PTScientists: Ikarus oder Phönix?

Gedanken zu PTScientists – 50 Tage nach der Insolvenzanmeldung

Quelle: PTScientists, Andreas Weise, Raumfahrer.net.

Dem Berliner Start-Up-Unternehmen PTScientists geht es, wenn man die wenigen Nachrichten in der Presse verfolgt, nicht besonders gut. Eigentlich wollte das Unternehmen einen, seit langen Jahren immer wieder verschobenen, Start einer Mondlandesonde inklusive Rover durchführen. Allerdings meldete die Firma im letzten Monat, genauer am 5. Juli 2019, Insolvenz an.

Für die Raumfahrtfan-Gemeinde, die Politik und die Raumfahrtbranche begleitende Presse war PTScientists immer ein Aushängeschild, ein Leuchtturm. Da gab es eine Firma, die will zum Mond, man krempelt sich die Ärmel hoch und macht es. „Hell Yeah, It’s Rocket Science!“ Was für eine Dynamik! Und jeder wollte mit auf das Gruppenbild. Und diese gab es zu Hauf.

Nach dem für die Öffentlichkeit völlig überraschenden Insolvenzantrag wurde es schlagartig still. Es gab einige wenige Artikel in der Presse, ausgeschlachtet wurde das Thema nicht. Ganz im Gegenteil konnte man den Eindruck bekommen, PTScientists sei auf Tauchstation im Schweigemodus verschwunden.

Lag es nun daran, dass man die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Mondlandung nicht stören wollte, oder gedachte man die auch von der Politik beschworene Aufbruchstimmung „zurück zum Mond“ nicht zu gefährden?
Offizielle Mitteilungen zu konkreten Gründen für die momentane Schieflage von PTScientists fielen spärlich aus. Mögliche Ursachen liegen mit Sicherheit zu einem Teil an den von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen. Vom Schulter klopfen raucht der Schornstein eben nicht. In den USA haben Visionäre wie Elon Musk die nötige Finanzkraft, ihre Ideen auf eigene Rechnung umzusetzen und dann damit Profit zu erwirtschaften. In Deutschland hat PTScientists-Chef Robert Böhme zwar auch tolle, weitsichtige Ideen, die vielleicht auch einmal profitabel werden. Aber das eigene Startkapital scheint aufgebraucht. Investoren achten sicher darauf, eigenes Risiko zu minimieren. Aktuell wahrscheinlich keine guten Bedingungen für so ein Projekt.

Für die Beschreibung der derzeitigen Situation bei PTScientists bieten sich zwei Beispiele aus der Sagenwelt an:
Zum einen die Legende von Ikarus. Letzterer baute sich unter Anleitung seines Vaters Flügel, um von seinem Verbannungsort zu fliehen. Die Idee war klasse, visionär und schien zu funktionieren. Man flog los. Zunächst lief alles gut. Dann aber wurde Ikarus übermütig und flog immer höher. Dabei gingen seine Flügel kaputt und er stürzte schließlich ab. Tod! Aus der Traum! Geschichte aus!
Doch dann gibt es noch die Legende von Phönix. Dabei handelt es sich um einen sagenumwobenen Vogel, der nach seinem Tod verbrennt und aus seiner Asche wiedergeboren wird. Er steht für den Glauben, dass welches schon verloren geglaubt war, wieder in neuem Glanz erscheinen kann.

Was wäre nun im Falle PTScientists zutreffender? Ein Totalschaden nach einem Höhenflug oder eine Konsolidierung und Neuausrichtung? Hierbei gehen die Meinungen anscheinend weit auseinander.

Die Teilnehmer des Raumcon-Treffs 2017 in Potsdam und Berlin durften den Stammsitz von PTScientists besichtigen und Rover und Lander im Modell begutachten. Man zeigte sich öffentlichkeitsorientiert. Alles schien nach Plan zu laufen. Alles war großartig und hoch interessant. Im Jahr davor hatte man auf der ILA, wo Landermodell und Rover gezeigt wurden, einen ersten Eindruck gewinnen können. Zeitgleich fand eine nicht zu übersehende Präsentation auf dem Space-Film-Festival im Berliner Sony-Center statt.

All das ist nun schon einige Zeit her und der Eindruck entsteht, dass es immer wieder die selben Rover-Modelle sind, die im Sandkasten gezeigt werden. Und am Landermodell von Alina hat sich wesentliches augenscheinlich nur hinsichtlich der Sponsorenaufdrucken getan. Es gibt Stimmen, die meinen, das Ganze sei nur eine riesige Medienblase, ein künstlich erzeugter Hype, der nun unweigerlich seinem finalen Platzen entgegen steuert. Andere sind der Meinung, dass die mit an Bord sitzenden Sponsoren und strategischen Partner, wie der ArianeGroup, wie Audi und Vodafone sich kaum auf ein mediales Hirngespinst eingelassen hätten und schon längst abgesprungen wären, wenn hinter der Geschäftsidee nicht wirkliches Potential stecken würde.

