Der Nachfolger des Hubble-Nachfolgers?

Kaum gehen die Arbeiten am James-Webb-Teleskop nach jahrelangen Verzögerungen wieder in die richtige Richtung, wollen die Astrophysiker und Astronomen schon wieder ein noch besseres Flagschiff-Teleskop: Am 6. Juli hat das AURA (Association of Universities for Research in Astronomy) eine Konzeptstudie für das High Definition Space Telescope (HDST) vorgelegt. Die Dimensionen des Teleskops sind gigantisch: 12 Meter Spiegeldurchmesser, mindestens ein Gigapixel Sensorauflösung. Aber die wissenschaftlichen Ziele sind nicht minder ehrgeizig.

Ein Beitrag von Jonathan Hofinger. Quelle: AURA, NASA. Vertont von Peter Rittinger.

Wenn etwa 2019 das berühmte Hubble-Teleskop außer Dienst gestellt werden wird, gibt es nach den Plänen der NASA bereits einen Nachfolger: Im Jahr 2018 soll das James-Webb-Weltraumteleskop starten, ein Infrarotteleskop mit einem Primärspiegeldurchmesser von 6,5m. Dessen Fertigstellung hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verzögert, sodass die Kosten inzwischen an der 9-Milliarden-Dollar-Grenze kratzen. Man erhofft sich vom JWST nicht weniger als ebenso spektakuläre Entdeckungen wie vom Hubble-Teleskop: Von den Ursprüngen des Universums bis zum Nachweis von Anzeichen extraterrestrischer Zivilisation soll den Forschern alles ermöglicht werden (raumfahrer.net berichtete). Doch es geht immer größer, und so haben die Ideengeber hinter dem James-Webb-Teleskops nun dessen potentiellen Nachfolger vorgestellt.

Das AURA ist eine Vereinigung von 40 amerikanischen Universitäten und koordiniert deren Anstrengungen im Bereich der teleskopgestützen Astronomie. So betreibt die Organisation fünf große Observatorien und hat ebenfalls den Bau des James-Webb-Teleskop vorgeschlagen. Damit bringen sie sich für das Auswahlverfahren der NASA für den nächsten großen Schritt in Stellung: Alle zehn Jahre schreibt die US-Raumfahrtbehörde das Decadal Survey aus, im Jahr 2020 ist es wieder fällig. Auf diesem Weg ausgewählt wurde beispielsweise auch das Spitzer-Teleskop und das genannte JWST. Freilich kann man nicht sicher sein, dass das HDST auch wirklich von der NASA gebaut werden wird, doch wenn, wären die Möglichkeiten schier unbegrenzt. Das sagen zumindest die Autoren der Studie.

Die geplanten technischen Daten

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Die Primärspiegel der drei Teleskope im Größenvergleich.
(Bild: AURA)
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So könnte das HDST in eine Nutzlast- verkleidung eingepackt aussehen.
(Bild: AURA)

Dass die Hubble-Bilder so spektakulär sind, liegt auch daran, dass sie das sichtbare Licht abbilden. Denn dieses Teleskop arbeitet im Bereich von 200-1100 Nanometern Wellenlänge. Das nachfolgende James-Webb-Teleskop arbeitet dagegen im Infrarotbereich (600 nm – 28 µm). Beides hat seine Vor- und Nachteile, doch der Vorschlag des HDST geht wieder von der Messung sichtbaren Lichts aus – somit ein echter Hubble-Nachfolger. Auch sonst soll das HDST von der Technologie beider Vorgänger erben: Der Aufbau ist dem des JWST recht ähnlich, so wird ebenfalls eine Dreispiegel-Anordnung verwendet (Three-Mirror-Anastigmat, TMA), es soll nur ein größerer Primärspiegel verwendet werden (ideal: 12m Durchmesser, sollten durch folgende Studien die wissenschaftlichen Ziele vereinfacht oder verkompliziert werden, ist ein Durchmesser zwischen 8 und 18 Metern möglich). Dabei wird der Spiegel ebenso wie beim JWST aus sechseckigen, beweglich gelagerten Segmenten bestehen, welche eine Feinausrichtung ermöglichen und zudem leichter sind. Je nach Entwurf sollen entweder 36 oder 54 Segmente zum Einsatz kommen.

