Am heutigen Tag veröffentlichte Aufnahmen der Raumsonde Mars Express zeigen die Region Ismeniae Fossae. Diese präsentiert sich mit sanften, gerundeten Landschaftsformen, was auf ein hohes Alter hindeutet. Vermutlich handelt es sich bei Ismeniae Fossae um die erodierten Überreste eines ehemaligen Impaktkraters.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR.
Bereits seit dem Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars und liefert den an der Mission beteiligten Wissenschaftlern seitdem regelmäßig eine Vielzahl an Daten über die Atmosphäre und die Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten, durch deren Auswertung sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte ergeben.
Am 16. Juni 2013 überflog Mars Express während des Orbits Nummer 11.709 die Region Ismeniae Fossae und bildete dieses Gebiet mit der High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“), einem der insgesamt sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters, ab. Aus einer Überflughöhe von mehreren hundert Kilometern erreichte die HRSC dabei eine Auflösung von ungefähr 20 Metern pro Pixel. Die Aufnahmen zeigen einen bei etwa 40 Grad nördlicher Breite und 42 Grad östlicher Länge gelegenen Ausschnitt der Marsoberfläche.
Das Ismeniae Fossae befindet sich direkt an der Grenze zwischen dem südlichen Hochland und den ausgedehnten nördlichen Tiefebenen des Mars, welche etwa ein Drittel der Planetenoberfläche einnehmen. Bei dieser Grenzregion handelt es sich um eine Landschaft, welche üblicherweise von kantigen, zerfurchten Restbergen und tief eingeschnittenen Tälern geprägt ist. Der Übergang vom Hochland zum Tiefland erfolgt hier entlang einer relativ schmalen Zone, in der verschiedene erosive Kräfte wie fließendes Wasser, Wind, Eis und auch zu früheren Zeiten unter der Marsoberfläche befindliches Grundwasser im Laufe der Jahrmilliarden eine markante Landschaft geformt haben. Diese Dichotomie, die topographische Zweiteilung in eine im Norden gelegene Region mit Tiefebenen und ein geologisch älteres südliches Hochland mit zahlreichen Impaktkratern, ist eines der auffälligsten Merkmale unseres Nachbarplaneten.
Die Region Ismeniae Fossae scheint von dieser Erscheinungsform abzuweichen, denn auf den Aufnahmen der HRSC-Kamera sind diverse sanfte, gerundete Landschaftsformen erkennbar. Die meisten der dort befindlichen Krater und Abhänge sind komplett von einer Schicht aus feinkörnigem Material überzogen, welches vermutlich in Folge eines langfristigen aeolischen Transports dorthin verfrachtet wurde. Die Oberflächenstrukturen zeigen ein nur geringes topographisches Relief, was auf ein hohes Alter dieser Region hindeutet. Die Geländekanten sind in Folge von Erosionsprozessen und der Ablagerung eines „Mantels“ aus Sand und Staub geglättet und abgerundet. Ein etwa 20 Kilometer durchmessender und offensichtlich bereits sehr alter Impaktkrater, welcher von einer talförmigen Vertiefung durchzogen ist, kann fast nur noch in seinen Umrissen erkannt werden.
Zeugenberge in einem ehemaligem Krater
Der Name „Ismeniae“ leitet sich von dem Fluss Ismenius im antiken Böotien ab – einem Landstrich nordwestlich von Athen. In der weiter oben gezeigten topographischen Übersichtskarte ist der Großteil der Ismeniae Fossae-Region erkennbar. Im Süden fällt dabei deutlich ein Tal auf, welches im Nordosten in mehreren grabenartigen Verzweigungen (so genannten „Fossae“) an dem Moreux-Krater endet. Dieser etwa 130 Kilometer durchmessende Impaktkrater wurde nach dem französischen Astronomen Louis-Théophile Moreux (1867-1954) benannt. Das Landschaftsbild in der Übersichtskarte verrät, dass die Region Ismeniae Fossae wahrscheinlich komplett aus den erodierten Überresten eines einstmals gefüllten Kraters besteht, welcher ursprünglich über einen Durchmesser von bis zu 470 Kilometern verfügte.
Die Gestalt und Beschaffenheit der freigelegten Überreste im Innern dieses Beckens, aber auch im Gebiet der breiten Taleinschnitte, ähneln einem geologischen Landschaftstypus auf dem Mars, der als „Chaotic Terrain“ (zu deutsch „chaotisches Gebiet“) bezeichnet wird. Solche Gebiete sind extrem zerklüftete, von der Erosion geprägte Oberflächenbereiche, in denen einzelne Felsblöcke und Hügel eine wirre Struktur von chaotisch angeordneten Zeugenbergen bilden. Vermutlich bildeten sich die in der Gegenwart erkennbaren Strukturen, als im Untergrund befindliches Wassereis schmolz und die dabei entstandenen Hohlräume anschließend kollabierten.
Blockgletscher hinterließen ihre Spuren
Ausgehend von diesem chaotischen Gebiet führt eine lange, schmale und talförmige Senke sichelförmig in die Region. Diese Senke ist stellenweise bis zu zwei Kilometer tief. Ihre Flanken sind weich und ihr Rand ist gewellt. Die Senke beinhaltet ein Material, auf dessen Oberfläche ein Muster von Furchen und schlierigen Strukturen zu sehen ist, welche parallel zu den Abhängen verlaufen, von denen die Täler begrenzt werden. Ein solches Muster findet sich auf dem Mars in vielen Tälern, die ein kastenförmiges Profil aufweisen. Geologen sprechen in diesem Zusammenhang von einer „lineated valley fill“ (zu deutsch: „streifenförmige Talfüllung“).
Die Beschaffenheit der Oberfläche legt nahe, dass hier einstmals Eis vorhanden war, welches dabei möglicherweise in Form eines so genannten Blockgletschers auftrat. Hierbei handelt es sich um einen Gletscher, dessen Oberseite von Gesteinsschutt und Lockermaterial bedeckt war und der sich langsam die Senke hinunterschob. Zahlreiche schmale und stark verzweigte Täler westlich des Moreux-Kraters deuten darauf hin, dass hier auch einstmals Wasser über die Marsoberfläche geflossen ist.
Ein weiteres ungewöhnliches Landschaftsmerkmal dieser Region sind Gruppen von runden bis ellipsenförmigen, teilweise miteinander verbundenen Vertiefungen auf der Hochfläche. Hierbei handelt es sich entweder um eine regionale Anhäufung von Sekundärkratern, also kleineren Impaktkratern, welche durch den auf die Marsoberfläche niedergehenden Auswurf eines größeren Einschlags in der Umgebung zurückzuführen sind, oder um Senken und Gruben, die entstanden sind, nachdem Eis an oder unmittelbar unter der Oberfläche sublimiert ist.
Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Die weiter oben gezeigte Nadir-Farbansicht der Region Ismeniae Fossae wurde aus dem senkrecht auf die Planetenoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das weiter unten zu sehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal der Kamera abgeleitet. Des Weiteren konnten die für die Bildauswertung zuständigen Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wurde, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.
Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann von der Freien Universität Berlin geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche Wissenschaftlerteam besteht aus 40 Co-Investigatoren von 33 Instituten aus zehn Ländern.
Die hochauflösenden Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung erstellt.
Die hier gezeigten Aufnahmen der Region Ismeniae Fossae finden Sie auch auf der entsprechenden Internetseite des DLR. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.
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