…die bisher beste Bestätigung. Radioastronomen nützen die Umlaufbewegung dreier exotischer Sterne zur Überprüfung der Universalität des freien Falls. Eine Pressemeldung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, Bonn.
Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie.
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Astronomen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat mit extrem hoher Präzision vermessen, dass sich Neutronensterne und Weiße Zwerge in einem Schwerefeld mit gleicher Beschleunigung bewegen. Dies gelang ihnen, indem sie die Bewegung des Pulsars PSR J0337+1715, eines Neutronensterns in einem ungewöhnlichen Dreifachsternsystem mit zwei Weißen Zwergen als Begleiter äußerst präzise vermessen haben. Das Ergebnis, erhalten durch eine neue stringente Untersuchungsmethode und die Verknüpfung von neuen Radioteleskopbeobachtungen mit den neuesten Ergebnissen von Gravitationswellendetektoren, bedeutet die bisher beste Überprüfung einer der fundamentalsten Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie, dass nämlich die Schwerkraft alle Objekte mit der gleichen Beschleunigung anzieht, unabhängig von deren Zusammensetzung, Dichte oder Stärke des eigenen Gravitationsfeldes.
Diese Erkenntnis bezeichnete Einstein als seinen „glücklichsten Gedanken“, da sie ihn schlussendlich zur allgemeinen Relativitätstheorie führte. Dies gilt sogar im extremen Fall von Neutronensternen, bei denen die Raumzeit viele Billionen mal stärker gekrümmt wird als bei Planeten und selbst bei der Sonne. Vielleicht deutlicher als jeder vorhergehende Test zeigt dieses Ergebnis, dass die allgemeine Relativitätstheorie eine tiefere Wahrheit der Natur erfasst.
Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht.
Ein Test für die Universalität des freien Falls
Der Pulsar PSR J0337+1715 in Richtung des Sternbilds Stier (Taurus) ist ein Neutronenstern von 1,44 Sonnenmassen, der sich 366mal pro Sekunde um die eigene Achse dreht und dabei einem Leuchtturm gleich regelmäßige Radiopulse in dieser Frequenz Richtung Erde sendet. Er bildet eine Komponente in einem außergewöhnlichen Dreifachsternsystem, in gegenseitiger Wechselwirkung mit zwei weiteren Sternen, beides Weiße Zwerge (vgl. Abb. 1). Ein Weißer Zwerg ist ein recht exotisches Objekt, nämlich ein Stern von ungefähr Erdgröße, aber mit einer Dichte von vielen Hundert Kilogramm pro Kubikzentimeter in seinem zentralen Bereich. Verglichen mit Weißen Zwergen sind Neutronensterne aber noch wesentlich extremer. Mit einer Masse größer als die unserer Sonne zusammengequetscht in einem Gebiet von nur etwas mehr als 20 km Durchmesser erreichen sie zentrale Dichten von mehr als einer Milliarde Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels.
Ein Forscherteam unter der Leitung von Guillaume Voisin (Jodrell Bank Centre for Astrophysics/UK und Observatoire de Paris), unter Beteiligung von Paulo Freire, Norbert Wex und Michael Kramer vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) sowie Wissenschaftlern aus mehreren Forschungsinstituten in Frankreich, hat mit dem Nançay-Radioteleskop in der Sologne-Region in Frankreich (Abb. 2) die Ankunftszeiten der Radiopulse von PSR J0337+1715 über einen Zeitraum von acht Jahren genau vermessen. Als Ergebnis können die Wissenschaftler nun zeigen, dass Neutronensterne und Weiße Zwerge sich mit einer Genauigkeit von zwei Teilen pro Million mit gleicher Beschleunigung in einem Schwerefeld bewegen.
Diese fundamentale Eigenschaft, bekannt unter dem Stichwort “Universalität des freien Falls“, bildet die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. „Die Bestätigung mit dieser Genauigkeit stellt einen der bisher überzeugendsten Tests überhaupt für Einsteins Theorie dar – und die Theorie besteht den Test mit Bravour“, sagt Dr. Guillaume Voisin. „Das bedeutet, dass für alternative Theorien der Schwerkraft, die in Konkurrenz zur allgemeinen Relativitätstheorie zum Beispiel zur Erklärung der „Dunklen Energie“ vorgeschlagen werden, enge Grenzen gesetzt werden.“
Was ist die Universalität des freien Falls?
Die Universalität des freien Falls ist eine einzigartige Eigenschaft der Gravitation. Im Unterschied zu allen anderen Wechselwirkungen in der Natur zieht die Schwerkraft alle materiellen Objekte mit gleicher Beschleunigung an. Galileo Galilei hat angeblich eine Reihe unterschiedlich großer Gewichte vom Schiefen Turm von Pisa aus herunterfallen lassen, um dies zu überprüfen. Später hat Isaak Newton diesen Sachverhalt als fundamentale Eigenschaft der Gravitation bezeichnet, ohne es indes näher zu erklären. Die höchste Genauigkeit bei der Überprüfung der Universalität des freien Falls konnte bisher mit einem speziell dafür entwickelten Satelliten namens MICROSCOPE erreicht werden, der vom französischen „Centre Nationale d’Études Spatiales“ entwickelt wurde. Die kleinen Prüfmassen im Inneren des Satelliten zeigen eine identische Beschleunigung im Schwerefeld der Erde bis zu einer Genauigkeit von 1 zu 1014 (oder 1 zu 100 Billionen).
