Das Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen Südsternwarte (ESO) hat im Zentrum der Galaxie Messier 77 eine Wolke kosmischen Staubs beobachtet, hinter der sich ein supermassereiches schwarzes Loch verbirgt. Die Entdeckungen haben Vorhersagen bestätigt, die vor rund 30 Jahren gemacht wurden, und geben Astronomen neue Einblicke in „aktive galaktische Kerne“, einige der hellsten und rätselhaftesten Objekte im Universum. Eine Pressemitteilung des ESO Science Outreach Network (ESON).
Quelle: ESON.
16. Februar 2022 – Aktive galaktische Kerne (AGN, engl. Active Galactic Nuclei) sind extrem energiereiche Quellen, die von supermassereichen schwarzen Löchern angetrieben werden und sich im Zentrum einiger Galaxien befinden. Diese schwarzen Löcher ernähren sich von großen Mengen an kosmischem Staub und Gas. Vorher bewegt sich dieses Material spiralförmig auf das schwarze Loch zu, wobei riesige Energiemengen freigesetzt werden, die oft alle Sterne in der Galaxie überstrahlen.
Astronomen und Astronominnen sind neugierig auf AGN, seit sie diese hellen Objekte in den 1950er Jahren erstmals entdeckten. Jetzt hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Violeta Gámez Rosas von der Universität Leiden in den Niederlanden dank des VLTI der ESO einen entscheidenden Schritt getan, um zu verstehen, wie sie funktionieren und wie sie aus der Nähe aussehen. Die Ergebnisse werden heute in Nature veröffentlicht.
Durch außerordentlich detaillierte Beobachtungen des Zentrums der Galaxie Messier 77, auch bekannt als NGC 1068, entdeckten Gámez Rosas und ihr Team einen dicken Ring aus kosmischem Staub und Gas, der ein supermassereiches schwarzes Loch verbirgt. Diese Entdeckung ist ein wichtiger Beleg für eine 30 Jahre alte Theorie, das so genannte Standardmodell (Unified Model) für AGN.
Astronomen und Astronominnen wissen, dass es verschiedene Erscheinungsformen von AGN gibt. Einige senden beispielsweise Radiowellen aus, andere nicht; bestimmte AGN leuchten hell im sichtbaren Licht, während andere, wie Messier 77, eher gedämpft sind. Das Standardmodell besagt, dass alle AGN trotz ihrer Unterschiede dieselbe Grundstruktur aufweisen: ein supermassereiches schwarzes Loch, das von einem dicken Ring aus Staub umgeben ist.
Diesem Modell zufolge sind die Unterschiede im Erscheinungsbild der AGN auf die Ausrichtung zurückzuführen, mit der wir das schwarze Loch und seinen dicken Ring von der Erde aus betrachten. Die Art des AGN, die wir sehen, hängt davon ab, wie sehr der Ring das schwarze Loch aus unserer Sicht verschleiert und es in einigen Fällen sogar ganz verdeckt.
Astronomen und Astronominnen hatten bereits zuvor einige Beweise für das Standardmodell gefunden, darunter die Entdeckung von warmem Staub im Zentrum von Messier 77. Es blieben jedoch Zweifel, ob dieser Staub ein schwarzes Loch vollständig verbergen und somit erklären könnte, warum dieses AGN im sichtbaren Licht weniger hell leuchtet als andere.
„Die tatsächliche Beschaffenheit der Staubwolken und ihre Rolle bei der Versorgung des schwarzen Lochs und bei der Bestimmung seines Aussehens von der Erde aus waren in den letzten drei Jahrzehnten zentrale Fragen in der AGN-Forschung“, erklärt Gámez Rosas. „Auch wenn kein einziges Ergebnis alle Fragen klären kann, haben wir einen wichtigen Schritt zum Verständnis der Funktionsweise von AGN gemacht.“
Ermöglicht wurden die Beobachtungen durch das Multi AperTure Mid-Infrared SpectroScopic Experiment (MATISSE) am VLTI der ESO, das sich in der chilenischen Atacama-Wüste befindet. MATISSE kombiniert das von allen vier 8,2-Meter-Teleskopen des Very Large Telescope (VLT) der ESO gesammelte Infrarotlicht mit einer Technik namens Interferometrie. Das Team nutzte MATISSE, um das Zentrum von Messier 77 zu scannen, das 47 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Cetus liegt.
„MATISSE ist in der Lage, ein breites Spektrum an Infrarot-Wellenlängen zu erfassen, wodurch wir durch den Staub hindurchsehen und die Temperaturen genau messen können. Da das VLTI ein sehr großes Interferometer ist, verfügen wir über die nötige Auflösung, um selbst in so weit entfernten Galaxien wie Messier 77 zu sehen, was vor sich geht. Die Bilder, die wir erhalten haben, zeigen detailliert die Temperatur- und Absorptionsveränderungen der Staubwolken um das schwarze Loch“, sagt Mitautor Walter Jaffe, Professor an der Universität Leiden.
Durch die Kombination der durch die intensive Strahlung des schwarzen Lochs verursachten Temperaturveränderungen des Staubs (von etwa Raumtemperatur auf etwa 1200 °C) mit den Absorptionskarten konnte das Team ein detailliertes Bild des Staubs erstellen und genau bestimmen, wo das schwarze Loch liegen muss. Der Staub, der aus einem dicken inneren Ring und einer ausgedehnten Scheibe besteht und in dessen Zentrum sich das schwarze Loch befindet, unterstützt das Standardmodell. Das Team nutzte auch Daten des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), dessen Eigentümer die ESO ist, und des Very Long Baseline Array (VLBA) des National Radio Astronomy Observatory (NRAO), um ihr Bild zu erstellen.
