Ministerratskonferenz: Europäische Herausforderungen

Im Vorfeld der Ministerratskonferenz, welche nächste Woche am 2. Dezember 2014 in Luxemburg staffindet, sprach Raumfahrer.net mit dem DLR-Vorstandsvorsitzenden Jan Wörner über die aktuellen europäischen Herausforderungen.

Quelle: Interview mit DLR-Chef Jan Wörner. Ein Beitrag von Thomas Bruksch.

DLR Chef Jan Wörner
(Bild: DLR)
DLR Chef Jan Wörner
(Bild: DLR)

Rosetta/Philea und die ISS-Gerst-Mission führten in letzter Zeit zu einer spektakulären Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und den Medien. Eigentlich eine gute Grundlage, um über neue Projekte zu sprechen. Die ESA-Ministerratstagung im Dezember in Luxemburg hat allerdings eine ganz eigene Spannung. Raumfahrer.net (RN) sprach direkt mit DLR-Chef Jan Wörner (JW) über den aktuellen Sachstand, wie es zum Meinungsumschwung zugunsten der Ariane 6 kam und was noch zu tun ist.

Bilder einer Landung auf einem Komenten oder techniküberladene Einblicke in einen außerirdischen Laborkomplexes mit Globalaussicht Erde sind von der Ministerratskonferenz in Luxemburg nicht zu erwarten, eher nur große Konferenztische, Fähnchen, Papiere, Sprachen und Mikrophone. Dennoch ist das Interesse groß, weil ein weiteres Mal wichtige Entscheidungesentwürfe vorliegen, die die europäische Raumfahrt der nächsten Jahre und Jahrzehnte bestimmen.

Die beiden Top-Themen sind die Ariane-Weiterentwicklung und die Internationale Raumstation. Deutschland favorisierte jahrelang die Ariane 5ME und will die weitere europäische ISS-Beteiligung auf eine finanziell gesicherte Grundlage stellen.

Sogar der Bundestag thematisierte die Raumfahrt, nach vielen Jahren das erste Mal wieder, und Frau Zypries als zuständige parlamentarische Staatssekretärin zeigte sich sehr ablehnend gegenüber einer Ariane 6 Entwicklung, insbesondere wegen der finanziellen Entwicklungsrisiken. Um so überraschender war jetzt nach einem Vorbereitungsmeeting in Köln die Nachricht, dass sich Deutschland mit dem Industrieentwurf der Ariane 6.2/6.4 einverstanden erklärte.

RN: Wie kam es dazu, dass Deutschland nunmehr die Ariane 6.2/6.4 Lösung akzeptiert ?

JW: Mit dem Konzept der PPH mit Feststoffboostern waren wir überhaupt nicht zufrieden. Die Ariane 6.4 ist nun ein Konzept, dass auf der Ariane 5 basiert und der modularen Anforderung mit Booster und Doppelstartfähigkeit flexibel Rechnung trägt. Auch die ESA hat eingesehen, dass die Doppelstartfähigkeit etwas Gutes ist. Wir haben die Meinung nicht geändert, sondern das neue Konzept ausdrücklich begrüßt.

RN: Wie teuer wird denn das neue Trägerkonzept in der Entwicklung und gibt es denn entsprechende Finanzzusagen oder wird das der Überraschungseffekt auf der Konferenz ?

JW: Es wird ca. 4 Mrd € kosten. Es gibt aber noch keine Finanzzusagen, sondern das ganze Paket aus Ariane, ISS-Finanzierung u.a. steht dann zur Abstimmung. Auch Deutschland muß diese Mittel erst noch aufbringen, was von Frau Zypries im Ministerium adressiert wurde. Die Beteiligung der ESA-Länder an einem Programm sollte ausbalanciert sein und nicht von einem Land dominiert sein. Bei der Arianeentwicklung könnten wir mit einem niedriegeren Beitrag leben, aber wir werben um eine höhere Beteiligung deutscher Standorte mit ihren Kompetenzen.

RN: Muß Deutschland dann mehr bezahlen, wenn diese Standorte integriert werden und wie gestaltet sich der neue Raumfahrt-Industriesektor ?

