Ein Kommentar von Andreas Weise.
Quelle: Andreas Weise.
Halle bekommt ein brandneues Planetarium! 2021 wird es fertig. Das ist eine ganz tolle Sache! In Zeiten leerer kommunaler Kassen und mit Corona-Belastungen ist das nicht hoch genug zu bewerten. Schließlich hätte man für das Geld ja auch einen Freizeitpark, einen Fußballplatz, oder eine große Parkanlage bauen können, inklusive Renaturierung alter Industrielandschaften, oder das Geld anderweitig ausgeben. Politiker denken meist nur in Vier-Jahres-Etappen.
Doch hier entsteht etwas Nachhaltiges und Langfristiges. Etwas, das der Volksbildung dient und bei geschickter Führung bestimmt schnell zum Magneten auch für die Jugend außerhalb des Schulunterrichts werden kann. Die Beispiele in Berlin, Stuttgart und Cottbus lassen grüßen. Die Bedeutung eines Planetariums ist nicht zu unterschätzen. Schließlich leben wir in sonderbaren Zeiten, in welchen pseudowissenschaftliche Beiträge zu viel Gehör finden. Ein Planetarium kann Wissen vermitteln, aufklären und… unterhalten.
Natürlich hat das aktuelle Bauprojekt eine Vorgeschichte. Schon 1978 entstand auf der Peißnitzinsel in Halle ein Planetarium für 130 Sitzplätze. Es bekam die modernste Technik, die seinerzeit bei Carl-Zeiss-Jena zu bekommen war. 1988 war das Planetarium Halle die größte schulastronomische Einrichtung der DDR. Hinzu kam, dass der Bau von Architekt Herbert Müller architektonisch eine Besonderheit war. Leider hatte der Bau eine Achillesferse. Regelmäßig wurde er vom Hochwasser der Saale bedroht. 2013 war dann endgültig Schluss, als das Hochwasser auch den Projektor beschädigte. Die Stadt Halle als Eigentümer zog die Reißleine und beschloss einen Neubau an anderer Stelle – im alten Gasometer am Holzplatz. Das alte Gebäude mit seiner avantgardistischen DDR-Architektur wurde nach kontrovers geführter Diskussion abgerissen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Nach Verzögerungen und Holpereien ist nun der Neubau fast fertig. Es wird ein tolles und architektonisch sehr interessantes Gebäude. Ehrliche Gratulation!
Raumfahrer Net freut sich auf die Eröffnung. Ich werde es jedenfalls schnellstmöglich besuchen. Ende gut, alles gut – möchte man meinen.
Aber: Die Stadtväter hatten bzw. machten sich ein Problem. Wie solle der Bau heißen? Für den alten Bau stand der erste Deutsche im All, Dr. Sigmund Jähn, als Namenspate. Für ein Planetarium, das nur wenige Monate nach Jähns Raumflug eröffnet wurde, bot sich dieser Name an. Ob damals politisch motiviert oder nicht: Der Name Sigmund Jähn entpuppte sich als die beste Wahl auch über die Wendezeit hinaus.
Somit gab es für viele keinen Zweifel: Natürlich wird das neue Planetarium diesen Traditionsnamen weiterführen. Allerdings sah das eine Mehrheit des zuständigen Hallenser Kulturausschusses anders. Ein Streit entbrannte, der mich, der ich 200 Kilometer entfernt wohne, über die Presse und die Medien erreichte.
Doch warum nun dieser Streit? Natürlich ist es legitim, wenn der alte Name für das neue Objekt auf den Prüfstand gestellt wird. „Wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch, was gespielt wird.“ Und Namensänderungen haben bei uns in unserem Land eine nun wirklich langjährige Tradition. In Berlin zum Beispiel gibt es eine U-Bahn-Station, die nunmehr ihren fünften Namen erhalten soll. Statistisch alle 20 Jahre ein neuer Name, so wie der aktuelle Zeitgeist es eben erfordert. Also warum auch nicht in Halle? Man hätte wirklich fragen können, ob es einen besseren Namen gegeben hätte. Muss es unbedingt ein Raumfahrer sein? Schließlich feiert man in diesen Wochen 100 Jahre Planetariumstechnik in Deutschland. Fände man da nicht einen anderen bedeutenden Namen? Was ist mit berühmten Astronomen? Johannes Keppler hätte 2021 seinen 450. Geburtstag, Galileo Gallilei 2022 seinen 380. Todestag. Copernikus hätte 2023 seinen 550. Geburtstag.
Und offenbar waren ja auch viele Parlamentarier, nach Abwägung der Meinungen, dafür, den alten Namen zu behalten.
Ich hätte es auch verstanden, wenn man sich für die Namensgebung Zeit gelassen hätte und von Anfang an gesagt hätte: Keinen Namen vorerst. Soweit mir bekannt, wäre Halle da nicht allein. Das Stuttgarter Planetarium hat auch keinen Namenspatron.
Man hätte so vieles machen können. Und die Menschen hätten es verstanden.
Was aber medial nach außen drang war nicht die offene Suche nach einem Namen. Vielmehr galt es den alten Namen los zu werden, ohne eine wirkliche Alternative zu haben.
Auslöser war die öffentliche Stellungnahme der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Frau Birgit Neumann-Becker, die sich vehement gegen den Namen Jähn aussprach. Und diese Stellungnahme war vernichtend. Gerhard Kowalski bezeichnete sie im Märkischen Echo vom 3. März 2021 als ahistorisch. Auch wurde der Eindruck erweckt, Jähns Leben und Wirken beschränkte sich nur auf seine Tätigkeit als Flieger-Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) und DDR-Kosmonaut und hätte 1989 abrupt geendet. Die nicht zu Ende geführte Diskussion, wie man mit DDR-Biographien umgehen soll, brach wieder voll auf.
Was mich besonders wütend macht, ist die Tatsache, dass hier überhaupt nicht darüber nachgedacht wurde, was Jähn für die (nun einheitliche) deutsche Raumfahrt nach 1989 geleistet hatte.
Ich selber kannte Sigmund Jähn seit 2007 persönlich und ich bin stolz, dass er auch mich kannte. Ich konnte miterleben, wie hochgestellte Persönlichkeiten ihm mit Respekt und Achtung begegneten. Sei es Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, ESA-Generalsekretär Jan Wörner oder ESA-Koordinator und Brigadegeneral Thomas Reiter. Allein drei Bundespräsidenten haben Jähn gewürdigt.
In Berlin ist Jähn Ehrenbürger der Stadt. Ebenso in seiner Heimatstadt Strausberg. Alle deutschen Kosmonauten/Astronauten sind ihm in Freundschaft und Hochachtung verbunden. Ich erinnere mich gerne an die Feier zu seinen 40. Flugjubiläum, als Astronaut Hans Schlegel darüber berichtete, was er sich von Jähn an Methoden bei der Astronautenausbildung abgeschaut hat. Und dann ist da noch das Verhältnis Jähn/Gerst. Jähn war, damals schon hoch betagt, 2014 zu Gersts Erststart nach Baikonur gekommen. Bestimmt auch um der russischen Seite ein Zeichen zu geben. Schließlich waren zu diesem Zeitpunkt die Beziehungen zu Russland gerade auf einem Tiefpunkt. Jähn war Brückenbauer und blieb dabei immer bescheiden im Hintergrund.
Auch bei Nichtraumfahrern war Jähn hochgeachtet. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung im tiefsten Westen von Berlin, in Charlottenburg, wo man ihm mit Respekt und Offenheit begegnete. Aber das alles zählt nichts, wenn der Stab einmal medial über jemandem zerbrochen wurde. Offenbar werden Jähns Eigenschaften, wie Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, Volksverbundenheit, Bodenständigkeit, Bescheidenheit, Herzlichkeit keinerlei Beachtung geschenkt. Und Jähn hat sich den Hals niemals durch ständiges Wenden verdreht und auch nicht vergessen, wem er seinen Flug ins All zu verdanken hatte.
Die aktuelle Angelegenheit folgt auf einen ähnlich unrühmlichen Umgang mit deutscher Geschichte: Die Ausstellungssituation von Jähns Landekapsel Sojus 29, die im Militärhistorischen Museum Dresden wie eine Trophäe an die Decke verbannt ist, um sie ja nicht dem breiten Publikum zugänglich machen zu müssen. Raumfahrer Net kritisiert seit Jahren die unmögliche Präsentation in einer Einrichtung des Bundes.
Der in Halle eingebrachte „Alternativvorschlag“ „Neil Armstrong“ brachte die Hilflosigkeit und Kleindenkerei in der Namensfrage auf den Punkt: „Ein Neil-Armstrong-Planetarium in unserer Heimatstadt hat ungeahnte positive Synergieeffekte für die Tourismusentwicklung in der Region“ wird Andreas Wels, Vorsitzender der Fraktion Hauptsache Halle, zitiert. Wenn das Neil Armstrong noch erleben könnte, der, so vermute ich, keinerlei Beziehungen zum sächsisch-anhaltinischen Halle hatte! Nicht einmal in Fulda, wo Neil Armstrong 1970 zu Besuch weilte, war man auf so eine Idee gekommen.
Aber warum ausgerechnet Neil Armstrong? Warum nicht Juri Gagarin? Raumfahrtgeschichtlich gleichbedeutend und zufällig feiert man ja dieses Jahr Gagarins 60. Flugjubiläum. Aber diese Diskussion wurde den Abgeordneten glücklicherweise erspart. Schließlich gibt es in Deutschland bereits ein Gagarin-Planetarium.
Und nun bleibt das Planetarium in Halle namenlos. Ein Kompromiss der irgendwie etwas komisch riecht.
Was würde Sigmund Jähn selber dazu sagen, wenn er noch leben würde? Vermutlich würde er nur leise und bescheiden meinen: „Ach lasst es…!“ Ihm gingen solche Würdigungen immer irgendwie ab. Es ist ein Glück, dass er dieses unwürdige Schauspiel nicht miterleben muss.
Fazit aus meiner Sicht: Die Hallenser Stadtregierung hat es vermasselt!
Sie hätte mit einer mutigen Entscheidung einen Mann über Jahre hinaus ehren können, der zu den wichtigsten und geachtetsten Protagonisten der bemannten Raumfahrt in Deutschland zählt und auf seine Art und mit seinem Wirken nach 1989 einen wichtigen Beitrag zur Einheit unseres Landes und für die Arbeit deutscher Raumfahrer in internationalen Besatzungen geleistet hat. „Alle deutschen Kosmonauten/Astronauten sind auf seinen Schultern ins All geflogen“. Ein Zitat von Alexander Gerst, der nunmehr schon die dritte Generation deutscher Raumfahrer verkörpert. Der Name Sigmund Jähn wird überdauern. Auch wenn die jetzigen Entscheidungsträger längst in Vergessenheit geraten sind.
Raumfahrer Net und das Internetforum Raumcon werden ihren Beitrag dazu leisten, dass das Lebenswerk und die Beiträge für die gesamtdeutsche Raumfahrt des Dr. Sigmund Jähn auch weiterhin angemessen gewürdigt werden.
Links:
https://www.planetarium-halle.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Raumflug-Planetarium_%E2%80%9ESigmund_J%C3%A4hn%E2%80%9C
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