Rückblende: Das gelüftete Geheimnis der Wostok-Rakete

Im RAUMCON-Forum wird auch über ältere Raumfahrttechnik diskutiert. So zum Beispiel die Wostok-Trägerrakete. Wie sah diese aus? Wie funktionierte sie? Sind die Fotos echt? Und wenn ja, von welchem Flug stammen die? Ein scheinbares Chaos herrscht hier an historischen Informationen. Warum?
Diese Rückblende zeigt wie das Geheimnis der Wostok-Rakete vor 50 Jahren im Westen gelüftet wurde.

Quelle: Typenbuch der Raumflugkörper, Aero-Sport, Andreas Weise.

In unserer heutigen Informationsgesellschaft, wo jede mutmaßliche Info nur einen Klick entfernt ist, kann man die Geheimniskrämerei in der Hochzeit des Kalten Krieges nicht mehr rational nachvollziehen. Das betrifft speziell die sowjetische Raumfahrt. Da hier alles irgendwie mit dem sowjetischen Militär verwoben war, lag über allem der Schatten der Geheimhaltung. Anders bei den US-amerikanischen Raumfahrtprogrammen. Hier wurde man gerade zu mit Informationen zugeschüttet. Es war eben ein ganz anderer Ansatz in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Und während man die amerikanischen Trägerraketen in der Fachliteratur schon recht genau dargestellt sah, wusste man über die sowjetischen Raketen fast gar nichts. Es oblag den Raumfahrtjournalisten, sich aus den wenigen Informationsschnipseln ein Bild zusammen zu reimen.

Auszug aus „Typenbuch der Raumflugkörper“
(links) und realistische Darstellungen von
Sputnik-, Luna- und Wostok-Raketen (rechts)
(Bild: Herbert Pfaffe und Peter Stache)

1964 erschien das „Typenbuch der Raumflugkörper“ von Herbert Pfaffe und Peter Stache noch mit einer fiktiven Darstellung der Wostok-Rakete. Im Begleittext war zu lesen: „… ist die mögliche Größe der Trägerrakete des Wostok-Raumschiffes dargestellt, wie sie sich aus einer Nutzmassenrechnung ergibt. Die Form ist willkürlich gewählt.“ Auf der Zeichnung ist das Dilemma zu erkennen. Während zu den amerikanischen Atlas- und Redstone-Raketen Informationen über das Äußere vorlagen, tappte man bei der sowjetischen Technik im Dunkeln. Das genaue Aussehen des Wostok-Raumschiffes wurde beispielsweise erst 1965 gelüftet. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Grafik aus jenem Buch von 1964 ist hier zum Vergleich kombiniert mit Darstellungen der wirklichen Größe verschiedener R-7-Trägerraketen: Sputnik, Luna und Wostok.

Im Sommer 1967 war man dann aber von sowjetischer Seite der Meinung, dass eine Präsentation der gagarinschen Wostok-Trägerrakete sinnvoll wäre. Wie gesagt: 1967! Da war auf US-Seite das Gemini-Projekt gerade vorbei und das Apollo-/Saturn-Programm war in der Öffentlichkeit detailliert zu bestaunen. Im sowjetischen Raumfahrtprogramm lief es zu dieser Zeit nicht gerade rund. Das geheime Mondflugprogramm, die Proton-Rakete, die N1 und die neue Sojus waren die aktuellen Sorgenkinder. Die Sowjetunion brauchte also wieder einen Knüller für die Öffentlichkeit, wenngleich der auch schon 7 Jahre alt war (!).

Dieser „Knüller“ stahl dann auch den Amerikanern und West-Europäern die Show auf dem Pariser Aerosalon Le Bourget 1967. Hier wurde erstmals ein 1:1 Modell der Wostok-Trägerrakete der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Die Rakete war in schneeweiß gehalten. Eine Farbgebung die nicht dem Flugmuster entsprach. Aber das war zu diesem Zeitpunkt nebensächlich.

Die Fachpresse stürzte sich darauf. Und so erschien im August-Heft der Aero-Sport 1967 folgender Artikel von Herbert Pfaffe.

Im Titelbild der Oktober-Ausgabe 1967 der Aero-Sport wurde dann die Stufentrennung der 1. Stufe (Außenblöcke) künstlerisch dargestellt.

Die AeroSport wurde übrigens 1970 zur FliegerRevue und ist heute Deutschlands dienstälteste Fachzeitschrift für Luft- und Raumfahrt. Wir danken an dieser Stelle für die freundliche Genehmigung, diesen Artikel hier nach 50 Jahren noch einmal präsentieren zu dürfen.

Titelbild Oktober-Ausgabe 1967
der Aero-Sport mit Stufentrennung
(Außenblöcke) der Wostokrakete
(Bild: Aero-Sport)

Pfaffes Artikel und speziell das Vokabular sind natürlich unter den damaligen historischen Gesichtspunkten zu betrachten. Es war die Zeit der ideologischen Auseinandersetzung der beiden sich gegenüber stehenden Weltsysteme. Der Kalte Krieg war gegenwärtig. Wenn man aber alles politisch, ideologisch Verklärte einmal bei Seite lässt, so findet man doch interessante Details, die Damals neu waren.

Nach Le Bourget 1967 tauchte eine, vermutlich diese, Wostok-Trägerrakete als Prunkstück auf der Allunionsausstellung WDNCH in Moskau vor dem damaligen Kosmos-Pavilion auf. Der Autor machte 1972 ein Foto davon. Später wurde der Eisenbahn-Transportwagen der Rakete (Original Wostok-Transportwagen) gegen einen anderen Eisenbahn-Transportwagen ausgetauscht. Wann das geschah, ist nicht genau bekannt. (Vielleicht kann ein Leser hier Informationen an den Autor geben.) Dieser „neue“ und jetzt aktuelle Transportwagen ähnelt sehr stark einem umgebauten Sojus-Raketen-Transporter. An der Spitze für die dritte Stufe ist er entsprechend gekürzt.

Wostok-Rakete der Allunionsausstellung WDNCH
in Moskau (Bild: Andreas Weise)

2011 wurde die Wostok-Trägerrakete auf der WDNCH zum 50sten Gagarin-Flugjubiläum restauriert. Zuvor war sie über die Jahre in einem bemitleidenswerten Zustand gewesen. Eine Anmerkung zur WDNCH: Derzeit finden dort (Stand Juli 2017) umfangreiche Rekonstruktionsmaßnahmen statt. So wird zum Beispiel der ehemalige Kosmos-Pavillon entkernt und das Dach und die große Kuppel erneuert.

Ein weiteres 1:1 Modell der Wostok-Trägerrakete, ebenfalls in weiß gehalten, befindet sich in den Außenanlagen des Raumfahrtmuseums in Kaluga. Dort kann man auch noch einen „echten“ Wostok-Eisenbahn-Transportwagen besichtigen. In Koroljow auf dem Gelände des Sojus-Herstellers Energia, steht auch eine Wostok-Trägerrakete. Die Farbgebung ist hier Dunkelgrau.

Der Grundlagenartikel zur Luna-/Wostok-Rakete bei Raumfahrer.net:

Die technischen Daten zur Luna-/Wostok-Rakete bei Raumfahrer.net:

Die Startliste der Luna-/Wostok-Rakete bei Raumfahrer.net:

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