Kalte Winde bei einem Schwarzen Loch

Bei der Beobachtung eines Schwarzen Lochs im Zentrum einer aktiven Galaxie entdeckten Astronomen, dass der dort befindliche kosmische Staub sich nicht nur, wie eigentlich erwartet, in einem ringförmigen Torus um dieses Loch erstreckt, sondern vielmehr durch kalte Winde in den umgebenden Weltraum befördert wird. Diese Entdeckung hat Auswirkungen auf die bisherigen Theorien über die Entwicklung supermassereicher Schwarzer Löcher und deren Interaktion mit ihrer Umgebung.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO, Max-Plack-Institut für Radioastronomie. Vertont von Peter Rittinger.

ESO, M. Kornmesser
Diese künstlerische Darstellung zeigt die Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der aktiven Galaxie NGC 3783 im südlichen Sternbild Centaurus (der Zentaur). Neue Beobachtungen mit dem VLTI der ESO haben nicht nur den Torus aus heißem Staub um das Schwarze Loch, sondern auch einen Wind aus kühlem Material in den Polarregionen sichtbar gemacht.
(Bild: ESO, M. Kornmesser)

In den letzten 20 Jahren haben Astronomen herausgefunden, dass sich in den Zentralbereichen fast aller Galaxien supermassereiche Schwarze Löcher befinden, deren Masse im Gegensatz zu den „normalen“ stellaren Schwarzen Löchern, welche durch den Kollaps eines massereichen Sterns in der Endphase seines „Lebens“ entstehen, oftmals millionenfach größer ausfällt als die Masse unserer Sonne.

Diese zentralen Schwarzen Löcher sind von einer sogenannten Akkretionsscheibe, einer heißen, hellen Scheibe aus interstellarem Gas und Staub umgeben. Zur Aufrechterhaltung der von diesen Scheiben ausgehenden hohen Leuchtkraft müssen diese ständig mit frischen Material versorgt werden. Dieses Material stammt aus einem Staubtorus, welcher die Akkretionsscheiben ringförmig umgibt. Dieser aus Silikat- und Graphitpartikeln bestehende kosmische Staub wird dabei – ähnlich wie Wasser, welches einen kleinen Wirbel um den Abfluss eines Waschbeckens bildet – aus der Umgebung angezogen.

Die Untersuchung eines solchen Staubtorus, welcher ein Schwarzes Loch umgibt, stellt für die Astronomen allerdings eine sehr große Herausforderung dar. Detaillierte Untersuchungen der zentralen Staubansammlungen in Galaxien sind jedoch wichtig, um die Struktur des Staubtorus und seine Wechselwirkung mit der Akkretionsscheibe besser verstehen zu können. Für die hierfür benötigte Winkelauflösung ist allerdings ein Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von mehr als 100 Metern nötig. Da solche Teleskope derzeit nicht verfügbar sind, stellt sich den Astronomen die Frage nach einer alternativen Lösung.

ESO, IAU, Sky&Telescope
In dieser Karte ist die Position der im Sternbild Zentaur (lateinisch “Centaurus”) gelegenen Galaxie NGC 3783 durch einen roten Kreis markiert.
(Bild: ESO, IAU, Sky & Telescope)

Eine Möglichkeit für eine erfolgreiche Analyse besteht darin, bei der Beobachtung eines supermassereichen Schwarzen Lochs mehrere Teleskope gleichzeitig auf das zu untersuchende Objekt auszurichten und das so „eingefangene“ Licht zu überlagern. Durch diese als Interferometrie bezeichnete Methode können die Astronomen hoch aufgelöste Daten über die Umgebung der Schwarzen Löcher gewinnen. Durch die Interferometrie hat sich das Maß an Details, welche im Rahmen der daraus resultierenden Beobachtungen gemessen werden können, in den letzten Jahren drastisch verbessert.

Bei einem der Instrumente, welches gegenwärtig hierfür eingesetzt werden kann, handelt es sich um das Interferometrie-Instrument AMBER des Very-Large-Telescope-Interferometers (kurz „VLTI“) der Europäischen Südsternwarte (ESO). Das VLTI besteht aus den vier VLT-Hauptteleskopen, welche jeweils über eine Spiegeldurchmesser von 8,2 Metern verfügen, und den vier beweglichen VLT-Hilfsteleskopen mit jeweils 1,8 Metern Spiegeldurchmesser.

