33. Tage der Raumfahrt in Neubrandenburg

Bei den Neubrandenburger Raumfahrttagen war 2017 einiges anders als sonst. Ein definitives Programm stand erst ganz kurzfristig vor Beginn der Veranstaltung fest, so dass die letztendliche Teilnehmerzahl etwas geringer war als in den vorhergehenden Jahren. Auch Tagesgäste waren nicht so viele anwesend.

Ein Beitrag von Kirsten Müller.

Anlässlich der 100. Ausgabe von Raumfahrt Concret hatte man sich etwas Besonderes ausgedacht: Statt der sonst üblichen russischen, sowjetischen oder internationalen (Ex-) Kosmonauten war dieses Mal eine Delegation aus China zu Besuch mit unter anderem dem Taikonauten Chen Dong und dem Direktor des chinesischen Astronautenzentrums Professor Bin Wu.

Das brachte auch verschiedene Programmänderungen mit sich: Statt in Peenemünde fanden am Freitag einige Programmpunkte in Burg Stargard, 10 km entfernt von Neubrandenburg, statt. Nach einer Führung durch die Stargarder Burg mit kulturellem Rahmenprogramm und der Enthüllung einer Gedenkstele im Ort für den gebürtigen Burg Stargarder Carl Ludwig Rümker, der im 19. Jahrhundert in Australien und Hamburg als Astronom tätig gewesen war, gab es das Raumfahrtforum mit dem Schwerpunkt Mondforschung. Prof. Dieter Hermann ging zuerst auf die Bedeutung und Verehrung des Mondes in verschiedenen Kulturen ein, beispielsweise auf die chinesische Mondgöttin Changwe und die ägyptische Mondgöttin Isis, und erwähnte dann, dass es eigentlich unpraktisch ist, die Monate tatsächlich nach den Mondphasen einzuteilen: ein synodischer Monat (die Zeit von einer bis zur nächsten Mondphase) dauert genau 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und 2,9 Sekunden. Aus diesem Grund hat man sich für das Sonnenjahr entschieden. Auch wurde kurz auf Galileo Galilei eingegangen, der als erster Gebirge auf dem Mond sah, auf die Mondkarte von Tobias Meyer und auf die Mondmissionen von Apollo und Luna. Nach Carl Ludwig Rümker ist ein ehemaliger Vulkan auf dem Mond benannt: Mons Rümker. Dieser ehemalige Vulkan wird bei den geplanten unbemannten chinesischen Mondmissionen mit Probenahme das hauptsächliche Ziel sein.

Taikonaut Chen Dong in Neubrandenburg
(Bild: privat)
Taikonaut Chen Dong in Neubrandenburg
(Bild: privat)

Taikonaut Chen Dong bedankte sich anschließend für die Gastfreundschaft auf Burg Stargard und sprach tiefen Respekt aus für die astronomischen Leistungen von Carl Rümker, sprach dann einige Worte zur allgemeinen Bedeutung der Raumfahrt für die Erde und erwähnte die Zusammenarbeit von Deutschland und China: so hat der deutsche Astronaut Matthias Maurer bereits in China trainiert und schließt Chen Dong nicht aus, dass in der Zukunft ein deutscher Astronaut Mondstaub mit auf die Erde bringt.

Gan Yong hielt danach einen Vortrag zur chinesischen Raumfahrt mit besonderer Betonung der geplanten Mondaktivitäten. Diese wurden aber auch in der Hauptveranstaltung am Samstag beschrieben.

Abends in Neubrandenburg fand die Fotosession mit dem Taikonauten statt. Auch dies war anders als in den vergangenen Jahren: Angekündigt war ein Gruppenfoto statt individueller Fotos, für einen höheren Preis als sonst, auch ist die Fotosession normalerweise am Samstag Nachmittag. Dies passte aber nicht in den Zeitplan der chinesischen Delegation. Aufgrund der angekündigten veränderten Voraussetzungen hatten sich für die Fotosession weniger Leute angemeldet als sonst. Am Ende hat man sich doch für individuelle Fotos entschieden. Auch der durchschnittliche Autogrammsammler kam diesmal mit einer schlechteren Ausbeute nach Hause als sonst. Eine offizielle Autogrammstunde gab es nicht – wegen Kommunikationsproblemen, wie man sagte – , so dass sich einige Sammler damit begnügten, das Autogramm auf der offiziellen Fotowand abzufotografieren.

