modell der Kapsel Sojus 29. Alles kann nur als Signal verstanden werden, die Angelegenheit mit der an der Decke aufgehängten „29“ im Militärhistorischen Museum in Dresden nicht als endgültig zu betrachten. Eine tolle Aktion und Dank an die Akteure.

Bleibt nur noch anzumerken, dass die Veranstaltung für die eigentliche Hauptperson bestimmt eine einzige riesige Freude gewesen sein muss. Mein Eindruck: Manche Träne der Rührung war trotz großer Bemühungen nicht zu unterdrücken.

Lieber Sigmund! Ich wünsche Dir alles Gute Glück und Gesundheit! Auf ein baldiges Wiedersehen in Morgenröthe-Rautenkranz, oder anderswo.

Die Fanfaren sind nun verklungen. Die Reden gehalten. Es kehrt wieder Ruhe ein. Es war eine würdige Veranstaltung. Wer sich also in Ruhe der Person Jähn etwas nähern will, dem empfehle ich… nein, nicht das Super-Illu-Sonderheft.

Bücher zu und über Sigmund Jähn
(Bild: A. Weise)
Bücher zu und über Sigmund Jähn
(Bild: A. Weise)

Auf dem Büchermarkt gibt es die autorisierte Biografie von Horst Hoffmann „Sigmund Jähn – Rückblick ins All“. Wer Glück hat, kann davon noch ein Exemplar der Erstauflage unter dem Titel „Sigmund Jähn – Der fliegende Vogtländer“ antiquarisch ergattern. Diese ist um einige Seiten stärker. Ergänzend dazu gibt es das Buch „Die Deutschen im Weltraum – Zur Geschichte der Kosmosforschung in der DDR“, ebenfalls von Hoffmann. Leider auch nur noch antiquarisch.

Nachtrag: Die „29“, die Bundeswehr und das Museum in Dresden
Vielleicht verstehen einige Leser die Andeutungen von Wörner und Gerst in Richtung Militärhistorisches Museum Dresden (MHM) nicht. Wieso ist es zu dieser Disharmonie und dem scheinbar unlösbaren Problem gekommen?

Dazu muss man fragen: Was hat denn die Bundeswehr mit dem ersten Deutschen im All zu tun? Genau genommen gar nichts! Und Jähn als ehemaliger Kampfpilot war nie in der Bundesluftwaffe. Aber die hat sein „technisches“ Erbe angetreten. Und hier liegt ein Problem. Jähn wurde Ende 1990 mit der Wiedervereinigung sang und klanglos aus dem Armeedienst entlassen. Um es plakativ zu sagen: Es gab keinen großen Zapfenstreich.

Am 28. September 1990, also fünf Tage vor der Deutschen Einheit, erhielt der damalige Generalmajor der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der DDR einen entsprechenden Brief aus dem von Rainer Eppelmann (CDU) geleiteten Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR.

Es lohnt sich hier, aus dem Schreiben zu zitieren: „Den Tag Ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienst in den Reihen der Nationalen Volksarmee möchte ich zum Anlass nehmen, Ihnen für Ihre gewissenhafte militärische Pflichterfüllung sehr herzlich zu danken. In 35 Jahren des Dienstes in den bewaffneten Organen der Deutschen Demokratischen Republik haben Sie in der festen Überzeugung, damit vor allem dem Volk und dem Frieden zu dienen, erfolgreich und mit hoher Bereitschaft alle Ihnen gestellten Aufgaben erfüllt und so zum Schutz des friedlichen Lebens der Bürger unseres Landes beigetragen. Ihr von hoher Ehrlichkeit und Engagement geprägtes Eintreten für die Erhaltung des Friedens und die Vermeidung weiterer Gefährdung dieser Welt sowie Ihre Tätigkeit zur Wissenschaftlichen Erschließung der Ergebnisse des Weltraumfluges brachten Ihnen eine hohe internationale Anerkennung und die Zuneigung unserer Menschen ein.“ (Quelle: Rückblick aus dem All, Seite 220).

Die Entlassung war auf den 2. Oktober terminiert. Das Schreiben war gezeichnet vom damaligen Staatssekretär Werner F. Ablaß. Und dieser war damals und später nicht irgendwer. Er saß am Kabinetttisch der letzten DDR-Regierung. Ablaß leitete später von 1990 bis 1996 die Außenstelle des Bundesministeriums für Verteidigung in Strausberg, war 1997 bis 2011 Beauftragter für Sonderaufgaben im Bereich der Bundeswehr in den neuen Ländern und anschließend Berater der Bundeswehr.

Mit Jähn selber wollte die Bundeswehr nichts zu tun haben. Sein „materielles Erbe“ hat sie aber angenommen.

Die Bundeswehr ist nun Besitzer von einigen sehr bedeutenden Exponaten vom damaligen Raumflug, die heute Diskussionsstoff bieten. Und Schuld daran ist… die ehemalige Führung der DDR! 1981 wurde die Landekapsel Sojus 29 und andere Exponate, mit der der erste Deutsche aus dem All zurückgekehrt war, als Staatsgeschenk an die DDR übergeben.