Ein denkbares Szenario: Da haben einige dutzend hochmotivierte Ingenieure einen Traum gelebt und ein produktionsreifes Projekt entwickelt. Sie haben dabei Herzblut und Leidenschaft investiert. Nun geht es an den Bau, also die Umsetzung. Und genau jetzt laufen die Jugendfreunde gegen eine finanzielle Wand, und ein Dritter bemächtigt sich schließlich der Ergebnisse aus der Konkursmasse für den berühmten Appel und das Ei.

Aber ist dem so? Und wohin geht die Reise wirklich? Das Thema war uns zu spannend und so wichtig, so dass wir jemanden gefragt haben, der sich mit der aktuellen Situation bei PTScientists und deren Interna bestens auskennen muss: Andreas Schepers.

Herr Schepers ist seit Januar 2019 bei PTScientists als „Head of Communications“ beschäftigt, also quasi Pressesprecher. Zuvor war Schepers bei der ESA im Bereich Kommunikation und soziale Medien tätig.

Robert Böhme (PTScientists), Thomas Jarzombek (Bund), Pierre Godart (ArianeGroup)
(Bild: Andreas Weise)
Robert Böhme (PTScientists), Thomas
Jarzombek (Bund), Pierre Godart
(ArianeGroup)
(Bild: Andreas Weise)

Der Autor konnte am Rande der Veranstaltung, bei der die strategische Partnerschaft mit ArianeGroup in Berlin unterzeichnet wurde, mit Herrn Schepers schon einige Worte wechseln. Das war am 8. Mai 2019.
Darauf entstand die Idee, insgesamt etwas tiefgreifender nachzufragen, „…was die Damen und Herren bei PTScientists denn aktuell so tun und wie das mit dem Mond dann wirklich weiter gehen soll….“ Ende Mai fragten wir ein Interview an. Mit dem Hinweis auf die vielen Veranstaltungen rund um das Mondflugjubiläum, in denen PTScientists involviert war/ist, wurden wir auf August vertröstet. In diese Wartezeit platzte dann die Nachricht von der Insolvenz-Anmeldung am 5. Juli 2019.

Durch die aktuellen Ereignisse gewinnt diese Interviewanfrage natürlich eine besondere Aktualität, die wir so nicht voraussehen konnten. Außerdem wuchs unser Fragenkatalog bei der Beschäftigung mit der Angelegenheit.

Fragen über Fragen
Wir würden gerne einiges mehr über die Geschichte von PTScientists erfahren. Als Teilnehmer am Google Lunar X-Prize sollte doch allen von Anfang klar gewesen sein, dass man mit einem Preisgeld von 35 Millionen Dollar keinen Mondflug finanzieren kann. Warum konkret ist PTScientists beim Google Lunar X-Prize ausgestiegen? Wie war der Umgang mit den innerhalb des Google-Wettbewerbes entwickelten technischen Lösungen und Patenten? OpenSource für Mondflüge wird es wohl nicht geben, oder doch?

Was waren die Ziele nach dem Ausstieg aus dem Google Lunar X-Prize? Ist das offizielle Landeziel, der Rover von Apollo 17, nur das Aushängeschild? Wer würde einen Besuch bei einem altertümlichen Stück Weltraum-Auto-Schrott finanzieren, wenn nicht mehr dahinter stecken sollte? Die Mission soll immerhin 120 Millionen Euro kosten. Die Nutzlastkosten werden mit 750.000 €/kg beziffert. In mancher Presseveröffentlichung ist zu lesen, dass „die Rakete“ auch schon „gekauft“ sei. Das mag natürlich Unsinn sein, aber eine verbindliche Bestellung bei SpaceX ist vielleicht auch nicht ganz kostenlos.

Es ist die Rede von einer zweiten und dritten Mission. Da soll die Nutzlast dann 950.000 €/kg kosten. Sind es tatsächlich entstehende Kosten? Ist es ein Angebot an den Markt? Gibt es einen Zusammenhang mit einem auszuwählenden Träger, vielleicht der Ariane 6?

Laut Presse hat PTScientists rund 70 Mitarbeiter, darunter etwa 60 Ingenieure. Also eine geballte ingenieurtechnische Kraft für ein Startup. Welche Kosten verursacht diese Kraft? Arbeiten die Beteiligten, vermutlich hochmotivierten jungen Leute „auch wegen der Romantik“ bei PTScientists? Die Romantik hatte Kosmonaut Oleg Artemjew auf einer Veranstaltung im Russischen Haus in Berlin ins Spiel gebracht, als er zur Gehaltssituation russischer Kosmonauten gefragt wurde. Vielleicht hatte aber auch nur der Dolmetscher nicht richtig übersetzt.

