Thermokarst-Gebiete auf dem Mars

In der Äquatorregion des Mars entdeckten Wissenschaftler die Überreste mehrerer Seen, welche durch natürlich entstandene Kanäle miteinander verbunden sind. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass es auf dem Mars auch noch vor rund drei Milliarden Jahren flüssiges Wasser gegeben haben muss.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Imperial College London, Wikipedia. Vertont von Peter Rittinger.

NASA, JPL, USGS, MOLA
Eine Übersichtskarte der Region Ares Valles knapp nördlich des Marsäquators.
(Bild: NASA, JPL, USGS, MOLA)

Seit einigen Jahren wird es als eine gesicherte Tatsache angesehen, dass unser äußerer Nachbarplanet, der Mars, in seiner Frühzeit über ein wärmeres und feuchteres Klima verfügt haben muss, als dies in der Gegenwart der Fall ist. In dieser Zeit, der sogenannten Noachischen Periode, sind große Mengen an Wasser über die Oberfläche des Planeten geströmt und haben dabei gigantische Ausflusstäler und ganze Flusssysteme gebildet. Da die meisten dieser Systeme in der nördlichen Tiefebene des Mars, der Vastitas Borealis, münden, gehen manche Wissenschaftler sogar davon aus, dass sich dort zu dieser Zeit ein Ozean befunden haben könnte. Vor rund 3,8 Milliarden Jahren verlor der Mars aus bisher noch nicht genau bekannten Gründen einen Großteil seiner vorher dichten Atmosphäre, wodurch auch seine “wässrige Vergangenheit” beendet wurde. Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren setzte dann eine Eiszeit ein, welche das verbliebene Wasser zu Eis gefrieren ließ.

Dass es jedoch auch im darauf folgenden Zeitalter der Marsgeschichte, der sogenannten Hesperianischen Epoche, noch warme und feuchte Klimaphasen gegeben haben muss, belegen nun Bilder der NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter, welche sich derzeit in einer Umlaufbahn um den Planeten befindet. Die Wissenschaftler um Dr. Nicholas Warner vom Londoner Imperial College untersuchten dazu hochaufgelöste Bilder von der Umgebung des sogenannten Ares Vallis. Hierbei handelt es sich um ein gewaltiges System aus Flusstälern, welches sich über eine Länge von etwa 1.700 Kilometern am Westrand des Hochlandes Meridiani Planum erstreckt und sich dabei bis zu 2.000 Meter tief in den Untergrund einschneidet, bevor es in die nördlich gelegene Tiefebene Chryse Planitia mündet.
Bereits seit längerem ist bekannt, dass sich an den Rändern des Ares Vallis eine Vielzahl von Bodensenken befinden, welche die komplexe geologische Vergangenheit dieses Gebietes belegen. Bisher waren sich die Wissenschaftler allerdings nicht darüber im Klaren, wie diese Senken entstanden sein könnten. Allgemein ging man jedoch davon aus, dass hierfür die Sublimation von Wasser, also die direkte Umwandlung von Wassereis zu Wasserdampf, verantwortlich sein könnte. Das Entweichen des Wassereises aus dem Untergrund hätte dabei zu Hohlräumen zwischen den Bodenpartikeln geführt. Durch deren dadurch bedingten Einsturz hätten sich dabei die besagten Senken gebildet.

Die Gruppe um Dr. Nicholas Warner studierte diese Formationen genauer. Auf den Aufnahmen des Mars Reconnaissance Orbiter erkannten die Wissenschaftler, dass die Bodensenken und Krater von bis zu 20 Kilometern Durchmesser untereinander durch vielfach gewundene Kanäle verbunden sind, welche Tiefen von bis zu 100 Metern erreichen. Die Entstehung derartiger Kanäle, so die Wissenschaftler, lässt sich allerdings nicht mehr durch einen einfachen Sublimationsprozess von Wassereis erklären. Vielmehr sei für ihre Formung flüssiges Wasser verantwortlich. Als Indiz für ihre Theorie führen sie ein Beispiel aus den Permafrostregionen unseres Planeten an.

NASA, JPL, Malin Space Science Systems
Ein über 150 Meter breiter und fast zwei Kilometer langer Kanal verbindet zwei frühere Seen an der Ostseite des Ares Vallis.
(Bild: NASA, JPL, Malin Space Science Systems)

Entsprechende Formationen finden sich auch in den sogenannten Thermokarst-Gebieten auf der Erde, speziell in Sibirien, Alaska und Kanada. Sie entstehen, wenn der dortige Permafrostboden auftaut. Der durch das schmelzende Grundeis verursachte Volumenverlust bewirkt, dass sich der Boden absenkt und sich die charakteristischen Bodenformationen bilden. Je höher dabei das im Boden befindliche Eisvolumen ausfällt, desto stärker kann sich der Thermokarst mit dem Schmelzen des Eises ausprägen. Die entstandenen Senken füllen sich mit dem Tauwasser auf.