Die Hauptveranstaltung am Samstag wurde, da der Landrat nicht anwesend sein konnte, von Hauptsponsor Dr. Paul Jahn eröffnet. Er wusste zu würdigen, dass mit Chen Dong der jüngste Taikonaut in Neubrandenburg zu Besuch war, der zudem mit 33 Tagen Weltraumerfahrung die 33. Raumfahrttage bereichert. Bis heute waren 47 Astro- und Kosmonauten zu Gast in Neubrandenburg, und jetzt ein Taikonaut. Auch bedankte sich Jahn bei den anderen Sponsoren und den ehrenamtlichen Mitarbeitern, ohne die diese Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Eberhard Rödel richtete danach Grüße von Kosmonaut Sigmund Jähn aus.

Mitglieder der chinesischen Delegation auf dem Podium
(Bild: privat)
Mitglieder der chinesischen Delegation auf dem Podium
(Bild: privat)

Aus der chinesischen Delegation kamen die ersten beiden Vorträge. Taikonaut Chen Dong berichtete von der allgemeinen Entwicklung der chinesischen bemannten Raumfahrt und von seiner eigenen Mission Shenzhou 11. Die chinesische bemannte Raumfahrt entwickelte sich in drei Phasen. Die erste Phase bestand aus den ersten bemannten Raumschiffen Shenzhou 5 mit einer Person und Shenzhou 6 mit zwei Personen. Die zweite Phase bestand aus Shenzhou 7, 9, 10 und 11 mit dem Erproben von Außenbordeinsätzen, Rendezvous- / Docking-Manövern und dem Starten und kurzzeitig Betreiben eines Raumlabors. Als dritte Phase ist der Bau einer Raumstation für längere Zeit geplant. Hiermit hofft man, 2020 fertig zu sein. Chen Dongs eigener Flug, zusammen mit Jing Haipeng auf Shenzhou 11 und Tiangong 2, gehört zur zweiten Phase. Nach dem Start am 16. Oktober 2016 dockte Shenzhou 11 zwei Tage später bei der Raumstation Tiangong 2 an. Nach 33 Tagen landeten die Taikonauten erfolgreich am 18. November 2016, genau ein Jahr vor den diesjährigen Raumfahrttagen, in der Inneren Mongolei im Grasland von China. Selbst fand Chen Dong 33 Tage viel zu kurz für einen Weltraumaufenthalt, aber der Raumflug wird ihm für immer wie ein Stern in der Erinnerung bleiben. Er findet den Weltraum mysteriös und wundervoll, und auch die Macht und Großartigkeit des Alls sowie die Zerbrechlichkeit der Erde habe ihn beeindruckt. Die Erde, so meinte er, solle es jedem wert sein, sie zu schützen. Was er über das Leben im Weltraum erzählte, hört man auch von den meisten anderen Astro- und Kosmonauten. Nachdem man im Orbit angekommen ist, fühlt sich der Körper fiebrig an, und man bekommt Reisekrankheit. Die Flüssigkeit sammelt sich im Kopf, und man bekommt vorstehende Augen und ein geschwollenes Gesicht; dies sei ein unbequemes Gefühl, als ob man auf dem Kopf steht. Nach ein paar Stunden Schlaf fühlt man sich besser, und die Tage darauf muss man lernen, wie man sich im Weltraum bewegt. Am Anfang hat man eine schlechte Richtungskoordination und setzt zu viel oder zu wenig Kraft ein. Mit Hilfe seines Kollegen Jing Haipeng, der schon zum dritten Mal im Weltraum war, hat er sich aber daran gewöhnt.

Bei der Mission wurden insgesamt 38 Experimente durchgeführt, und man war, so Chen Dong, unter anderem Fahrer, der die Raumstation fliegt, Mechaniker, der die Raumstation unterhält, Arzt, der seine eigene Gesundheit und die des Kollegen überwacht, Bauer, der Pflanzen anbaut und Fütterer, der die Tiere an Bord pflegt. Jeder Tag in der Raumstation sei so mit Arbeit ausgefüllt. Auch seien einige Experimente für die Popularisierung der Raumfahrt gemacht worden. So konnten chinesische Schulen und Universitäten Experimente vorschlagen. Ein Experiment von Studenten aus Hong Kong zum Züchten von Seidenraupen in der Schwerelosigkeit hatte zum Beispiel das Ergebnis, dass Seide, die im Weltraum produziert wurde, stärker und stabiler ist als Seide von irdischen Seidenraupen. Dieses Experiment wird nicht nur als fördernd für die Wissenschaft gesehen, sondern auch für den chinesischen Nationalstolz: man könne damit den Grundstein für die Seidenstraße im Weltraum legen.

Internationale Kooperationen Chinas wurden auch erwähnt; so entwickelt man zusammen mit Frankreich einen Apparat, mit dem man Venen und Arterien besser unterscheiden kann. Außerdem nahmen die ESA-Astronauten Matthias Maurer (Deutschland) und Samantha Cristoforetti (Italien) zusammen mit 16 Taikonauten an einem Training auf See teil. Samantha Cristoforetti war in der gleichen Crew wie Liu Wang und Chen Dong; über die Zusammenarbeit mit ihr meinte er, man hätte sich ohne viel verbale Kommunikation verstanden.

Die anschließende Fragerunde war recht kurz gehalten. Ähnlich wie bei den anderen größeren Raumfahrtnationen wurden auch in China die ersten Raumfahrer aus den Reihen von Piloten rekrutiert. Später werden hier auch Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure hinzukommen. Fragen nach einem eventuellen Nachfolger der heutigen Shenzhou-Kapsel wurden eher ausweichend beantwortet; man kann sich aber fragen, ob das an einer eventuellen Sprachbarriere lag. Die letzte Frage, nach eventuellen chinesischen Experimenten mit Akupunktur im All, wurde von Chen Dong für seinen Flug verneint, er schließe dies jedoch für die Zukunft nicht aus.

Gan Yong von der China National Space Administration (CNSA)
(Bild: privat)
Gan Yong von der China National Space Administration (CNSA)
(Bild: privat)

Gan Yong, Vizedirektor der China National Space Administration (CNSA), gab einen allgemeinen Überblick über die chinesische Raumfahrt. So ist der 24. April zum offiziellen chinesischen nationalen Raumfahrttag ernannt worden, den Institutionen zur Öffentlichkeitsarbeit nutzen können. Auch wird alle fünf Jahre ein White Paper zur Raumfahrt veröffentlicht. China hat bereits vor 60 Jahren angefangen, Infrastruktur für Raumfahrt zu entwickeln, und arbeitet in der Raumfahrt nach den vier Leitlinien Innovation, Synergie, Frieden und Transparenz. Von ihren vier Startplätzen aus haben die Chinesen mit verschiedenen Typen der Long March – Rakete insgesamt 253 Starts absolviert, mit einer Erfolgsquote von 94%. Fünf Mondmissionen sind vorläufig geplant, wovon drei schon absolviert worden sind. Im Oktober 2007 hatte Chang’e 1 und im Oktober 2010 Chang’e 2 den Mond umrundet, im Dezember 2013 war Chang’e 3 weich auf dem Mond gelandet. Für 2018 ist mit Chang’e-4 eine Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes geplant; dies wäre dann die historische erste Landung eines Raumfahrzeuges überhaupt dort. Auch hatte man im Oktober 2014 eine Testmission zur Vorbereitung der ebenfalls 2018 geplante Mission Chang’e 5 mit Sample Return geflogen. Chang’e 4 wird aus zwei separat startenden Teilen bestehen: einem Datenübertragungssatelliten und einem Lander mit Rover. Hierbei erwähnte er die internationale Zusammenarbeit, besonders die mit der DLR; so wird die Sonde Nutzlasten aus Deutschland, den Niederlanden, Schweden und Saudi-Arabien an Bord haben. Längerfristig ist für 2023 eine Landung am Südpol des Mondes geplant, für 2024 eine zweite Sample Return Mission und für 2027 ein weiterer Flug zum Mondsüdpol.

