Als am 26. August 1978 das Raumschiff Sojus 31 vom Kosmodrom Baikonur startete, avancierte ein DDR-Bürger wider Willen zum Mega-Star: Sigmund Jähn. Eine Information der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA).
Quelle: ESA.
Wer den 189stündigen Raumflug vom 26. August bis zum 3. September 1978 mitverfolgen konnte, wird die Anteilnahme, die Wogen der Begeisterung wie gestern empfinden. Der erste Deutsche im All! Nun wird er 75 und blickt auf ein spannendes und erfülltes Leben zurück.
Sein Entwicklungsweg unterstrich eine normale, wenngleich nicht alltägliche DDR-Karriere: Als Sohn eines Sägewerkarbeiters und einer Näherin wurde Sigmund am 13. Februar 1937 im vogtländischen Rautenkranz geboren. Der bodenständige Jähn wollte ursprünglich Lokomotivführer oder Förster werden, erlernte aber dann den Beruf eines Buchdruckers, ging 1955 als Freiwilliger zur Offiziersschule, wurde Flugzeugführer (1958), Leiter eines Jagdfliegergeschwaders (1963), absolvierte die sowjetische Militärakademie in Monino bei Moskau (1966 bis 1970) und nahm ab 1970 verschiedene verantwortliche Dienststellungen bei den Luftstreitkräften der ehemaligen DDR ein.
Vom Jagdflieger zum Kosmonauten
Wie kam der fliegende Vogtländer zur Raumfahrt? Im Juli 1976 unterbreitete die Sowjetunion den im Interkosmos-Programm beteiligten sozialistischen Ländern den Vorschlag, an bemannten Flügen zur Raumstation Saljut teilzunehmen. Zwei Monate danach wurde beschlossen, die bemannten Interkosmos-Missionen zwischen 1978 bis 1983 zu realisieren. Die teilnehmenden Partnerländer sollten durch anspruchsvolle nationale wissenschaftliche Experimente sowie durch hochwertige Bordgeräte die Ausstattung der sowjetischen Saljut-Station vervollkommnen. Unmittelbar nach dem Beschluss begann in der DDR die Suche nach geeigneten Kandidaten. Wichtige Auswahlkriterien waren: Ausbildung zum Jagdflieger, uneingeschränkte Flugtauglichkeit sowie das Beherrschen der russischen Sprache.
Am Institut für Luftfahrtmedizin in Königsbrück bei Dresden erfolgte die Auslese der Kandidaten für den Raumflug, bis schließlich vier übrig blieben: Rolf Berger, Eberhard Golbs, Sigmund Jähn und Eberhard Köllner. Im nahe Moskau gelegenen Sternenstädtchen führten dann im Kosmonautenausbildungszentrum „Juri Gagarin“ sowjetische Spezialisten zwei Wochen intensive Tests und Untersuchungen mit den Kandidaten durch. In die entscheidende nächste Auswahlrunde kamen Sigmund Jähn und Eberhard Köllner.
Bereits am 6. Dezember 1976 begann die fast 20monatige Ausbildung zum Kosmonauten. Zusammen mit ihrem jeweiligen sowjetischen Kommandanten bildeten Jähn und Köllner zwei Mannschaften, die die Ausbildung gleichberechtigt absolvierten: Waleri Bykowski mit Sigmund Jähn sowie Wiktor Gorbatko mit Eberhard Köllner. Damit war zugleich klar, dass die Entscheidung zum Flug nicht zwischen Einzelpersonen sondern zwischen zwei Mannschaften getroffen wird.
Die Stunde der Wahrheit schlug einen Tag vor dem Start. Am Abend des 25. August 1978 verkündete die Staatliche Kommission die Flug- und Ersatzbesatzungen für den Flug von Sojus 31. Am nächsten Tag wird Sigmund Jähn als weltweit 90. Raumfahrer, Interkosmonaut Nummer Drei sowie als erster Deutscher im All in die Annalen der Geschichte eingehen.
Nach seinem Flug wurde er mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft und musste für die Politik als „Vorzeige-DDR-Bürger“ herhalten, eine Rolle, die ihm gar nicht lag. Er erfüllte auch diese Aufgabe mit Charme und Bescheidenheit.
Eine zweite Karriere
Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde der „staatsnahe“ Jähn 1990 entlassen, was seinen weiteren Berufsweg jedoch nur kurz unterbrochen hat. Westeuropa, allen voran die ESA, wollten mit Russland enger kooperieren und westeuropäische Astronauten zur MIR-Station schicken. Da war ein Erfahrungsträger wie Sigmund Jähn zur Unterstützung der Astronautenausbildung gefragt. So konnte er seine Kompetenz als Dolmetscher, Ausbilder und Berater für die Flüge mit deutschen und europäischen Raumfahrern einbringen.
Die „Neuen“ durchliefen alle die „Schule Jähn“. Schnell avancierte er zu einem von Ost und West gleichermaßen anerkannten und unentbehrlichen Vermittler, zu einem geschätzten „Mann für alle Fälle“ bei allen nur denkbaren Weltraum-Fragen. Mit Dankbarkeit erinnert sich auch der Astronaut und heutige ESA-Direktor für Bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb, Thomas Reiter, an die Zusammenarbeit: „In all dieser Hektik gab es eine Konstante, einen ruhenden Pol, in der Brandung: Sigmund. Mit seinem ruhigen, ausgeglichenen Wesen hat er es immer wieder geschafft, die erhitzten Gemüter zu kühlen und alle zu einer einvernehmlichen, zweckmäßigen und praktikablen Lösung zu bewegen. Seine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den russischen Partnern hat oft das Unmögliche möglich gemacht.“
Heute hat der Vorreiter der bemannten deutschen Raumfahrt nicht nur in dem neuen Deutschland, sondern auch in dem zusammenwachsenden Europa einen festen Platz gefunden. Aus dem DDR-Bürger Sigmund Jähn ist eine in Ost und West anerkannte Institution für Raumfahrt und Menschlichkeit geworden.
Seit dem 1. März 2002 befindet sich Sigmund Jähn offiziell „im Ruhestand“.