Ein internationales Forschungsteam hat ein ganzes Arsenal an großen Radioteleskopen und optischen Teleskopen dazu eingesetzt, um einen im Jahr 2007 entdeckten Pulsar und dessen Begleitstern, einen Weißen Zwerg, im Detail zu untersuchen. Dieses System bildet einen Modellfall für die Untersuchung der Allgemeinen Relativitätstheorie unter extremen Bedingungen. Die im Rahmen der Studie gewonnenen Resultate stehen in einer ausgezeichneten Übereinstimmung mit der Theorie von Albert Einstein.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie, ESO. Vertont von Peter Rittinger.
Der Pulsar PSR J0348+0432 rotiert innerhalb einer einzigen Sekunde 25 Mal um seine eigene Achse und verfügt bei einem Durchmesser von lediglich 20 Kilometern in etwa über die doppelte Masse der Sonne. Demnach sind im Zentrum dieses Pulsars mehr als eine Milliarde Tonnen Materie in das Volumen eines Zuckerwürfels gepresst. Die Schwerkraft auf der Oberfläche dieses Neutronensterns fällt mehr als 300 Milliarden Mal stärker als auf der Erde aus. Damit handelt es sich bei diesem Objekt um den massereichsten Neutronenstern, dessen Existenz von den Astronomen bisher definitiv bestätigt werden konnte. Das Objekt wurde erst im Jahr 2007 im Rahmen eines umfassenden Pulsar-Suchprogramms mit dem Green-Bank-Radioteleskop entdeckt.
In einem Abstand von lediglich 830.000 Kilometern wird der Pulsar von einem Begleitstern, einem Weißen Zwerg, umkreist. Hierbei handelt es sich um das Überbleibsel eines deutlich leichteren Sterns, welcher seine Atmosphäre verloren hat und der nun langsam abkühlt. Obwohl dieses ungewöhnliche Paar an sich schon sehr interessant ist, stellt es zusätzlich ein einzigartiges Testobjekt zur Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie dar.
Die vor fast einem Jahrhundert von Albert Einstein entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie, welche die Gravitation als Folge der Krümmung der Raumzeit durch das Vorhandensein von Masse und Energie erklärt, hat bislang allen Überprüfungen standgehalten. Dennoch bietet sie keine allumfassende Erklärung für sämtliche Vorgänge im Kosmos und ist auch nicht vollständig mit der Quantenmechanik, einer anderen bedeutenden während des 20. Jahrhunderts entwickelten Theorie der Physik, vereinbar. Deshalb werden beide Theorien wohl letztlich Teil einer noch umfangreicheren, allerdings noch zu erstellenden Theorie werden.
Auf der Suche nach dieser umfassenden Theorie haben Physiker in der Vergangenheit auch mehrere alternative Theorien bezüglich der Gravitation ausgearbeitet, deren Vorhersagen von jenen der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein abweichen. Für einige dieser Alternativen würden sich die in der Praxis nachweisbaren Unterschiede nur in extrem starken Gravitationsfeldern zeigen, wie sie im Bereich unseres Sonnensystems nicht vorzufinden sind.
Entsprechende Verhältnisse treten jedoch im Bereich von Pulsaren auf. In den dort existenten, extrem starken Gravitationsfeldern können bereits kleine Änderungen in der Masse zu deutlich erkennbaren Veränderungen in der Raumzeit um ein solches Objekt führen. Der erste Pulsar in einem Doppelsternsystem, das Objekt PSR B1913+16, wurde von Joseph Hooton Taylor, Jr. und Russell Hulse entdeckt, welche dafür im Jahre 1993 den Physik-Nobelpreis erhielten. Die beiden Wissenschaftler hatten sorgfältig die Veränderungen der Eigenschaften dieses Objekts vermessen und konnten dabei nachweisen, dass diese Änderungen genau mit den Energieverlusten durch Abstrahlung von Gravitationswellen übereinstimmen, wie sie von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt werden.
Der jetzt untersuchte Pulsar PSR J0348+0432 stellt aufgrund seiner großen Masse allerdings ein noch besseres Studienobjekt dar und bietet die Gelegenheit, die Experimente auf eine neue Ebene zu befördern. Die dortigen Werte von Masse und Schwerkraft fallen fast doppelt so hoch aus wie in den bisher bekannten „Pulsar-Schwerkraft-Laboren“ des Universums. In Kombination mit der sehr kurzen Umlaufperiode des Weißen Zwergsterns um den Pulsar von lediglich 2,5 Stunden ergeben sich für die Astronomen und Astrophysiker dabei neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Doppelsternsystemen und die Aussendung von Gravitationswellen.
Bedingt durch den geringen Abstand der beiden Komponenten strahlt das System Gravitationswellen ab, welche – wie von der Relativitätstheorie vorhergesagt – zu einer weiteren Verringerung des Abstands beider Komponenten und einer damit verbundenen Abnahme der Bahnperiode führen. Im Sprachgebrauch der Allgemeinen Relativitätstheorie: Die Astronomen haben hier zum ersten Mal die Möglichkeit, die Bewegung eines Objekts in einer derart stark deformierten Raumzeit mit hoher Präzision zu vermessen.
