Versehentlich im Internet veröffentlichte Aufnahmen der Raumsonde Rosetta zeigen, dass es sich bei deren Ziel – dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko – offenbar um ein aus zwei einzelnen Objekten bestehenden Kometenkern handelt. 67P besteht demzufolge aus zwei sich berührenden Körpern, von denen einer deutlich kleiner ausfällt.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: CNES, ESA, New Scientist.
Nach einer Flugdauer von mehr als zehn Jahren, in denen eine Entfernung von rund 6,4 Milliarden Kilometern zurückgelegt wurde, nähert sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta ihrem eigentlichen Ziel, dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, gegenwärtig immer weiter an. Um am 6. August 2014 in eine Umlaufbahn um den Kometen eintreten zu können muss die Raumsonde allerdings zunächst mehrere Kurskorrekturmanöver (engl. „Orbit Correction Manoeuvre“, kurz „OCM“) durchführen, mit denen die relative Geschwindigkeit der Raumsonde zu 67P/Tschurjumow-Gerasimenko schrittweise weiter reduziert werden soll.
Das bisher letzte dieser insgesamt zehn Korrekturmanöver, das OCM-7, wurde vor wenigen Stunden erfolgreich durchgeführt. Durch eine 22 Minuten und 34 Sekunden andauernde Zündung der hierbei eingesetzten Triebwerke wurde eine weitere Geschwindigkeitsreduzierung von rund 11 Metern pro Sekunde erreicht. Derzeit nähert sich die Raumsonde Rosetta ‚ihrem‘ Kometen mit einer relativen Geschwindigkeit von nur noch 7,9 Metern pro Sekunde an. Die Distanz zwischen der Raumsonde und dem Kometen beträgt dabei mittlerweile weniger als 10.000 Kilometer.
Die nächsten beiden OCMs sind für den 23. Juli und für den 3. August vorgesehen. Im Rahmen des finalen OCMs wird Rosetta schließlich im Rahmen einer kurzen Zündung der Triebwerke am 6. August 2014 in eine Umlaufbahn um den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko eintreten, welche zunächst in einer Höhe von rund 100 Kilometern über dessen Oberfläche verlaufen wird. Für den anschließenden Verlauf der Mission ist dann eine weitere Absenkung der Umlaufhöhe vorgesehen. Nicht nur diese drei noch ausstehenden Manöver, sondern auch der weitere Missionsverlauf werden die daran beteiligten Wissenschaftler und die für die Steuerung der Raumsonde verantwortlichen Mitarbeiter der ESA fordern.
’Unerwartete’ Bilder vom Kern des Kometen
Am 15. Juli wurde auf der Internetseite der ebenfalls beteiligten französische Raumfahrtagentur CNES offenbar ohne Absprache mit den an der Rosetta-Mission beteiligten Wissenschaftlern eine Fotoserie veröffentlicht, welche erst wenige Tage zuvor mit dem OSIRIS-Kameraexperiment angefertigt wurden. Bei der OSIRIS-Kamera handelt es sich um die vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen entwickelte und betriebene Hauptkamera an Bord von Rosetta. Zum Zeitpunkt der Anfertigung dieser Aufnahmen (11. Juli 2014) befand sich die Raumsonde noch in einer Entfernung von etwa 17.000 Kilometern zu dem Kometen.
Trotzdem ist auf diesen insgesamt neun Aufnahmen, welche nahezu einen kompletten 12,4 Stunden andauernden Rotationszyklus dokumentieren, deutlich erkennbar, dass der Kern des Kometen offensichtlich aus zwei Objekten besteht, welche in einem direkten Kontakt zueinander stehen. Somit scheint es sich bei 67P/Tschurjumow-Gerasimenko um einen so genannten „contact binary“ zu handeln – ein Objekt, bei dem zwei Einzelkörper durch gravitative Kräfte mehr oder weniger stabil aneinander gebunden sind.
