Nach Meinung einer Forschergruppe klingt diese Frage nicht mehr komplett verrückt. Man erhofft sich aus kleinen Asymmetrien der Hintergrundstrahlung im Universum Hinweise auf den Zustand vor dem Urknall, sozusagen aus einer „Zeit vor der Zeit“.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: Caltech/Wikipedia.
Gemeinhin wird angenommen, dass der Urknall alle Spuren von dem ausgelöscht hat, was vor ihm war. Astrophysiker am California Institute of Technology (Caltech) haben in der Dezemberausgabe des Journals Physical Review D nun neue theoretische Interpretationen von Messergebnissen zu diesem Thema vorgelegt. Mark Kamionkowski, Robinson-Professor der Theoretischen und Astrophysik am Caltech, die Doktorandin Adrienne Erickcek und der wissenschaftliche Mitarbeiter Sean Carroll schlagen ein mathematisches Modell vor, mit dem eine Anomalie des Universums bezüglich der Verteilung seiner Strahlung und Materie erklärt werden könnte.
Ihre Forschungen drehen sich um das Phänomen der kosmischen Inflation: Alan Guth schlug schon 1980 vor, dass sich das Universum unmittelbar nach dem Urknall ganz außerordentlich schnell, mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt haben könnte, um bestimmte heutige, überraschend homogene Eigenschaften des Universums zu erklären. In ihrer einfachsten Form sagte die Inflationstheorie gar eine völlig homogene Gleichverteilung von Strahlung und Materie voraus. So homogen ist unser heutiges Universum allerdings auch wieder nicht, und genau für diese kleinen Variationen interessieren sich die Forscher.
Die kosmische Hintergrundstrahlung (auch genannt CMB, Cosmic Microwave Background) ist eine Form von elektromagnetischer Strahlung, von der man annimmt, dass sie schon 400.000 Jahre nach dem Urknall aufzutreten begann. Noch heute kann man sie weitgehend gleichmäßig aus allen Richtungen empfangen. Die Hintergrundstrahlung wurde in den letzten Jahren hauptsächlich mit dem Satelliten WMAP (Wilkinson Microwace Anisotropy Probe) untersucht. „Wenn Ihre Augen Radiofrequenzen sehen könnten, würden Sie den gesamten Himmel glühen sehen. Das ist es, was WMAP sieht“, erläutert Kamionkowski. Die Hintergrundstrahlung wird heute als ein Nachglühen des Urknalls interpretiert, das zu einer schwachen Mikrowellenstrahlung abgeklungen ist, während das Universum sich 13,7 Milliarden Jahre lang ausgedehnt hat.
Bis vor Kurzem waren diese Messungen konsistent mit Guths Inflationstheorie – minimale Fluktuationen waren zwar messbar, schienen aber überall dieselben zu sein. Vor ein paar Jahren sahen sich einige Forscher, darunter eine Gruppe um Krzysztof Gorski vom JPL der NASA, die WMAP-Daten einmal genauer an. Sie entdeckten, dass die Fluktuationen der Hintergrundstrahlung eben nicht in allen Richtungen symmetrisch sind: Die Messungen der Sonde enthüllen interessanterweise in der einen Hälfte des Himmels ausgeprägtere „Sprenkelungen“ als in der anderen.
„Dies ist eine beglaubigte Anomalie“, merkt Kamionkowski an. Sie widerspricht der Inflationstheorie. „Aber da diese Theorie alles Andere so gut erklärt, dürfte es noch zu früh sein, sie zu verwerfen.“ Stattdessen suchte das Team die Theorie so in ihre Mathematik einzubeziehen, dass sie die Asymmetrie erklären kann.
Schon Guth ging von einem skalaren Quantenfeld namens „Inflaton“ als Motor der Inflation des sehr frühen Universums aus. Die Kamionkowski-Gruppe testete nun zunächst, ob die Intensität dieses Feldes möglicherweise auf beiden Seiten des Universums unterschiedlich gewesen sein könnte. Dies funktionierte aber nicht – sie fanden heraus, dass, wenn sie den Mittelwert des Inflatons änderten, sich dadurch sowohl der Mittelwert als auch die Amplitude der Energievariationen im Raum änderten. So wandten sie sich einem zweiten Energiefeld zu, dem sogenannten „Curvaton“, das zuvor schon als hauptverantwortliche Komponente der Fluktuationen der Hintergrundstrahlung vorgeschlagen worden war. Sie führten eine Perturbation des Curvatonfeldes ein, also kleine Abweichungen durch Störeinflüsse, und es erwies sich, dass dies nur die Variationen der Temperatur von Punkt zu Punkt beeinflusste, während sich ihr Mittelwert diesmal nicht änderte.
Das neue Modell sagt laut Kamionkowski mehr kalte als warme Flecken in der Hintergrundstrahlung voraus. Erickcek ergänzt, dass diese Voraussage durch den Satelliten Planck überprüft werden wird, eine internationale Mission unter Führung der ESA mit wesentlicher Beteiligung der NASA. Der Start von Planck ist für April 2009 geplant.
Die Perturbation, die die Forscher einführten, könnte nun einen flüchtigen Blick auf das eröffnen, was vor dem Urknall war. Unser Universum, dessen Zeit und Raum mit dem Urknall begannen, könnte hier eine letzte schwache Ahnung von Verhältnissen geerbt haben, die in einer Zeit vor unserer Zeit geherrscht haben mögen. „Egal was da war, es ist natürlich beobachtungstechnisch wie hinter einem Schleier verborgen“, sagte Kamionkowski. „Wenn unser Modell sich als zutreffend erweisen sollte, haben wir hier eine Chance, hinter diesen Schleier zu sehen.“
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