Einsteins glücklichster Gedanke
Nach der Veröffentlichung seiner speziellen Relativitätstheorie im Jahr 1905 begann Einstein darüber nachzudenken, wie er seine neue Theorie mit der Gravitation zusammenbringen könnte, da Newtons Gravitationsgesetz mit dem Relativitätsprinzip in der speziellen Relativitätstheorie unvereinbar ist. Im Herbst 1907 kam ihm ein entscheidender Gedanke, dass es einem Beobachter im freien Fall genauso erscheint, als ob die Gravitation ausgeschaltet worden wäre. Aufgrund der Universalität des freien Falls wird nämlich alles in seinem Umfeld auf die gleiche Weise beschleunigt. Diese einfache aber trotzdem tiefgreifende Erkenntnis brachte Einstein schließlich dazu, die Gravitation als ein Resultat der gekrümmten Raumzeit anzusehen, die in gleicher Art auf alle Massen einwirkt und ein Schlüsselkonzept der allgemeinen Relativitätstheorie darstellt. Er hat diese plötzliche Eingebung später als „den glücklichsten Gedanken meines Lebens“ bezeichnet.
Da Experimente wie der MICROSCOPE-Satellit die Universalität des freien Falls mit derart hoher Genauigkeit bestätigen konnten, haben die meisten Gravitationstheorien inklusive der allgemeinen Relativitätstheorie selbst Einsteins Erkenntnis als Grundvoraussetzung integriert. Das heißt, dass alle diese Theorien die Gravitation als geometrisches Phänomen beschreiben, das aus der Krümmung der Raumzeit resultiert. Die anderen Theorien unterscheiden sich von der allgemeinen Relativitätstheorie nur dadurch, wie die Raumzeit durch die Massen großer Objekte verbogen wird, was sich durch radioastronomische Beobachtungen von Neutronensternen besonders gut testen lässt.
Wie unterscheidet sich die allgemeine Relativitätstheorie von anderen Theorien der Schwerkraft?
Obwohl alle die genannten Theorien vorhersagen, dass kleine Objekte sich mit identischer Beschleunigung im gleichen Gravitationsfeld bewegen, ist der Sachverhalt nicht mehr so einfach, wenn es sich statt kleiner Körper um astronomische Objekte mit großer Masse handelt, die durch die Gravitation selbst zusammengehalten werden. In diesem Fall vermittelt die allgemeine Relativitätstheorie das einfachste Bild, dass nämlich die Universalität des freien Falls auch für solche „selbstgravitierenden“ Objekte gilt, während viele alternative Theorien zur Gravitation Abweichungen von einer universellen Beschleunigung vorhersagen. Diese Abweichungen vergrößern sich in der Regel in dem Maß, mit dem die Raumzeit durch die Masse des Objekts selbst verkrümmt wird. Für Objekte wie die Erde, die Sonne und selbst weiße Zwergsterne ist das Maß der Raumkrümmung ziemlich klein. Im Vergleich dazu ist die Raumkrümmung bei Neutronensternen Millionen bis Billionen mal stärker. In Gravitationstheorien, die eine Verletzung der Universalität des freien Falls in Bezug auf die Eigengravitation der Objekte vorhersagen, ist das Ausmaß dieser Verletzung im Fall von Neutronensternen generell wesentlich stärker als bei allen anderen Objekten.
Ein Pulsar in einem Dreifach-Sternsystem
Im Jahr 2014 entdeckten Radioastronomen, dass der Pulsar PSR J0337+1715 zusammen mit zwei Weißen Zwergen ein Dreifachsternsystem bildet. Dieses System stellt ein ideales Labor dar, um die Universalität des freien Falls für einen Neutronenstern zu überprüfen. Durch die systematische Erfassung der Bewegung des Pulsars aufgrund seiner Radiosignale konnte nun ein hochpräziser Test durchgeführt werden, der zeigt, ob der Pulsar sich mit der gleichen Beschleunigung im Gravitationsfeld des äußeren Weißen Zwergs bewegt wie der benachbarte „innere“ Weiße Zwerg. Der neue Test verbessert frühere Untersuchungen des gleichen Systems in zweifacher Hinsicht. Zum einen liefert er einen schärferen Grenzwert für einen Unterschied in der Schwerebeschleunigung zwischen Pulsar und innerem Weißen Zwerg, zum anderen verwendet er Ergebnisse zu den Eigenschaften von Neutronensternen, die sich aus der vernichtenden Kollision zweier Neutronensterne ergeben, die mit den LIGO/VIRGO-Gravitationswellenobservatorien beobachtet werden konnte. „Der zweite Aspekt ist besonders wichtig in Hinblick auf die Abgrenzung der allgemeinen Relativitätstheorie zu alternativen Gravitationstheorien“, erklärt Dr. Norbert Wex vom MPIfR, ein Ko-autor der Veröffentlichung.
