Titanoxide beim Riesenstern VY Canis Majoris

Einem internationalen Astronomen-Team ist es kürzlich gelungen, in der unmittelbaren Umgebung des Sterns VY Canis Majoris zwei spezielle Titan-Molekül-Verbindungen zu identifizieren. Dieser Stern ist einer der größten bekannten Sterne überhaupt und dürfte seinen Lebenszyklus in naher Zukunft im Rahmen einer Supernova-Explosion beenden. Von ihren Beobachtungen erhoffen sich die beteiligten Astronomen neue Erkenntnisse über die Entstehung von Staub und komplexen Molekülen im Universum.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Universität Köln, HST.

NASA, ESA, R. Humphreys (University of Minnesota)
Diese Aufnahme von VY Canis Majoris und des den Stern umgebenden Reflexionsnebels wurde durch das Hubble-Weltraumteleskop erstellt.
(Bild: NASA, ESA, R. Humphreys (University of Minnesota))

Im Rahmen ihrer Untersuchungen analysierten die an der Studie beteiligten Astronomen einen im Sternbild „Großer Hund“ (lateinischer Name „Canis Major“) gelegenen veränderlichen Stern. Der Rote Überriese VY Canis Majoris – oder kurz VY CMa – befindet sich in einer Entfernung von etwa 4.900 Lichtjahren zu unserem Sonnensystem und gilt als einer der am hellsten leuchtenden Sterne im derzeit untersuchten Universum.

„VY CMa ist kein gewöhnlicher Stern. Es ist einer der größten Sterne, die wir kennen, und er steht nahe am Ende seines Lebens“, so Tomasz Kamiński vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR). Dieser Stern verfügt über den 1.000- bis 2.000-fachen Durchmesser der Sonne und wäre er in unserem Sonnensystem platziert, so würde er fast die Umlaufbahn des Saturn erreichen.

Der Stern setzte im Verlauf der letzten etwa 1.000 Jahre große Mengen an Material frei, welches dabei einen unregelmäßig geformten Nebel aus Staub und Gas bildete. Der somit sichtbar gewordene Reflexionsnebel entstand dadurch, dass die in der freigesetzten Molekülwolke enthaltenen Staubpartikel das Licht des Zentralsterns reflektieren. Die komplexe Struktur dieses Nebels hat die Astronomen schon über Jahrzehnte hinweg vor ein Rätsel gestellt. Allgemein anerkannt ist, dass sich dieser Nebel als Resultat eines Sternwinds gebildet hat. Aber es ist längst nicht verstanden, worauf die sehr unregelmäßige Struktur dieses Nebels zurückgeführt werden kann. Und es ist ebenfalls noch nicht bekannt, welcher physikalische Prozess die von dem Stern ausgehenden Winde ganz allgemein antreibt. Aufgrund welcher Vorgänge bewegt sich das Material von der Sternoberfläche weg und dehnt sich anschließend in den umgebenden Raum aus?

„Das Schicksal von VY CMa wird sein, als Supernova zu explodieren, aber wir wissen nicht genau, wann das tatsächlich stattfinden wird“, so Karl Menten, der Leiter der Forschungsabteilung „Millimeter- und Submillimeter-Astronomie“ am MPIfR.

Molekülsymbole: CDMS/ T. Kamiński, Hintergrundbild: NASA, ESA, R. Humphreys (University of Minnesota)
In dem den Stern VY CMa umgebenden Staubnebel konnten Astronomen jetzt verschiedenen Titanoxide nachweisen.
(Bild: Molekülsymbole: CDMS/ T. Kamiński, Hintergrundbild: NASA, ESA, R. Humphreys (University of Minnesota))

Durch die Beobachtung des Sterns bei verschiedenen Wellenlängen ergeben sich dabei eine Vielzahl von charakteristischen Einzelinformationen über die in der Umgebung befindlichen atomaren und molekularen Gase und Staubteilchen. Daraus können wiederrum die physikalischen Eigenschaften des beobachteten Objekts abgeleitet werden, denn jedes Atom oder Molekül sendet eine in einer ganzen Anzahl von charakteristischen Linien erkennbare Strahlung aus. Diese stellen eine Art „Strichcode“ dar, mit dessen Hilfe sich die in diesem Nebel enthaltenen Moleküle identifizieren lassen.

„Die Strahlung in kurzen Radiowellenlängen, den sogenannten Submillimeter-Wellen, ist für die Untersuchung von Molekülen und deren Eigenschaften hervorragend geeignet“, so Sandra Brünken von der Universität zu Köln. „Die Identifizierung der Moleküle ist leichter möglich und normalerweise kann man auch eine größere Anzahl von Molekülen beobachten als in anderen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums.“

Im Rahmen ihrer Studie des Sterns VY Canis Majoris gelang es dem Astronomenteam dabei erstmals, Titanoxid und Titandioxid im Bereich der Radiowellenlängen in der unmittelbaren Umgebung des Sterns zu beobachten. Darüber hinaus ist dies das erste Mal überhaupt, dass Titandioxid im Kosmos identifiziert werden konnte. Dieses Molekül ist uns aus dem alltäglichen Leben als Hauptbestandteil des unter Malern als „Titanweiß“ bekannten Weißpigments und ebenso als Zutat von Sonnenschutzmitteln bekannt. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie Titandioxid schon einmal als Bestandteil Ihrer Nahrung aufgenommen haben, da es zur Färbung von Lebensmitteln benutzt wird (aufgeführt unter der Codenummer „171“).

