Columbia lost.

Sieben Astronauten verloren am 1. Februar 2003 ihr Leben. Der heute veröffentlichte Untersuchungsbericht gibt Auskunft über das “warum”. Raumfahrer.net fasst die Ergebnisse für Sie zusammen.

Quelle: NASA. Ein Beitrag von Felix Korsch.

Das Columbia Accident Investigation Board untersuchte die Ursachen des Absurzes des Space Shuttles am 1. Februar 2003.
(Bild: NASA)
Das Columbia Accident Investigation Board untersuchte die Ursachen des Absurzes des Space Shuttles am 1. Februar 2003.
(Bild: NASA)

Am 26. August 2003 veröffentlichte das Columbia Accident Investigation Board (CAIB) ihren finalen Untersuchungs­bericht zur Columbia-Katastrophe, einer der schlimmsten Unfälle der bemannten Raumfahrt, welche am 1. Februar dieses Jahres sieben Astronauten das Leben kostete. Insgesamt ein halbes Jahr lang arbeitete das zwölfköpfige Gremium um den ehemaligen Navy-Admiral Hal Gehman, analysierte Flugdaten, sichtete Trümmerteile und testete im Space Shuttle verwendete Materialien. Letztendlich konnte das Rätsel der Unglücksursache gelöst und die Akte Columbia geschlossen werden. Die Frage, wie die Raumfahrer ums Leben kamen, ist damit beantwortet. Nicht so die Frage nach dem “warum”. Immerhin konnten im Laufe des Wirkens des CAIB nicht nur die Ursachen des Unglücks eruiert, sondern auch viele bedingende Faktoren innerhalb der NASA identifiziert werden: in den Medien ist und war die Rede von Missmanagement, gravierenden Sicherheitsmängeln und bewusst in Kauf genommenen Gefahren. Hier liegt die Crux der bemannten Raumfahrt – Kostenfaktoren und Sparzwänge können weitreichende Folgen haben. Sie sind nun eine Mahnung und hoffentlich ein Anstoß für einen gewissenhafteren Umgang mit einem Wissenschaftszweig, der das Wort Routine nicht kennt.

Der Bericht selbst umfasst 248 Seiten und gliedert sich in 11 Kapitel. Berichtet wird in diesen über die Entwicklung des Space Shuttles und allgemeine technische Systeme, aber auch über die Challenger-Katastrophe und daraus gezogene – oder versäumte – Lehren. Den Hauptteil schließlich machen Hintergründe zum Orbiter Columbia, der Mission STS-107 und dem genauen Flugverlauf aus. An dieser Stelle werden die Ermittlungsergebnisse minutiös und leicht verständlich zusammengefasst und ergeben ein stimmiges Bild von den Vorfällen am Starttag und während des Wiedereintritts. Diskutiert werden daneben auch Versäumnisse innerhalb der NASA und hierauf basierend mögliche Rettungsmöglichkeiten. Dokumentiert wird der Email-Verkehr zwischen Technikern und Ingenieuren, welche zeigen, dass die Katastrophe nicht wirklich ungeahnt hereinbrach. Vorgeschlagen werden an dieser Stelle auch organisatorische Veränderungen der NASA, die Verbesserung der Krisenmanagements und die Schaffung und konsequente Nutzung von Technologie, welche hilft, künftige Raumflüge einen Deut sicherer zu machen. Den Abschluss bilden Hintergrundinformationen zum CAIB selbst sowie Verweise auf Transkripte diverser Pressekonferenzen und Hearings.

Selbstverständlich ist es an dieser Stelle unsinnig, den Bericht komplett im übersetzten Wortlaut wiederzugeben. Allerdings soll hier die Chance ergriffen werden, die wesentlichsten Bestandteile der soweit bestätigten These des Unglücksherganges zu erläutern.

Rauchende Colts

Analysen von Fotografien nach dem Start zeigen, dass sich ein großes Stück Isolierschaum sowie mindestens zwei weitere Bruchstücke 81,7 Sekunden nach dem Abheben vom Launch Pad 39 vom oberen Bereich des externen Tanks gelöst haben. Das größte Materialstück schlägt bei T+81,9 Sekunden auf der linken Flügelunterkante, genauer auf den so genannten RCC-Paneelen (Reinforced Carbon-Carbon) 5 bis 9 auf; für eine Verwicklung der anderen beiden Bruchstücke gibt es keine Belege. Schätzungen auf Grund der Video- und Fotoanalyse zu Folge war das Trümmerteil zwischen 8,3 und 10,6 Zentimetern lang und 4,7 bis 7,1 Zentimeter breit. Die Wucht des Aufschlages des an sich sehr kleinen und schmalen Stücks ergibt sich durch eine relative Geschwindigkeit von 669 bis 922 Kilometer pro Stunde. Die großen Schwankungen dieser Angaben ergeben sich dabei durch die vergleichsweise schlechte Aufnahmequalität. Herangezogen für genauere Analysen wurden dabei vor allem eine 35mm-Filmkamera (E 212), 25,5 Kilometer vom Startplatz entfernt sowie eine NASA-Videokamera (E 208) in immerhin 39 Kilometern Entfernung. Aus den visuell verfügbaren Daten konnte die Masse des Objekts auf 757 Gramm geschätzt werden.

Ein deutlicher Hinweis auf einen tatsächlichen Einschlag ergibt sich dabei durch die Veränderung der Flugbahn des Trümmerteils mit 18facher Rotation pro Sekunde; ein tatsächlicher Aufschlag ist auf den vorhandenen Videos nur ansatzweise zu sehen. Gut sichtbar dagegen ist absplitterndes Material an der linken Flügelvorderkante im Moment des vermuteten Aufschlages. Unklar ist, ob es hier das Zersplittern des Trümmerstücks oder zertrümmerte Hitzeschutzkacheln beobachtet wurden. Aus der Splitterregion bewegten sich mindestens zwei größere Objekte mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit aus dem Sichtfeld der Kameras. Auch deren Identität – Schaumstoff oder Hitzeschutz – ist ungeklärt. Eine Verkettung von Zufällen – Lösen von mindestens drei Bruchstücken, die bereits beträchtliche Geschwindigkeit des Shuttles, der Aufschlagwinkel sowie der genaue Aufschlagort – führte zu der extremen Wucht des Zusammenpralls. Definitiv ist auch, dass sich lösende Eisreste am externen Tank keine Rolle bei diesem Vorfall spielten. Kameraaufnahmen bei T-5 Minuten zeigen keinerlei Vereisungen in dieser Region der Herkunft der Schaumstoffisolierung auf. Auch andere Materialien oder Bestandteile der Verkleidung des Tanks können soweit ausgeschlossen werden.

Das hiermit genährte Bild zeigt, dass das Shuttle quasi in ein Projektil hinein flog. Die Bezeichnung des “rauchenden Colts” für diese These war geboren. Doch damit war die Serie an Zwischenfällen noch nicht beendet. Direkt nach dem Unglück vom 1. Februar 2003 begann das Air Force Space Command den eigenen Datenbestand zu analysieren, um mögliche Anomalien während des Fluges im Orbit aufzuspüren. Auf Relevanz überprüft wurden 3.180 optische und Radarbeobachtungen von verschiedenen Airforce-Basen aus. Tatsächlich wurde ein verdächtiges, wenn auch sehr kleines Objekt gesichtet, in Folge bezeichnet als 2003-003B (der Nomenklatur von Weltraummissionen folgend; Columbia trägt die Nummer 2003-003A). Eine erste Beobachtung am 17. Januar 2003 um 15:57 Uhr (EST) gemacht, nachdem der Orbiter zuerst in eine leicht geschwenkte (rechter Flügel voran) und dann wieder die normale Fluglage (Heck voran) gebracht wurde. Das dubiose Objekt löste sich scheinbar um die genannte Uhrzeit herum vom linken Flügel und konnte bis zum 20. Januar 2003 um 21:45 Uhr (EST) von verschiedenen Radarstationen beobachtet werden, bis es schließlich verglühte.

In jenem Zeitraum führte die Columbia weder aufwendige Flugmanöver aus, noch wurde z.B. die Kollision mit Weltraumschrott oder einem Mikrometeoriten verzeichnet noch registrierte die Telemetrie ungewöhnliche Sensordaten. Die einzigen bekannten Daten des Objektes sind seine ballistischen Komponenten; Material, Masse oder Form konnten dagegen nur vage vermutet werden. Tests mit verschiedenen Bestandteilen des Shuttle-Orbiters – insgesamt 31 Objekte -, welche sich gelöst haben könnten, wurden schließlich durchgeführt. Ein Fragment des RCC-Paneels – also ein Bruchstück aus jener Region, welche beim Start von benanntem Stück Schaumstoff getroffen wurde – mit einer Größe von nur 0,09 Quadratmetern würde als einziges den empfangenen Radardaten entsprechen. Das Objekt konnte nicht sicher identifiziert werden, ein Zusammenhang des “Flight Day 2 Object” mit den Vorgängen am Starttag ist jedoch gut denkbar und wird vom CAIB als gegeben angenommen.

Katastrophale Folgen

Am 1. Februar 2003 um 2:30 Uhr (EST) nahm das Entry Flight Control Team (EFCT) in der Missionskontrolle seine Arbeit auf, um die Wiedereintritt der Columbia vorzubereiten. Zu jenem Zeitpunkt gab es keinerlei Probleme – weder technische Defekte noch kompromittierende Sensorendaten. Dem EFCT muss, so das CAIB, der Vorfall am Starttag bekannt gewesen sein. Allerdings befürchtete man keinerlei Folgen für das Ende der Mission, eine der heikelste Phasen der gesamten Mission. Zwanzig Minuten vor der Zündung zur Einleitung des Wiedereintritts wurde daher das “Go” gegeben. Um 8:10 Uhr (EST) bestätigte die Crew des Fluges STS-107 den Befehl. Das Deorbit-Manöver wurde schließlich um 8:15:30 Uhr (EST) von Pilot McCool durch eine zwei Minuten und 38 Sekunden lange Zündung der Haupttriebwerke eingeleitet; das Shuttle befand sich zu diesem Zeitpunkt über dem Indischen Ozean. Um 8:44:09 Uhr wurde der Wiedereintrittspunkt in 122 Kilometern Höhe über dem Pazifik erreicht. In den kommenden Minuten traten Temperaturen um die 1.400° Celsius auf – wie es auf jeder Shuttle-Mission normal ist.

Um 8:48:39 Uhr registrierte erstmals ein Sensor der linken Flügelvorderkante einen abnorm hohen Wert einwirkender Kräfte. Festgestellt wurde dies jedoch erst nach dem Unglück, denn jener Sensorwert wurde nicht zur Missionskontrolle weitergeleitet und der Crew selbst nicht angezeigt. Kaum dreieinhalb Minuten später, um 8:52:00 bei Mach 24,5 und in 71 Kilometern Höhe, begann die Erhitzung und schrittweise Verringerung von Geschwindigkeit und Höhe des Orbiters. Dabei erreicht die Temperatur um das Shuttle ein Maximum, wobei speziell an den Flügelkanten extreme Werte auftreten. Weitere anderthalb Minuten später, um 8:53:46 Uhr, wurden am Himmel erstmals mögliche Trümmerteile gesichtet; die von der Columbia am Himmel gezogene Spur, erzeugt durch heiße Gase, erhellt sich plötzlich und einzelne Lichtpunkte entfernen sich vom Raumfahrzeug in dem Moment, als die Columbia in den Luftraum von Nevada eintritt. In den kommenden 23 Sekunden wiederholte sich dies und zahlreiche Personen wurden Augenzeugen des tragischen Schauspiels. Die Trümmerspur zog sich schließlich über Utah, Arizona, New Mexico und Texas.

Erst ab 8:54 Uhr mehrten sich im Kontrollzentrum die Anzeichen für Probleme. Zunächst fielen einzelne, zunächst nur vier, Sensoren für Hydrauliksysteme im linken Flügel der Columbia aus bzw. zeigten Werte um Null an. Aus den später aufgesammelten Trümmerteilen am Erdboden konnte rekonstruiert werden, dass sich zu dieser Zeit erste Hitzeschutzkacheln vom linken Flügel lösten. Bis 8:59:15 Uhr fiel der Druck in beiden linken Reifen ab. Der Flugdirektor entschied schließlich, über den Capsule Communicator (CAPCOM) die Crew über die Probleme zu informieren und sich nach der aktuellen Situation in der Raumfähre zu erkundigen. Die Funkverbindung zur Columbia brach jedoch abrupt ab und die letzte Transmission verstummte und konnte auch nicht wiederhergestellt werden. Die letzte Meldung wurde um 8:59:32 Uhr empfangen und nach dem “Roger…” unterbrochen. Um 9:00:18 Uhr ging die Columbia komplett verloren, als Beobachter am Boden die Desintegration des Space Shuttles beobachten konnten.

Im Nachhinein zeichnen sich die Vorgänge beim Wiedereintritt als logische Folge des Geschehnisses am Starttag ab. Durch einen beträchtlichen Schaden – auf alle Fälle umfangreicher als ein Haarriss – in der Flügelvorderkante am linken Flügel konnte ultraheißes Plasma ins Innere der Struktur eindringen und dort Systeme lahm legen. Gleichzeitig bot sich auch außerhalb ein Angriffspunkt gegen die einzelnen Hitzeschutzkacheln, welche nacheinander der enormen Belastung nachgaben. Hierdurch waren große Teile der Außenhaut ungeschützt dem Druck des Deorbits ausgesetzt. Schließlich zerbrach das Shuttle unter diesem Einfluss.
Die Katastrophe war geschehen.
Der komplette Bericht steht unter Caib Report Volume 1 (PDF-Format, 10 MB) zum Download bereit.

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