Alina-Lander-Mockup
(Bilder: Andreas Weise / Thomas Weyrauch)
Alina-Lander-Mockup
(Bilder: Andreas Weise / Thomas Weyrauch)

2021 war das zuletzt genannte Startjahr für die erste Mission von PTScientists. Soll das klappen, müsste der Bau von Flughardware in die Gänge kommen. Außerdem muss solche Hardware natürlich getestet und qualifiziert werden. Das soll dem Vernehmen nach zum Teil in Berlin geschehen. Wann wird es wohl etwas neues, aufregendes zu sehen geben? Für einen Außenstehenden stagniert es auf der Hardwareseite seit 2016. Hinter den Kulissen kann das aber ganz anders aussehen.

Wie ist die Rolle des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)? Berät es? Betätigt es sich als Zulieferer oder als Auftraggeber oder beides? Hier denke ich beispielsweise an den Antrieb des Rovers Asimov R3 von PTScientists.

Was macht eigentlich der Bund in Sachen PTScientists? Der Koordinator für Luft- und Raumfahrt der Bundesregierung, Herr Thomas Jarzombek, schien ja ein gern gesehener Gast beim Gruppenfoto gewesen zu sein.
Und dann wäre da noch das Land Berlin. Auf der Titelseite der Broschüre „New Space Berlin“ von Berlin Partner for Business and Technology sind PTScientists-Entwicklungen zu sehen. Natürlich ist uns bekannt, dass die öffentliche Hand keine Privatunternehmen subventionieren darf. Aber gibt es vielleicht Unterstützung in anderer Form?

Welche Rolle spielen Sponsoren und strategische Partner aktuell? Wie gestaltet sich beispielsweise die Unterstützung der ArianeGroup, die Mondlander von PTScientists als gut passende Zweitnutzlast bei Ariane-6-Doppelstarts sehen mag?

Vielleicht wird man auf viele der Fragen keine Auskunft bekommen. Sicher gibt es Firmeninterna, die man nicht mit der breiten Öffentlichkeit teilen möchte. Der „einfache Raumfahrtfan“ mag jenseits von ganzseitigen Zeitungsartikeln verwundert zurückbleiben. Wir wollen versuchen zu verstehen, welche Zukunft das Projekt hat. PTScientists könnte als Beispiel dienen, wie man mit den viel beschworenen Startups auf dem Gebiet der Raumfahrt umgeht. Ob diese eine Chance haben oder ob man das Geschäft lieber den „Großen Profis“ überlassen sollte, die bislang den Markt dominieren.

Tatsache ist: PTScientists hat es bis heute geschafft, zu existieren. Und das ist ein Erfolg, den viele dem Unternehmen nicht zugetraut hatten.

Wie geht es weiter?
In der Fragestellung ist bereits die feste Gewissheit enthalten, dass es weiter geht. Die eigentliche Frage lautet: Mit welchen Partnern geht es weiter? Wie eigenständig wird PTScientists künftig agieren können? Wir sind gespannt, wohin die Reise geht. Und welche Ideen (nicht nur) der Insolvenzverwalter präsentieren wird.

Warum machen wir uns Gedanken?
Wieso haken wir hier nach? Dazu fällt mir ein Gespräch mit Tim Florian Horn, Vorstand der Stiftung Planetarium Berlin, ein. Ich führte dieses Gespräch weit vor der Insolvenz von PTScientists im Mai. Horn erzählte mir sinngemäß: Hierher ins Planetarium kommen Schulklassen voller Kinder. Und die staunen, wenn Sie etwas von den Sternen, der Sonne, den Planeten und dem Mond erfahren. Und wenn man denen erzählt: In der direkten Nachbarschaft, also nicht in den USA, China oder Russland, sondern ein paar Straßen weiter in Berlin-Hohenschönhausen, da bauen junge Leute einen Lander, der zum Mond fliegt. Und dieser hat dann Rover zur Erforschung des Mondes dabei…. Die Inspiration für Naturwissenschaft und Technik könnte nicht größer sein. Wenn dieses Projekt jetzt krachend den Bach herunter gehen würde, das wäre ein Desaster – für bereits Motivierte, und für eine mögliche Motivierung weiterer.

Abseits aller wirtschaftlichen, finanziellen Zahlen gibt es eine große Verantwortung. Es steht einiges auf dem Spiel. Nicht nur für die Mitarbeiter von PTScientists. Kann es glaubwürdig sein, zu behaupten, man können in diesem Land in Sachen Mondraumfahrt etwas jenseits der Big Player bewegen?

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