Jetzt hat ein internationales Astronomenteam das VLTI eingesetzt, um das supermassereiche Schwarze Loch zu untersuchen, welches sich im Zentrum der im Sternbild Zentaur (lateinischer Name „Centaurus“) gelegenen Galaxie NGC 3783 befindet. Die Galaxie NGC 3783 befindet sich in einer Entfernung von etwa 130 Millionen Lichtjahren zu unserer Heimatgalaxie. Das im Zentrum dieser Galaxie befindliche Schwarze Loch enthält in etwa acht bis zehn Millionen mal so viel Masse wie das Zentralgestirn in unserem Sonnensystem.

„Erst durch die Kombination der erstklassigen Empfindlichkeit der großen Spiegel des VLT mit der Interferometrietechnik können wir genug Licht sammeln, um so lichtschwache Objekte detailliert zu beobachten. So können wir eine Region in einer Galaxie in einigen zehn Millionen Lichtjahren Entfernung untersuchen, die gerade mal so groß ist wie der Abstand zwischen der Sonne und dem nächsten Stern [das nächstgelegene Sternsystem – Alpha Centauri – ist etwa vier Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt]. Kein anderes optisches oder Infrarotsystem ist derzeit dazu in der Lage“, so Gerd Weigelt vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), einer der an der Studie beteiligten Astronomen.

ESO, Digitized Sky Survey 2. Acknowledgement: Davide De Martin
In dieser im Rahmen des Digitized Sky Survey 2 von der ESO erstellten Aufnahme des Sternbildes Zentaur sind viele weit entfernte Galaxien erkennbar. Bei einer der im Zentrum der Aufnahme abgebildeten „Sterninseln“ handelt es sich um die Galaxie NGC 3783.
(Bild: ESO, Digitized Sky Survey 2. Acknowledgement: Davide De Martin)

Kalter Staub
„Bei unseren zahlreichen Beobachtungen schalteten wir jeweils zwei der vier Acht-Meter-Teleskope in allen möglichen Kombinationen zusammen, wobei der gegenseitige Teleskopabstand zwischen 37 und 130 Metern variierte. Dadurch erzielten wir eine Auflösung, die einem riesigen Einzelteleskop mit einem Durchmesser von 130 Metern entspricht“, so Gerd Weigelt weiter. Die Wissenschaftler beobachteten die Umgebung des Schwarzen Lochs also gewissermaßen mit einem Zoom-Objektiv.

Und dies mit einem überraschendem Ergebnis: Zusätzlich zu dem bereits seit längerem bekannten Staubtorus, welcher relativ hohe Temperaturen von bis zu 1000 Kelvin (730 Grad Celsius) erreicht, entdeckten die Astronomen ober- und unterhalb von diesem schlauchförmigen Ring weitere Staubkonzentrationen, welche lediglich Temperaturen von rund 300 Kelvin erreichen. Diese neu entdeckten, deutlich kühleren Staubströme dehnen sich senkrecht zu dem relativ heißen Staubtorus in die polaren Richtungen aus.

„Wir hatten zuvor bereits bei zwei oder drei anderen aktiven Galaxien Anzeichen für solche Staubströme gefunden“, so Makoto Kishimoto, ein weiterer Mitarbeiter des Wissenschaftlerteams. „Aber wir waren überrascht, dass diese bei NGC 3783 so dicht ausfallen.“

Bislang gingen die Astronomen davon aus, dass der Großteil der Infrarotstrahlung, welche von einem supermassiven Schwarzen Loch ausgesandt wird, direkt aus dessen Staubtorus stammt. Abhängig von der Wellenlänge stammen im Fall von NGC 3783 jedoch 60 bis 90 Prozent der im mittleren Infrarotbereich ausgesandten Strahlung unmittelbar aus den beiden senkrecht dazu verlaufenden Staubsäulen.

