In der staubigen Marsoberfläche eingeschlossenes sowie in die Atmosphäre aufgestiegenes Meersalz führte zur Entdeckung von Chlorwasserstoff – dies ist das erste Mal, dass ExoMars, der Trace Gas Orbiter (TGO) von ESA und Roskosmos, ein neues Gas gefunden hat. Darüber hinaus liefert der Orbiter neue Informationen über den Wasserverlust des Planeten. Eine Information der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA).
Quelle: ESA.
Zu den wichtigsten Missionen bei der Erkundung des Mars gehören die Suche nach atmosphärischen Gasen, die mit biologischen oder geologischen Aktivitäten verbunden sind, sowie der Erkenntnisgewinn zum vergangenen und derzeitigen Wasservorkommen auf dem Planeten. So soll herausgefunden werden, ob jemals Leben auf dem Mars möglich gewesen sein könnte und ob es Wasserspeicher gibt, die mit zukünftigen bemannten Missionen erforscht werden könnten. Zwei neue Ergebnisse des ExoMars-Teams, die heute im Fachmagazin Science Advances veröffentlicht wurde, enthüllen eine vollkommen neue chemische Klasse und bieten weitere Einblicke in saisonale Veränderungen und Interaktionen zwischen Oberfläche und Atmosphäre, die die treibenden Kräfte hinter den neuen Beobachtungen darstellen.
Neuer chemischer Kreislauf
„Wir haben zum ersten Mal Chlorwasserstoff auf dem Mars entdeckt. Dies ist gleichzeitig der erste Fund eines Halogengases in der Marsatmosphäre. Diesen chemischen Kreislauf gilt es nun zu verstehen“, sagt Kevin Olsen von der University of Oxford, Großbritannien, einer der leitenden Wissenschaftler der Entdeckung.
Chlorwasserstoff (HCl) ist ein Gas, das aus einem Wasserstoff- und einem Chloratom besteht. Mars-Wissenschaftler haben schon immer nach Chlor- oder Schwefel-basierten Gasen gesucht, da sie Indikatoren für etwaige vulkanische Aktivitäten sind. Doch der nun entdeckte Chlorwasserstoff – der gleichzeitig an sehr weit voneinander entfernten Orten gefunden wurde, während andere Gase, die man bei vulkanischer Aktivität erwarten würde, nicht vorhanden waren – deutet auf eine andere Quelle hin. Diese Entdeckung legt eine komplett neue Interaktion zwischen Oberfläche und Atmosphäre nahe – getrieben von den Staubsaisons auf dem Mars, die vorher noch nicht untersucht worden waren.
In einem Prozess, der dem auf der Erde stark ähnelt, werden Salze durch Winde in die Atmosphäre gehoben. Diese Salze treten in Form von Natriumchlorid auf; sie sind Überbleibsel verdunsteter Ozeane und in der staubigen Marsoberfläche eingeschlossen. Die Sonnenstrahlung erwärmt die Atmosphäre, sodass Staub zusammen mit dem von den Eiskappen freigesetzten Wasserdampf aufsteigt. Der salzige Staub reagiert mit dem Wasser in der Atmosphäre. Chlor wird freigesetzt, das dann mit den Molekülen, die Wasserstoff enthalten, reagiert. So entsteht Chlorwasserstoff. In weiteren Reaktionen könnte das Chlor oder der Chlorwasserstoffsäure-reiche Staub wieder auf die Oberfläche zurückkehren, vielleicht als Perchlorate, eine Klasse von Salzen, die aus Sauerstoff und Chlor bestehen.
„Man braucht Wasserdampf, um das Chlor freizusetzen und man braucht die Nebenprodukte von Wasser – Wasserstoff –, damit sich Chlorwasserstoff bilden kann. Wasser ist in dieser chemischen Reaktion wesentlich“, sagt Olsen. „Wir beobachten auch eine Korrelation mit dem Staub: Wenn die Staubaktivität zunimmt, gibt es mehr Chlorwasserstoff. Diese Aktivität hängt mit der saisonalen Erwärmung der Südhalbkugel zusammen.“
Das Team machte das Gas zum ersten Mal während des globalen Staubsturms im Jahr 2018 ausfindig. Damals trat es gleichzeitig auf der Nord- und Südhalbkugel auf und verschwand am Ende der saisonalen Staubperiode überraschend schnell wieder. Die Wissenschaftler werten nun bereits die in der nächsten Staubsaison gesammelten Daten aus – und beobachten einen erneuten Anstieg von HCl.
„Es ist großartig, zu sehen, wie unsere sensiblen Instrumente ein Gas entdecken, das zuvor noch nicht in der Marsatmosphäre beobachtet wurde“, sagt Oleg Korablev, Hauptuntersuchungsleiter des Instruments Atmospheric Chemistry Suite (ACS), mit dem die Entdeckung gelang. „Unsere Analyse zeigt, dass die Bildung und der Rückgang von Chlorwasserstoff mit der Marsoberfläche zusammenhängt.“
Nun stehen umfangreiche Labortests und neue globale Atmosphärensimulationen an, um die chlorbasierte Interaktion zwischen Oberfläche und Atmosphäre besser zu verstehen, sowie weiterführende Beobachtungen auf dem Mars, um zu bestätigen, dass der Anstieg und Rückgang von HCl vom Sommer auf der Südhalbkugel angetrieben wird.
