28. Tage der Raumfahrt Neubrandenburg 2012

Wie jedes Jahr fanden auch 2012 wieder in Neubrandenburg die Raumfahrttage statt. Nicht alle der angekündigten Gäste waren anwesend, so mussten Deutschlands voraussichtlich erste Weltraumtouristin Sonja Rohde und Ralf Heckel, Gründer des International Space Education Institute Leipzig wegen Krankheit absagen. Wohl anwesend, auch wenn das bis zum letzten Moment nicht sicher war, waren Mohammed Ahmed Fares, syrischer Kosmonaut (Sojus-TM 3 / Sojus-TM 2) und der aktive russische Kosmonaut Alexandr Michailowitsch Samokutjajew (Sojus-TMA 21 / ISS 27 / ISS 28).

Ein Beitrag von Kirsten Müller.

Ein aktiver Raumfahrer und ein Veteran: Alexander Samokutjajew und Mohammed Fares. (Bild: Kirsten Müller)

Die Vorträge am Samstag fanden, wie im vergangenen Jahr, wieder in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums statt, am Sonntag im SAS-Radisson-Hotel. Teilnehmer waren wie immer ein großer harter Kern von Raumfahrtbegeisterten aus ganz Deutschland. Man könnte vielleicht annehmen, dass auch einige Schüler des Gymnasiums an den Vorträgen Interesse finden könnten; dem war aber nicht so. Der Schulchor am Anfang der Veranstaltung waren die einzigen Schüler, die man zu Gesicht bekam.

Den Anwesenden wurde wieder ein breites Spektrum von interessanten Vorträgen geboten. Anders als in den vergangenen Jahren wurde dieses Jahr die Veranstaltung live im Internet übertragen auf www.spacelivecast.de.

Der Leitvortrag in diesem Jahr war von Dr. Karlheinz Steinmüller, wissenschaftlicher Direktor der Z Punkt GmbH / Foresight Company Köln und Berlin, über „Die Welt in 100 Jahren – Langfristperspektiven aus Sicth von Science Fiction und Zukunftsforschung“. Nach einem Exkurs in die Vergangenheit über damalige Utopien, die jetzt Wirklichkeit sind – z.B. das Mobiltelefon (1910 Utopie), Raketenantrieb und Roboter (1923) sowie Gentechnik (1924) wurde ein Beispiel der immer kleiner werdenden Computertechnik gezeigt sowie Ambient Intelligence und selbsttätig arbeitende Software erwähnt. Natürlich wurde auch auf die Raumfahrt eingegangen, mit SSTO–Projekten (Single Stage To Orbit), Weltraumtourismus, Robotern als Ersatz für Astronauten, Marsexpeditionen und Nanosatelliten. Nach einigen Standardszenarien zur Welt anno 2050 wurde auf Biotechnologie heute und im Jahr 2050 eingegangen. Zu Fragen nach eventuellem weiteren Leben und Intelligenz im Universum wurden dann noch Lösungsansätze präsentiert.

Als nächstes hielt Prof. Dr. Dieter Hermann von der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin einen Vortrag zum Thema „Urknall im Labor“. Zwar sei das ein Widerspruch in sich, da man mit astronomischen Phänomenen wie Galaxien keine Experimente machen könne, es ist aber möglich, auf der Erde Versuche anzustellen und deren Ergebnisse auf den Kosmos zu übertragen. So könne man mithilfe einer Spektralanalyse herausfinden, dass die Hülle eines Sterns aus Wasserstoff bestehe. Einigen Erklärungen über die Entstehung von Urknalltheorien folgte ein Exkurs über Neutronen, Protonen, Leptonen und Higgs-Bosonen, um schliesslich auf Experimente im LHC / CERN in der Schweiz hinzuweisen.

Nach der Mittagspause fand die traditionelle Fotosession der Kosmonauten mit den Fans statt. Erster Vortragender danach war Dr. Marcel Dickow von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, der über Sicherheitspolitik in der deutschen und europäischen Raumfahrt referierte. Hier ging es um Raumfahrt aus der Sicht der Politik und der Sicherheit, mit auch einigen Beispielen über Industriepolitik, Technologiepolitik und Finanzpolitik.

