Kosmische Klänge

Bei der Kollision von Neutronensternen bildet sich aus zwei leichten Sternen ein schwerer. Dieser neu geborene Stern vibriert heftig und sendet dabei charakteristische Raumzeit-Schwingungen aus. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik haben jetzt eine Methode entwickelt, mit der diese Schwingungen genutzt werden können, um die genaue Größe von Neutronensternen zu ermitteln und das exotische Innenleben dieser Sterne zu erforschen.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Astrophysik.

Andreas Bauswein und H.-Thomas Janka, MPA
Die in einem Computer simulierte Kollision zweier sich umkreisender Neutronensterne.
(Bild: Andreas Bauswein und H.-Thomas Janka, MPA)

Bereits aus mehreren Kilometern Entfernung kann man am Klang einer Kirchenglocken erkennen, ob es sich um das Läuten einer mächtigen Kathedrale oder lediglich um das einer kleinen Kapelle handelt. Eine kleine Glocke verfügt über einen hellen Klang während ein tonnenschwerer Stahlguss tiefe Töne erzeugt. Und selbst wenn die Glocken gleich schwer ausfallen, so entscheiden doch immer noch die Form und das für die Glocken verwendete Material über deren Tonhöhen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching haben jetzt einen ähnlichen Zusammenhang zwischen der Masse und der “Tonhöhe” für weit entfernte Neutronensterne gefunden. Und wie bei Kirchenglocken wollen die Wissenschaftler die unterschiedlichen Tonhöhen nutzen, um die Durchmesser und die Zusammensetzung der Neutronensterne zu ermitteln.

Wie eine angeschlagene Glocke die Schallwellen in der Luft anregt, so erzeugen die Vibrationen von Neutronensternen Schwingungen in der Raumzeit, welche sich vom Ursprungsort ausgehend mit Lichtgeschwindigkeit in das umliegende Weltall ausbreiten. Diese Gravitationswellen wurden bereits von Albert Einstein im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt, und Wissenschaftler hoffen, in den kommenden Jahren mit Hilfe aufwendiger Experimente diese winzigen Erschütterungen der Raumzeit “hören” zu können.

Viele der bisher bekannten Neutronensterne umkreisen einander in Doppelsternsystemen, wobei sie sich dabei im Laufe von einigen 100 Millionen Jahren immer weiter annähern. Schließlich kollidieren die nur wenige Dutzend Kilometer durchmessenden Sterne miteinander, wobei die beiden Einzelsterne zu einem einzigen Stern verschmelzen. Durch die Kollision werden starke Schwingungen in dem neu entstandenen Neutronenstern angeregt, welche messbare Gravitationswellen in die Umgebung aussenden.

Da es laut der Berechnungen der Astronomen eine Vielzahl solcher Doppelsternsysteme in den Galaxien der kosmischen Nachbarschaft unserer Milchstraße geben sollte, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Astronomen bereits in naher Zukunft Zeugen einer solchen Sternverschmelzung werden. Die neueste Generation von Gravitationswellen-Detektoren wird Tausende Galaxien gleichzeitig überwachen können. Sollte sich – wie vermutet – alle 10.000 bis 100.000 Jahre eine Kollision in jeder Galaxie ereignen, so werden diese den hochempfindlichen Instrumenten nicht entgehen.

MPA
Der Zusammenhang zwischen der Tonhöhe (Frequenz) von Gravitationswellen und dem Radius von Neutronensternen. Die Tonhöhe erstreckt sich über ungefähr eine Oktave. Misst man die Tonhöhe mit einem Gravitationswellen-Detektor, so kann dadurch der Radius von Neutronensternen bestimmt werden.
(Bild: MPA)

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik untersuchten nun mit Hilfe von Computersimulationen, wie weit die “Tonhöhe” der ausgesandten Gravitationswellen von der Größe und Masse der Neutronensterne abhängt. Der Sterndurchmesser steht dabei in einem engem Zusammenhang mit dem inneren Aufbau der Sterne und den Eigenschaften der Sternmaterie. Da über die Materie im Inneren von Neutronensternen nur sehr wenig bekannt ist, benutzten die Astrophysiker für ihre Berechnungen viele verschiedene Modelle für die Materieeigenschaften und bestimmten den entsprechenden Klang der Kollisionen. Wie erwartet erzeugen kleinere Sterne hohe Töne, während die größeren Objekte einen tieferen Klang hervorbringen. Die Berechnungen der Wissenschaftler ermöglichen es, die Größe eines Objektes, welches sich viele Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt befindet, bis auf wenige 100 Meter genau zu bestimmen.

Die neuen Ergebnisse sind besonders deshalb von wissenschaftlichem Interesse, weil es sich bei den Neutronensternen um sehr alte astronomische Objekte handelt, welche das Endstadium ihrer Sternentwicklung erreicht haben. Typischerweise verfügen Neutronensterne über eine Masse von etwa 1,44 bis drei Sonnenmassen, welche sich auf einen Durchmesser von lediglich rund 20 bis 30 Kilometern verteilt. Die extrem große Dichte der in den Neutronensternen konzentrierten Materie hat zur Folge, dass ein Kubikzentimeter Sternenmaterie über die Masse eines Eisenwürfels mit einer Kantenlänge von 500 bis 1.400 Metern verfügt.

Entsprechende Bedingungen können in keinem irdischen Labor erzeugt und untersucht werden. Und doch ist das Verhalten von Materie bei solchen Dichten für viele Wissenschaftler von besonderem Interesse. In derart extremen Umgebungen treten fundamentale Prozesse der Kern- und Teilchenphysik wie zum Beispiel die Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen in Erscheinung und bestimmen die Eigenschaften der Neutronensternmaterie. Die Beobachtung der Neutronenstern-Signale erlaubt somit einen tieferen Einblick in die Welt der fundamentalsten Bausteine der Natur.

Die Neutronensterne zählen jedoch nicht nur wegen ihrer ungewöhnlich hohen Dichte, sondern auch wegen anderer physikalischer Größen wie etwa der Stärke ihrer Magnetfelder, der extrem hohen Temperatur in ihrem Inneren – diese kann bis zu 100 Milliarden Grad Celsius betragen – oder der Rotationsdauer von lediglich wenigen Sekunden bis Millisekunden zu den extremsten kosmischen Objekten, welche den Astronomen bisher bekannt sind.

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