Wenn die Sonne auf Sturm steht, bedrohen solare Teilchenlawinen das Leben auf der Erde. Die Folgen können vielfältig sein: Stromnetze brechen zusammen, Computer spielen verrückt, Navigationsnetze werden gestört. Das Phänomen heißt Weltraumwetter. Eine Information der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA).
Quelle: ESA.
Das Phänomen wurde im Rahmen der Europäischen Woche für Wissenschaft und Technologie auf vielfältigen Veranstaltungen in zahlreichen europäischen Städten Anfang November 2002 vorgestellt. Für das Hauptforum wählte die Europäische Raumfahrtagentur ESA zusammen mit den anderen Veranstaltern das Berliner Zeiss-Großplanetarium aus. Der richtige Ort für eine viel beachtete internationale Expertenrunde, eine Sonderausstellung, für die Premiere einer multimedialen 3-D-Wissenschaftsshow „Donnerwetter – Weltraumwetter“ sowie für die Live-Schaltung zur Internationalen Raumstation ISS.
Eine Wende liegt in der Luft. Und das ausgerechnet auf einem Gebiet, in dem man fundamentale Erkenntnisse derartiger Dimensionalität gar nicht vermuten würde, dem Wetter. Bislang schien „Wetter“ – der Zustand der Luft an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit – eine höchst irdische Angelegenheit zu sein. Doch die von Satelliten gewonnenen Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen zweifelsfrei, dass die Strahlung aus dem All das Klima auf der Erde beeinflusst. Und zwar sogar stärker, als viele Experten bisher dachten. Das neue Phänomen wird umschrieben mit dem friedvoll klingenden Namen „Weltraumwetter“.
Außerirdisches Wetter
„Weltraumwetter wird durch die kosmische Strahlung unseres Zentralgestirns oder die anderer Sterne verursacht“, eröffnete Dr. Frank Jansen von der Universität Greifswald, Spiritus rector der „Weltraumwetter“-Veranstaltungen, das Berliner Forum. „In der Magnetosphäre sowie der Ionosphäre der Erde werden so Wechselwirkungen mit den dort vorhandenen Feldern und geladenen Teilchen erzeugt. Die dabei verursachten Phänomene in der Umgebung der Erde werden als Weltraumwetter bezeichnet.“
Darunter fallen alle außerirdischen Ereignisse, die sich auf das irdische Leben auswirken. Es beeinflusst nicht nur die Funktionstüchtigkeit technischer Systeme im Weltraum und auf der Erde, sondern kann auch Gesundheit und Leben von Menschen gefährden. Die Auswirkungen sind vielfältig. Sie reichen von Elektronikpannen, Unterbrechungen im Nachrichten- und Navigationsverkehr, Stromausfällen in der Energieversorgung bis hin zu Störungen im Bahnverkehr. Weltraumwetter stört den Handyempfang, macht Satelliten unbrauchbar, gefährdet Raumfahrer und Flugzeugbesatzungen, bringt Stromleitungen und Flugzeugelektronik aus dem Takt, läßt Öl- und Gaspipelines korrodieren, Trafostationen explodieren und vieles mehr. Die meisten Auswirkungen sind wissenschaftlich bewiesen, an anderen wird noch geforscht. Weltraumwetter ist eben weit mehr als die bekannte eindrucksvolle Erscheinung der Polarlichter.
Alexi Glover, die Koordinatorin des Space Weather Working Teams der ESA, erläuterte die Aktivitäten der Europäischen Weltraumagentur: „Aus der Entfernung von 1,5 Mill. km – also aus nächster Nähe – untersuchen wir seit Jahren die Aktivitäten der Sonne mit unserem Sonnenobservatorium SOHO. Es dient zugleich als Wächtersatellit. Darüber hinaus werden die Auswirkungen dieser Sonnenaktivitäten im Umfeld der Erde durch das Cluster-Satellitenquartett in bisher unerreichter zeitlicher wie räumlicher Auflösung erfasst. Wir sind damit dem Phänomen Weltraumwetter hautnah auf der Spur.“
Stürme aus dem All
Wer sehnt sich nicht nach Licht und den wärmenden Sonnen-Strahlen? Unsere Sonne hat aber noch ein zweites Gesicht. Sie emittiert elektromagnetische Strahlen und energiereiche Teilchenstrahlen, wie den mit Protonen, Elektronen und hochionisierten Atomen beladenen Sonnenwind sowie die solare kosmische Strahlung.