Auch gibt es Pläne zur Erforschung des Mars und der Asteroiden und für Missionen zu anderen Planeten des Sonnensystems. Außerdem hat China ein eigenes Navigationssatellitensystem und verschiedene eigene Satelliten zur Erd- und Ozeanobservation, für die Telekommunikation und für die Forschung. Zusammenarbeit gibt es mit 35 Ländern, Raumfahrtagenturen und internationalen Organisationen. Betont wurden nochmals das Abkommen von Premierminister Li und Bundeskanzlerin Angela Merkel 2014 zur Zusammenarbeit in der Raumfahrt, und das CE-4-Abkommen 2017 zwischen der chinesischen Weltraumagentur und der DLR.

Gefragt zur Mars Sample Return, erwähnte er, diese sei abhängig vom Gewicht der Nutzlast. Man ging erst davon aus, dass die Long March 5 – Rakete reichen könnte, und entwickelt für weitere Missionen den Super Heavy Carrier. Dieser steckt momentan noch in den Kinderschuhen, und man hofft, dass sich auch kommerzielle Firmen daran beteiligen können. Auch zum Monitoring und zur Entfernung von Weltraummüll hat man Konzepte, unter anderem in Zusammenarbeit mit der ESA.

Dr. Fritz Merkle, OHB
(Bild: privat)
Dr. Fritz Merkle, OHB
(Bild: privat)

Dr. Fritz Merkle vom Vorstand von OHB Bremen, angekündigt als „das Space-X Deutschlands“, bedauerte es, dass dieses Jahr nicht so viele junge Leute anwesend waren wie sonst. In seinem interessanten Vortrag berichtete er vom Core Business von OHB: kommerzielle Satelliten für verschiedene Anwendungen. Besonders betonte er die Telekommunikations- und Navigationssatelliten. So baute OHB den ersten geostationären Kommunikationssatelliten „H36W-1“ für den spanischen Satellitenbetreiber Hispasat. Dies ist der erste Satellit, der die europoäische Small GEO-Plattform nutzt, welche OHB in Zusammenarbeit mit der ESA entwickelt hat. Für Airbus Defense + Space baute OHB den Telekommunikationssatelliten EDRS-C, der mit dem EDRS (European Data Relay Satellite) – Laserkommunikationssystem arbeitet. Auch hat die DLR den Heinrich-Hertz-Satelliten in Auftrag gegeben, der teilweise auch von der deutschen Bundeswehr genutzt wird, und das Electra Satellite Program. Letzteres arbeitet nicht mit chemischem Antrieb, wie die meisten Satelliten, sondern mit elektrischem Antrieb. Xenon wird ionisiert und die Ionen werden durch Hochspannung beschleunigt. Die Austrittsgeschwindigkeit des Gases gibt einen höheren Impuls als chemische Treibstoffe. Dadurch hat der Satellit ein geringeres Gewicht und bekommt beispielsweise ein Satellit von 2-3 Tonnen die Übertragungskapazität eines heutigen Satelliten von 6-7 Tonnen. Den elektrischen Antrieben sagt er eine Zukunft voraus; sie könnten z.B. das hochgiftige Hydrazin ersetzen.

Auf dem Gebiet der Navigationssatelliten ist OHB der Hauptkontraktor für den Entwurf und Bau von 34 Galileo-Satelliten für die EU-Kommission und die ESA. Hiervon sind 14 schon im Weltraum. Das System besteht eigentlich aus Uhren, die alle hochgenau und synchronisiert sein müssen. Da gibt es einmal die Rubidium-Atomuhren und einmal die passiven Wasserstoff-Maser. Diese gehen etwa 1 Nanosekunde am Tag falsch, sind also extrem genau. Um Fremdeinwirkung auf diese Uhren zu vermeiden, aber wohl selbst die Uhren beeinflussen zu können, gibt es “safety units” mit bestimmten Algorhythmen. Satelliten lassen sich durch Quantenkryptographie verschlüsseln; darin war China Vorreiter. Die Zukunft der Navigationssatelliten sieht Merkle im Dual Use: Nutzung für militärisch sowie zivile Zwecke.

