Tschüss, ATV!

Am 15. Februar 2015 endete mit dem Wiedereintritt von ATV-5 die Ära des europäischen Raumtransporters Automated Transfer Vehicle (ATV).

Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: ESA, Airbus D&S, NASA, spacepolicyonline.com.

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ATV-5 verglüht in der Erdathmosphäre- Illustration.
(Bild: ESA)

15. Februar 2015, 18:06 GMT, irgendwo über dem südpazifischen Ozean: Ein etwa zehn Meter langes, über 15 Tonnen schweres tonnenförmiges Raumschiff rast der Atmosphäre seines Heimatplaneten entgegen, bevor es schließlich in ihr verglüht. So endete die äußerst erfolgreiche Mission ATV-5, deren Ziel es war, mithilfe des europäischen Raumtransporters ATV (Automated Transfer Vehicle) die Internationale Raumstation ISS zu versorgen. Doch noch viel wichtiger: Mit diesem Wiedereintritt endet auch die Ära des ATVs an sich, denn dies war die letzte Mission des europäischen Versorgungsraumschiffs.

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ATV-5 nähert sich der Internationalen Raumstation ISS an.
(Bild: ESA)

Am 29. Juli 2014 startete dieses Raumschiff mit dem Namen Georges Lemaitre mithilfe einer Ariane 5-Rakete in den Weltraum. Es handelte sich um das insgesamt fünfte ATV, es war mit einem Startgewicht von 20,2 Tonnen zugleich die schwerste Nutzlast, die die Ariane 5 jemals startete. An Bord waren Versorgungsgüter für die ISS, am 12. August dockte das Raumschiff schließlich nach einem langem Freiflug millimetergenau an das russische Swesda-Modul der Station an. Danach wurde die Fracht im Inneren des druckbeaufschlagten Moduls, darunter Nahrung, Wasser und wissenschaftliche Experimente, zu der Raumstation transferiert. Zusätzlich führte Georges Lemaitre mithilfe seiner Triebwerke Bahnmanöver zur Anhebung der Umlaufbahn der ISS oder zum Ausweichen von Weltraumschrott durch. Vor dem Wiedereintritt wurde dann das ATV mit Müll beladen, der durch Verglühen in der Erdatmosphäre entsorgt wird.

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Die Kamera an Bord von ATV-5, die aus dem Innerem des Raumschiffs den Weiedereintritt aufzeichnen sollte.
(Bild: ESA)

Für diesen Wiedereintritt wurden die Pläne geändert: Ursprünglich sollte der Raumtransporter einen 14 Tage langen Freiflug durchführen und daraufhin in einem flachen Winkel in die Erdatmosphäre eintreten. So sollten Daten für den Wiedereintritt der ISS in den 2020ern gesammelt werden. Doch einer der vier Energieführungskreise versagte, sodass man nichts riskieren wollte und den ATV auf die übliche Art und Weise eintreten ließ. Während des Wiedereintritts gab es zudem Probleme mit einem Aufzeichnungsgerät (Reentry Breakup Reciorder, REBR) an Bord, das aus dem Innerem des Raumschiffs Daten über den Eintritt sammeln sollte. Das tat es auch, jedoch wurden keine Bilder empfangen. Diese wurden zwar aufgenommen, erreichten jedoch nie die Bodenstation. Die empfangenen Messwerte legen aber den Schluss nahe, dass der Wiedereintritt planmäßig abgelaufen ist.

