Zum 26. Mal fanden vom 5.-7. November 2010 in Neubrandenburg die Tage der Raumfahrt statt. Wieder kamen mehrere Raumfahrer und Vertreter von Raumfahrtagenturen zu Vorträgen und Gesprächen zusammen.
Ein Beitrag von Kirsten Müller.
Hierzu lädt die Initiative 2000 plus, Herausgeber der Raumfahrtzeitschrift Raumfahrt Concret, jährlich Astronauten, Kosmonauten und Raumfahrtexperten ein, damit diese einem interessierten Publikum über verschiedene Raumfahrtthemen berichten können.
Für dieses Jahr waren als Kosmonauten eigentlich Muhammad Faris aus Syrien und Oleg Kotow aus Russland eingeladen. Beide haben jedoch sehr kurzfristig abgesagt, Faris aus gesundheitlichen Gründen und Kotow wegen anderer Termine. Innerhalb kürzester Zeit ist es den Organisatoren gelungen, stattdessen Juri Usatschow aus Russland für die Veranstaltung zu gewinnen.
Am Freitagabend findet traditionsgemäß ein Kulturabend mit landesüblichen Speisen und Kulturprogramm aus dem Land des weitestgereisten Astro- oder Kosmonauten statt. Da der syrische Kosmonaut aber kurzfristig abgesagt hatte, war es so schnell nicht möglich, umzuplanen. Deshalb gab es hervorragendes orientalisches Essen und eine Bauchtanzdarbietung.
Der Samstag war vollständig Vorträgen und Diskussionen gewidmet. Erster Vortragender war der Spanier Manuel Valls Toimil, ehemaliger stellvertretender Leiter des Direktorats für bemannte Raumfahrt beim ESTEC in Noordwijk. Zu seinen Aufgaben gehörte es unter anderem, bei wichtigen strategischen Verhandlungen zwischen den ISS-Partnern die ESA zu vertreten. Valls hielt einen Vortrag über10 Jahre ISS und die Entwicklungen, die das Projekt durchgemacht hatte.
Als zweiter Vortragender erzählte Juri Usatschow von seinen Erfahrungen im Weltraum, wobei er vor allem die menschliche Seite der Raumfahrt betonte. Auf seinem ersten ISS-Flug war er als Kommandant eingeteilt, sah sich selbst aber nicht als “Kommandant” in dem Sinne, sondern sah als seine Hauptaufgabe, sich genau mit den Menschen zu befassen, mit denen er auf der Raumstation war und für die er sich verantwortlich fühlte. Zwischenmenschliche Beziehungen hält er im Weltraum für wichtiger als um jeden Preis das geplante Programm durchzuziehen.
In der russisch-amerikanischen Zusammenarbeit gab es für ihn einige Hindernisse, wobei er als erstes die Sprachbarriere anführte. Da er in der Schule kein Englisch gelernt hatte, dies aber die Hauptsprache auf der ISS sein würde, musste er sich diese Sprache aneignen. Dies gelang ihm mit Hilfe seiner Kollegin Shannon Lucid sowie durch das Lesen englischer Bücher und das Schauen englischer Filme. Auch den Aspekt der unterschiedlichen Kulturen fand er wichtig; Amerikaner und Russen lernten, einander zu verstehen, indem sie im jeweils anderen Land auch in der Freizeit miteinander umgingen und miteinander Feste feierten. So erkannten sie Gemeinsamkeiten; das machte dann den gemeinsamen Flug einfacher. Auch war es für ihn hilfreich, sich über die Hobbys und Interessen seiner Kollegen zu informieren, so dass er sich mit ihnen im Smalltalk auch darüber unterhalten konnte.
Auf der ISS selber war es wichtig, nach dem Aufstehen erst mal zu schauen, wie überhaupt die Stimmung der Crewmitglieder war, und anhand dessen zu beschließen, ob man das ganze geplante Programm durchzieht oder Abstriche macht. Zu seinen Hauptaufgaben als Kommandant gehörte es, die Sicherheit an Bord zu wahren und das Programm im Auge zu behalten.
Auch war während Usatschows Raumeinsatz der amerikanische Weltraumtourist Dennis Tito auf der ISS zu Besuch. Hierüber hatte es in den USA Diskussionen gegeben, wieso er als Amerikaner den Russen noch 20 Millionen Dollar bezahlen sollte, um auf der ISS sein zu dürfen. Es war Tito auch nicht gestattet, sich mit den amerikanischen Astronauten an Bord fotografieren zu lassen oder das amerikanische ISS-Segment zu betreten. Zwischen Dennis Tito und den amerikanischen ISS-Bewohnern Jim Voss und Susan Helms hat es vor dem Flug ein Briefing gegeben, man möge sich bitte so freundlich wie möglich zueinander verhalten. Daran haben sie sich während des Fluges gehalten. Usatschow selbst und seine russischen Kollegen haben Tito als Gast auf der ISS aufgefasst und sich aus den politischen Diskussionen herausgehalten.
