Die letzten Minuten der Columbia

So unklar die Ursache für den Verlust der Columbia – die letzten Minuten bis zum Abbrechen der Verbindung lassen sich relativ genau darstellen.

Autor: Lutz Growalt.

Die von der NASA vorgelegten Daten über den Status der Systeme an Bord lassen zwar die Rekonstruktion des Verlaufs zu, den die Katastrophe nahm, geben aber keinen Hinweis auf die Ursache.

(Alle Zeitangaben in MEZ)

01.02.2003, 14:52,00 Uhr (7:32 min. bis zum Abbruch des Signals)

Alle Sensoren auf “Go”, keine Hinweise auf Besonderheiten. Vorgesehener Landezeitpunkt: 15:16 Uhr. Noch 1.400 Meilen bis zum Kennedy Space Flight Center in Florida.

14:52,20 Uhr (7:12 min. bis LOS)

Zwanzig Sekunden später: Ein Temperaturfühler in einer der Bremsleitungen des linken Hauptfahrwerks zeigt einen Temperaturanstieg. Nichts Dramatisches – draußen rauscht Plasma mit 2.000°C über die Außenhaut der Columbia. Die Bremsleitung erwärmt sich mit 2°C pro Minute.

14:52,39 Uhr (7:03 min. bis LOS)

Neunzehn Sekunden später, der zweite Temperaturalarm. Wiederum in einer Bremsleitung des linken Hauptfahrwerks, aber an einer anderen Stelle. Hier steigt die Temperatur mit einer Rate von 6° pro Minute.

14:52,48 Uhr (6:44 min. bis LOS)

Ein dritter Sensor im linken Schacht des Hauptfahrwerks meldet Temperaturzunahme. Dieser Sensor liegt nahe dem ersten Temperaturmesser, der Erwärmung meldet. Am dritten Sensor nimmt die Temperatur mit einer Rate von 5°C pro Minute zu. Nicht dramatisch.

14:52,59 Uhr (6:33 min. bis LOS)

Eine Minute nach dem ersten Anzeichen, daß etwas nicht stimmt, fällt einer der in der Außenhaut eingelassenen Temperaturfühler aus. Der Sensor liegt auf der Unterseite der linken Tragfläche im Bereich des inneren Elevons (= bewegliches Luftruder an der Hinterkante der Tragfläche).

14:53,10 Uhr (6:22 min. bis LOS)

Ein weiterer Temperaturmesser, diesmal im äußeren Bereich der linken Tragfläche, fällt ebenfalls aus. Der Sensor sitzt im hydraulischen System für den Antrieb des äußeren Elevons der linken Tragfläche – und er hängt an einem völlig anderen Stromkreis als der erste ausgefallene Sensor.

14:53,11 Uhr (6:21 min. bis LOS)

Eine Sekunde später fällt ein weiterer Temperaturmesser in der Hydraulik aus – diesmal ist der Antrieb des innere Elevons betroffen.

14:53,31 Uhr (6:01 min. bis LOS)

Ein dritter Temperaturmesser im hydraulischen System der linken Tragfläche fällt aus. Dieser Sensor liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Temperaturmesser, der um 14:53,10 seinen Dienst versagte.

14:53,36 Uhr (5:59 min. bis LOS)

Der vierte Temperaturmesser im Hydrauliksystem fällt aus. Er liegt im hydraulischen Antrieb für den inneren Elevon und befindet sich nahe beim zweiten Hydraulik-Temperaturmesser (Ausfall: 14:53,11 Uhr).

Insgesamt sind bis zu diesem Zeitpunkt vier Temperaturmesser im hydraulischen Antrieb für die beiden Elevons der linken Tragfläche ausgefallen – nacheinander innerhalb von 37 Sekunden, nicht gleichzeitig.

14:54,13 Uhr (5:19 bis LOS)

Im Fahrwerkschacht meldet ein weiterer Sensor steigende Temperatur. Dieser Sensor liegt dicht bei dem Geber, der um 13:52,39 eine Erwärmung um 6° pro Minute meldete. Der jetzt ausgelöste Temperaturalarm meldet die gleiche Erwärmungsrate: 6° pro Minute.

Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir es also mit drei scheinbar nicht zusammenhängenden Vorgängen zu tun: erstens in vergleichsweise bescheidenem Umfang steigende Temperaturen an vier Meßpunkten im linken Fahrwerksschacht, zweitens dem Ausfall von vier Temperatursensoren im hydraulischen Antrieb für die beiden Elevons der linken Fläche und drittens der Ausfall eines Temperaturmessers in der Außenhaut an der Hinterkante der linken Tragfläche.

14:54,22 Uhr (5:10 min. bis LOS)

Zunahme der Temperatur an der linken Bordwand, oberhalb der linken Tragfläche. Der entsprechende Sensor meldet eine Erwärmung mit 6° pro Minute – Dittemore: “Ob das von Bedeutung ist oder nicht, wissen wir nicht.”

14:54,27 Uhr (5:05 min. bis LOS)

Wiederum Aktivität im Fahrwerksschacht. Ein am Lager des Hauptbeins, linkes Hauptfahrwerk, gelegener Temperaturmesser liefert steigende Temperaturen mit einer Rate von 7° pro Minute.

14:54,36 Uhr (4:56 min. bis LOS)

Temperaturzunahme an der Verriegelungsstrebe für das linke Hauptfahrwerk – 4° pro Minute. Dittemore: “Keine Berichte von der Besatzung, keine Berichte von unseren Flight Controllern. Alles funktioniert einwandfrei, in allen Systemen.”

14:55,23 (4:09 min. bis LOS)

Der insgesamt siebte Temperaturmesser im Bereich des linken Fahrwerks meldet steigende Temperaturen. Ausgegebener Wert: Erwärmung um 5° pro Minute.

14:55,35 Uhr (3:57 min. bis LOS)

Der erste (von insgesamt drei) Luftdruckmessern im äußeren Rad des linken Hauptfahrwerks fällt aus – die anderen beiden Druckmesser funktionieren weiter (!). Für Dittemore ist dies der Beweis, der gegen das Platzen des Reifens spricht. In diesem Fall wären alle drei Luftdruckmesser gleichzeitig ausgefallen.

14:55,35 Uhr (3:12 min. bis LOS)

Zwei Temperaturmesser in der Außenhaut der linken Tragfläche – einer auf der Ober-, einer auf der Unterseite – fallen gleichzeitig aus. Diese beiden Sensoren hängen am gleichen (elektrischen) Kabelstrang wie die Temperatursensoren im hydraulischen System.

14:57,54 (1:38 min. bis LOS)

Ein Temperaturmesser im linken Fahrwerkschacht gibt Alarm, der Temperaturanstieg ist steiler, als die bisher gemeldeten: 14° pro Minute.

14:58,33 (0:59 min. bis LOS)

Die letzte Minute bricht an. Im äußeren Reifen des linken Hauptfahrwerks fällt der zweite (von drei) Luftdruckmessern aus. Gleichzeitig fällt der erste (von drei) Luftdruckmessern im inneren Reifen aus.

14:58,35 (0:57 min. bis LOS)

Zwei Sekunden später – der zweite Druckmesser im inneren Rad des linken Hauptfahrwerks fällt aus.

14:58,39 (0:53 min. bis LOS)

Der dritte und letzte Luftdruckmesser im äußeren Rad fällt aus. Gleichzeitig fällt auch der dritte Druckmesser im inneren Rad aus – damit sind alle sechs Luftdruckmesser im linken Hauptfahrwerk tot.

14:59,32 (LOS)

Abbruch der Daten- und Sprechfunkverbindung mit der Missionskontrolle in Houston. Nach diesem Zeitpunkt werden von der Datenempfangsstation in White Sands, New Mexico, weitere 32 Sekunden Daten aufgezeichnet.

Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher, ob sich in diesem Datenstrom verwertbare Informationen befinden, vielleicht Fragmente oder einzelne Datenpunkte, die auf die Ursache für den Verlust der Columbia hinweisen könnten.

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