Hartmut Sänger sprach auf den 28. Raumfahrttagen in Neubrandenburg. (Bild: Kirsten Müller)

Als Ersatz zum ursprünglich geplanten Vortrag des International Space Institute Leipzig kam als nächstes ein Vortrag von Hartmut Sänger, Sohn des Raumfahrtpioniers Eugen Sänger, über die Arbeit seines Vaters am Standort Trauen. Dort führte Eugen Sänger von 1937 bis zur Sprengung der Anlagen 1948 Tests mit Raketenflugzeugen durch. 1963 wurde der Standort reaktiviert zur Entwicklung der Europa-I-Trägerstufe und weiteren Triebwerksversuchen. Seit 2012 gibt es wieder Initiativen, Trauen in Raumfahrtentwicklungen einzugliedern. Während des Vortrages wurde noch intensiver auf die Aktivitäten an diesem Standort eingegangen.

Kosmonaut Alexandr Samokutjajew erzählte anschließend von seiner Zeit auf der ISS. Er wollte hierüber keinen Vortrag halten, sondern eher einen Dialog mit seinen Zuhörern eingehen. Während seines ISS-Einsatzes war am 12. April 2011 das 50-jährige Jubiläum des ersten bemannten Raumfluges von Juri Gagarin, wozu es weltweite Feiertage gab. Auch hat er an der ISS eine Progress abgedockt und hatte die Besatzung des letzten Shuttle-Fluges STS 135 zu Besuch, wenngleich man das Wort „letzte“ nicht so gerne benutzt. Er gab einige allgemeine Informationen zum Leben und Arbeiten auf der ISS – die Raumstation hat 5 russische, 7 US-amerikanische, 2 japanisches und 1 ESA-Modul und es ist eine ständige Besatzung von 6 Leuten an Bord, wovon immer 3 Russen sind, 2 US-Amerikaner und ein JAXA-, CSA- oder ESA-Astronaut. Es sind immer 2 Sojus angedockt für Notfälle und die Rückkehr zur Erde. Da das Shuttle-Programm jetzt beendet ist und die Dragon noch in der Testphase sind, übernimmt jetzt die Sojus alle Transportaufgaben. Die Russen arbeiten manchmal im russischen Teil der Raumstation und die Amerikaner im US-amerikanischen. Manchmal arbeitet man aber auch an gemeinsamen Projekten und muss mit verschiedenen Nationen zusammenarbeiten und auskommen, deshalb verbringe man auch einen Teil seiner Freizeit miteinander.

Nach Bildern von seinem Raumflug beantwortete der Kosmonaut Fragen, unter anderem zur Bequemlichkeit beim verkürzten Andockvorgang der Sojus an die Raumstation. Beim Docking des Shuttle hat er selbst auch die Raumfähre betreten. Es ist aber die Regel, dass Amerikaner in der Soyuz und Russen im Shuttle nichts anfassen dürfen. Es war aber schon emotional, weil es der letzte Shuttle-Einsatz war. Auch hatte diese Besatzung kein Backup. Wenn der Shuttle verloren gegangen wäre, hätte die Besatzung auf der ISS bleiben müssen.

Im Anschluss an die Vorträge fand die Podiumsdiskussion statt. Hier war man gehalten, sich auf technische und raumfahrtspezifische Fragen zu konzentrieren. So meinte Hartmut Sänger auf die Frage, ob sein Vater seine Berufswahl beeinflusst habe, dass er die Raumfahrt mehr im Freundeskreis miterlebt habe, da sein Vater gestorben sei, als er 11 Jahre war. Er selbst ist jetzt Bauingenieur. Alexandr Samokutjajews Sojus, mit der er an die ISS andockte, hatte den Namen Juri Gagarin. Er hat aber die Familie Gagarins nicht um persönliche Gegenstände des ersten Kosmonauten gebeten. Wohl habe er ein Foto von Gagarin im Din A-4-Format mitgenommen, das jetzt auf der Raumstation ist. Auch sei eine Abbildung Gagarins in das Emblem seines Raumfluges verarbeitet worden. Hierfür habe man dessen Familie um Erlaubnis fragen müssen.