Der damaligen politischen Richtung folgend, wurde alles dem Militärmuseum der DDR in Dresden anvertraut, wo eine entsprechende Sonder-Dauer-Ausstellung existierte. Obwohl man immer den friedlichen und zivilen Charakter des Raumfluges betonte, konnten die Verantwortlichen in letzter Konsequenz offensichtlich nicht über ihren Schatten springen. So kam die „zivile“ Landekapsel, mit der ein sowjetischer Oberst und ein Oberstleutnant der NVA geflogen waren, folgerichtig in ein Militärmuseum.

Hätten die Verantwortlichen mehr politisches Fingerspitzengefühl und Weitsicht bewiesen, so wäre alles in das Museum für Deutsche Geschichte Berlin (Ost) oder in das Verkehrsmuseum Dresden gegangen. Aber wer dachte damals schon daran?! Mit der Übernahme des Armeemuseums Dresden als Dienststelle der Bundeswehr hatte diese nun ein Problem.

Die Bundeswehr hatte nun etwas, womit sie inhaltlich nichts anfangen kann. In den „wilden 90er Jahren“ wurde die Sonder-Ausstellung geschlossen. Einige Exponate gingen auf Reisen. So landete der Original-Raumanzug von Jähn im Haus der Deutschen Geschichte in Bonn, wo er heute an zentraler Stelle zu besichtigen ist. Einige Exponate gingen als Leihgaben an Museen und Ausstellungen. Die Kapsel Sojus 29 war einige Zeit im Deutschen Museum München ausgestellt, wo sie auch liebevoll gepflegt wurde. Dort wusste man ganz genau, was man da hatte. Zwischenzeitlich musste die Kapsel für eine überstürzte Präsentation auf der ILA Ende der 90er her halten, wo sie sich die große Schramme am roten Boden zuzog.

Mit der Neueröffnung des Militärhistorischen Museums Dresden (MHM) 2011 hängt die Kapsel als eine Art Kunstobjekt in der oberen Ecke des sogenannten Libeskind-Keil, unerreichbar für den Besucher. Obwohl das Objekt vom damaligen Museumsleiter Oberst Rog als „Leitobjekt“ bezeichnet wurde, hat man den Eindruck, man möchte es lieber verstecken, um nicht darüber reden zu müssen. Der „Rote Fleck an der Decke zu Dresden“ ist für einige Zeitgenossen zum Symbol dafür geworden, wie die Bundeswehr mit diesem Stück Geschichte umgeht. Auf meine Frage vor Ort, ob man Herrn Dr. Jähn mal angefragt hätte, um den Kreideschriftzug, die Unterschrift, auf der Kapsel zu erneuern, erntete ich nur Achselzucken.

Sojus-29-Landeapparat an der Decke des MHM 2013
(Bild: T. Weyrauch)
Sojus-29-Landeapparat an der Decke des MHM 2013
(Bild: T. Weyrauch)

Alles in allem deutet vieles darauf hin, dass die Bundeswehr mit diesem Erbe nicht glücklich ist und sich damit sehr schwer tut. Bestrebungen, das MHM dazu zu bewegen, das Objekt an andere Museen oder Ausstellungen zu verleihen, blieben bislang erfolglos. Das Deutsche Museum in München hätte sich bestimmt über eine Leihgabe sehr gefreut, da man das Objekt schon kannte. Letzter bekannter Ausleihversuch wurde durch die Deutsche Raumfahrtaustellung in Morgenröthe-Rautenkranz unternommen. Ohne Erfolg.

Im MHM kam man auch nicht auf die Idee, die Kapsel dieses Jahr wenigstens für ein paar Tage für das Publikum von der Decke zu holen. Auf eine entsprechende Anfrage, ob man angesichts des Flugjubiläums etwas plane, erhielt ich keine Antwort. Aber vielleicht wollte man das ganz bewusst nicht. Dem neuen Traditionserlass der Bundeswehr von 2018 folgend wäre der ehemalige Generalmajor Jähn nicht traditionswürdig. Und somit folglich auch das drum herum. Wenn man jetzt Jähns Entlassungsschreiben noch einmal liest, erscheint das alles mehr als unverständlich.

Bestimmt wird es wieder einen neuen Anlauf geben, das MHM dazu zu bewegen, die „29“ wenigsten wirklich auf den Boden zu bringen. Schön wäre es. Die Kapsel verkörpert nicht nur ein Stück deutscher (Raumfahrt-)Geschichte, sie ist auch wichtig zur Begeisterung junger Menschen für Naturwissenschaften und Technik. Denn sie verkörpert den Beginn der bemannten Raumfahrt in Deutschland.

Fortsetzung folgt.

Quellen / Begleitmaterial:

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