JW: Über den Einsatz der einzelnen Standort gibt es Vereinbarungen zwischen den beteiligten Firmen. Das es sie gibt, ist uns bekannt, der Inhalt nicht. Das ist jetzt in erster Linie Sache der Industrie. Tatsächlich gibt es aber noch offene Punkte im Zusammenhang mit der Governance (Steuerung) des in der Entstehung befindlichen Industrie Joint Venture aus Airbus & Safran, die auch nicht bis Dezember klärbar sind. Man vereinbarte dazu einen Key-Decision-Milestone 2016, zu dem überprüft wird, ob die industriepolitischen und wirtschaftlichen Bedingung mit dem Konzept erfüllt sind oder nicht. Die nächste ESA-Ministerrats-Konferenz in 2016 wird darüber dann entscheiden. Entweder ist es erfolgreich oder es würde abgebrochen, dann bliebe es bei der Ariane 5, die A5ME ist aber jetzt vom Tisch. Der Markt erweist sich als sehr dynamisch und das erfordert jetzt ein Handeln, auch wenn einige Punkte noch offen sind. Wir gehen einen vorsichtigeren Schritt, wir geben eine bestimmte Menge Geld für die Entwicklung und dann muß sich das Unternehmen am Markt behaupten.

RN: Wird das Joint Venture auch Auswirkungen auf die europäische Satellitenbau-Industrie haben, zb. auf Airbus/Thales ?

JW: Nein, damit rechne ich nicht.

RN: Das Konzept der Ariane 6.2/6.4 ist doch sehr konventionell. Innovative Aspekte wie Wiederverwendbarkeit und bemannter Crewtransport wurden nicht ansatzweise berücksichtigt ?

JW: Das Vinci-Triebwerk ist ja bisher noch nie geflogen und somit durchaus eine Innovation. Eine wirtschaftliche Wiederverwendbarkeit zu realisieren ist bis 2020 eine zu große Herausforderung. Es wird einen kleinen finanziellen Programmteil geben, der für Weiterentwicklung der Ariane 6.2/6.4 verwendet werden soll. Leider hat eine europäische bemannte Raumfahrt in Europa keine ausreichende Basis. Die ESA wird da weiter mit Partnern wie den USA und anderen Nationen zusammenarbeiten.

RN: Wird es zum Verhältnis EU/ESA Veränderungen und im Dezember eine Beschlußvorlage geben ?

JW: Nein. Das ist ein sehr entspannter Teil. Die Vorlage, die im Dezember beschlossen werden dürfte, beschreibt einfach das derzeitige Verhältnis. Wir sehen die EU und ESA als komplementäre Organisation, als Chance. Wir wollen aufpassen, dass es keine Duplikationen gibt. Solch einen Beschluß wird es geben.

RN: Was wird aus Exomars ?

JW: Da fehlen erhebliche Mittel, insbesondere für die 2018er Mission mit dem Rover. Da sind Angebote da, die im einzelnen zu hoch sind. Exomars ist erneut in einer kritischen Phase. Es wird auf der Ministerrats-Konferenz auch sicherlich Thema sein. Ich bin nicht sicher, ob es gelingt, diese Summen, die dort genannt werden, auch zusammenbekommen wird. Das ist sehr schwierig.

RN: Und die Zusammenarbeit mit Russland?

JW: Das ist einfach, da ist alles geregelt, die Launcher werden bereitgestellt, die Realisierung des Landers ist da nur ein Detail.

RN: Und die ISS, wie geht es da weiter ?

JW: Wir hoffen, dass die Finanzierung gesichert wird. Frau Zypries hat Frankreich und Italien gefragt, es gibt noch nichts schriftliches, aber man hat eine positive Rückmeldung gegeben. Montag findet die nächste Sitzung in Paris statt. Wir hoffen auf die Bestätigung.

RN: Gibt es weitere ISS-Pläne oder erfolgt jetzt einfach ein Regelbetrieb ?

JW: Der Betrieb der ISS hat sich ja sehr stark ausgeweitet, die ISS wird mittlerweile auch verstärkt für Erdbeobachtung eingesetzt, da gibt es eine Reihe von Projekten, auch mit deutscher Beteiligung, zB. mit der Fa. Teledyne, zur Spektralanalyse. Die ISS ist ein unglaublich wertvolles Instrument, ein internationales Labor für Wissenschaft, Forschung und Anwendung. Also ich glaube, die ISS gewinnt an Wert von Tag zu Tag.

RN: Überlegung für eine Nachfolge-Station werden noch nicht angestellt ?

JW: Doch. Da sind wir dran, es gibt verschiedene Überlegungen. Der Planungsvorlauf muß ja Jahre vorher erfolgen. Es gibt Diskussionen, was wir da machen können. Anforderungen und Ideen einer Nachfolgestation werden zusammengetragen.

Fazit: Am 2. Dezember wissen wir dann mehr über die Zukunft Europas mit der Raumfahrt.

Man mag selber ausfüllen, unter welchem Motto die ESA-Konferenz steht:
We choose to go to … not because they are …, but because they are ….
Das schwierigste scheint jedenfalls zu sein, gemeinsame Ziele zu verfolgen und das Geld dazu zu finden.

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