Automated Transfer Vehicle (ATV)

Das ATV der ESA war ein unbemanntes Frachtraumschiff, welches mit einer Ariane 5 ins All gebracht wurde.

Ein Beitrag von Andreas Morlok & Michael Stein & Günther Glatzel

Erstflug (Günther Glatzel / September 2008)

Der Erstflug eines Automated Transfer Vehicles war ein überwältigender Erfolg. „Jules Verne“, so der Name des ATV, war für die Besatzungen der Internationalen Raumstation nicht nur Frachtzubringer, Schlepper und Abfallentsorger. Er diente in den fünf Monaten, in denen er zu einem Teil der Station wurde auch als Lagerraum, Schlafplatz, Hygienebereich, Experimentierbühne und Kühlraum. Für diese Aufgaben war er ursprünglich gar nicht vorgesehen. Der großzügige Platz, die leise arbeitende Lebenserhaltung, die Diskretion am Ende der Längsachse der Station und die etwas niedrigere Temperatur sorgten dafür, dass JuVe häufiger und vielfältiger als geplant genutzt wurde.

ATV 1 nähert sich dem Heck der ISS (Bild: NASA)

Am 9. März, 5:03 Uhr MEZ erhob sich die erste Ariane 5 ES vom Startplatz ELA 3 auf dem Raumfahrtgelände in Französisch Guayana in den Himmel. Rasch wurde sie schneller und brachte das ATV innerhalb von etwa 9 Minuten in eine Umlaufbahn. Ein minimales Problem mit dem Antrieb des Transporters konnte rasch gelöst werden. Danach war das Erreichen des Parkorbits schnell geschafft. Nach zwei sehr erfolgreich durchgeführten Demonstrationstagen, an denen automatische Annäherung, Station halten und Fluchtmanöver unter Verwendung von GPS-, Radar- und Laser-gestützter Navigation erprobt wurden, bekam ATV 1 grünes Licht für das Docking.

Dieses Manöver erfolgte am 3. April. 16:45 Uhr MESZ war der Kontakt zwischen ATV und ISS hergestellt. Kurze Zeit später konnte die Besatzung das Raumfahrzeug betreten und begutachten. JuVe brachte 5,5 Tonnen Fracht, darunter Nahrungsmittel, Wasser und Treibstoff. Schnell gewöhnte man sich an die Qualitäten des temporären Zusatzmoduls. Am 25. April wurden die Triebwerke des ATV erstmals dazu benutzt, die Bahn der Internationalen Raumstation anzuheben. Nach 740 Sekunden Antrieb durch zwei der vier Triebwerke, war die Bahnhöhe um 4,5 km auf 342 km gestiegen. Es folgten drei weitere Manöver dieser Art. Damit kam die Station im August auf eine Höhe von mehr als 350 Kilometern. Aber es ergaben sich auch neue Nutzungsmöglichkeiten. Im Verlauf der Mission wurde ein Ausweichmanöver mit Hilfe der ATV-Triebwerke ausgeführt.

ATV-Innenraum (Bild: NASA)

Zum Missionsende wurde das ATV mit Abfall, älteren oder defekten Geräten beladen und auf seine letzte Reise vorbereitet. Das Abkoppeln erfolgte am 5. September, 23:27 Uhr MESZ. Nach weiteren Bahnmanövern zündete JuVe am 29. September zum letzten Mal seine Triebwerke. Da diese entgegen der Flugrichtung feuerten, sanken Geschwindigkeit und Bahnhöhe, bis das Raumfahrzeug schließlich in einem von der Erde aus aufmerksam beobachteten Feuerwerk als Sternschnuppenregen verglühte.

Ergänzung (GG / Dezember 2010, Februar 2011)

Der Start der folgenden ATV mit Namen „Johannes Kepler“ und „Edoardo Amaldi“ wurde mehrfach verschoben, weil es im Shuttle-Flugplan zu weiteren Verzögerungen kam, die Versorgungslage der Raumfahrer in der Station aber gut war. ATV 2 startete am 16. Februar 2011, der Start des ATV 3 ist für 2012 geplant. Anschließend folgen mindestens zwei weitere ATV, aufgrund der Verlängerung der Nutzungsdauer der ISS bis 2020 wahrscheinlich mehr.

Für die zweite Frachtmission der ESA zur ISS wurden gegenüber dem Jungfernflug 2008 einige Veränderungen an Raumfahrzeug und Trägerrakete vorgenommen. So kann die Ariane 5 ES jetzt rund 500 kg mehr Nutzlast in den geplanten Orbit bringen. Außerdem verwendet man im Raumschiff selbst leichtere Materialien für die Nutzlastregale, so dass man noch einmal 63 kg mehr einladen kann. Ein Teil der Zuladung kann auch erst in der Endphase der Vorbereitung ins ATV gebracht werden, so dass man flexibler ist.