Da die so entstandenen Thermokarst-Seen gegenüber dem noch gefrorenem Boden über eine höhere Wärmekapazität verfügen, wird das weitere Auftauen des Permafrostbodens unterhalb der Seen und ein dadurch bedingtes fortschreitendes Absinken des Bodens gefördert. Durch eine horizontale Ausdehnung können sich diese Seen zudem zu größeren Gewässern vereinen, was eine Erklärung für die gewaltigen Ausdehnungen der einzelnen Seen von bis zu 20 Kilometern wäre. Veränderungen des Wasserspiegels könnten anschließend dazu geführt haben, dass die Seen “übergelaufen” sind und so die Kanäle zwischen den höher gelegenen und den tiefer gelegenen Seen ausgespült wurden.

Mittels der sogenannten Kraterzählungsmethode konnte das Alter des untersuchten Gebietes auf etwa drei Milliarden Jahre bestimmt werden. Das Prinzip der Kraterzählungsmethode sieht folgendermaßen aus: Je länger ein bestimmter Bereich der Marsoberfläche nicht durch Wassererosion verändert oder von Lavaflüsse überdeckt wird, desto mehr Impaktkrater müssen sich dort befinden. Bei einer genauen Analyse der gezählten Krater muss anschließend geklärt werden, ob es sich wirklich um direkte Einschlagskrater und nicht etwa um sogenannte Sekundärkrater oder vulkanische Calderen handelt. Nach der Beseitigung dieser potentiellen Fehlerquellen kann das Alter der untersuchten Oberfläche mittels theoretischer Modelle berechnet werden. Für die Frühzeit des Mars liegt die Unsicherheit dieser Methode einer zeitlichen Einordnung in einem Bereich zwischen 100 und 200 Millionen Jahren. Im Rahmen der Studie konnten im Gebiet der Seen über 35.000 Krater identifiziert werden.

NASA, JPL
Die Kanäle verbinden höher gelegene Seen mit tiefer gelegenen Gebieten.
(Bild: NASA, JPL)

Daher vermuten die an der Studie beteiligten Wissenschaftler, dass der Mars auch in deutlich früherer Vergangenheit als bisher angenommen klimatische Bedingungen aufwies, welche das Vorkommen von flüssigem Wasser über einen längeren Zeitraum ermöglichten. Als Ursachen für das plötzliche Einsetzen dieser erneuten Warmphase ziehen die Wissenschaftler vulkanische Aktivitäten, Asteroiden- oder Kometenimpakte, eine Verlagerung der Polarachse oder eine Änderung der Umlaufbahn des Mars um die Sonne in Betracht. Durch die auftretende Wärme freigesetzte Gase hätten sich so über einen längeren Zeitraum in der Atmosphäre anreichern und dort halten können. Die Wärme hätte außerdem dazu geführt, dass das bis zu diesem Zeitpunkt im Boden befindliche gefrorene Wasser zu schmelzen begann und die entstehenden Senken und bereits vorhandene Impaktkrater auffüllte.

Allerdings können die Wissenschaftler keine Aussage darüber treffen, wie lange diese warme und feuchte Periode während der Hesperianischen Epoche angedauert hat oder für wie lange die Seen und deren Verbindungskanäle mit Wasser gefüllt waren. Trotzdem könnte diese Studie von Bedeutung für die Astrobiologen sein, welche nach Anzeichen für früheres Leben auf dem Mars suchen. Orte wie diese Seen könnten in einer günstigen Klimaperiode potentielle Habitate für mikrobiologische Lebensformen dargestellt haben und kommen deshalb eventuell auch als Ziele für zukünftige Robotermissionen in Frage, welche nach Anzeichen für einstiges Leben auf dem Mars suchen werden.

“Die Erforschung des Mars hat sich bisher weitgehend auf dessen Frühphase und die jüngere Vergangenheit konzentriert”, so Dr. Nicholas Warner. “Die Wissenschaftler haben die Hesperianische Epoche weitgehend übersehen, da man davon ausging, dass der damalige Mars ein frostiges Ödland darstellte. Unsere Studie zeigt, dass dieses Mittelalter der Marsgeschichte viel dynamischer war als wir bisher dachten.”

Als nächstes wollen die Wissenschaftler ihre Studie auf andere Regionen entlang des Marsäquators ausdehnen und so feststellen, wie weit solche Seen während der Hesperianischen Epoche verbreitet waren. In einem ersten Schritt soll dabei das Mündungsgebiet des Ares Vallis in das Chryse Planitia untersucht werden. Erste Analysen von Satellitenbildern dieser Region legen die Vermutung nahe, dass sich auch hier Seen gebildet haben könnten.

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