Noch während sich die erfolgreiche Station Saljut 6 im Erdorbit befand und vor dem Start von Saljut 7, wurden in Moskau Planungen für eine Nachfolgestation des Saljut-Programms gemacht: die Mir.
Autor: Karl Urban.
Planungsphase
Der erste Entwurf sah einen Basisblock vor, an dem bis zu vier modifizierte Saljut-Module hätten angedockt werden können. Der Entwurf wurde aber frühzeitig verworfen. Nach dem Wechsel der Konstruktionsabteilung für die neue Raumstation entstand ein neues Konzept, welches aber wiederum verworfen werden musste. Lediglich das spätere Mir-Modul Quant wurde innerhalb dieses zweiten Projektentwurfs wirklich gebaut. Erst für die Station Saljut 7 geplant, wurde Quant später wegen Verzögerungen bei der Konstruktion Teil der Mir. Schließlich einigte man sich auf einen modifizierten Basisblock FGO, an dem verschiedene Gerätemodule angebracht werden konnten. Diese wurden später durch die Mir-Module Quant 2, Kristall, Spektr und Priroda verwirklicht.
Der Start der Mir
Nachdem die Konstruktion des Mir-Basisblocks abgeschlossen war, wurde er sofort ohne die vorher übliche Erprobung nach Baikonur transportiert. Hier mussten alle vorhandenen Kabelstränge noch einmal ausgetauscht werden, bis der Block startbereit war. Der Starttermin – der 27. Parteitag der KPdSU – wurde eingehalten und die Sowjetunion bewies mit dem Start des Mir-Basisblocks am 19. Februar 1986, dass sie simultan zwei Raumstationen betreiben kann (Saljut 7 und Mir).
Der Basisblock der Mir
Das zentrale Modul der Mir war der Basisblock (Core Modul). An den Seiten des Kopfteils konnten weitere Module und an den Enden Versorgungsschiffe bzw. das wissenschaftliche Modul Quant andocken. Der Mir-Basisblock mit einer Länge von 13,3 Metern und einem Volumen von 90 Kubikmetern war in vier Bereiche aufgeteilt: Durchgangsbereich, Arbeitsraum, Zwischenraum und Triebwerksraum.
Im Durchgangsraum waren zusätzlich fünf weitere Andockstutzen für Versorgungsschiffe und weitere Module montiert. Im Arbeitsraum befanden sich die Kommandostation der Mir, der Zentralcomputer, eine Station zum Körpertraining der Kosmonauten sowie der Wohn- und Essbereich. Zur Erdbeobachtung waren 13 Bullaugen installiert. Im hinteren Triebwerksraum des Mir-Basisblocks befanden sich das Antriebssystem sowie die Rendezvous- und Funkantennen.
Module
Nach dem Start des Mir-Basisblocks am 20. Februar 1986 wurde der Ausbau der Station mit weiteren Modulen vorangetrieben. Trotz einigen Verzögerungen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion sowie durch finanzielle Probleme Russlands erreichte die Mir in Ihrer Endkonfiguration 1996 eine Masse von 110 Tonnen. Obwohl die Station eher durch ihre vielen Pannen in den 90er Jahren bekannt wurde, als durch technische Erfolge, war sie doch eine Meisterleistung der Ingenieurstechnik und lieferte – gerade durch die vielen Pannen an Bord – unschätzbare Erfahrungen für den Betrieb späterer Raumstationen wie der ISS. Dieser Artikel soll die einzelnen Module der Mir etwas genauer beleuchten.
- Der 1986 gestartete Basisblock bildet den Kern der Station.
- Das zweite Modul der Mir war Quant-1. Gestartet wurde es etwa ein Jahr nach dem Start des Basisblocks am 31. März 1987. Das Modul besaß mit 20 Tonnen eine ähnliche Masse wie der Basisblock, war aber nur halb so lang. An Bord waren neben astrophysikalischen Instrumenten auch Lebenserhaltungssysteme sowie Lagekontrollsysteme untergebracht. Die Hauptaufgabe bestand im Sammeln astronomischer Daten.
- Am 26. November 1989 startete Quant-2 zur russischen Raumstation. Neben einer Luftschleuse für „Weltraumspaziergänge“ (EVAs – Extra Vehicular Activities) waren wiederum Lebenserhaltungssysteme in dem Modul untergebracht. Auch Quant-2 sollte wissenschaftliche Aufgaben, wie Erdbeobachtung und biologische Weltraumforschung, erfüllen. Daneben besaß das Modul wiederholt Überlebenssysteme, die auch im Basisblock installiert waren. Eine Neuerung bildete außerdem eine Manövriereinheit für Außenarbeiten, die es den Kosmonauten erlaubte, sich frei im Raum zu bewegen, ohne an dir Mir „angeleint“ zu sein.