Der autonome Flug zur Station soll nur noch 11 Tage dauern. Trotzdem werden die Systeme ausgiebig geprüft, bevor man anlegt. Die Zahl der Beschleunigungssensoren wurde erhöht und die Thermoisolation überarbeitet. Beim ATV 1 hatten sich die Thermoisolationsmatten aufgebläht und teilweise vom Rumpf gelöst, da noch vorhandene Restgase aus der mehrlagigen Isolationsschicht nur ungenügend entweichen konnten, sich daher gegenüber dem nicht vorhandenen Außendruck im Material ausbreiteten. Mittlerweile ist die Entlüftung der Isolationsschicht verbessert und sind die Matten besser am Rumpf befestigt worden. Die Flugsteuerungssoftware wurde in 31 Punkten modifiziert.

Orbitale Piruetten für das ATV (Michael Stein / April 2006)

Bei der Versorgung der ISS spielt der europäische Raumtransporter ATV (= Automated Transfer Vehicle) eine wichtige Rolle. Bis 2008 wurde die Internationale Raumstation ausschließlich von unbemannten russischen Progress-Transportern sowie vom amerikanischen Space Shuttles mit Versorgungsgütern und Ersatzteilen beliefert. Auch der Abtransport nicht mehr benötigter Hardware sowie des angefallenen Mülls wurde von diesen beiden Transportsystemen übernommen. Doch schon von Beginn der ISS-Planungen an war der Einsatz unbemannter japanischer und europäischer Raumtransporter zur Versorgung der ISS-Besatzungen fest eingeplant. Dafür gibt es gleich mehrere handfeste Gründe: Nach den Erfahrungen der ersten Jahre des Shuttle-Betriebs war allen Beteiligten klar, dass eine hauptsächlich auf den amerikanischen Raumfähren basierende Versorgung des orbitalen Forschungslabors zu teuer und zu unzuverlässig werden würde. Außerdem ist die ISS ein internationales Projekt, zu dem natürlich auch die europäische und japanische Seite ihren Betrag leisten sollen und wollen. Nicht zuletzt bedeutet die Entwicklung eines eigenen Transportsystems auch ein weiteres Stück Autonomie für die europäische Raumfahrt.

Das ATV im Anflug auf die ISS. (Grafik: ESA)

Nach der Columbia-Katastrophe (Februar 2003) ist die Bedeutung des ATV für die zukünftige Versorgung der ISS noch angestiegen, denn der neue ISS-Aufbauplan sah kaum noch sogenannte Logistikflüge der amerikanischen Raumfähren zur ISS vor. Die risikoreichen Flüge der Shuttle-Flotte wurden auf ein für den Abschluss des ISS-Aufbaus notwendiges Minimum reduziert; der Einsatz der Raumfähren galt als zu riskant (und kostspielig), um damit Versorgungsgüter in den Erdorbit zu transportieren. Außerdem sahen die Planungen der NASA die Außerdienststellung aller Raumfähren bis 2010 vor, so dass spätestens von diesem Zeitpunkt an die Versorgung der dann sechsköpfigen ISS-Besatzungen vollständig von unbemannten Transportsystemen wie dem ATV übernommen werden muss.

Ursprünglich sollte der Start des ersten, auf den Namen Jules Verne getauften ATV im Frühjahr 2006 erfolgen. Vor allem aufgrund von Softwareproblemen musste dieser Termin jedoch verschoben werden.

Hinter der Bezeichnung „Proximity Communication Link“ verbirgt sich ein Kommunikationssystem, das eine Datenverbindung zwischen dem ATV und der Internationalen Raumstation während der Annäherungsphase herstellt. Das ATV nähert sich üblicherweise vollautomatisch der ISS und koppelt ohne menschliches Zutun am russischen Servicemodul Swesda an. Sobald das Transportraumschiff sich der ISS auf 100 bis 30 Kilometer Entfernung angenähert hat, tritt der Proximity Communication Link in Aktion: Über diese Funkverbindung werden mit einer Übertragungsrate von 20 kBaud Telemetriedaten zwischen dem Orbitallabor und dem ATV ausgetauscht. Somit kann die Besatzung an Bord der Raumstation permanent verfolgen, ob der Anflug des Transporters mit rund 20 Tonnen Masse planmäßig verläuft.

Von existenzieller Bedeutung wird die Funkverbindung, falls einmal – allen eingebauten Sicherheitssystemen zum Trotz – die automatische Navigation versagen und ein Zusammenprall des ATV mit der ISS drohen sollte: Der Proximity Communication Link erlaubt es der ISS-Besatzung, in jeder Phase des Anflugs die Kontrolle über das Transportraumschiff zu übernehmen und es manuell zu steuern. Nach erfolgter Ankopplung der Transporters an die Raumstation wird das Funksystem deaktiviert. Kurz vor der Abtrennung des ATVs von der ISS wird das Kommunikationssystem dann wieder hochgefahren. Zu diesem Zweck muss jedes Mal eine „Proximity Communication Equipment“ (PCE) genannte Elektronikbox von der Größe eines Tischkühlschranks mit den Systemen der ISS verbunden und aktiviert werden. Die Außenantennen des Proximity Communication Link sind im Rahmen eines Außenbordeinsatzes der damaligen ISS-Besatzung im September 2004 neben der Schleuse am Ende des russischen Moduls Swesda installiert worden. Jedes ATV ist selbst mit zwei 19 Zentimeter durchmessenden Antennen ausgestattet.