Ebenfalls baut OHB optische Erdbeobachtungs- bzw. Aufklärungssatelliten: das SAR und SARah – System. Der Beitrag von OHB zur Wissenschaft war der Trace Gas Orbiter für ExoMars 2016. Bei ExoMars 2020 möchte man auf dem Mars einen Rover mit Bohrer aussetzen und Bodenproben nehmen, um eventuelle Aminosäuren als Hinweis auf Leben zu finden. OHB möchte dazu eine Mühle zum Zerkleinern der Bodenproben für die chemischen Analysen beisteuern, außerdem eine hochauflösende Kamera zum Suchen nach geeigneten Bohrstellen und einen Beitrag beim Raman Laser-Spektrometer.

Zum Thema Startraketen erwähnte er kurz die Ariane 6 als Alternative zu Long March und Space X. Zuletzt meinte er noch, dass er bei Kongressen viele junge Leute sieht und dass diese sich vor allem gerne Vorträge von Pionieren wie Elon Musk anhören.

Romain Charles in Neubrandenburg
(Bild: privat)
Romain Charles in Neubrandenburg
(Bild: privat)

Der nächste Vortragende, Romain Charles von MEDES, hatte zusammen mit fünf anderen Männern am Projekt Mars 500 teilgenommen. Ziel dieser Simulation einer Marsreise war es, herauszufinden, ob der Mensch physisch und psychisch in der Lage ist, 520 Tage lang in einer Gruppe von sechs Personen ohne große Spannungen zusammenzuleben. Im Falle des Projektes Mars 500 war die Antwort Ja. Das Team bestand aus drei Russen, einem Italiener, dem Franzosen Charles und einem Chinesen. Beruflich waren es drei Ingenieure, ein Arzt und ein Wissenschaftler. Ursprünglich ging das Projekt vom IMBP (Institut für Medizinische und Biologische Probleme) in Moskau aus, später kamen auch die ESA und das chinesische Astronautenzentrum dazu. Der Simulationskomplex besteht aus einem Wohnmodul mit einem Wohnzimmer, sechs Schlafzimmern, einem Control Room sowie einem Badezimmer und ist so groß wie ein Bus, außerdem gibt es noch ein Modul für medizinische Untersuchungen, ein Arbeitsmodul und ein Marslandemodul, das für die simulierte Marslandung genutzt wurde.

Der hauptsächliche Job während der Mission waren die 105 wissenschaftlichen Experimente. Die meisten davon waren psychologischer Natur, zum Beispiel wollte man erforschen, ob die Simulation des Fliegens und Docking eines Raumschiffs auch nach langer Isolation möglich sei. Ein physiologisches Experiment beschäftigte sich mit der Schmerztoleranz, und auch die Art und Menge der Nahrung wurde genau vorgeschrieben. Das bedeutete zum Beispiel, dass man zu Weihnachten Hackfleisch mit Broccoli gegessen hat. Acht Monate lang hatte das Team damit keine Probleme.

Training am Sojus-Simulator während Mars 500
(Bild: privat)
Training am Sojus-Simulator während Mars 500
(Bild: privat)

Das Experiment begann am 3. Juni 2010. Zuerst war noch alles neu und probierte das Team alles aus. Im Laufe der Zeit schlich sich aber Routine ein, was Monotonie und Langeweile mit sich brachte. Deshalb wurden bewusst spezielle Anlässe genommen, zu feiern, wie zum Beispiel Halloween, auch wenn dazu niemand aus seiner Heimat heraus einen Bezug hatte.

Am 10. Dezember 2010 gab es auf einmal einen Stromausfall; das Licht und die Ventilation fielen aus, und es gab keine neue Luft und kein Wasser mehr. Das Missionskontrollzentrum teilte mit, man hatte einen Brand in der Stromzufuhr, man arbeite dran, aber man wisse noch nicht, wann das Problem gelöst sei. Dies war nach 24 Stunden der Fall. Im ersten Moment waren die Missionsteilnehmer über diese Situation verärgert; als sie aber später darüber nachdachten, merkten sie, dass es ihnen etwas gebracht hatte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass dies eine Simulation war; es gehörte auch zum Testprogramm, die Reaktion des Teams auf Gefahrensituationen zu testen.