„Unsere Ergebnisse sollten zu einem besseren Verständnis des Innenlebens von AGN führen“, so Gámez Rosas abschließend. „Sie könnten uns auch helfen, die Geschichte der Milchstraße besser zu verstehen, die in ihrem Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch beherbergt, das in der Vergangenheit aktiv gewesen sein könnte.“
Die Forschenden wollen nun das VLTI der ESO nutzen, um weitere Belege für das Standardmodell für AGN zu finden, indem sie eine größere Anzahl von Galaxien untersuchen.
Teammitglied Bruno Lopez, leitender Wissenschaftler von MATISSE am Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza, Frankreich, sagt: „Messier 77 ist ein wichtiger Prototyp eines AGN und eine wunderbare Motivation, unser Beobachtungsprogramm zu erweitern und MATISSE zu optimieren, um eine größere Stichprobe von AGN zu untersuchen.“
Das Extremely Large Telescope (ELT) der ESO, das noch in diesem Jahrzehnt mit der Beobachtung beginnen soll, wird die Suche ebenfalls unterstützen und Ergebnisse liefern, die die Erkenntnisse des Teams ergänzen und es ihnen ermöglichen, die Wechselwirkung zwischen AGN und Galaxien zu untersuchen.
Weitere Informationen
Diese Forschungsarbeit wurde in dem Artikel „Thermal imaging of dust hiding the black hole in the Active Galaxy NGC 1068“ (doi: 10.1038/s41586-021-04311-7) vorgestellt, der in Nature erscheint.
Das Team besteht aus Violeta Gámez Rosas (Observatorium Leiden, Universität Leiden, Niederlande [Leiden]), Jacob W. Isbell (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland [MPIA]), Walter Jaffe (Leiden), Romain G. Petrov (Université Côte d’Azur, Observatoire de la Côte d’Azur, CNRS, Laboratoire Lagrange, Frankreich [OCA]), James H. Leftley (OCA), Karl-Heinz Hofmann (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland [MPIfR]), Florentin Millour (OCA), Leonard Burtscher (Leiden), Klaus Meisenheimer (MPIA), Anthony Meilland (OCA), Laurens B. F. M. Waters (Abteilung für Astrophysik/IMAPP, Radboud Universität, Niederlande; SRON, Niederländisches Institut für Weltraumforschung, Niederlande), Bruno Lopez (OCA), Stéphane Lagarde (OCA), Gerd Weigelt (MPIfR), Philippe Berio (OCA), Fatme Allouche (OCA), Sylvie Robbe-Dubois (OCA), Pierre Cruzalèbes (OCA), Felix Bettonvil (ASTRON, Dwingeloo, Niederlande [ASTRON]), Thomas Henning (MPIA), Jean-Charles Augereau (Univ. Grenoble Alpes, CNRS, Institut für Planetenwissenschaften und Astrophysik, Frankreich [IPAG]), Pierre Antonelli (OCA), Udo Beckmann (MPIfR), Roy van Boekel (MPIA), Philippe Bendjoya (OCA), William C. Danchi (NASA Goddard Space Flight Center, Greenbelt, USA), Carsten Dominik (Anton Pannekoek Institute for Astronomy, Universität Amsterdam, Niederlande [API]), Julien Drevon (OCA), Jack F. Gallimore (Department of Physics and Astronomy, Bucknell University, Lewisburg, Pennsylvania, USA), Uwe Graser (MPIA), Matthias Heininger (MPIfR), Vincent Hocdé (OCA), Michiel Hogerheijde (Leiden; API), Josef Hron (Department of Astrophysics, University of Vienna, Austria), Caterina M.V. Impellizzeri (Leiden), Lucia Klarmann (MPIA), Elena Kokoulina (OCA), Lucas Labadie (1. Physikalisches Institut, Universität Köln, Deutschland), Michael Lehmitz (MPIA), Alexis Matter (OCA), Claudia Paladini (Europäische Südsternwarte, Santiago, Chile [ESO-Chile]), Eric Pantin (Centre d’Etudes de Saclay, Gif-sur-Yvette, Frankreich), Jörg-Uwe Pott (MPIA), Dieter Schertl (MPIfR), Anthony Soulain (Sydney Institute for Astronomy, University of Sydney, Australien [SIfA]), Philippe Stee (OCA), Konrad Tristram (ESO-Chile), Jozsef Varga (Leiden), Julien Woillez (Europäische Südsternwarte, Garching bei München, Deutschland [ESO]), Sebastian Wolf (Institut für Theoretische Physik und Astrophysik, Universität Kiel, Deutschland), Gideon Yoffe (MPIA), und Gerard Zins (ESO-Chile).
MATISSE wurde in enger Zusammenarbeit mit der ESO von einem Konsortium aus Instituten in Frankreich (J.-L. Lagrange Laboratorium – INSU-CNRS – Côte d’Azur Observatorium – Universität Nizza Sophia-Antipolis), Deutschland (MPIA, MPIfR und Universität Kiel), den Niederlanden (NOVA und Universität Leiden) und Österreich (Universität Wien) entwickelt, finanziert und gebaut. Das Konkoly-Observatorium und die Universität Köln haben ebenfalls Unterstützung bei der Herstellung des Instruments geleistet.
Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronominnen und Astronomen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken, und wir fördern die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie.
Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt. Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt.
Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie zwei Durchmusterungsteleskope, VISTA, das im Infraroten arbeitet, und das VLT Survey Telescope für sichtbares Licht. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Wissenschaftlicher Artikel (pdf):
https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso2203/eso2203a.pdf
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