Da die Russen mehr Erfahrung mit Langzeitflügen und die Amerikaner mit Kurzzeitflügen haben, wusste Usatschow seinen amerikanischen Kollegen zu erzählen, wie diese ihr Trainingsschema am besten einteilen sollten. Insgesamt, so berichtet Usatschow, habe es während seines sechsmonatigen Weltraumaufenthaltes keine nennenswerten Probleme gegeben. Nach dem Flug war sein Umgang mit Jim Voss und Susan Helms familiärer als er vorher war; das wird öfter bei Besatzungen nach gemeinsamen Raumflügen beobachtet.
Als dritter Vortragender hat Hartmut Ripken vom DLR über die industriellen Möglichkeiten der ISS berichtet. Besonders wurde hier der multidisziplinäre Charakter der ISS-Forschung betont. Als Beispiele wurden Untersuchungen über das Verhalten von Flammen in der Schwerelosigkeit hervorgehoben sowie unter anderem Biologie, Materialwissenschaften und neue Konzepte zur Telekommunikation und Datenübertragung. Auch wurde auf die unterschiedliche Herangehensweise von Industrie und Wissenschaft an Weltraumforschung eingegangen. Als Beispiel für Telekommunikation wurde das GTS (Global Time System) zur globalen Zeitübertragung per Satellit erwähnt. Die ISS sendet auf ihrer Inklination zwischen 52° Nord und 52° Süd Zeitsignale aus, welche dann von Funkuhren empfangen werden. Momentan befindet sich dieses System noch im Experimentalstadium, es besteht aber Interesse seitens der Industrie. Man kann es auch für die Entwicklung einer Wegfahrsperre für Autos nutzen. Den Diebstahl seines Autos meldet man an eine Kontrollstation, diese leitet die Meldung weiter an die ISS, die dann ein Signal an das Auto zur Wegfahrsperre schickt.
Des Weiteren wird die Möglichkeit erwähnt, auf der ISS Medikamente “vom Reißbrett” zu entwickeln, da sich Eiweiße bei der Kristallisation unter Schwerelosigkeit anders verhalten als unter Schwerkraft. Anhand der Strukturanalyse nach der Kristallisation erlangt man genaue Kenntnisse über den Kristall und kann diese dann zum genauen Entwurf von Medikamenten nutzen. Auch das Schmelzverhalten von Aluminiumlegierungen bei Mikrogravitation kann man auf der ISS erforschen; hierfür läuft ein Projekt mit der Firma Hydro. Bereits abgeschlossen sind Projekte über Telemonitoring und Ferndiagnose von Herz-Kreislaufproblemen. Mithilfe eines speziellen Hemdes konnten Mediziner die Herz-Kreislaufsysteme von Astronauten im Auge behalten und darauf reagieren. In Zukunft soll dies auch bei Senioren möglich sein. Auch die Haut des Menschen verhält sich in der Schwerelosigkeit anders als unter Schwerkraft. Deshalb wurden im Projekt “Skin Care” Cremes gegen Hautalterung getestet.
Vierter Vortragender war der chinesische Raumfahrtexperte Chen Lan, China-Korrespondent von Raumfahrt Concret, der einen Überblick über die chinesische Raumfahrt gab. So plant China im nächsten Jahr, den Long March 5 Heavy Launcher zu starten, eine 1,5-Stufen-Rakete. Die Raketen Langer Marsch 2 bis 4 werden weiterhin für unbemannte und bemannte Flüge im Einsatz bleiben, jedoch wird Langer Marsch 5 sie stufenweise ersetzen. Längerfristig geplant sind Langer Marsch 6 mit einer Nutzlast von 1 t, welche 2013 zuerst fliegen soll, und Langer Marsch 7 mit 13,5 t Nutzlast, welche 2014 ihren ersten Flug absolvieren soll. Auch ist eine bemannte Mondmission geplant, dies jedoch nicht vor 2030. Daneben ist auf den momentanen Stand der bemannten Raumfahrt in China eingegangen worden. Auch gibt es Pläne, vielleicht später an die ISS anzudocken. China sei, so Chen Lan, bereit, bei der ISS mitzuarbeiten, jedoch scheiterte das bis jetzt an mangelnder Kooperationsbereitschaft der Amerikaner. China selbst plant, ein bemanntes Laboratorium (Tiangong 1) in den Weltraum zu schicken. Längerfristig ist eine eigene modulare Raumstation geplant.
Im Anschluss an den letzten Vortrag gab es eine Diskussion und Fragestunde mit allen Beteiligten sowie Oliver Knickel, Teilnehmer der Mars500-Vorstudie Mars 105. Hier wurden interessante Fragen zu den verschiedenen Vorträgen gestellt und diskutiert. Abends fand ein Bankett mit reichhaltigem Büffet statt.