PSR J0337+1715 zeigt uns also, dass Einsteins geniale Einsicht auch bei so extremen Objekten wie Neutronensternen zutrifft, die erst ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung der allgemeinen Relativitätstheorie entdeckt wurden. „Vielleicht mehr als in allen vorhergehenden Studien zeigt dieses Ergebnis, dass Einsteins glücklichster Gedanke tatsächlich eine fundamentale Aussage über die Gravitation und die innere Funktion der Natur darstellt“, schließt Dr. Paulo Freire, ein weiterer Ko-autor vom MPIfR.
Hintergrundinformation
Die Überprüfung der Universalität des freien Falls mit einem Pulsar in einem Dreifachsternsystem ist vergleichbar mit einem klassischen Test, der im Lauf der vergangenen 50 Jahre regelmäßig durchgeführt worden ist, dem sogenannten „Lunar Laser Ranging“ (LLR).
Wie bereits erwähnt, sagen eine Reihe von alternativen Theorien der Gravitation im Gegensatz zur allgemeinen Relativitätstheorie voraus, dass astronomische Objekte in einem Gravitationsfeld unterschiedlich beschleunigt werden, und zwar abhängig vom Ausmaß der von ihnen selbst erzeugten Krümmung der Raumzeit. Diesen Theorien zufolge sollten sich also die Erde und der Mond im Schwerefeld der Sonne mit geringfügig unterschiedlicher Beschleunigung bewegen, da nämlich die Erde im Vergleich zum Mond eine größere Krümmung der Raumzeit hervorruft.
Aus diesem Grund hat Kenneth Nordtvedt bereits in den 1960er Jahren vorgeschlagen, die auf der Mondoberfläche von amerikanischen Astronauten und sowjetischen Rover-Missionen installierten Retroreflektoren zu verwenden, um zu überprüfen, ob sich Erde und Mond mit gleicher Beschleunigung im Schwerefeld der Sonne bewegen. Mit Hilfe von Laserstrahlen in Richtung Mond, die von den Retroreflektoren zurückreflektiert wurden, war es möglich, die Entfernung zwischen Sender und Reflektor mit einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern zu vermessen. Die Ergebnisse stimmen mit den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie überein und zeigen, dass Erde und Mond sich mit einer Genauigkeit von 1 zu 1013 (1 zu 10 Billionen) mit identischer Beschleunigung im Gravitationsfeld der Sonne bewegen.
Trotz der hohen Genauigkeit hat dieser Test aber einen entscheidenden Nachteil. Er liegt in dem geringen Ausmaß der Krümmung der Raumzeit durch Erde oder Mond. Neutronensterne sind im Vergleich dazu viel extremere Objekte. In einem Durchmesser von nur wenig über 20 Kilometern konzentrieren sie eine Masse, die größer ist als die der Sonne, und einige Hunderttausend mal größer als die Masse der Erde. Ihre zentralen Dichten von rund einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter machen sie zur dichtgepacktesten Form von Materie im gegenwärtigen Universum. Als Ergebnis ist die von ihnen hervorgerufene Krümmung der Raumzeit 1014 (oder 100 Billionen) mal stärker als die der Erde; Neutronensterne verursachen also ein extrem starkes Gravitationsfeld.
Das Experiment mit dem Pulsar im Dreifachsternsystem ist in einer Reihe von Aspekten vergleichbar mit dem „Lunar Laser Ranging“-Experiment. Der Pulsar ist in einem Orbit mit 1,6 Tagen Umlaufdauer mit dem inneren Weißen Zwerg (von 0,2 Sonnenmassen). Das lässt sich vergleichen mit dem Erde-Mond-System. Der äußere Weiße Zwerg von 0,4 Sonnenmassen wiederum ist in einem Orbit von 327 Tagen Umlaufdauer mit dem inneren Binärsystem und damit vergleichbar mit der Sonne, in deren Gravitationspotential sich das Erde-Mond-System bewegt. Statt des LLR dort erfolgt hier nun die präzise Analyse des Pulsar-Radiosignals. Das hat nicht annähernd die Genauigkeit der Lasermessung; statt einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern wird im Fall des „Pulsar Timings“ eine Genauigkeit von einigen Hundert Metern erzielt. Das ist einer der Gründe, warum die Pulsarmessung der Universalität des freien Falls mit 2 zu 106 wesentlich weniger genau ist als das LLR mit 1 zu 1013. Aber wie bereits erwähnt, gibt es einen wichtigen Unterschied. Die Krümmung der Raumzeit durch den Pulsar ist um so vieles stärker, dass so manche alternative Theorie der Gravitation, die den hochpräzisen LLR-Test mit Bravour besteht, im starken Feld des Neutronensterns jedoch versagt.
Zum Forscherteam gehören Guillaume Voisin, Ismael Cognard, Paulo Freire, Norbert Wex, Lucas Guillemot, Gregory Desvignes, Michael Kramer, und Gilles Theureau. Drei der Autoren, Paulo Freire, Norbert Wex und Michael Kramer, sind Mitarbeiter des MPIfR.
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