Doch ein 12 Meter breiter Spiegel passt in keine derzeitige oder geplante Rakete, das Fairing von SLS Block 2 hat auch nur eine maximal nutzbare Breite von 8m. Deshalb erbt das HDST-Konzept auch die Faltbarkeit vom James-Webb-Teleskop. Wenn der Baubeginn Anfang bis Mitte der 2020er Jahre stattfände, erhofft man sich einen Start zwischen 2032 und 2034. Eine Rakete ähnlich der Delta IV Heavy oder das Space Launch System soll das Teleskop dann in einen Pseudo-Orbit um den L2-Punkt des Erde-Sonne-Systems bringen. Da an diesem Punkt stets die Erde die Sonne verdeckt, ist die Abschirmung des Sonnenlichts für das Teleskop vergleichsweise einfach. Auch hier gleicht das HDST dem JWST: Bei letzterem sorgt ein fünflagiger, tennisfeldgroßer Sonnenschirm für nahezu perfekte Abschirmung. Beim HDST soll ein ähnliches Konzept verwendet werden, jedoch mit weniger Lagen. Diese werden beim Webb benötigt, um die Temperatur bei -220°C zu halten – die Eigenschaften des HDST erlauben jedoch auch einen Betrieb bei Raumtemperatur, u.a. durch fehlende Infrarot-Empfindlichkeit.

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So würden die am weitesten entfernten Galaxien des Universums aussehen – mit Hubble, JWST und HDST.
(Bild: AURA)

Was die Auflösung angeht, planen die Autoren der Studie einen Sensor im Gigapixel-Bereich. Damit soll eine Winkelauflösung von 0,01 Bogensekunde pro Pixel erreicht werden, anders ausgedrückt: Jeder Bereich des sichtbaren Universums kann im schlechtesten Fall mit 100 Parsec pro Pixel aufgelöst werden – genug, um jede einzelne Sternentstehungsregion im Universum zu finden oder jedes Sonnensystem in der Milchstraße. Zwischen Hubble und HDST wäre der Sprung in der Bildqualität vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem alten Röhrenfernseher mit VGA-Auflösung und einem hochmodernen 4K-Bildschirm.

Wissenschaftliche Ziele: Der nächste große Schritt nach Hubble
Da das HDST eine ganz andere Ausstattung hat als ihre beiden Vorgänger, sind auch die Einsatzmöglichkeiten unterschiedlich. Die Ziele des geplanten Teleskops beschränken sich aber nicht auf den tiefen Raum, auch eine Beobachtung des Sonnensystems in nie dagewesener Qualität ist möglich.

Mit seiner Auflösung kann das HDST die Planeten und Zwergplaneten unseres Systems sehr genau beobachten, sogar die Beobachtung des Wolkensystems von beispielsweise Uranus oder Neptun sind problemlos möglich.

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Der Jupitermond Europa, wie ihn die beiden Teleskope sehen würden – links sichtbares Licht, rechts nahes Ultraviolett, hier ist Wasserdampf erkennbar.
(Bild: AURA)

Zu folgenden Fragen könnte das Teleskop Antworten liefern: Wie hat sich die protoplanetare Scheibe des Systems entwickelt? Welcher Art sind die Himmelskörper jenseits des Neptun? Welche physikalischen Prozesse bestimmen die Oberfläche und die Atmosphärenbedingungen von Himmelskörpern? Und: Wie beeinflusst der Sonnenwind die Entwicklung der Planeten?
Viel wichtiger an der Beobachtung dieser Planeten ist jedoch, dass ihre Eigenschaften als Blaupausen für die Suche nach Exo-Erden benutzt werden können. Die Suche nach Planeten mit erdähnlichen Eigenschaften wäre ein weiteres Ziel des Teleskops. Mit einem Durchmesser von 12m könnte es bis zu 500 Sonnensysteme so genau untersuchen, dass die Planeten direkt abgebildet werden können, und nicht nur über die Transitmethode. Durch die Instrumente des Teleskops lassen sich auch spektroskopische Untersuchungen anstellen, und damit Anzeichen für mögliches Leben entdecken – Detektion von Wasser, Methan oder Ozon. Wenn derzeitige Annahmen stimmen, könnte man so dutzende Planeten mit erdähnlichen Eigenschaften entdecken.

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Ein vollständig entfaltetes Starshade mit einem Weltraumteleskop am rechten Bildrand.
(Bild: NASA)

Um die relativ schwachen Lichtzeichen solcher Planeten zu entdecken, muss man jedoch das Licht ihres Sterns abschirmen. Bei den meisten Teleskopen verwendet man dafür einen internen Koronagraph. Doch darüber hinaus plant die NASA einen sogenannten „Starshade“: Ein eigenes Raumschiff, das mit einem Teleskop gestartet werden könnte, sich im All entfaltet und die Form einer Sonnenblume annimmt. Dabei ist die Abschirmung des Sonnenlichts wesentlich besser als bei einer kleineren Vorrichtung innerhalb des Teleskops. Ein Einsatz dieses Raumfahrzeug, dessen Entfaltemechanismus bereits erfolgreich getestet wurde, wäre mit dem HDST durchaus wahrscheinlich.

Die weiteren wissenschaftlichen Ziele erstrecken sich von unserer Milchstraße bis hin zu Strukturen im hohen Rotverschiebungsbereich, also Objekte aus der Frühzeit des Universums. Ein wichtiges Ziel des vorgeschlagenen Teleskops ist die Untersuchung, wie Sonnensysteme entstehen. „Wie erhalten Sterne ihre Masse?“ und „Wie entstehen aus protoplanetaren Scheiben Planeten?“ Betrachtet man Sternentstehungsregionen wie die Magellan-Wolken mit dem Hubble-Teleskop, lassen sich einzelne Sterne nicht voneinander unterscheiden. Mit dem HDST wäre dies grundlegend anders. Genauere Informationen zu den möglichen Forschungszielen finden sich in der Studie, die dem geneigten Leser zur Lektüre empfolen wird (englisch, 150 Seiten).

Technologie noch in den Kinderschuhen
Doch trotz der hohen Schnittmengen mit Technologien des Hubble- und des James-Webb-Teleskops könnten beim Bau einige Schwierigkeiten entstehen.

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So sähe ein simulierter Klon des Sonnensystems in 50 Lichtjahren Entfernung aus, bei einer Belichtungszeit von 50 Stunden und Detektion der Wellenlängen 400, 500 und 600 nm.
(Bild: AURA)

Zwar wäre die Finanzierung wohl um einiges einfacher als beim JWST. Doch einige der benötigten Schlüsseltechnologien sind noch nicht entwickelt geschweige denn getestet worden. So müssen die Spiegel auf eine nie zuvor versuchte Genauigkeit poliert werden, um entsprechende Auflösungen zu erreichen. Die Aktuatoren, die die Spiegelsegmente steuern, müssen ebenfalls auf Nanometer genau arbeiten. Um im laufenden Betrieb eine perfekte relative Ausrichtung der Spiegel zu ermöglichen, muss ein Wellenfrontsensor entwickelt werden, der Abweichungen auf Pikometer genau messen kann. Sollte das Starshade-Konzept nicht umgesetzt werden, muss ein Koronagraph entwickelt werden, der ausreichende Stabilität und Abschirmung ermöglicht, gleichzeitig aber nicht das Licht der zu beobachtenden Planeten abschirmt. Außerdem muss die Ausrichtung des Teleskops für eine solch hohe Auflösung auf Mikrobogensekunde genau gehalten werden – oder auch ein Milliardstel des Vollwinkels. Schließlich muss für jegliche Spiegel und Sensoren ein Material gefunden werden, dass sich trotz Belastungen beim Start und den unwirtlichen Bedingungen des Weltraums kaum verformt.

Sollte das Konzept ausgewählt und umgesetzt werden, würde es den künftigen Astronomen und Astrophysikern ein mächtiges Werkzeug an die Hand geben, welches revolutionäre Entdeckungen ermöglicht. Doch die technologischen und finanziellen Hürden sind nicht niedrig, daher ist nicht sicher, ob die NASA das Konzept auswählen wird. Allerdings: Die bereits verfügbareAusschreibung legt für den Decadal Survey das ausdrückliche Ziel fest, „große Missionen (> 1 Mrd. US-$) zu priorisieren, die dem James-Webb-Teleskop und dem WFIRST-Programm nachfolgen“. Dafür stellte die NASA den Bewerbern wichtige Informationen auch über vorherige Missionen zur Verfügung, die das AURA in seinem Bericht auch eingehend verwendet hat. Weiterhin spezifiziert die NASA als mögliche große Missionen eine Sonde zur Suche nach habitablen Exoplaneten oder ein Teleskop im Bereich Nahes Infrarot bis Nahes Ultraviolett, neben zwei anderen Möglichkeiten (langwelliges Infrarot-Teleskop oder Röntgen-Teleskop). Beides trifft auf das genannte Konzept zu.

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