Die zweite Vortragsrunde war am Sonntag Vormittag. Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung des DLR beschrieb die deutschen Beiträge bei der Planetenforschung. So ist das DLR an der Exoplanetensonde CoRoT, der Kometensonde Deep Impact beteiligt, welche 2005 den Kometen Tempel 1 erforschte und an Rosetta beteiligt, welche 2014 den Kometen 67P Tschurjumow-Gerasimenko erreichen wird. Zur NASA–Mission Dawn, die 2011 den Asteroiden Vesta erreicht, hat das DLR die Kamera beigesteuert. Dies ist die erste NASA-Mission, welche keine US-Kamera an Bord hat. 2015 wird diese Mission den Asteroiden Ceres erreichen.
Der nächste Vortrag, von Ralf Heckel vom International Space Education Institute, ging über die Möglichkeiten, Jugendliche über handwerkliche Projekte an die Raumfahrt heranzuführen. Beispiele hierfür sind das Projekt “Moonbuggy”, wobei Jugendliche mit neuen Technologien ein völlig pedalbetriebenes Fahrzeug entworfen und gebaut haben, welches im Versuch bis zu 80 km/h geschafft hat. Auch veranstaltet das International Space Education Institute regelmäßig Exkursionen für Jugendliche zu Raumfahrtzentren in den USA und in Russland.
Anschließend hielt Dr.-Ing. Carsten Wiedemann vom Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig einen Vortrag über Weltraummüll. Hierbei sind unter anderem auch Natrium-Kaliumtropfen von russischen Kernreaktoren anzutreffen. Im US-amerikanischen TLE-Bahndatenkatalog (Two Line Elements) sind etwa 15.000 Objekte Weltraummüll ab 5 cm Größe aufgeführt; eigentlich sind es aber 20.000 bis 23.000 Objekte. Manche davon sind entweder militärischen Ursprungs und deshalb nicht aufgeführt, andere sind zu alt, um erfasst worden zu sein. Außerdem wird davon ausgegangen, dass es noch 44.000 Objekte Weltraumschrott gibt, welche kleiner sind als 5 cm, sowie etwa 660.000 Objekte mit einer geringeren Größe als 1 mm. Als Friedhofsumlaufbahn wird gerne die Höhe von 950 km genommen; allerdings werden viele Erdbeobachtungssatelliten auf der Höhe von 900 km betrieben, wobei sie Gefahr laufen, mit Weltraummüll in Kontakt zu kommen.
Letzter Vortragender der Veranstaltung war Oliver Knickel, seitens der ESA deutscher Teilnehmer der Marssimulationsstudie Mars 105, welche 2009 als Vorstudie für das momentan laufende Projekt Mars500 durchgeführt wurde. Unter Ausschluss von Radio, Fernsehen und Internet lebte im IMBP (Institut für medizinische und biologische Problemme) in Moskau eine Gruppe Personen 105 Tage lang auf engem Raum zusammen, wobei ihr Verhalten beobachtet wurde und ihre Fähigkeit, mit dieser Situation zurecht zu kommen. Ziel der Studie ist es, herauszufinden, welchen Einfluss ein eventueller Marsflug auf die Astronauten haben würde. Das momentan laufende Projekt Mars500 wird insgesamt 500 Tage dauern. Es wurden die räumlichen Bedingungen des Projektes beschrieben. Aus Zeitgründen konnte ich mir diesen Vortrag nicht vollständig anhören. Aus der Podiumsdiskussion am Samstag konnte ich jedoch heraushören, dass man auf jeden Fall verändert aus einem solchen Projekt herauskommt und danach Dinge des Alltags viel mehr zu schätzen weiß. Für den echten Marsflug hält Knickel Mars500 von sehr großer Bedeutung; wenn es möglich sei, eine internationale Crew so lange auf engem Raum zusammen leben zu lassen, sei es auch möglich, zum Mars zu fliegen.
Neben den Vorträgen gab es wie jedes Jahr als Randprogramm Stände, an denen die Möglichkeit bestand, raumfahrtbezogene Bücher und andere Artikel zu kaufen, sowie mehrere Autogrammstunden und eine Fotosession mit dem Kosmonauten. Die Veranstaltung ist allen Interessierten zugänglich und war entsprechend gut besucht, obwohl sie dieses Mal nicht, wie sonst, im Stadtzentrum stattfand, sondern in einem Gymnasium außerhalb des Zentrums. Die Organisatoren haben gute Arbeit geleistet, wieder so ein hochkarätiges Team an Vortragenden zusammen bekommen zu haben. Die Besucher kamen aus ganz Deutschland sowie einige aus anderen europäischen Ländern. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, die Veranstaltung einmal zu besuchen.