Eine schwedische Computersimulation zeigt, dass selbst bei einer direkten Passage eines Sterns durch die Oortsche Wolke kein großer Kometenschauer im inneren Sonnensystem auftreten würde.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: Space.com/Wikipedia.
Im Jahr 1950 postulierte der Astronom Jan Hendrik Oort ein unsichtbares Reservoir von Kometen auf extrem weiten Orbits um die Sonne, noch weit, weit außerhalb der Planetenbahnen und des Kuiper-Gürtels. Er nahm an, dass die Kometen eine riesige, hohlkugelähnliche, wenn auch dünne Wolke um die Sonne mit einem maximalen Durchmesser von ca. 100.000 Astronomischen Einheiten (AE) bilden, was 1,5 Lichtjahren entspricht. Zum Vergleich: 1 AE ist der Abstand Erde-Sonne, und der äußerste Planet Neptun befindet sich im Mittel gerade mal 30 AE von der Sonne entfernt; der nächste Stern, Proxima Centauri, ist hingegen auch „nur“ 4,2 Lichtjahre entfernt. Die wenigen sichtbaren Kometen, die wir im Sonnensystem beobachten, wie sie sich dicht um die Sonne schwingen und sich entweder auflösen oder wieder in den Regionen jenseits des Neptun verschwinden, stellen Irrläufer aus dieser unsichtbaren „Oortschen Wolke“ dar.
Was, wenn ein Stern durch die Wolke geht?
Oorts Theorie konnte zwar bis heute nicht direkt bewiesen werden, jedoch gibt es genügend Anzeichen für ihre Richtigkeit, so dass sie längst allgemein akzeptiert wird. Astronomen beschäftigten sich seither mit der Frage, was wohl passiert, wenn ein anderer Stern, oder sonstiger großer Körper, der Oortschen Wolke nahe kommt, sie gar durchquert. Wo viele Kometen in stabilen Orbits existieren, wird es auch einige Kometen in nicht so stabilen Orbits geben, wo also schon eine kleine gravitative Störung genügt, den Kometen aus seiner Bahn zu werfen. Einige Szenarien gehen daher davon aus, dass eine nahe Sternpassage einen wahren Schwarm von Kometen durch das innere Sonnensystem auslösen dürfte. Die heute sichtbaren Kometen könnten demnach Resultat einer nahen Sternpassage vor einigen Hundert Millionen Jahren sein.
Dass es auf der Erde in ihrer Milliarden Jahre langen Geschichte schon zahlreiche Einschläge sowohl von Kometen als auch von Asteroiden gegeben hat, ist kaum zu bezweifeln. Es sind nur deshalb so wenige Spuren davon noch sichtbar, weil die Krater von der Erosion in geologisch kurzer Zeit wieder beseitigt wurden. Welche der wenigen erhaltenen Krater von Asteroiden und welche von Kometen stammen, ist nicht zu unterscheiden. Sicher scheint nur, dass der Einschlag eines Kometen mit größerer Wucht erfolgt als der eines gleich großen Asteroiden, da er von „weiter draußen“ kommt und folglich seine Geschwindigkeit beim Einschlag höher ist. Es gibt gewagte Theorien, die in die verschiedenen großen Artensterben der Erdgeschichte eine Periodizität hinein interpretieren und daraus postulieren, dass deren gemeinsame Ursache ein Sternbegleiter unserer Sonne mit einem stark elliptischen Orbit sei. Alle paar Hundert Millionen Jahre solle dieser Stern dem Sonnensystem nahe kommen, dabei die Oortsche Wolke durchqueren und Kometenschwärme auslösen, die wiederum zu Einschlägen auf der Erde und damit den besagten Massensterben führen sollen.
Neue Studie
Um die verschiedenen Thesen zu überprüfen, hat ein Team um Hans Rickman vom Uppsala Astronomical Observatory in Schweden ein Computermodell der Oortschen Wolke aufgesetzt und ihre Reaktion auf verschiedene denkbare Einflussgrößen während langer Zeitspannen untersucht. Sie gingen von einer Million Kometen aus – die genaue Anzahl der Kometen ist unbekannt, liegt wahrscheinlich aber eher im Milliarden- bis Billionenbereich. Simuliert wurde eine Zeitspanne von fünf Milliarden Jahren, also entsprechend der gesamten Existenzzeit unseres Sonnensystems. Die Ergebnisse der Studie wurden neulich in dem Magazin „Celestial Mechanics and Dynamical Astronomy“ vorgestellt.
Rickman und Kollegen konnten zeigen, dass die nahe Passage eines Sterns durchaus Einfluss auf die Oortsche Wolke nehmen dürfte. Eine Sternpassage in 10.000 AE Entfernung von der Sonne, die etwa alle 100 Millionen Jahre auftreten könne, sei kaum in der Lage, die Bahnen von Planeten und Asteroiden zu stören, aber sie würde definitiv „die gesamte Oortsche Wolke durchschütteln“, sagte Rickman. Eine solche Störung könne zwar Kometen dazu veranlassen, ins innere Sonnensystem abzudriften, aber mit dieser Ursache allein könne das Verhalten der Kometen nicht erklärt werden. Der Effekt sei nicht so groß, wie Astronomen bisher gedacht haben. Der Grund dafür ist, dass es auch in den langen Zeiträumen zwischen solchen Sternpassagen mindestens eine weitere Störgröße gibt, die Kometenbahnen beeinflussen kann und damit die Kometenaktivität insgesamt gleichmäßiger ausfallen lässt.
Bei dieser Störgröße handelt es sich um das Gravitationsfeld der Milchstraße. Je näher ein Körper der galaktischen Ebene kommt, desto stärker wirkt dieses Feld auf ihn. Viele Kometen der Oortschen Wolke, die ja nicht scheibenförmig ist, sondern hohlkugelförmig, nähern sich nun auf ihren Orbits um die Sonne der galaktischen Ebene und entfernen sich wieder von ihr. Dabei erfahren sie einen kleinen, aber ständig wechselnden Gravitationsimpuls, eine Art Gezeiteneffekt, der ihre Umlaufbahn leicht verändert.
„Das große Bild, das sich aus unseren Ergebnissen herausschält, ist, dass die Abdrift von Kometen ins innere Sonnensystem aus einem gewissen Teamwork von Gezeiteneffekt und Sternenpassagen zustande kommt“, schreiben die Wissenschaftler. Dadurch bedingt sei die Häufigkeit von Kometen im inneren Sonnensystem auch bei einer nahen Passage eines fremden Sterns nicht viel höher anzunehmen als in den Zeiträumen zwischen solchen Passagen.