Mohammed Fares wurde nach seiner Vorbereitungszeit vor dem Raumflug gefragt und danach, ob er noch Kontakt zu seinen Kollegen habe. Seine Kollegen hatte er gerade einige Tage vorher noch gesehen beim ASE-Kongress in Rijad, das Training für seinen Flug hat 2 Jahre gedauert. 1 Jahr war theoretisches Training, das zweite Jahr praktisch im Sternenstädtchen.

Für Weltraumschrott hat man noch keine Lösung gefunden. Es gibt, so Dr. Steinmüller, zwar Konzepte, aber diese sind noch nicht technisch ausgegoren. Soziale Medien können sich als durchaus raumfahrtfreundlich erweisen, können sich aber auch zur Konkurrenz für Raumfahrtbegeisterung entwickeln. Auch ist z.B. das DLR die letzte Zeit sehr aktiv mit Twitter und Facebook in der Unternehmenskommunikation. Dies komme bei Jugendlichen besser an als die traditionellen Printmedien und das Fernsehen.

Fares wusste zu berichten, dass bei der Raumfahrt, von den arabischen Ländern, vor allem Saudi-Arabien viele Fortschritte gemacht habe und dass dort viele Forscher und Wissenschaftler aktiv seien. Man habe sogar ein Konzept für Landwirtschaft auf dem Mond. Auch in Syrien gebe es viele Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, es sei aber sehr schwierig, das umzusetzen. In Algerien gibt es Versuche sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch der Industrie.

Weltraumtouristen werden, so Samokutjajew, von den trainierten Kosmonauten eher als Störfaktor gesehen, nicht als Bereicherung für die bemannte Raumfahrt. Auch wurde gefragt, ob die neue Gruppe von 28- bis 29-jährigen Kosmonauten, die Roskosmos jetzt eingestellt hat, mit 40 oder 50 Jahren immer noch Sojus fliegen würden. Darauf ist noch keine Antwort bekannt. Das neue Raumschiff ist zwar experimentell, doch bis jetzt hat man nur die Sojus.

Die Vortragsreihe am Sonntag begann mit einem Vortrag von Thoralf Noack vom DLR in Neustrelitz, über das Galileo-System. Hier wurde auf die historische Entwicklung globaler Satellitennavigationssysteme eingegangen und darauf, was sie den Nutzern bringen könnten.

Die Jungs von Spacelivecast.de übertrugen den Event im Internet und hatten Spaß. (Bild: Kirsten Müller)

Anschließend kam ein Vortrag von Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung des DLR Berlin, zum Thema Curiosity auf dem Mars. Es wurde auf die Instrumente und Experimente von Curiosity eingegangen sowie auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Erde und Mars, aufgrund welcher es auf dem Mars wohl kein Leben geben könne. Genaue Ergebnisse möchten die US-Amerikaner aber erst im Dezember veröffentlichen.

In der Pause bekam man noch einen Hauch des neubrandenburgischen Karnevals mit, sehr zur Freude oder zum Leidwesen des einen oder anderen anwesenden Rheinländers. Es war schließlich der 11.11. Die Vorträge gingen weiter mit einem Beitrag des ERIG e.V., der studentische Raumfahrtforschung bei der TU Braunschweig betreibt. Dies ist eine Interessengemeinschaft mit Arbeitsgemeinschaften auf dem Gebiet der Experimentalraketen, der Kleinsatelliten und der Presse & Öffentlichkeit. Für die ersten beiden Gebiete wurden Beispiele gezeigt.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einem Vortrag von Klaus Donath und Thomas Wehr zum Thema „Raumfahrtbegeisterung im Web am Beispiel von raumfahrer.net und spacelivecast.de“. Hier wurden diese beiden Projekte den Zuhörern vorgestellt, wenn sie nicht schon bekannt waren – den Livestream zur Veranstaltung in Neubrandenburg hatten jedenfalls 500 bis 600 Leute angeklickt. Vielleicht sieht man den einen oder anderen Leser nächstes Jahr selbst in Neubrandenburg?

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