Theoretische Überlegungen lassen vermuten, dass Sterne – und hierbei speziell Sterne mit einer sehr niedrigen Oberflächentemperatur – Titanoxide in großen Mengen produzieren, welche anschließend durch den Sternwind in weiter außen gelegene Regionen transportiert werden.

„Titanoxide neigen dazu, sich in Form von Staubpartikeln zusammenzuballen, die dann im Optischen oder im Infraroten sichtbar werden“, so Nimesh Patel vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. „Und die katalytische Wirkung von Titandioxid beeinflusst vermutlich die chemischen Prozesse, die auf den Staubkörnern stattfinden“, ergänzt Holger Müller von der Universität zu Köln. „Das ist sehr wichtig für die Entstehung von größeren Molekülen im Weltraum.“

Absorptionsbanden von Titanoxid (kurz „TiO“) im sichtbaren Bereich des Lichtspektrums sind der Wissenschaft dagegen bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt. Tatsächlich benutzen die Astronomen diese Linien mittlerweile sogar zur Klassifikation von bestimmten Sterntypen mit niedrigen Oberflächentemperaturen (gemeint sind hierbei Sterne der „Spektralklassen“ „M“ und „S“). Das Pulsationsverhalten von „Mirasternen“, einer bestimmten Gruppe von in einem sehr späten Entwicklungsstadium befindlichen veränderlichen Überriesen-Sternen, wird ebenfalls auf den Einfluss von TiO zurückgeführt.

N. Patel, SMA
Die Entdeckung der Titanverbindungen im Umfeld des Sterns VY Canis Majoris gelang unter der Verwendung des auf Hawaii gelegenen Submillimeter-Array-Teleskops.
(Bild: N. Patel, SMA)

Die Beobachtungen von Titanoxid und Titandioxid zeigen, dass diese beiden Moleküle in der Umgebung von VY CMa in größerer Menge vorhanden sein müssen, und zwar in Regionen, welche auch mehr oder weniger mit den bisherigen theoretischen Überlegungen übereinstimmen. Es scheint jedoch, dass ein bestimmter Anteil dieser Moleküle keinen Staub bildet, sondern gegenwärtig vielmehr in der Gasphase beobachtet wird. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass der Staub in der Vergangenheit in dem umgebenden Nebel zerstört wurde und sich daher derzeit wieder im gasförmigen Aggregatzustand befindet. Ein solches Szenario wird dadurch unterstützt, dass Bestandteile des Sternwindes um VY CMa offenbar miteinander kollidieren.

Die neuen Entdeckungen in Submillimeter-Wellenlängen sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil dadurch allgemein der Prozess der Staubentstehung detailliert erforscht werden kann. Bei Beobachtungen im optischen Wellenlängenbereich tritt das Problem auf, dass die von den Molekülen ausgesandte Strahlung an Staubpartikeln in dem umgebenden Nebel gestreut wird und sich daraus ein verschwommenes Bild ergibt. Dieser Effekt kann bei Radiowellen im Submillimeter-Bereich vernachlässigt werden und ermöglicht den Astronomen dadurch wesentlich präzisere Messungen.

Die Entdeckung von Titanoxid und Titandioxid im Spektrum von VY CMa erfolgte mit dem „Submillimeter-Array“ (kurz „SMA“), einem „Radiointerferometer“ auf dem Mauna Kea auf Hawaii/USA. Da dieses Radioteleskop insgesamt acht Einzelantennen miteinander verbindet, welche ein virtuelles Teleskop von 226 Metern Durchmesser ergeben, konnten die Astronomen ihre Messungen mit bislang nicht erreichter Empfindlichkeit und Winkelauflösung durchführen. Eine Bestätigung der neuen Entdeckungen erfolgte später mit dem Plateau-de-Bure-Interferometer (kurz „PdBI“) des IRAM-Instituts in den französischen Alpen.

Erst kürzlich erfolgte am 13. März 2013 die offizielle Inbetriebnahme des „Atacama Large Millimeter/submillimeter Array“ (kurz „ALMA“) durch die Europäische Südsternwarte (ESO). „ALMA wird die Untersuchung von Titanoxiden und weiteren Molekülen in VY CMa bei sogar noch besserer Auflösung ermöglichen“, so Tomasz Kamiński. „Damit lassen unsere Resultate einiges für zukünftige Entdeckungen erwarten.“

Die im Rahmen der Studie von VY Canis Majoris gewonnenen Erkenntnisse wurden kürzlich von Tomasz Kamiński et al. in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ unter dem Titel „Pure rotational Spectra of TiO and TiO2 in VY Canis Majoris“ publiziert.

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