Die Wissenschaftler haben auch bereits ein Modell entwickelt, welches dieses Phänomen erklären könnte: Aufgeheizt von der zentralen Akkretionsscheibe dehnt sich der sich daran anschließende Innenrand des Staubtorus aus. Dadurch bedingt werden die dort befindlichen Staubpartikel von der Strahlung beschleunigt und schießen schließlich senkrecht zu der Scheibe ins All. Der neu entdeckte Staub bildet dabei eine Art „kühlen Wind“ aus, welcher – von dem Schwarzen Loch ausgehend – nach außen strömt. Dieser Wind, so die Astronomen, muss eine wichtige Rolle in der komplexen Beziehung zwischen dem Schwarzen Loch und dessen Umgebung spielen. Das Schwarze Loch stillt zwar seinen unersättlichen Appetit mit dem umliegenden Material, gleichzeitig scheint die dadurch verursachte intensive Strahlung das als Nahrung fungierende Material aber auch wegzublasen.

„Mit den bisherigen Beobachtungen können wir diesen Staub bis in etwa zehn Lichtjahren Entfernung vom Schwarzen Loch nachweisen, doch ist es möglich, dass er sich noch weiter ausdehnt“, so Makoto Kishimoto.

ESO, G.Hüdepohl (atacamaphoto.com)
Eine Luftaufnahme des Paranal-Observatoriums der Europäischen Südsternwarte (ESO) mit den vier Kuppeln des VLT (Very Large Teleskope). Für die Beobachtungen von NGC 3783 wurden jeweils zwei der 8,2-Meter-Teleskope in allen verfügbaren Kombinationen zu einem Interferometer für den mittleren Infrarot-Spektralbereich zusammengeschaltet.
(Bild: ESO, G. Hüdepohl (atacamaphoto.com))

„Das ist das erste Mal, dass wir im mittleren Infrarotbereich erfolgte detaillierte Beobachtungen des kühlen Staubs um einen aktiven Galaxienkern mit ähnlich detaillierten Beobachtungen des sehr heißen Staubs kombinieren konnten“, so Sebastian Hönig von der University of California in Santa Barbara/USA und der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, der Erstautor einer kürzlich veröffentlichten Studie über die Bedeutung der Beobachtungen. „Sie stellen gleichzeitig die umfangreichsten Interferometer-Beobachtungen im Infraroten für einen aktiven Galaxienkern dar, die bislang veröffentlicht wurden.“

Offene Fragen
Viele Fragen sind aber noch offen. Deren Beantwortung wird Auswirkungen auf die bisherigen Theorien über die Entwicklung supermassereicher Schwarzer Löcher und deren Interaktion mit ihrer Umgebung haben.

Es ist zum Beispiel nach wie vor unklar, wie die einzelnen Mechanismen zusammenspielen, die es supermassereichen Schwarzen Löchern ermöglichen, sich im Zentrum einer Galaxie zu entwickeln und anschließend weiter zu wachsen. Des weiteren konnte bisher auch noch nicht geklärt werden, ob die beiden polaren Staubkegel in ihrem Inneren hohl oder mit Materie gefüllt sind. Da sich dies im Moment nicht feststellen lässt, kann auch nicht bestimmt werden, wie viel Materie im Rahmen dieser Prozesse in die polaren Richtungen abströmt.

Grundsätzlich werden im Rahmen dieses Prozesses jedoch gewaltige Energiemengen aus dem Zentralbereich einer aktiven Galaxie über das gesamte elektromagnetische Spektrum hinweg freigesetzt. Diese Energiemengen haben definitiv einen Einfluss auf die Entwicklung der Galaxien.

Auf welche Weise dies geschieht, ist ein Schwerpunkt der heutigen kosmologischen Forschung. Deswegen wollen die Astronomen die Galaxie NGC 3783 auch zukünftig im Auge behalten. Hierfür wird ihnen in ein paar Jahren am VLT ein weiteres Instrument mit dem Namen MATISSE zur Verfügung stehen. Dieses Instrument der zweiten Generation am VLTI befindet sich derzeit noch im Aufbau. Damit wird es den Astronomen möglich sein, alle vier VLT-Teleskope auf einmal zusammenzuschließen und gleichzeitig im nahen und mittleren Infrarot zu beobachten.

„Das wird uns noch viel detailliertere Daten liefern“, schließt Gerd Weigelt.

Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Sebastian Hönig et al. wurden am 20. Juni 2013 unter dem Titel „Dust in the Polar Region as a Major Contributor to the Infrared Emission of Active Galactic Nuclei“ in der Fachzeitschrift „The Astrophysical Journal“ publiziert.

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Fachartikel von Sebastian Hönig et al.:

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