Berge schrumpeln aufwärts

Der große Saturnmond Titan verbirgt unter seinem für sichtbares Licht undurchdringlichen Vorhang eine Vielzahl von Überraschungen. Eine davon sind die recht ausgedehnten Gebiete relativ hoher Topografie, die als gebirgiges Terrain, ja sogar als ganze Gebirgszüge von bis zu 300 km Länge interpretiert werden.

Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: Eigene Recherche (s.u.). Vertont von Peter Rittinger.

Wie sie entstanden, bzw. ihre Natur, ist allerdings noch nicht gänzlich geklärt. Diskutiert werden aktuell vor allem Szenarien der Krustendeformation, des sekundären Impaktauswurfes und tektonische Prozesse, die durch Auf- und Abschiebungen Schollen inmitten annähernd paralleler Verwerfungen relativ zu benachbarten Schollen herausgehoben haben. Inzwischen existieren neue Erklärungsansätze, die diese Frage klären könnten.

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Das Bild zeigt bergiges Gelände auf der Nordhemisphäre des Mondes. In der Farbcodierung entspricht orange/rot den größten Erhebungen mit etwa 700 m über dem Durchschnittsniveau. Das größte Oberflächenmerkmal auf diesem Bild befindet sich nahe des Ortes 52° Nord,13° Ost, ist allerdings nicht farbcodiert. Es handelt sich um ein Bergmassiv, dass sich 1.400 m über das angrenzende Tal erhebt.
(Bild: NASA)

Da auf dem Saturnmond gänzlich andere Umweltbedingungen als auf der Erde herrschen, schließt sich ein direkter Vergleich zur Entstehungsgeschichte der Gebirge bis auf Einzelfälle bei uns aus. Die beste Erklärung des Beobachtbaren liefert nunmehr eine These, die in einigen Teilaspekten jüngst auch im Zusammenhang mit dem Erdmond genannt wurde: Titan kühlt aus und schrumpelt demzufolge zusammen.

Schuld daran tragen offenbar die verschiedenen Dichten der äußeren Eisschichten des Titan. Restwärme aus der Entstehungsphase vor etwa 4 Mrd. Jahren sowie Wärme aus Isotopenzerfall halten einen Großteil des Mondinneren vermutlich in einen Zustand kinematischer Viskosität. Ammoniak und andere flüchtige organische Stoffe wurden während der Akkretionsphase in den Flüssigkeitsschichten gelöst und setzten heute den Gefrierpunkt des Liquids herab. Die Ammoniakkonzentration dürfte dabei einen Wert von 5 Volumenprozent nicht überschreiten, wie er auch gut mit den beobachteten Werten in Kometen vereinbar ist.

Allerdings strahlt Titan mehr Wärmeenergie ab, als er in seinem Inneren durch Gezeitenreibung und seinem felsigen Inneren produziert (eine Leistung von etwa 600 Gigawatt = 600 Milliarden Watt), so dass die hieraus resultierende Negativbilanz zu einem langsamen Auskühlen führt. Die oberflächennahen Regionen des unter der Eiskruste vermuteten globalen Ozeans gefrieren vor diesem Hintergrund und die äußeren Eiskrusten gewinnen an Mächtigkeit. Durch das anhaltende Auskühlen zieht sich der Titan weiter zusammen, er verliert an Umfang, schließlich falten sich die Oberflächenschichten auf.

Bislang ist der Titan der einzige Eis-Mond des Sonnensystems, bei dem ein derartiges Verhalten in globalem Umfang bekannt ist. Und doch ist in Einzelfällen ein solcher Entstehungsprozess auch auf der Erde zu beobachten, so z.B. auf dem Gebiet des heutigen Irans. Dort entstand das Zagros-Gebirge durch Einschrumpfen der Lithosphäre, d.h. der festen Gesteinskruste, die den Erdmantel bildet.

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Parallele Gebirgsketten nahe des Äquators. Entstanden sind sie wahrscheinlich durch Auffaltungen der Lithosphäre, als sich der Titan aufgrund seiner andauernden Auskühlung zusammenzog.
(Bild: NASA)

Die höchsten Gipfel erreichen auf Titan fast 2.000 m. Und machen sie daher durchaus vergleichbar mit irdischen Mittelgebirgen. Regelrechte Bergketten sind in konzentrierter Form seit 2005 in der Nähe des Mondäquators bekannt, die sämtlich eine West-Ost-Orientierung aufweisen, was eine gemeinsame Entstehungsgeschichte naheliegen lässt.