Das gesamte Proximity Communication Link – bestehend aus dem PCE und den Antennen an der Außenhülle der Raumstation – wird fünf Tage vor dem Start jedes ATV getestet werden; nur bei erfolgreichem Verlauf dieses Tests erhalten die Transportraumschiffe die Startfreigabe.

Außer dem Proximity Communication Link verfügt das ATV über ein weiteres Kommunikationssystem, mit dessen Hilfe Telemetriedaten und Befehle während der gesamten Flugphase zwischen dem Tansporter und dem Kontrollzentrum in Darmstadt ausgetauscht werden. Diese Kommunikation läuft sowohl über die Satelliten des Tracking and Data Relay Satellites System der NASA wie auch über den europäischen Kommunikationssatelliten Artemis. Über diesen europäischen Kommunikationssatelliten wird auch der Großteil der Datenübertragung mit dem ATV laufen, solange das Transportraumschiff an der ISS angedockt ist.

Allgemeines zum ATV (Michael Schumacher / August 2003)

Ein ATV über den Wolken der Erde. (Grafik: ESA)

Im Rahmen der Flüge zur ISS wird es an den hinteren Kopplungsstutzen des Service Module „Swesda“ ankoppeln, um Stückgut, Wasser, Atemluft, Stickstoff und Sauerstoff zu liefern, die Tanks des Lagekontrollsystems mit Treibstoff aufzufüllen und die Bahnhöhe der Raumstation anzuheben sowie nicht länger benötigte Gegenstände von der Raumstation wegzutransportieren.

Sein Moduldesign erlaubt es, dass die einzelnen Raumfahrzeuge für die unter Druck und nicht unter Druck beförderten Frachten wenn erforderlich optimiert werden können. Für die Entwicklung der Treibstofftanks und des unter Druck gesetzten Frachtbehälter zeichnete sich Alenia Aerospazio verantwortlich. Die Versorgungsmissionen sollen regelmäßig etwa alle 15 Monate stattfinden. An Stückgut kann das ATV 1.500 bis 5.500 Kilogramm transportieren, an Wasser bis zu 840 Kilogramm, an Stickstoff, Sauerstoff und Atemluft bis zu 100 Kilogramm, wobei pro Flug nur zwei Gase transportiert werden können, an Treibstoff für das Lagekontrollsystem bis zu 4.500 Kilogramm.

Die Nutzlastkapazität liegt insgesamt bei 7.667 Kilogramm. Der Start des ATV erfolgt mit zusammengefalteten Solarzellenflügeln. Die Stromversorgung wird dabei durch nicht wieder aufladbare Batterien gewährleistet. Entfaltet besitzen die Solarzellenflügel eine Spannweite von 22,3 Metern, die die Energie für die wiederaufladbaren Batterien für die Zeit, in der sich das ATV im Erdschatten befindet, erzeugen.

Der Flug zur ISS erfolgt automatisch. Die Hauptkomponenten des ATV sind das System für den Antrieb und zur Anhebung der Erdorbithöhe, die Avionikausrüstung, das Guidance, Navigation and Control System (GN&C), das Kommunikationssystem, das System zur Stromerzeugung und –speicherung, das Temperaturregelungssystem sowie das russische System zur Ankopplung und zum Auftanken. Das Hauptantriebsystem besteht aus vier Triebwerksdüsen mit einer Schubkraft von jeweils 490 Newton.

Das Lagekontrollsystem nutzt 28 Triebwerksdüsen mit jeweils 220 Newton Schubkraft. Als Treibstoff kommt Monomethylhydrazin und als Oxydator Stickstofftetroxyd zum Einsatz. Die Kommunikation mit der Erde erfolgt über ein S-Band Communications System über das Tracking and Data Relay Satellite System (TDRSS). Die Kommunikation vom ATV zur ISS erfolgt ebenfalls über ein S-Band Communications System. Zur Navigation wird das Global Positioning System (GPS) genutzt. Die vier Solarzellenflügel bestehen jeweils aus vier Panelen und speichern die gewonnene Energie in wieder aufladbaren Batterien mit 40 Amperestunden.

Das ATV besitzt eine Länge von 9,8 Metern, an der breitesten Stelle einen Durchmesser von 4,5 Metern und eine Trockenmasse von 5.320 Kilogramm. Die Trockenmasse des Frachtbehälters liegt bei 5.150 Kilogramm. Die Gesamtmasse liegt bei 10.990 Kilogramm. Die Zuladung für Verbrauchsgüter und Atemluft liegt bei 2.094 Kilogramm. Die Gesamtmasse des ATV beträgt 13.084 Kilogramm. Es besitzt eine Startmasse von 20.750 Kilogramm und kann 6.500 Kilogramm an verbrauchten Materialien von der ISS wegtransportieren.

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