Während die elektromagnetische und die kosmische Strahlung unseren Heimatplaneten in acht Minuten erreichen, treffen die Bestandteile des Sonnenwindes erst nach vier bis fünf Tagen ein.
Die zweite Quelle, aus der das Weltraumwetter gespeist wird, ist die galaktische kosmische Strahlung. Sie stammt von den Sternen unserer Heimatgalaxis – der Milchstraße – und besteht ebenfalls aus Atomkernen, Protonen und Elektronen. Sie wird auf ihrem langen Weg bis zur Erde nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und besitzt deshalb hohe Energien. Dadurch kann sie bis zur Erdoberfläche vordringen, aber auch Materialien verschiedenster Art durchdringen. Sie stellt daher auch eine Gefahr für die Raumflugbesatzungen dar.
Wenn die galaktische kosmische Strahlung mit Teilchen der Erdatmosphäre zusammenstößt, entstehen neue Teilchen, die sogenannte sekundäre kosmische Strahlung. Sie hat besondere Bedeutung für die Luftfahrt, da die Flugzeugbesatzungen hier den Gefahren erhöhter Strahlenbelastung ausgesetzt sind.
Das Erdmagnetfeld als Schutzschild
Hätte die Erde kein Magnetfeld, würde es auf ihr kein Leben geben. Der Großteil der für den Menschen und andere Lebewesen schädlichen Strahlung wird dank seiner Existenz um die Erde herumgeleitet. Bei erhöhter Sonnenaktivität nimmt aber die Intensität von Sonnenwind und Strahlung so zu, dass die Wechselwirkungsprozesse in der Ionosphäre intensiviert werden und geladene Teilchen bis weit hinunter in die Erdatmosphäre vordringen. Das Ergebnis sind die in hohen geographischen Breiten zu beobachtenden Polarlichter. Die eindringenden geladenen Teilchen induzieren aber auch elektrische und magnetische Felder, die zu Stromflüssen in der Erde bzw. zu Potentialunterschieden führen. In allen leitfähigen Teilen, das können beispielsweise Erdölpipelines oder Stromleitungen sein, fließen deshalb geomagnetisch induzierte Ströme.
Strahlen der Zerstörung
Unsere moderne Welt bedient sich immer mehr technischer Systeme, die das Leben erleichtern sollen. Doch diese Systeme sind gegen die Strahlung aus dem All nicht immer immun. Die ersten diesbezüglichen Effekte wurden 1940 in Nordamerika beobachtet. Starke Magnetstürme führten zu Transformatorabschaltungen. Das berühmteste Ereignis fand am 13. März 1989 in Kanada statt. Schwere Magnetstürme verursachten die magnetische Sättigung von Transformatoren im Quebec-Kraftwerkssystem. Das führte zur Selbstabschaltung und Spannungsoszillationen im Netz, was schließlich den Zusammenbruch des gesamten Stromnetzes in Quebec bewirkte. Der Stromausfall dauerte neun Stunden.
Gravierende Auswirkungen können in anderen elektrischen Systemen durchaus zu Katastrophen führen. So wurden in Schweden durch Weltraumwettereffekte bedingte Fehlfunktionen von Eisenbahnsignalen beobachtet.
Elektronische Bauelemente sind aus der technisierten Welt nicht mehr wegzudenken. Teilchenschauer der galaktischen kosmischen Strahlung erzeugen in den zunehmend miniaturisierten Chips sogenannte Soft Errors. So zeigten Speicherchips nach Untersuchungen von IBM eine 13 fach höhere Fehlerrate in 3.100 Meter Höhe als auf Meeresspiegelniveau. Und wer Elektronik an den Polen betreibt, ist ebenfalls wesentlich stärker betroffen, als am Äquator.
Fehlfunktionen elektronischer Systeme durch Einwirkung des Weltraumwetters führten auch in der Raumfahrt zu Störungen bzw. zum Totalausfall von Satelliten. So erwischte es 1994 den kanadischen Satelliten ANIK und 1997 Telstar 401.
Die aufgezeigten Risiken sind nur ein Teil des Gesamtproblems, das erst in den letzten Jahren in seiner gesamten Tragweite erkannt wurde. Betroffen sind im Prinzip alle hochtechnisierten Teile einer Gesellschaft, wie die Telekommunikation, die Gas- und Ölindustrie, Energieversorgung oder das Verkehrswesen.