Erhebungen um 2.000 m und höher sind auf mehreren anderen Eismonden des äußeren Sonnensystems keine Seltenheit. Ihre Entstehung geht hingegen auf extensionale Tektonik zurück, also auf Kräfte, die eine Streckung und Ausdehnung der oberen Eisschichten bewirken. Für kontraktionale Tektonik, bei der durch Schrumpfung eines Körpers die Krustenschicht an Mächtigkeit gewinnt, fehlten bislang jegliche Hinweise. Titan ist der erste Satellit, bei dem kontraktionale tektonische Ereignisse in der Oberflächengestaltung als dominant angesehen werden können.

Möglich wurden die Annahmen durch die Ergebnisse simulatorischer Modellrechnungen zur Struktur und Evolution eisiger Körper des äußeren Sonnensystems und zu tektonischen Prozessen des Titan. Die gleichen Ergebnisse deuteten allerdings auf eine nur unvollkommene Differenzierung des Mondinneren hin, was nur schwierig mit den beobachteten Strukturen auf dem Mond in Einklang zu bringen ist.

Die besten Übereinstimmungen mit den Radardaten der Raumsonde liefert das Modell, wenn der innere Kern des Mondes von einer dichten Schicht aus Wassereis unter starken Druckverhältnissen umschlossen ist. Daran anschließend ein mächtiger globaler Wasser-Ammoniak-Ozean, an dem sich eine äußere Wassereiskruste angliedert. Gewissermaßen liefert vor diesem Hintergrund die angenommene Entstehungshistorie der Gebirgszüge auch ein weiteres stichhaltiges Indiz zum Vorhandensein eines globalen untergründischen Flüssigkeitsozeans auf Titan.

Von innen nach außen kühlen sich die aufeinanderfolgenden Schichten erwartungsgemäß ab. Die durchschnittlichen Temperaturwerte betragen auf der Oberfläche nicht mehr als –178 °C. Diese extrem tiefen Temperaturen führen über andauernde Zeitskalen auch bei einem Ammoniak-Wasser-Gemisch zu partiellen Überfrierungen, die die äußere Eisschicht weiter anwachsen lassen. Da diese mächtiger werdende Eisschicht weniger dicht als der Flüssigkeitsozean ist, und dieser eine geringere Dichte als die unter hohem Druck stehende innere Wassereisschicht aufweist, verlieren die inneren Schichten durch anhaltende Abkühlung an Volumen. Das Falten der Kruste ist die Folge.

Seit seiner Formation vor etwa vier Milliarden Jahren setzt Titan kontinuierlich Hunderte Gigawatt an Energie frei. Als Resultat teilt der Saturnmond ein ähnliches Schicksal, wie es kürzlich auch bei unserem Erdmond identifiziert wurde: Über die Äonen verkleinerte sich Titans Radius um etwa 7 Kilometer und verlor wohl ein Prozent seines Volumens.

Bei keinem anderen seiner jovianischen Cousins (Monde, die jupiterähnliche Gasriesen umkreisen) ist ein korrespondierendes Verhalten bekannt, was eine differente geologische Geschichte nahelegt und unter Umständen auf ein zuvor schon erwähntes globales Flüssigkeitsreservoir zurückzuführen ist.

Raumcon:

Quellen:

  • Mitri, G. et al. Journal of Geophysical Research, im Druck.
  • Anderson, J. D., Schubert, G., Jacobson, R. A., Lau, E. L., Moore, W. B., and Sjogren, W. L. 1998. Europa’s differential internal structure: Inferences from four Galileo encounters, Science 281, 2019–2022.
  • Chen, C. W. and Hensley, S. 2005. Amplitude-based height-reconstruction techniques for synthetic aperture ladar systems. J. Opt Sci. Am. A., 22(3), 529-538.
  • Collins, G.C., McKinnon, W.B., Moore, J.M., Nimmo, F., Pappalardo, R.T., Prockter, L.M., Schenk P.M. 2009. Tectonics of the Outer Planet Satellites, in Planetary Tectonics (R.A. Schultz and T.R. Watters, eds.), Cambridge University Press, pp.

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