Ein Forscherteam findet eine kleine Region des Asteroidengürtels, der ein Großteil der Geschosse entstammen kann, die bisher die Erde trafen. Vermutlich gibt es noch mehr dieser Regionen. Sie sind jedoch maskiert.
Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: Astronomy & Astrophysics.
Für Astronomen sind Meteoriten Segen und Fluch gleichermaßen. Die auf die Erde gefallenen Brocken von Materie helfen uns dabei, die Geschichte unseres eigenen Planeten und die Entstehung des Sonnensystems besser zu verstehen. Immerhin entstand die Erde aus demselben Material, das bis heute durch das Sonnensystem fliegt und ab und zu der Erde in die Quere kommt.
In frühen Erdzeitaltern wurde jedoch alles Material durch chemische Prozesse umgearbeitet und hat heute als differenziertes Material nicht mehr viel mit den Urbestandteilen gemein. Im Zuge dieser Differenzierung kam es zu einem Elementtransport im Erdinnern: Während sich Eisen und Nickel im Kern anreicherten, wanderten Magnesium und andere Materialien in den Mantel, wogegen sich Aluminium, Kalium und leicht flüchtige Elemente auch dort nicht in Minerale einbauen ließen und daher in die Erdkruste wanderten. Da diese Prozesse im gesamten Sonnensystem auf unterschiedlich großen Himmelskörpern – Planeten wie Asteroiden – passierte, die regelmäßig auch miteinander kollidierten, gelangte unterschiedlich stark differenziertes Material in allen Größen in den interplantetaren Raum. Ist der gefundene Brocken auf der Erde also kaum differenziert, kann er uns direkt Aufschluss über das Urmaterial der Erde und aller anderen Objekte des Sonnensystems geben.
Doch es gibt ein Problem, einen Fluch. Der größte Teil aller Meteoriten – etwa 75% – sind undifferenzierte Stein-Meteoriten, scheinen also aus unveränderter interstellarer Materie zu bestehen. Die Forscher untersuchten die Spektren der gefundenen Brocken und versuchten, deren Ursprungsorte im Sonnensystem ausfindig zu machen. Ein großer Teil der differenzierten Fundstücke entstammt dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Undifferenzierte Oberflächen hatte man dort bisher kaum gefunden.
Nun gelang es Thais Mothé-Diniz vom Observatório Nacional in Rio de Janeiro, Brasilien und David Nesvorný vom US-amerikanischen Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, eine mögliche Ursprungsregion undifferenzierter Meteorite auszumachen. Das berichten sie in den Astronomy & Astrophysics Letters. Sie datierten die Oberflächen der undifferenzierten Körper in einem kleinen Feld im Asteroidengürtel auf 50.000 bis 100.000 Jahre, ein geologisch blutjunges Alter also. Die Forscher hatten mit Hilfe des Gemini-Observatoriums in Hawaii und Chile verschiedenste Asteroidenspektren untersucht und fanden damit die jüngsten bisher entdeckten Asteroidenoberflächen.
Die beiden Wissenschaftler vermuten zudem, dass es deutlich mehr undifferenzierte Körper im Sonnensystem gibt. Jedoch verursacht die sogenannte Weltraumverwitterung durch ein ständiges Bombardement von Sonnenwind und Mikrometeoriten ein in geologischen Zeiträumen schnelles Altern exponierter Oberflächen, die so ihr spektroskopisch charakteristisches Antlitz verlieren.
Zuletzt können die Funde der Forscher auch dabei helfen, den Zeitrahmen der Weltraumverwitterung besser abzuschätzen. Denn bisher waren Zeiträume zwischen 50.000 und 100 Millionen Jahren diskutiert worden, die eine wirksame Verwitterung einer Oberfläche braucht. Die gefundenen Körper bewegen sich eher im unteren Bereich dieser Vermutungen und legen nahe, dass es nicht lange dauert, bis kosmisches Bombardement eine Asteroidenoberfläche zu feinem Staub verarbeitet hat.