Drei Wochen später war die geplante „Marslandung“, und es öffnete sich ein ganz neues Modul voll mit Essen und Geschenken von Freunden und Verwandten. Das war für die Missionsteilnehmer wie Ostern und Weihnachten auf einmal. Irgendwann musste dann aber weiter gearbeitet werden, und drei der Teilnehmer haben eine Marslandung simuliert, wobei auch dreimal zwei von ihnen einen zweistündigen Außenbordeinsatz im Raumanzug hatten, um zu sehen, was man auf der Marsoberfläche erkunden kann. Auf der „Rückreise“ zur Erde fühlte sich das Team ziemlich leer und gelangweilt. Das lag daran, dass die Experimente, die man schon öfter gemacht hatte, nochmal gemacht werden mussten, und dass auch das Essen wenig abwechslungsreich war. Zum Beispiel bestand die Auswahl an Schokoriegeln aus Mars, Nuts und Snickers, aber alle wollten Snickers. Drittens war die Kommunikation mit den Nächsten zuhause ein Problem. Da man auch die Zeitverzögerung simulierte, gab es kein Internet. Man konnte Berichte für Freunde und Familie an Mission Control schreiben, die es dann an die betreffenden Personen weiter schickten; jedoch waren im August die meisten Verwandten und Freunde im Urlaub, und Charles bekam nur noch ein Drittel der Nachrichten, die er sonst bekommt. Schließlich und endlich hat man sich innerhalb des Teams immer wieder gegenseitig motiviert. Am 4. November 2011 war das Experiment beendet. Der größte Erfolg von Mars 500 war, dass sechs Leute nach 520 Tagen immer noch freundschaftlich miteinander umgehen können. Charles würde wohl nochmal zum Mars gehen, aber dann nur für zwei Wochen und als Commander. Mittlerweile ist Charles Crew Support Engineer im Europäischen Astronautenzentrum EAC in Köln, wo er die Astronauten bei ihren täglichen Aufgaben unterstützt. Das tut er in Köln sowie auch in Baikonur und bei der Landung von ESA-Astronauten in der kasachischen Steppe.

Seine Crew hatte nur aus Männern bestanden. Zu gemischten Crews meinte er, jedes Land habe sein eigenes Auswahlverfahren gehabt. Der europäische Aufruf war offen für Männer und Frauen. Nur 15 der Bewerbungen kamen von Frauen, und die letzte Frau kam nicht durch die medizinische Prüfung. Auch wollten die Russen die Komplexität der Mannschaft nicht noch durch ein zweites Geschlecht erhöhen; mehrere Nationalitäten waren für ein erstes Experiment schon komplex genug. Für den richtigen Marsflug müsse aber die Menschheit repräsentiert werden, und davon besteht die Hälfte aus Frauen. Nach Charles’ eigener Meinung hängt der Erfolg einer Mission nicht vom Geschlecht oder von der Orientierung der Teammitglieder ab; auch werde bei anderen Marsexperimenten sowieso mit gemischten Teams gearbeitet.

Raumfahrtjournalist Chen Lan
(Bild: privat)
Raumfahrtjournalist Chen Lan
(Bild: privat)

Dass China auch kommerzielle Raumfahrt betreibt, berichtete Raumfahrtjournalist Chen Lan im darauf folgenden Vortrag. Chen Lan war übrigens derjenige, der den Begriff „Taikonaut“ für chinesische Raumfahrer geprägt hat. Er betonte noch einmal, dass er trotz der Namensgleichheit nicht mit dem Taikonauten Chen Dong verwandt ist; vielleicht haben sie vor 500 Jahren gemeinsame Vorfahren gehabt.