Hierbei handelt es sich definitiv um eine bedeutende und so nicht erwartete Entdeckung. Aufgrund der Bilddaten der Weltraumteleskope Hubble und Spitzer sowie diverser erdgestützter Groß-Teleskope wurde bereits seit längerer Zeit davon ausgegangen, dass 67P/Tschurjumow-Gerasimenko über eine sehr unregelmäßige Gestalt verfügen muss. Die jetzt tatsächlich erkennbare Form dürften jedoch nur wenige Wissenschaftler ernsthaft in Betracht gezogen haben. Einerseits werden die Planetenforscher jetzt erst einmal damit beschäftigt sein, zu ergründen, wie sich 67P zu einem „contact binary“ entwickeln konnte.
Allererste Vermutungen gehen dahin, dass die beiden Komponenten mit einer geringen Geschwindigkeit ‚kollidiert‘ sein könnten und anschließend verbunden blieben. Ein weiterer Erklärungsansatz: Die beiden Teile bildeten ursprünglich einen einzigen Kern, der im Laufe der Zeit auseinanderbrach, aber immer noch verbunden ist.
Dieser ‚doppelte‘ Kern – wie auch immer er zustande gekommen sein mag – stellt auf jeden Fall kein Problem für Rosetta dar. Die Raumsonde kann auch weiterhin wie vorgesehen in einen Orbit eintreten und den Kometen mit den mitgeführten elf Instrumenten über Monate hinweg untersuchen, abbilden und analysieren. Hierbei können durch den Einsatz der Instrumente auch weitere Daten über die ‚Kontaktzone‘ gewonnen werden.
Deutlich komplizierter dürfte dagegen in Zukunft die Mission und dabei in erster Linie die Landung des von Rosetta mitgeführten Kometenlanders Philae verlaufen. Nach dem jetzigen Planungsstand soll dieser Lander am 11. November 2014 auf der Oberfläche des Kometenkerns niedergehen und diesen anschließend mit weiteren zehn Instrumenten eingehend untersuchen.
Die ungewöhnliche Form des Kerns des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko dürfte die Arbeit der für diese Operation verantwortlichen Missionsmitarbeiter eindeutig komplizieren. Bisher wurde für die Landung von Philae eine Region auf der südlichen Hemisphäre des Kometen favorisiert (Raumfahrer.net berichtete). Diese Überlegungen müssen jetzt wohl allerdings unter Einbeziehung der neuesten Daten überdacht und überarbeitet werden. Besonders interessant, so Pedro Lacerda vom MPS in einem Gespräch mit der Zeitschrift „New Scientist“, wäre hierbei eine Landung in der Region, wo sich die Kontaktzone zwischen den beiden Körpern befindet. Speziell in diesem Oberflächenbereich lassen sich vermutlich die aus wissenschaftlicher Sicht wertvollsten Daten gewinnen. Gleichzeitig dürfte diese Region aber auch aus der technischen Sicht die anspruchsvollste Landezone darstellen.
Öffentlichkeitsarbeit und zeitnahe Freigabe der Aufnahmen
Wie bereits erwähnt… Diese Aufnahmen – und die daraus resultierenden Spekulationen – fanden den Weg zu der an der Rosetta-Mission interessierten Öffentlichkeit offenbar lediglich durch eine voreilig erfolgte Veröffentlichung auf der CNES-Internetseite. Bereits wenige Stunden später war der entsprechende Artikel nicht mehr abrufbar. Obwohl die entsprechenden Bilder und die damit verbundenen Inhalte trotzdem innerhalb kürzester Zeit ihre ‚Runde‘ durch das Internet drehten und dabei von diversen Internetforen und Nachrichtenagenturen aufgegriffen wurden, hat die ESA bisher noch keine offizielle Stellung zu diesen Aufnahmen bezogen.
Die nächste Freigabe von ‚offiziellen‘, von allen an der Rosetta-Mission beteiligten Partnern abgesegneten Bilddaten soll am 17. Juli erfolgen. In der entsprechenden Ankündigung wird auch erwähnt, warum die Freigabe der bisher von Rosetta gewonnenen Bilddaten so schleppend erfolgt. Trotz dieser einleuchtenden Erklärung wäre es nach wie vor wünschenswert, wenn die ESA im weiteren Verlauf der Mission dazu übergehen würde, auch zukünftig zu gewinnende Aufnahmen möglichst zeitnah für die Öffentlichkeit freizugeben. Hierzu ein von dem Vorstand des Vereins Raumfahrer.net e.V. verfasster offener Brief an die für die Mission verantwortlichen Mitarbeiter.
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