Streitfall Klima: Treibhauseffekt von der Sonne?
In den letzten Jahren wurde offensichtlich, dass direkte und indirekte Einflüsse des Weltraumwetters auf das irdische Wetter bestehen: Zum Beispiel die Verringerung der Ozonkonzentration während starker Sonnenaktivität, Langzeiteffekte auf das Klima und die Wolkenbildung in der Erdatmosphäre. Nachgewiesen ist, dass der Wasserstand des Nils mit dem elfjährigen Aktivitätszyklus der Sonne variiert. Es erhebt sich daher die Frage, ob die Häufigkeit der Fluten in den großen Flusssystemen vielleicht durch das Weltraumwetter beeinflusst wird.
Noch brisanter ist die Frage, inwieweit die Sonne mit ihrer schwankenden Strahlung einen messbaren Einfluss auf das irdische Klima hat. Gibt es ihn, dann wird nicht nur die herrschende Lehrmeinung des bedrohlichen Treibhauseffektes in Frage gestellt. Dann ist möglicherweise der Mensch gar nicht für den Klimawandel verantwortlich. Dann wiederum würden die politischen Bemühungen um den Klimaschutz in Frage gestellt werden.
Und die Stimmen, die dem Weltraumwetter einen nicht unerheblichen Einfluss auf das irdische Klima zuschreiben, mehren sich. Beeindruckende Beispiele nannte Prof. Rainer Schwenn vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau während des Berliner Symposiums. Für den solaren Wetterforscher Schwenn besteht ein unmittelbarer Zusammenhang: „Je kürzer ein Sonnenzyklus ist, desto wärmer ist es auf der Erde.“ Mehr noch. Zeitreihenanalysen hätten ergeben, so Schwenn, dass eine „verstärkte kosmische Strahlung die Wolkenbildung in drei Kilometer Höhe fördert.“ Die Folge: mehr Regen, denn „gesättigter Wasserdampf wird auskondensiert“. Für Schwenn sei der Anstieg des Kohlendioxidgehaltes der Luft keinesfalls die alleinige Hauptursache für den gegenwärtig feststellbaren Klimawandel. Beide Effekte überlagern sich, wobei der „Treibhauseffekt noch auf dem Weltraumwetter-Effekt sitzt“.
Weltraumwetter-Forschungen made by ESA
Derzeit entspricht die Qualität der Weltraumwetterprognosen denen von vor 50 Jahren beim irdischen Wetter. „Von einer dem irdischen Wetterbericht vergleichbaren Weltraumwetter-Vorhersage sind wir noch weit entfernt“, berichtete Jansen und ergänzte: „Aber wir arbeiten weltweit an einem Service zur Vorhersage von Weltraumwetterstürmen, um lebensbedrohende Gefahren für den Menschen rechtzeitig zu erkennen.“
Das setzt aber die ständige Beobachtung der Sonnenaktivität und deren Auswirkungen im interplanetaren sowie erdnahen Raum voraus. Auch eine weitere Intensivierung der Grundlagenforschung ist nötig, denn zahlreiche Phänomene wurden erst in den letzten Jahren entdeckt und bedürfen noch einer genaueren Untersuchung, um sie zu verstehen.
Weltweit widmen sich deshalb Organisationen, Institute und Universitäten der Weltraumwettervorhersage. Bei der ESA wurde ein Space Weather Working Team (SWWT) installiert, das alle Aktivitäten innerhalb der ESA und die Zusammenarbeit mit anderen Teams zu diesem Thema koordiniert. Dazu gehört auch die Einbeziehung von Ergebnissen der ESA-Projekte SOHO und Cluster. Während SOHO kontinuierlich die Aktivitäten der Sonne erfasst, untersucht das Cluster-Satellitenquartett die Wechselwirkungen zwischen Erdmagnetfeld und Sonnenwind erstmals in dreidimensionaler Verteilung.
Klar ist: Hinter den Wettererscheinungen sowohl im interplanetaren Raum als auch in der Troposphäre verbergen sich vielschichtige, schwer fassbare Prozesse. In jüngster Zeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass alles noch wesentlich komplizierter ist, als man es je vermutet hätte. Weil alles mit allem zusammenhängt. Für die Forscher gibt es also noch genug zu tun.