China ist schon seit 1990 in der kommerziellen Raumfahrt aktiv, als China Great Wall Industry dem Staat Dienstleistungen angeboten hat: entweder Kommunikationssatelliten oder Piggyback-Satelliten. Seit 2007 sind noch acht Kommunikationssatelliten und zwei Remote sensing-Satelliten gestartet worden. Erst als Reaktion auf Space X fingen in China Start-Up-Unternehmen an, sich mit Raumfahrt zu beschäftigen und man merkte, dass private Unternehmen schneller auf Marktentwicklungen reagieren können als die Regierung. Space X und Falcon 9 sind konkurrrenzfähiger als die herkömmlichen chinesischen Raumfahrtsysteme. So haben sich auch in China Public Private Partnerships und ähnliches entwickelt, und es hat in großen Raumfahrtunternehmen kommerzielle Projekte wie CASC (Commercial Remote Sensing Constellation) und CASIC gegeben sowie Start-ups, die auch aus großen Unternehmen hervorgingen. Auch gibt es ein chinesisches internationales kommerzielles Aerospace Forum in Wuhan. Prominente Startup-Unternehmen auf dem Gebiet der Raketen sind zum Beispiel Landspace mit der relativ kleinen Feststoffrakete LS-1, Onespace mit der kleinen Rakete Messenger 1, Link Space und Dragon Drive. Auf dem Gebiet der Kommunikationssatelliten sind hauptsächlich HEAD mit 24 Satelliten, OKW mit 64 Satelliten, Commsat mit 60 Satelliten und Xinwei mit 64 Satelliten aktiv, auf dem Gebiet von Remote Sensing und anderem Chang Guang mit 128 Satelliten, Orbita mit drei Konstellationen von jeweils 34, 38 und 72 Satelliten und Spacety mit einer kleinen Satellitenplattform für Mikroschwerkraftsforschung. Finanziert werde diese Unternehmen von der Regierung, von privaten Investoren und vom Kapitalmarkt.

Der Vortrag von Chen Lan war so spontan ins Programm mit hereingenommen worden, dass er nicht auf dem Programmflyer erwähnt war. Deshalb war auch für die normalerweise stattfindende Podiumsdiskussion keine Zeit mehr.

Motto der Sonntagsvormittagsveranstaltung im Hotel am Ring war „Aktuelles aus der Raumfahrt“. In Anbetracht der ersten beiden Vortragsthemen kann man sich aber fragen, wie aktuell diese Informationen sind, handelte es sich bei beiden Vorträgen doch um historische Themen. Sergej Gerasjutin, Wissenschaftsjournalist aus Moskau, hielt einen sehr daten- und faktenreichen Vortrag über die Geschichte von Baikonur. Der Bau des Kosmodroms fing 1955 an. Die meisten historischen Meilensteine der sowjetischen und russischen bemannten und unbemannten Raumfahrt ließ er Revue passieren.

Michael Tilgner
(Bild: privat)
Michael Tilgner
(Bild: privat)

Der zweite Vortrag, von Michael Tilgner aus Wedel, beschäftigte sich mit der Frage, ob Hermann Potočnik (Noordung) der Entdecker der Möglichkeit des geostationären Orbits ist. Er beschrieb diesen als erster 1928 in seinem Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“. Arthur Clarke brachte diesen Gedanken 1945 im Journal der BIS (British Interplanetary Society) in einem Leserbrief vor: drei Satelliten, in einem Winkel von jeweils 120 Grad zueinander, könnten eine Fernseh- und Mikrowellenabdeckung für den ganzen Planeten erreichen.

Um der Grundfrage des Vortrags noch einmal nachzugehen: 1920 veröffentlichte Konstantin Ziolkowski sein Buch „Beyond the Planet Earth“, in dem er auch schon von der Möglichkeit geostationärer Satelliten schreibt. Da es hierzu aber keine deutsche Version gab, konnte Potočnik diese Information nicht kennen. 1928 erwähnte Johannes Winkler in der Zeitschrift „Die Rakete“ auch die Möglichkeit des geostationären Orbits, dies war aber nach der Veröffentlichung des Buches von Potočnik. Ebenfalls tat dies Willy Ley 1926 in einer Broschüre, und Max Valier in seinem Buch „Der Vorstoss in den Weltenraum“ von 1924. Die Idee des geostationären Orbits war also nicht von Potocnik, sondern von Max Valier. Auch wurde auf das Leben und Wirken Potočniks eingegangen. 1928 und 1929 war er bereits Mitglied im Verein der Raumschiffahrt, und hatte im Januar 1927 in einem Brief an den Oldenbourg-Verlag gefragt, wann mit dem Erscheinen des neuesten Buches von Max Valier zu rechnen sei. Potočnik hat sich also schon 1926 mit Raumfahrt beschäftigt. 1928 erschien sein Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“, in dem er unter anderem auch Raumstationen beschreibt: ein Wohnrad im Weltraum, ähnlich wie Wernher von Braun und Stanley Kubrick, ausserdem ein Observatorium und ein Maschinenhaus. Selbst Details vom Inneren dieser Station und über das Leben im Weltraum werden in diesem Buch gezeigt. Am 27. August 1929 starb Potočnik in Wien im Alter von 37 Jahren an Tuberkulose und wurde auf dem evangelischen Friedhof in Wien begraben. Da die Gebühren für sein Grab irgendwann nicht mehr weiter bezahlt worden sind, wurde es anderweitig vergeben. Dem slowenischen Heimatforscher Primož Premzl ist es zu verdanken, dass einige Meter von der Grabstelle entfernt 2014 eine Gedenkstelle für Potočnik eingeweiht wurde.