„Die Entdeckung des ersten neuen Spurengases in der Marsatmosphäre ist ein bedeutender Meilenstein für die TGO-Mission“, sagt Håkan Svedhem, ESA-Projektwissenschaftler für den Trace Gas Orbiter. „Hierbei handelt es sich um die erste neue Gasklasse, die seit der Entdeckung von Methan durch die ESA-Marssonde Mars Express im Jahr 2014, bestimmt wurde. Der Methanfund hatte dazu motiviert, nach anderen organischen Molekülen zu suchen und gipfelte schließlich in der Entwicklung der TGO-Mission, die primär darauf abzielt, neue Gase zu entdecken.“
Aufsteigender Wasserdampf als Schlüssel für die Entwicklung des Klimas
Der Trace Gas Orbiter entdeckt aber nicht nur neue Gase, sondern hilft uns auch dabei, zu verstehen, wie der Mars sein Wasser verloren hat. Auch dieser Prozess hängt mit saisonalen Veränderungen zusammen.
Es wird davon ausgegangen, dass es auf der Marsoberfläche einst reichlich flüssiges Wasser gab, wie zahlreiche Beispiele altertümlicher ausgetrockneter Täler und Flussbetten zeigen. Heute ist ein Großteil des Wassers in unterirdischen Eiskappen eingeschlossen. Wasser entweicht aber weiterhin vom Mars, und zwar in der Form von Wasserstoff und Sauerstoff, die aus der Atmosphäre austreten.
Das Wechselspiel zwischen etwaigen Wasserspeichern und deren saisonalem und langfristigem Verhalten sind der Schlüssel, um die Entstehung des Marsklimas zu verstehen. Dies kann durch die Erforschung des Wasserdampfs und des „mittelschweren“ Wassers (bei dem ein Wasserstoffatom durch ein Deuteriumatom, eine Wasserstoffform mit einem zusätzlichen Neutron, ersetzt wird) gelingen.
„Das Verhältnis zwischen Deuterium und Wasserstoff, D/H, ist unser Chronometer – diese mächtige Kennzahl erzählt uns von der Geschichte des Wassers auf dem Mars und wie sich der Wasserverlust über die Zeit entwickelte. Dank des ExoMars Trace Gas Orbiter können wir diesen Chronometer nun besser verstehen und kalibrieren – und auf potenziell neue Wasserspeicher auf dem Mars testen“, sagt Geronimo Villanueva vom NASA Goddard Space Flight Center, Hauptautor des neuen Ergebnisses.
„Mit dem Trace Gas Orbiter können wir nachverfolgen, wie die Wasser-Isotopologe in die Atmosphäre aufsteigen, und zwar in einer nie zuvor gekannten Detailliertheit. Die bisherigen Messungen lieferten uns lediglich den Durchschnitt über die Tiefe der gesamten Atmosphäre. Es ist so, als ob wir uns bisher mit einer 2D-Ansicht zufrieden geben mussten und nun die Atmosphäre in 3D erkunden können“, sagt Ann Carine Vandaele, Hauptuntersuchungsleiterin des Instruments Nadir and Occultation for MArs Discovery (NOMAD), das für diese Untersuchung genutzt wurde.
Die neuen Messungen enthüllen dramatische Schwankungen des D/H-Verhältnisses, während das Wasser von seinem ursprünglichen Ort aufsteigt, je nach Höhe und Jahreszeit. „Interessanterweise zeigen die Daten, dass, sobald das Wasser vollständig verdampft ist, es sich zumeist stark in mittelschwerem Wasser anreichert, sowie ein D/H-Verhältnis, das sechsmal größer als das der Erde ist, für sämtliche Wasserspeicher auf dem Mars. Dies bestätigt, dass der Planet über die Zeit große Wassermengen verloren hat“, sagt Giuliano Liuzzi von der American University sowie dem NASA Goddard Space Flight Center, einer der leitenden Wissenschaftler der Untersuchung.
Zwischen April 2018 und April 2019 gesammelte ExoMars-Daten zeigten außerdem drei Fälle, in denen der Wasserverlust aus der Atmosphäre zugenommen hat: den globalen Staubsturm im Jahr 2018, einen kurzen, aber intensiven regionalen Sturm im Januar 2019 sowie die Wasserfreisetzung von der Eiskappe am Südpol in Sommermonaten (der damit mit den saisonalen Veränderungen zusammenhängt). Besonders zu erwähnen ist eine Wolke aufsteigenden Wasserdampfs während des Südsommers, die möglicherweise, auf saisonaler und jährlicher Basis, Wasser in die obere Atmosphäre einbringt.
Zukünftige koordinierte Observationen mit anderen Raumfahrzeugen, darunter auch die NASA-Raumsonde MAVEN, die sich auf die obere Atmosphäre konzentrieren, werden komplementäre Einblicke in die Entstehung von Wasser im Verlauf eines Marsjahres liefern.
„Die Jahreszeiten auf dem Mars, und besonders der relativ heiße Sommer auf der Südhalbkugel scheinen die treibenden Kräfte hinter unseren neuen Beobachtungen zu sein, etwa dem gesteigerten atmosphärischen Wasserverlust und der Staubaktivität in Zusammenhang mit dem Nachweis von Chlorwasserstoff, die wir in den zwei aktuellen Studien aufzeigen“, fügt Svedhem hinzu. „Die Beobachtungen des Trace Gas Orbiter ermöglichen uns ein ganz neues Ausmaß der Erforschung der Marsatmosphäre.“
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