Theorien zur interstellaren Materie widerlegt

Das weltraumbasierte Radiointerferometer RadioAstron hat in den vergangenen Monaten Beobachtungen durchgeführt, die bisherige Theorien zum Verhalten der Interstellaren Materie (ISM) widerlegen. Die überraschenden Ergebnisse bereiten den Wissenschaftlern Kopfzerbrechen – eröffnen aber vielleicht neue Optionen für weitere Beobachtungen.

Ein Beitrag von Stefan Heykes. Quelle: WPK/Juri Kowaljow. Vertont von Peter Rittinger.

ASC FIAN
Spektr-R im All (Bild: ASC FIAN)

Die bisherigen Theorien zur ISM basieren auf Beobachtungen, die nur von der Erde aus durchgeführt wurden. Im Bereich der Radiointerferometrie bedeutet dies, dass Interferometer-Basislängen von maximal etwa 10.000 km zur Verfügung standen. Im Rahmen des Projekts RadioAstron wird jedoch der Satellit Spektr-R mit einbezogen. Dieser trägt ein 10 m durchmessendes Radioteleskop und dient damit als Ergänzung der irdischen Teleskope in großem Abstand. Die Beobachtungen von RadioAstron wurden damit bei Basislängen von bis zu 300.000 km durchgeführt und ermöglichen damit einen neuen Blick auf die Vorgänge in unserer Umgebung. Die erstaunlichen Beobachtungsergebnisse wurden für Wellenlängen von 18 cm und 92 cm gewonnen.

Das Verhalten der Interstellaren Materie lässt sich sehr gut durch die Beobachtung von Pulsaren untersuchen. Pulsare, also Neutronensterne, sind extrem kompakte Objekte. Ihr Durchmesser beträgt nur wenige Kilometer, aber sie können schwerer sein als die Sonne. Pulsare besitzen extrem starke Magnetfelder, in denen Phänomene ähnlich der irdischen Nordlichter auftreten. Diese sind die Quelle der Radiostrahlung, die RadioAstron beobachtet hat. Das tatsächliche Emissionsgebiet ist dabei winzig und bewegt sich von der Größenordnung her im Bereich unterhalb eines Kilometers. Damit sind solche Pulsare die absolut kompaktesten natürlichen Quellen von Radiostrahlung die überhaupt bekannt sind.

Grundsätzlich sollte ein solcher Pulsar also bei ungestörter Sicht einfach nur als Punkt für den Beobachter erkennbar sein. Bei den Entfernungen ist es selbst RadioAstron, dem größten Interferometer der Geschichte, nur möglich, Details in der Größenordnung von einigen Millionen Kilometern auflösen. Tatsächlich befindet sich jedoch eine mehr oder weniger große Menge interstellarer Materie zwischen dem Beobachter und den Pulsaren. Laut der klassischen Theorien sollte diese ISM die Radiowellen im beobachteten Bereich derart streuen, dass sich die ultrakompakte Quelle zu einem „Pfannkuchen“ (so Dr. Michail Popow gegenüber WPK) aufbläht.

ESA/ATG medialab
Ein Pulsar mit seinen Strahlungskegeln an den magnetischen Polen und angedeuteter Magnetosphäre. (Bild: ESA/ATG medialab)

Folgerichtig war ursprünglich geplant, aus dieser erwarteten großen sichtbaren Struktur auf die „radiooptischen“ Eigenschaften der ISM und auf die Eigenschaften des Pulsars zurück zu schließen. Entgegen aller Erwartungen gab es jedoch ein völlig anderes Bild: „Anstelle der erwarteten eintönigen Streuungskreise, die an der Grenze unserer Systemempfindlichkeit liegen, sahen wir helle Sterne, die für kurze Zeit existierten, dann verschwanden, und an anderer Stelle wieder auftauchten“, so Michail Popow weiter.

Optionen für die Zukunft?
Derzeit wird noch nicht verstanden, was genau in der ISM passiert. Allerdings zeigen diese Ergebnisse, dass auch Objekte mit höchster Präzision auflösbar sind, bei denen das nicht erwartet wurde. Mit einem besseren Verständnis dieses Phänomens könnten auch andere Ziele ins Visier von RadioAstron geraten, die bislang ausgeschlossen wurden. Gegenüber WPK äußerte sich der Leiter des laufenden Early-Science-Programs (kurz ESP, „frühes Wissenschaftsprogramm“, also die erste Projektphase in der wissenschaftliche Beobachtungen durchgeführt werden), Dr Juri J. Kowaljow: „Vielleicht können wir mit einem besseren Verständnis des Interstellaren Mediums einige clevere Beobachtungstechniken anwenden und das schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße beobachten“.

Wenn eine Beobachtung unseres Milchstraßenzentrums mit voller Auflösung von RadioAstron durchgeführt werden kann, wird der Ereignishorizont direkt auflösbar. Bei bisherigen Beobachtungen gelang es nur, die Umgebung des schwarzen Lochs zu erfassen, aber es selbst ist derart klein, dass es völlig unsichtbar bleibt. Eine direkte Beobachtung wäre daher ein Meilenstein der Astronomie überhaupt.

In Kürze wird das federführende Institut ASC FIAN bekannt geben, welche Projekte im Rahmen des „RadioAstron Key Science Program“ (KSP, „Schlüsselwissenschaftsprogram“ – in diesem Programm werden die wichtigsten Projektziele angegangen) zwischen Juli 2013 und Juni 2014 durchgeführt werden sollen. Möglicherweise haben bereits in dieser Auswahlrunde einige Vorschläge Beobachtungszeit bekommen, die auf diesen neuen Erkenntnissen beruhen.

Des Weiteren wird die neue Empfangsstation in Green Bank/USA in Betrieb genommen werden, um neben der Station in Puschtschino das KSP zu unterstützen. Außerdem wird bis Ende des Jahres in Südafrika eine dritte Empfangsstation realisiert werden. Die zusätzlichen Empfangsstationen bedeuten eine deutliche Steigerung der Beobachtungszeit, da sämtliche Beobachtungsdaten aufgrund der sehr großen Datenmengen unmittelbar zur Bodenstation gesendet werden müssen.

Für die nächsten Jahre wird das fliegende Radioteleskop Spektr-R definitiv in seiner aktuellen Umlaufbahn verbleiben. Jedoch besteht die Option, den Orbit in einigen Jahren deutlich zu erhöhen. Während der maximale Abstand zur Erde derzeit rund 350.000 km beträgt, könnte sich Spektr-R dann bis auf 3,2 Millionen Kilometer entfernen. Juri Kowaljow gegenüber Raumfahrer.net: „Wir haben genug Treibstoff an Bord, um das zu tun. Aber noch ist es zu früh, darüber ernsthaft zu diskutieren. RadioAstron hat in seiner aktuellen Umlaufbahn genug zu tun“. Angesichts der aktuellen Erkenntnisse vielleicht sogar mehr, als ursprünglich erwartet wurde.

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