Um diesen Effekt quantitativ testen zu können, benötigen die Wissenschaftler jedoch zuvor die Massen des Pulsars und seines Begleiters. „Ich habe das Doppelsystem mit dem Very Large Telescope der ESO beobachtet, um nach Veränderungen in der Lichtkurve des Weißen Zwergs zu suchen, die durch seine Bewegung um den Pulsar verursacht werden“, so John Antoniadis, Doktorand am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn und Erstautor eines Fachartikels, in dem über die Beobachtung berichtet wird. „Schon bei einer ersten Vor-Ort-Analyse konnte ich erkennen, dass der Pulsar ein ziemliches Schwergewicht ist. Er ist doppelt so schwer wie die Sonne, was ihn zum massereichsten Neutronenstern macht, den wir kennen. Das macht ihn zu einem exzellenten Testobjekt für Grundlagenphysik.“
Mit Hilfe der jetzt bekannten Massen konnten die an der Studie beteiligten Wissenschaftler anschließend den Energieanteil berechnen, welcher in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wird und der dabei zu einer Verkürzung der Umlaufperiode in dem System führt. Den Mitarbeitern des Forschungsteams war sofort klar, dass diese Änderung der Umlaufperiode in den Radiosignalen des Pulsars sichtbar sein müsste. Deshalb führten sie in der Folgezeit regelmäßige weiterführende Beobachtungen mit einigen der größten weltweit zur Verfügung stehenden Radioteleskopen durch. Zusätzlich wurden für die Studien zwei optische Teleskope eingesetzt.
Das Very Large Telescope (kurz „VLT“) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den chilenischen Anden wurde im Rahmen dieser Arbeiten dafür benutzt, die Massen der beiden Komponenten – des Pulsars und des Weißen Zwergs – zu bestimmen. Das William-Herschel-Teleskop (kurz „WHT“) auf La Palma diente dazu, das Verhalten des Weißen Zwergs systematisch zu überwachen. Mit dem Green-Bank-Teleskop (kurz „GBT“) wurde der Pulsar PSR J0348+0432 im Jahr 2007 entdeckt. Mit den beiden Radioteleskopen in Arecibo und Effelsberg wurden dagegen in den folgenden Jahren die Veränderungen in der Umlaufperiode des Systems exakt vermessen und bestimmt.
„Unsere Radiobeobachtungen mit den beiden Teleskopen in Effelsberg und Arecibo waren derart präzise, dass wir bereits Ende 2012 eine Änderung von nur acht Mikrosekunden pro Jahr in der Umlaufperiode und damit exakt den von der Relativitätstheorie vorhergesagten Wert nachweisen konnten“, so Paulo Freire, einer der Mitarbeiter des MPIfR in Bonn.
„Das aufregendste Ergebnis für uns war, dass die Allgemeine Relativitätstheorie sich auch in einem so extremen Umfeld noch vollständig bewährt“, ergänzt Norbert Wex, theoretischer Astrophysiker in der Forschungsabteilung „Radioastronomische Fundamentalphysik'“ am Max-Planck-Institut für Radioastronomie.
„Diese extremen physikalischen Bedingungen kann man unmöglich in irdischen Laboratorien nachbilden“, so Thomas Tauris von der Arbeitsgruppe „Stellarphysik“ am Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. „Wir möchten gern etwas darüber erfahren, wie die Natur solche Systeme für uns aufbaut. Im Fall von PSR J0348+0432 müssen wir unsere Sternentwicklungsmodelle bis an die Grenze strapazieren. Das System hat eine einzigartige Kombination von Eigenschaften: kurze Umlaufperiode, und einen Pulsar mit hoher Masse, relativ langsamer Eigenrotation und einem starken Magnetfeld. Insgesamt ist das eine sehr interessante Herausforderung für unsere Theorien zur Entwicklung von Doppelsternsystemen.“
Die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler, welche am 26. April 2013 in der Fachzeitschrift „Science“ unter dem Titel „A massive pulsar in a compact relativistic binary“ publiziert wurden, sind nicht zuletzt wichtig für den direkten Nachweis von Gravitationswellen. Hierfür werden auf der Erde große Gravitationswellendetektoranlagen wie die Laser-Interferometer GEO600, LIGO und VIRGO eingesetzt.
Eines der Schlüsselsignale, welches aus den Daten dieser Anlagen erwartet wird, stammt von Gravitationswellen, welche von zwei Neutronensternen in einem engen Binärsystem in den letzten Minuten ausgesendet werden, bevor sie sich auf spiralförmiger Bahn sehr rasch aufeinander zu bewegen und schließlich miteinander verschmelzen. Es hat jahrzehntelanger theoretischer Forschung im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie bedurft, um die von einer solchen Kollision erwarteten Gravitationswellen zu berechnen. Die hierfür erstellten mathematischen Gleichungen werden benötigt, um die Gravitationswellen in den von den Anlagen aufgezeichneten Daten identifizieren zu können.
„Unsere Ergebnisse zu PSR J0348+0432 geben uns zusätzliches Vertrauen in die Gleichungen für die komplette Spannweite der Massen von Neutronensternen, wie wir sie in der Natur beobachten“, so Michael Kramer, Direktor am MPIfR und Leiter der Forschungsabteilung „Radioastronomische Fundamentalphysik“. „Wenn man den großen Aufwand berücksichtigt, der in die Ableitung dieser Gleichungen gesteckt worden ist, dann ist es eine sehr gute Nachricht für unsere Kollegen aus der Gravitationswellen-Astronomie, dass Einsteins Theorie auch diesen Test bestanden hat.“
Die neuen Messungen sind allerdings erst den Beginn einer detaillierten Studie dieses einzigartigen Objektes. In den kommenden Monaten soll der Pulsar PSR J0348+432 mit einem neuartigen, erst kürzlich am Radioteleskop Effelsberg montierten Empfangssystem erneut untersucht werden. Das Ziel dieser Studie besteht darin, die Genauigkeit der bisher erhaltenen Resultate nochmals deutlich zu verbessern und somit die Allgemeine Relativitätstheorie mit noch höherer Genauigkeit zu überprüfen.
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Fachartikel von John Antoniadis et al.:
- A massive pulsar in a compact relativistic binary (Abstract, engl.)