- Das Modul Kristall, gestartet am 31. Mai 1990, diente zur biologischen und materialwissenschaftlichen Forschung. Daneben waren an der Außenseite des Moduls Solarzellenpaneele angebracht, um den erhöhten Energieverbrauch der Mir zu decken. Für Kristall war eine für den russischen Raumtransporter Buran vorgesehene Andockstelle konstruiert worden, die später für das amerikanische Space Shuttle genutzt werden konnte.
- Als 1991 die Sowjetunion zusammenbrach und unter anderem auch das für Weltraumstarts wichtige Kasachstan unabhängig wurde, entstand ein fünfjähriges Loch im Ausbau der Raumstation Mir. Erst am 20. Mai 1995 startete ein neues Modul ins All: Spektr. Um den Andockplatz freizumachen, verlegten die Mir-Kosmonauten das Modul Kristall um 90° an eine andere Stelle des Basisblocks. Spektr diente in erster Linie der Erdbeobachtung. So sollten besonders Naturphänomene und die Erdatmosphäre untersucht werden.
- Der Ausbau der Mir wurde schließlich mit dem Start am 23. April 1996 durch das Modul Priroda vollendet. Die Aufgaben lagen auch hier im wissenschaftlichen Bereich: Man wollte Festland, Ozeane und die Atmosphäre in ihrer Dynamik beobachten.
Eine weitere wichtige „Komponente“ der Mir war der unbemannte Raumtransporter Progress, der die Station bis zu ihrem Ende mit Nachschub von der Erde versorgte und schließlich auch bei ihrem kontrollierten Absturz eine wichtige Rolle spielte. Progress beliefert bis heute auch die ISS.
Missionsverlauf
15 Jahre lang, von 1986 bis 2001, war die russische Raumstation Mir im Erdorbit. In dieser Zeit besuchten sie viele Menschen und sammelten für die russische Raumfahrt und letztlich für die gesamte Menschheit etliche Erfahrungen beim Betrieb von Raumstationen, die unter anderem für die Internationale Raumstation unerlässlich sein werden. Daher handelt dieser Artikel vom Missionsverlauf in 15 Jahren Mir.
Vielversprechender Anfang
Nach dem unbemannten Start des Basisblocks der Mir am 20. Februar 1986 wird dieser zum ersten Mal von zwei Kosmonauten bemannt. Sie benutzen Ihre Sojus-Kapsel, um von der Mir zur noch immer verwendbaren Station Saljut 7 und wenige Wochen später zurück zur Mir zu pendeln. Nach dem erfolgreichen Start des zweiten Moduls Quant 1 1987 startet in Baikonur zum allerersten Mal Buran, der russische Raumtransporter. Der Start geschieht noch unbemannt, allerdings wird ein Docking an die Mir beim nächsten Flug angekündigt. Wegen dem Zusammenbruch der Sowjetunion und daraus resulierender fehlender Finanzierung muss das Buran-Programm jedoch kurz danach eingestellt werden, ein zweiter Buran-Flug findet nie statt.
1991 bricht die Sowjetunion zusammen. In den Wirren dieser Zeit ist dir Mir trotz allem bemannt: Sergej Krikaljow wird vom Westen als „gestrandeter Kosmonaut“ dargestellt. Im gleichen Jahr besuchen ein österreichischer Forscher und eine britische Astronautin die Mir.
Westliche Kooperation
Im Dezember 1990 besucht der japanische Journalist Toyohiro Akiyama die Station, um direkt vom Schauplatz des Geschehens zu berichten. Die nichtrussischen Besuche nehmen in den kommenden Jahren sogar noch zu, so 1992 durch den Deutschen Klaus Dietrich Flade und den Franzosen Michel Tognini. Von Januar 1994 bis Mai 1995 bleibt der Russe Valery Polyakov auf der Mir. Mit 438 Tagen im All stellt er damit einen neuen Rekord für die menschliche Verweildauer im All auf. Der lange Zeitraum, den Polyakov im All bleibt, wird auch als Test für einen möglichen bemannten Marsflug gewertet: Der Flug zum roten Planeten dauert etwa ein Jahr. 1994 besucht außerdem der deutsche ESA-Astronaut Ulf Merbold die Mir, der bereits 1983 mit dem Space Shuttle im All war.
Neben dem weiteren Ausbau der Station 1995 startet in dem Jahr auch der erste amerikanische Astronaut zur Mir, noch von Baikonur aus mit einem Sojus-Raumschiff. Bereits im Juli des gleichen Jahres beginnt die erste Shuttle-Mir-Mission: Mit STS-71 dockt die Atlantis zum ersten Mal an die russische Raumstation an. Im gleichen Jahr besucht auch der Deutsche Thomas Reiter die Mir und bleibt 179 Tage an Bord. 1996 wird der Aufbau der Station mit dem Modul Priroda beendet. Der längste Aufenthalt eines amerikanischen Astronauten im All wird ironischerweise auch auf der Mir gefeiert: John Blaha verbringt im gleichen Jahr 118 Tage auf der Station.
Pannenserien
Am 24. Februar entzündet sich ein chemischer Sauerstoffgenerator. Es entwickelt sich giftiger Rauch auf der Station und zwingt die beiden russischen und den amerikanischen Raumfahrer an Bord zum Tragen von Sauerstoffmasken. Aufgrund der entschlossenen Reaktion der Mir-Insassen kann eine verfrühte Rückkehr zur Erde verhindert und die Luft innerhalb eines Tages wieder gereinigt werden. Bereits zwei Wochen nach diesem Vorfall fällt die primäre Sauerstoffversorgung aus, es muss auf die sekundäre umgeschaltet werden. Daneben sind aufgrund eines Defekts des Lagekontrollsystems nur noch manuelle Manöver möglich. Außerdem lässt das marode russische Satellitensystem nur noch 10 Minuten Funkkontakt zur Moskauer Bodenstation pro Erdumlauf zu.
Obwohl die NASA Anfang 1997 erst ihre Zweifel an einer weiteren Zusammenarbeit mit Russland auf der Mir bekundet, startet nach Reparatur der Bordsysteme am 15. Mai 1997 wiederum die Atlantis zur Station und löst den Amerikaner Jerry Linenger an Bord durch Michael Foale ab.
Wiederum nur einen Monat später, am 25. Juni 1997, kollidiert aufgrund eines Fehlers das Progress-Versorgungsraumschiff M-34 mit der Station. Neben dem Modul Spektr, das versiegelt werden muss, werden auch die Solarzellen des Moduls schwer beschädigt und ein Drittel der Mir-Energieversorgung wird lahmgelegt. Die Probleme an Bord können zwei Monate später nach einem Crew-Austausch beendet werden.
Am 30. August 1997 startet erneut die Atlantis zur Mir, nachdem es heftigste Kontroversen bei der NASA gegeben hatte, ob man nach der Pannenserie in dem Jahr die Shuttle-Mir-Missionen überhaupt fortsetzen sollte.
Die Mir wird alt
Am 20. November 1998 startet das erste Modul der Internationalen Raumstation Zarya und die NASA-Führung versucht die russische Regierung dazu zu bewegen, die Mir möglichst bald im Pazifik zu versenken. Vorerst entscheidet sich Russland noch dagegen. 1999 bildet sich eine Organisation, die versuchen will, das Überleben der Mir über private Mittel zu sichern. Im Kontrast dazu wird die am 28. August 1999 landene Crew nicht wieder ersetzt.
Am 4. April 2000 startet schließlich die letzte Besatzung zur Mir. Zu diesem Zeitpunkt hofft die russische Raumfahrt noch darauf, die Mir durch westliche Gelder für zwei weitere Jahre betreiben zu können. Diese Hoffnungen zerschlagen sich jedoch durch die horenden Unterhaltskosten für Russland.
Krönender Abschluss
Im März 2001, einige Tage nach dem 15. Geburtstag der Mir, beginnt schließlich der kontrollierte Absturz der Station. Zuvor war ein letztes Progress-Raumschiff gestartet worden, um mit der Hilfe seiner Triebwerke die Orbithöhe langsam zu verringern und die Mir in die richtige Lage zu drehen. Der Wiedereintritt wird weltweit mit Faszination und Angst beobachtet, denn falls der 140 Tonnen schwere Koloss außer Kontrolle geriete und auf bewohntes Gebiet fallen würde, wäre das eine Katastrophe. Die Ingengieure in der Moskauer Bodenstation beweisen allerdings, dass man nach wie vor auf das russische Raumfahrt-Know-how zählen kann. Die schwersten Trümmerteile der Mir stürzen genau über dem vorher berechneten Absturz-Korridor östlich von Neuseeland in den Pazifik.
Mit dem Ende der Russischen Raumstation Mir endet auch eine Ära der Raumfahrt. Russland ist ein Land, das wirtschaftlich von Krisen geschüttelt ist. Trotzdem gelang es über 15 Jahre, eine große Raumstation zu betreiben und trotz etlicher lebensgefährlicher Zwischenfälle an Bord, das Leben der Insassen immer zu sichern. Mit dem beginnenden Aufbau der ISS beginnt eine neue Raumfahrt-Ära. Starke amerikanischen Finanzhilfen beim russischen ISS-Modul Zarya belegen die finanziellen Probleme des Landes und der Raumfahrtindustrie Russlands. Allerdings belegen die vielen gemeisterten Pannenserien an Bord der Mir auch, dass man beim Ausbau der ISS und ihrem Betrieb ebenfalls nicht auf Russland und die Erfahrung russischer Kosmonauten und Ingenieure verzichten darf.