Planetengeologe Ulrich Köhler
(Bild: privat)
Planetengeologe Ulrich Köhler
(Bild: privat)

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung, fast schon traditionsgemäß, tatsächlich mit Neuigkeiten aus der Raumfahrt: Ulrich Köhler vom DLR in Berlin berichtete von den letzten Stunden der Cassini-Mission und gab einen Ausblick auf die zukünftigen Geschehnisse im äußeren Sonnensystem. Am 15. September 2017 wurde Cassini, nachdem sie 13 Jahre lang Ergebnisse geliefert hatte, in die Saturnatmosphäre gesteuert, um dort zu verglühen. Sie hatte zu wenig Treibstoff übrig und man wollte sie nicht steuerlos im Saturnorbit lassen. Sonst könnte sie nämlich vielleicht auf einen der Monde stürzen und ihn mit irdischen Mikroben verseuchen. Nach einigen allgemeinen Informationen zum Saturn und seinen Monden benannte Köhler die Höhepunkte und einige statistische Daten der Cassini-Mission. Auch zeigte er einige der zahlreichen Bilder, die Cassini zur Erde geschickt hatte. So hat Mimas zum Beispiel den Spitznamen „Todesstern“, weil er dem Todesstern aus den Star Wars-Filmen verblüffend ähnlich sieht. Enceladus wird gesehen als Mond, auf dem sich eventuell Leben entwickeln könnte. Insgesamt gibt es von der Cassini-Mission noch viele Ergebnisse auszuwerten.

Soviel zum Inhaltlichen der Veranstaltung. Das Programm war teilweise hochkarätig, teilweise hatte man jedoch den Eindruck, nicht viel Neues zu hören. Auch die direkte Ansprechbarkeit der Stargäste, durch die sich die Neubrandenburger Raumfahrttage sonst von ähnlichen Veranstaltungen positiv unterscheiden, gab es bei dieser Veranstaltung nicht. Das kann aber auch an der Sprachbarriere zwischen den chinesischen Gästen und den anderen Konferenzteilnehmern liegen, oder am Zeitplan der chinesischen Delegation. Dass diese überhaupt den Weg nach Neubrandenburg gefunden hat, so Tagungsleiterin Jacqueline Myrrhe beim Abendessen am Samstag, sei der Hartnäckigkeit ihres Kollegen Uwe Schmaling zu verdanken. Jedoch wurde auch kein sehr grosses Geheimnis daraus gemacht, dass so eine Veranstaltung Geld kostet, das auch irgendwo her kommen muss: nicht nur im Vorfeld auf der Website von Raumfahrt Concret, sondern auch während der Veranstaltung selbst hat es Spendenaufrufe gegeben. Auch war, wie schon eingangs erwähnt, das Programm erst ziemlich kurzfristig definitiv, so dass weniger Gäste als die letzten Jahre anwesend waren. Und selbst von denen kannte man schon den größten Teil, und die Stimmung war nicht ganz so gut wie sonst.

Fazit: Vor allem wenn man von weit kommt, überlegt man sich vielleicht – vor allem wegen der nicht optimalen Planbarkeit des Programms – nächstes Mal zweimal, ob man wieder an dieser Veranstaltung teilnimmt. Und wer die Veranstaltung verpasst hat, kann sich die Vorträge anschauen auf www.spacelivecast.de .

Die Aufzeichnung des Webcasts von spacelivecast.de

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