Das Vermächtnis des Automated Transfer Vehicles

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ATV-5 vor der Integration mit der Ariane 5-Trägerrakete.
(Bild: ESA)

Diese Probleme sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ATV-5 einen erfolgreichen Abschluss des ATV-Programms darstellt. Bereits 1987 gab es erstmals den Vorschlag, mit einem europäischen Raumtransporter eine internationale Raumstation zu versorgen. Im Oktober 1995 wurde die Entscheidung gefällt, das ATV tatsächlich zu bauen, woraufhin ein Jahr später die Entwicklung des Raumtransporters begann. Durch das Liefern von Versorgungsgütern beglich die ESA ihren Teil der Kosten, die durch den Betrieb der Raumstation anfielen. Insgesamt fünf ATVs flogen zu der ISS: ATV-1 „Jules Verne“ 2008, ATV-2 „Edoardo Amaldi“ 2011, ATV-3 „Johannes Kepler“ 2012, ATV-4 „Albert Einstein“ 2013 und nun ATV-5 „Georges Lemaitre“ 2014. Bei diesen Flügen wurde Fracht mit einem Gesamtgewicht von über 31.500 kg zur ISS geliefert. Jetzt ging dieses erfolgreiche Programm zu Ende, genauso wie es in den ursprünglichen Planungen vorgesehen war.

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Orion mit dem europäischem Servicemodul, das auf Technologien des ATVs basiert -Illustration.
(Bild: ESA)

Doch das ATV lebt weiter, und zwar in Form des europäischen Servicemoduls für das neue Raumschiff der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, Orion. Dieses neue Raumschiff ist für Missionen jenseits des niedrigen Erdorbits ausgelegt, dem bisherigen Einsatzbereich des ATVs und der ISS. Orion befindet sich momentan noch in der Entwicklung, 2018 soll ein unbemannter Testflug erfolgen. Diese Mission namens EM-1 (Exploration Mission 1) wird das neue Raumschiff in eine Umlaufbahn um den Mond führen, zugleich wird sie auch den Erstflug der neuen Schwerlastträgerrakete der NASA darstellen, dem Space Launch System. Und Europa ist mit dabei, und zwar in Form des Servicemoduls von Orion. Diese zylinderförmige Struktur wird das konusförmige Crewmodul antreiben und mit Strom, Luft und Thermalkontrolle versorgen. Gebaut von der Raumfahrtfirma Airbus Defence and Space in Bremen, werden durch die Lieferung dieses Servicemoduls die Kosten beglichen, die die ESA durch die Nutzung der ISS von 2017 bis 2020 bei der NASA verursacht. Und die Technologie des europäischen Servicemoduls für Orion basiert auf der des ATVs.

Lockheed Martin

(Bild: Lockheed Martin)

Das ATV war kein Versuch, kostengünstig Fracht zur ISS zu befördern. Das ATV war kein Versuch, größtmöglichen Profit zu machen, es wurde nicht so kostengünstig wie möglich gebaut. Der Transporter ist auch nicht unersetzlich, nach dem Ende des Programms werden nun das russische Progress-Raumschiff, das japanische HTV und die kommerziellen Raumtransporter Dragon und Cygnus die Versorgung der Raumstation übernehmen. Nein, das ATV war vielmehr ein Statussymbol für ganz Europa. Es demonstrierte erfolgreich die Leistungsfähigkeit der Raumfahrtindustrie und versorgte Europa mit einem Zugang zu der Station. Des Weiteren wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt und Know-How aufgebaut, wichtig für zukünftige europäische Raumschiffe. Viele Vorschläge zur Weiterentwicklung des ATVs gab es, nun wird tatsächlich das Servicemodul des Raumschiffs gebaut, das Menschen jenseits des niedrigen Erdorbits, jenseits der ISS zu neuen, bisher unbekannten Zielen befördern wird. Da EM-1 der einzige Flug dieses europäischen Servicemoduls sein könnte, steht Europas Raumfahrtpolitik in der Pflicht, die bemannte Erkundung des Weltalls auch nach der Einstellung des ATVs ernsthaft und forciert weiterzuverfolgen. So kann ATV-5 nicht nur das Ende der Ära des ATVs darstellen, sondern auch den Beginn eines ganz neuen Zeitalters: Den der bemannten Erkundung des Weltalls, die sich nicht mehr nur auf erdnahe Ziele beschränkt.

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