Mit einem Teleskop der Europäischen Südsternwarte entdeckten Astronomen den stärksten bisher nachgewiesenen Materiefluss, welcher von einem Quasar ausgeht.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.
Bei einem Quasar handelt es sich um den extrem intensiv leuchtenden Kernbereich einer entfernten Galaxie, welcher gewaltige Mengen an Energie abstrahlt. Für diese Leuchtkraft, so die gängige Theorie, ist ein im Zentrum dieser Galaxie gelegenes supermassereiches Schwarzes Loch verantwortlich. Obwohl Schwarze Löcher in erster Linie dafür bekannt sind, die sie umgebende Materie anzuziehen, stoßen die meisten Quasare einen Teil des Materials um sie herum auch wieder ab, wobei das Material auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt wird. Diese Materieflüsse nehmen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der jeweiligen Galaxien ein.
Die von ihnen erzeugte große Helligkeit macht Quasare quasi zu „kosmischen Leuchtfeuern“, deren nähere Untersuchung es den Astronomen und Astrophysikern ermöglicht, die Anfänge der Entstehungsgeschichte unseres Universums und die Entstehung der ersten Sterne und Galaxien näher zu analysieren und zu interpretieren.
Die in der Vergangenheit beobachteten Quasar-Materieflüsse fielen jedoch allesamt nicht so stark aus, wie von den Astrophysikern eigentlich erwartet wurde. Jetzt haben Astronomen mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) am Paranal-Observatorium in den chilenischen Anden allerdings einen Quasar mit einem deutlich höheren Materiefluss entdeckt.
Für ihre Beobachtungen setzten die Astronomen im April 2011 und im März 2012 den „X-Shooter-Spektrografen“ des VLT ein. Indem man das von kosmischen Objekten ausgehende Licht in seine farblichen Bestandteile zerlegt und das dabei entstehende Spektrum näher untersucht, lassen sich die Geschwindigkeit und andere Eigenschaften der Materie in der Nähe einer Lichtquelle untersuchen. Bei SDSS J1106+1939, so der Name des mit dem VLT beobachteten Quasars, ist der Materieausfluss demzufolge mindestens fünfmal so stark wie bei allen anderen bisher bekannten Quasaren und stimmt dabei auch erstmals mit den theoretischen Vorhersagen überein.
„Wir haben den stärksten Quasar-Materiefluss aller Zeiten entdeckt. Von SDSS J1106+1939 wird das zweibillionenfache der Gesamtleistung der Sonne in Form von Materie bei hohen Geschwindigkeiten weggetragen. Das entspricht immerhin dem einhundertfachen der Abstrahlung der gesamten Milchstraße – ein wahrhaft gigantischer Energieausstoß“, so Nahum Arav von der Virginia Tech/USA, welcher das für die Durchführung der Studie verantwortliche Astronomenteam geleitet hat. „Damit ist es erstmals gelungen, einen Quasar-Materiefluss zu messen, der so hohe Energiemengen zeigt, wie von der Theorie vorhergesagt.“
In der Vergangenheit deuteten diverse Simulationsrechnungen darauf hin, dass der starke Einfluss dieser Materieflüsse auf die Galaxien, innerhalb derer sie sich bilden, mehrere Rätsel der modernen Kosmologie lösen könnte. Auf welche Weise steht die Masse einer Galaxie mit der Masse des darin befindlichen zentralen Schwarzen Lochs im Zusammenhang und warum existieren anscheinend nur vergleichsweise wenige große und entsprechend massereiche Galaxien im Universum? Bislang war jedoch unklar, ob Quasare überhaupt in der Lage sind, die für diese Phänomene notwendigen Energiemengen zu liefern. Der jetzt beobachtete Materiefluss von SDSS J1106+1939 transportiert so viel Energie, dass er eine wichtige Rolle bei den diversen Rückkopplungsprozessen spielen dürfte, welche in seiner Galaxie auftreten.
Dieser neu entdeckte Materiefluss befindet sich etwa 1.000 Lichtjahre von dem supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum des Quasars SDSS J1106+1939 entfernt. Die Analysen der Astronomen führten zu dem Schluss, dass von diesem Quasar pro Jahr etwa das vierhundertfache der Sonnenmasse ausgestoßen wird, wobei die Materie auf eine Geschwindigkeit von etwa 8.000 Kilometern pro Sekunde beschleunigt wird.
„Ohne den X-Shooter-Spectrografen am VLT hätten wir unsere Daten nicht mit der hohen Qualität aufnehmen können, wie sie diese Entdeckung erfordert hat“, so der ergänzende Kommentar von Benoit Borguet, ebenfalls von der Virginia Tech und der Erstautor eines Fachartikels, in dem die Studie publiziert wird. „So waren wir in der Lage, die Region um den Quasar erstmals detailliert zu untersuchen.“
Zusammen mit SDSS J1106+1939 untersuchten die beteiligten Astronomen noch einen weiteren Quasar. Auch dieses Objekt mit dem Namen SDSS J1512+1119 zeigt extrem starke, von seinem Zentrum ausgehende Materieflüsse auf. Beide Quasare gelten als typische Vertreter einer weit verbreiteten, aber bislang nur relativ selten untersuchten Klasse von Quasaren, den so genannten „Broad Absorption Line-Quasares“ oder kurz BAL-Quasaren, und die beteiligten Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die jetzt gewonnenen Untersuchungsergebnisse auf leuchtkräftige Quasare im gesamten Universum übertragen lassen sollten. Die Astronomen untersuchen derzeit ein Dutzend ähnlicher Quasare, um sicherzugehen, dass dies auch tatsächlich der Fall ist.
„Nach etwas derartigem haben wir zehn Jahre lang gesucht“, so der abschließende Kommentar von Nahum Arav. „Es ist unglaublich aufregend, einen dieser lange vorhergesagten Monster-Materieflüsse gefunden zu haben!“
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Fachartikel von Borguet et al.: