Seit einigen Jahren wird über Möglichkeiten spekuliert, wie sich etwaiges Leben in den kalten Gewässern des größten Saturnmondes entwickeln könnte. Bieten die Seen dazu überhaupt genügend Potential und welche Lebenssituation hätten sie zu bieten? Eine Neubewertung vorhandener Cassinidaten.
Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: eigene Recherchen. Vertont von Peter Rittinger.
Kann es Leben in den Titanseen geben, oder kann es sich dort in geologischen Skalen etablieren? Neuen Auftrieb erhält die seit 2005 verstärkt anhaltende Diskussion um die Habitateigenschaften des Titan (oder deren Fehlen) durch eine neue Kalkulation der französischen nationalen Hochschule für Chemie in Rennes.
Vor vier Jahren erregte die Ende der 1980er Jahre von privater Seite gegründete, und bis dahin ehestens vielfach als obskur wahrgenommene International Space University mit Überlegungen Aufsehen, wonach ein messbarer Anteil des 5%igen Methanbeitrags der Mondatmosphäre als Stoffwechselprodukt methanproduzierender Mikroorganismen angesehen werden könnte.
Metabolisch wirke die Aufnahme verschiedener organischer Moleküle, die auf Titan tatsächlich in nicht unerheblichen Mengen – nicht zuletzt auch durch die tatkräftige Mithilfe der europäischen Landemission Huygens – nachgewiesen werden konnten.
Ungesättigte Kohlenwasserstoffverbindungen – die Alkine, wie Ethin (besser bekannt vielleicht unter der gängigen Bezeichnung Acetylen), wie auch gesättigte Kohlenwasserstoffe (die Alkane wie Ethan) „flocken“ aus der dichten Atmosphäre aus und erreichen die Mondoberfläche, wo sie sich in den seit 2008 bestätigten Kohlenwasserstoffseen hauptsächlich um die Polregionen des Titan sammeln.
Allerdings eignen sich das Ethan und die aus ihm durch ultraviolette Einstrahlung gebildeten Tholine nur bedingt als Nahrungsgrundlage, da sie lediglich das absolute Minimum des auf der Erde für bakterielle metabole Aktivitäten notwendigen Energiebedarfs bereithalten. Acetylen hingegen offeriert ein etwa sechsfach erhöhtes Energiepotential pro Mol und ist darum immer mal wieder spekulativer Gegenstand planetobiologischer Diskurse.
Trotz intensiver Bemühungen gelang es in der Vergangenheit allerdings nicht, den vor dem Hintergrund der bedingten Wasserstoffatmung potentieller Organismen prognostizierten oberflächennahen H-Verlust relativ zum Atmosphärenbestand aus den Huygensdaten belastbar zu extrahieren. Da kein anderer bekannter biologischer Prozess auf Titan ein entsprechendes Wasserstoffprofil zu etablieren in der Lage ist, wird ein solches oberflächennahes Missverhältnis allgemeinhin als entscheidendes Indiz metaboler Aktivitäten angenommen.
Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache der weitestgehend unbekannten Menge von auf der Oberfläche verfügbarem Ethin, ließ die Debatte um möglicherweise wasserstoffatmende Organismen und der Möglichkeit ihrer Existenz in den vergangenen Monaten zunehmend verflachen. 1989 noch lagen die diesbezüglichen Abschätzungen des Verhältnisses Alkine zu Alkane bei lediglich 1:10.000 Teilen.
Zwischenzeitlich jedoch scheint es insbesondere im Hinblick auf die mögliche Alkinkonzentration in den Titanseen neuen Platz für Interpretationsspielraum zu geben, da es in der Vergangenheit vornehmlich bei der Betrachtung der Gewässertemperatur und ihrer Würdigung im Zuge ihrer Auswirkungen auf die Lösungsfähigkeit einzelner Chemikalien (welche wiederum in kausalem Zusammenhang mit der Entstehungsrate der Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre stehen) bei gleichzeitiger hypothetischer Etablierung eines thermodynamischen Gleichgewichts zwischen Atmosphäre und Gewässern, zu Versäumnissen gekommen sein könnte.
Die Ausarbeitung eines auf theoretischen Kalkulationen und Labordaten fußenden thermodynamischen Modells scheint vor dem Hintergrund der fehlenden in situ Prüfung die derzeit geeignetste Möglichkeit, die Komposition und Zusammensetzung der Mondgewässer nachzuvollziehen.
Sollten sich die arbeitshypothetischen Ansätze untermauern lassen, finden sich in den nonidealen Lösungen, als die die Oberflächenseen des Titan aufgrund ihres unterschiedlichen Verhaltens von dem einer idealen Lösung angesehen werden müssen, zu einem großen Teil Vertreter der gesättigten Kohlenwasserstoffe. Unter ihnen sind primär Ethan mit bis zu 79%, Propan und Methan mit jeweils 8-10% Volumenanteil zu nennen. Die Alkene machen in ihrer Gesamtheit weiterhin einen Minderanteil aus, wobei Buten (C4H8) und das Acetylen mit jeweils um ein Prozent Volumenanteil die stärksten Vertreter stellen. Dessen ungeachtet deutet dieser Prozentsatz auf einen bis zu hundertfach erhöhten Wert in bezug auf die bisherigen Modellabschätzungen der Alkenkonzentration hin. Dennoch soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass ein einprozentiger Ethinanteil einen potentiell interessanten Ansatz bezüglich der Energiegewinnung etwaiger niederer Lebensformen darstellt, das Konzept der Acetylen verstoffwechselnden Organismen in ihrer Gesamtheit allerdings als hoch spekulativ angesehen werden muss.
Mindestens gleichermaßen wichtige Eigenschaften im Hinblick auf ein möglicherweise lebensfreundliches Klima der Seen – wie beispielsweise das Vorhandensein von Strömungen, die die einzelnen Bestandteile innerhalb der Lösung vermengen – bleiben indes weiterhin ungeklärt. Ohne die Anwesenheit der beschriebenen Mischkapazitäten blieben Wasserstoff und Alkine in separaten Schichten getrennt, was die nachhaltige Limitierung der chemischen Reaktionen zwischen ihnen nach sich ziehen würde.
Raumcon: